Mehr als 460 Jahre, evangelisch in Nied

Mehr als 460 Jahre, evangelisch in Nied

von

Jürgen Telschow

Die Geschichte der evangelischen Kirche kann man kaum verstehen, wenn man die enge Verbindung von Staat und Kirche außer Betracht lässt. Das gilt auch für Nied. Denn einerseits hatten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation katholische Bistümer und andere katholische Organisationen die so genannte Reichsstandschaft, waren also auch Staatsgebilde. Und andererseits war in den protestantischen Territorien die evangelische Kirche Teil des Staates mit dem Landesherrn als oberstem Bischof. Zwei Varianten eines Sachverhalts, der Staatskirche. Seit dem Augsburger Religionsfrieden galt zudem, dass der Lan-desherr die in seinem Territorium geltende Konfession bestimmte. Religionsfrei-heit also für die Herrschenden, nicht aber für die Gläubigen. Diese hatten ihm zu folgen. Das brachte zwar einen gewissen inneren Frieden, führte aber auch zu Konflikten, wenn Bistums- und Staatsgrenzen sich nicht deckten. An dem klei-nen Dorf Nied mit 120 Einwohnern im Jahr 1580, 491 Einwohnern im Jahr 1840 und 8.597 Einwohnern 1925 kann man einiges davon studieren.

Nied gehörte bald nach 800 zu dem Fiscus Franconofurt, einem königlichen Ver-waltungsbereich, und nach dessen Auflösung um 1200 zum königlichen Gericht Bornheimer Berg. Kirchlich herrschte 1268 das Stift St. Maria ad Gradus zu Mainz (Mariagredenstift) in Nied, übertrug die Dörfer Nied und Griesheim aber 1474 und 1485 mit der niederen Gerichtsbarkeit und dem Stellenbesetzungs-recht an das Erzstift Mainz, die kirchliche Verwaltungsbehörde des Kurfürsten-tums Mainz. Staatlich verpfändete König Ludwig IV. 1320 den Bornheimer Berg an Ulrich II. von Hanau, und 1434 belehnte Kaiser Sigismund Graf Reinhard von Hanau mit dem Bornheimer Berg. Aus der Teilung der Grafschaft Hanau 1458 gingen die beiden Grafschaften Hanau- Münzenberg und Hanau-Lichtenberg hervor; Nied gehörte zu ersterer. Allerdings begannen mit dieser Übernahme auch Dauerquerelen zwischen den Hanauern und dem Mariagredenstift Mainz und dem Erzbischof von Mainz um die Dorfherrschaft.

Nach einer Urkunde aus dem Jahr 1160 gab es eine Pfarrei im Dorf Nied, in einer Urkunde im Jahr 1218 wird eine Kirche genannt, vermutlich aus Holz1. Nach-dem die Grafen von Hanau die Grafschaft Bornheimer Berg erworben hatten, verfügte Philipp von Hanau 1489 dort den Bau einer Kirche aus Stein. Die Auseinandersetzungen verschärften sich, als die Hanauer evangelisch wurden. Durch Heiraten und Vormundschaften waren die Hanau-Münzenberger eng mit den Grafen von Nassau-Dillenburg verbunden. Diese förderten die Einführung der lutherischen Reformation in Hanau-Münzenberg zwischen 1530 und 1543. Allerdings erfolgte dies „schleichend”. Es gab keinen offiziellen Akt der Einführung. Vielmehr ersetzte man ausscheidende katholische Pfarrer durch lutherische Prädikanten. Dies und die Spannungen mit Mainz dürfte dazu geführt haben, dass in Nied erst 1554 erstmals evangelisch gepredigt wurde; zwei Jahre nach dem Passauer Vertrag von 1552, der protestantischen Fürsten erstmals den konfessionellen status quo gewährleistete. Dort gab es nun katholische und evangelische Christen. Leidtragende waren beide, denn eine dauerhafte kirchliche Versorgung war weder für die einen noch für die anderen gewährleistet. Von 1562-1584 war mit Hermann Carpentarius ein Pfarrer in Nied ansässig, der zunächst katholisch war und dann evangelisch wurde.

1596 führte Hanau-Münzenberg im Gegensatz zu Hanau-Lichtenberg aber unter Philipp Ludwig II. das reformierte Bekenntnis ein. Aus Anhängern Luthers soll-ten die Nieder auf einmal zu Anhängern Calvins werden; und das in einer Zeit, in der sich Lutheraner und Clavinisten kaum weniger feindlich gegenüber stan-den als Protestanten und Katholiken. Im gleichen Jahr sandte das Stift den katholischen Pfarrer Kaspar Follandus nach Nied. Hanau setzte ihn ab und beauftragte einen lutherischen Lehrer, Lesegottesdienste zu halten. Daraufhin nehmen die Höchster den Lehrer gefangen, und der Amtmann von Höchst ver-schließt die Kirche. Dabei blieb es bis bei der Schlacht vor Höchst am 9. Juni 1622 zwischen katholischen Truppen unter Tilly und protestantischen Truppen unter Christian von Braunschweig letztere Nied bis auf ein Haus zerstörten. Die Kirche wurde schwer beschädigt, nicht repariert und schließlich 1824 ganz abgetragen Die kirchliche Betreuung der evangelischen Nieder übernahm der reformierte Pfarrer von Bockenheim. Dazu gehörte2, dass der Bockenheimer Pfarrer die Pfarrländereien in Nied verwaltete. Pfarrer Adam Preuel verpachtete diese am 6. Juni 1640 für drei Jahre an Jakob Branden, der ihm die Hälfte des Ertrages abführen musste. Zu diesen Ländereien gehörte übrigens 1581 1,5 Morgen Weingarten. 1642 starb die Linie Hanau-Münzenberg aus. Aufgrund eines Erbvertrages übernahm Kasimir von Hanau-Lichtenberg die Regierung auch in Hanau-Münzenberg. 1670 führte dann Friedrich Kasimir auch in der Grafschaft Hanau-Münzenberg das lutherische Bekenntnis ein, ohne das refor-mierte abzuschaffen. 1684 tauschte Hanau Nied und Griesheim gegen ihm näher liegende Dörfer mit dem katholischen Kurmainz. Im Vertrag wurde entsprechend dem Westfälischen Frieden festgehalten, dass den Niedern keine neue Religion aufgezwungen werden dürfe und dass für die kirchlichen Verhältnisse das Nor-maljahr 1624 maßgebend sein sollte. Nun zogen vermehrt Katholiken nach Nied. Die Protestanten aber hielten durch, auch wenn der katholische Pfarrer das Recht auf alle Amtshandlungen hatte. Offenbar wurde allerdings weiter von einer Gemeinde ausgegangen, denn 1707 gab es eine gemeinsame Kirchenrech-nung3 für beide Konfessionen, die von den beiden „Baumeistern”, dem Katholiken Johannes Heeb und dem Protestanten Johannes Tempell, aufgestellt worden war. Das Kirchengebäude allerdings verfiel immer mehr. Um die gleiche Zeit gab es Aufbaupläne für die Kirche. Aber 1706 einigten sich Hanau und Mainz, die Kirche nicht wieder aufzubauen. Sossenheim blieb der katholische Pfarrsitz, Nied und Griesheim blieben dessen Filalen4. Die Protestanten orientierten sich weiter nach Bockenheim.

Als 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss das Kurfürstentum Mainz wurde, kam Nied zum evangelischen Fürstentum Nassau-Usingen, ab 1806 Herzogtum Nassau. Hier galt die freie Religionsausübung, die den Protestanten am 4. Dezember 1805 auch gewährt wurde. Danach durften in nied auch wieder evangelische Amtshandlungen vorgenommen werden. 1808 gab es eine Vermö-gensauseinandersetzung. Das Kirchenvermögen von 17.091, 50 Kreutzer wurde aufgeteilt5. Maßgebend dafür war das im Westfälischen Frieden 1648 festgelegte Normaljahr 1624. Die Katholiken erhielten für 48 Köpfe 6.952 Gulden, 37 Kreut-zer und 3 Heller, die Protestanten für 70 Köpfe 10.139 Gulden, 15 Kreutzer und 1 Heller. Pfarrgüter und Kircheninventar verblieben den Katholiken. Doch gingen nun die Evangelischen aus Nied und Höchst nach Unterliederbach und die Griesheimer nach Niederrad.

Die Simultankirche

Jetzt und in den folgenden Jahren waren in Nied sowohl die Protestanten als auch die Katholiken zu schwach, sich eine eigene Kirche zu bauen. So durften sie in den Jahren 1826 bis 1828 im kirchlich liberalen Nassau dann von beiden Kon-fessionen gemeinsam an der Stelle der alten Kirchenruine eine Kirche zur ge-meinsamen Nutzung errichtet werden, eine sog. Simultankirche6. Diese wurde aber erst 1830 eingeweiht. Hatte doch eine Gruppe katholischer Christen ge-klagt, um die Rückgabe des Kirchenvermögens und des Kirchengrundstücks zu erreichen. Dafür wollten sie den Protestanten beim Bau einer eigenen Kirche helfen. Der Prozess war jedoch nicht erfolgreich. So konnte die Einweihung am 2. Mai 1830 in zwei getrennten Gottesdiensten erfolgen. Die Reihenfolge war durch Los festgelegt worden. Als später die gemeinsame Orgel eingeweiht wurde, ging es „ökumenischer” zu. Es gab einen Gottesdienst, in dem der katholische Pfarrer die Predigt hielt und der evangelische die Weihe-Ansprache7.

Die neue Kirche war eine Saalkirche mit Apsis, in der der silberblau gestrichene Hochaltar aus der säkularisierten Franziskanerkirche in Hadamar seinen Platz fand. Zwei Engel rahmten ihn ein. Über ihm an der Decke befand sich das Drei-eck mit dem Auge Gottes. Hinter ihm stand ein großes Kruzifix. Auf zwei kleinen Seitenemporen befand sich die Orgel. Den Chorraum trennte eine halbhohe, höl-zerne Barriere, entsprechend dem katholischen Verständnis, vom Kirchenschiff. Vor der Barriere stand später ein evangelischer Altartisch. In der katholischen Messe wurde der Tisch mit einem Tuch verdeckt, im evangelischen Gottesdienst wurden die Heiligenbilder und Figuren mit Tüchern verhängt. Die gemeinsame Nutzung verlief allerdings ohne größere Schwierigkeiten, auch wenn es manche Unbequemlichkeit gab.

Der Pfarrhausbau

1831 wurden die Evangelischen von Nied, Griesheim und Höchst zu einem Kirch-spiel zusammengeschlossen. Als erster evangelischer Geistlicher nach 300 Jah-ren trat Pfarrvikar Christian Waßmuth seinen Dienst an8. Kaplan Michel9 be-richtet 185810, dass in Nied, Griesheim, Höchst und Schwanheim 304 evangeli-sche Familienhäupter und 1500 Seelen lebten. Es gebe aber vier katholische Lehrer und nur eine evangelische Lehrerin. In Griesheim sei die Mehrheit der Bewohner evangelisch. Als Kirche stehe die Simultankirche in Nied zur Verfü-gung. Der Mangel sei, dass es in Nied kein Pfarrhaus und in Griesheim keine Kirche gebe. Auch gebe es in Nied keinen festen Pfarrer, sondern nur einen Kap-lan. Ursache für diese Mängel sei, dass keine Kirchensteuer erhoben werde. Die Zukunftsperspektiven sah Michel skeptisch, weil die Evangelischen „schwach und beständig in der Abnahme”11 begriffen sind. Hoffnung gab ihm aber, dass vor kurzem eine Lutherbibel von 1564 entdeckt worden war, die durch all´ die schwe-ren Zeiten von einer Familie aufbewahrt worden sei. Diese Bibel wurde der Ge-meinde dann auch am 1. Weihnachtsfeiertag 1858 von den Gebrüdern Strenz übergeben. Auf Grund der Ausführungen von Michel beschloss der Kirchenvor-stand, für folgende Zwecke Geld zu sammeln12:

Für den Bau eines Pfarrhauses 6.000 Gulden

Für die Gründung einer Pfarrstelle 20.000 Gulden

Für einen Kirchbau in Griesheim 10.000 Gulden

Insgesamt 36.000 Gulden

Dabei waren für das Pfarrhaus 3.400 Gulden vorhanden und eine „hohe Familie” versprach 12.000 Gulden wenn die Gemeinde den Rest beschafft.

Am 13. März 1859 erließ der Kirchenvorstand erließ der Kirchenvorstand den folgenden „Aufruf an alle Freunde des Reiches Gottes”13:

Wie die vorstehende Darstellung ausser Zweifel setzen wird, befinden wir uns bei aller Anstrengung jedenfalls in der Unmöglichkeit, uns allein helfen zu können.

Wie ein abgebrannter und schiffbrüchiger Bruder, der die Absicht hat, alle seine Kräfte zusammen zu nehmen, um als ein kräftiger, in Zeiten wechselnder Noth auch zu guter Hülfe bereiter Mann in die Reihe seiner Brüder wieder einzutre-ten, wenden wir uns mit der Bitte um Hülfe an alle hohen Beschützer und Gön-ner der evangelischen Kirche und an alle unsere Brüder, die das Unglück zur Zeit noch nicht heimgesucht hat, und die durch auf sie gekommene Stiftungen der frommen Väter eines Kampfes und einer Noth, wie die unsrigen, überhoben sind.

So diene euer Ueberfluss unserem Mangel diese (bedrängte) Zeit lang, auf dass auch unser Ueberschwang hernach diene eurem Mangel und geschehe, das gleich ist

(Vgl. 2. Cor. 8, 14.)

Nied, den 13. März 1859.

Der Kirchenvorstand:

Fritze, Hofkammerrath, P. Stein, Wagnermeister, zu Höchst,

C. F. Michel, Kaplan, Strenz, Bürgermeister, G. Traband, Holzhauermstr., Jak. Simon, Wagnermeister und Landmann zu Nied,

Stubenrecht, Bürgermeist., Hier. Fischer, Zimmermann, J. Stark, Landmann zu Griesheim

In der Tat stellten dann auch für den Bau der Kirche in Griesheim der Graf Karl August von Bose und seine Frau Louise Wilhelmine geb. Gräfin von Reichenbach und Lessonitz, uneheliche Tochter des Kurfürsten Wilhelm II. von Hessen, beide gemeinsam Besitzer des Hofgutes Goldstein, diese Summe zur Verfügung. In einem undatierten Nachtrag zu Michels Schrift wurden Spenden des Gustav-Adolf-Werkes Frankfurt, aus Heidelberg, Schleitz, Ebesdorf, Düsseldorf, West-phalen, Homburg-Meisenheim und Holland (hier 2.000 Gulden) genannt.

Am 29. November 1861 richteten Kaplan Arnold Vogel14 sowie die Kirchenvor-steher und Beiräte von Höchst und Nied (namentlich haben 16 Personen unter-schrieben, darunter Bürgermeister Strenz von Nied) eine „Nachricht für die evangelischen Einwohner zu Höchst und Nied” an die Gemeinde15. Sie teilen mit, dass nach der Verselbständigung von Griesheim mit Schwanheim noch der Pfarr-hausbau und ein Pfarrbesoldungsfonds zu finanzieren sind. Für jeden der beiden seien 3.500 Gulden angesammelt. Das Baugrundstück für das Pfarrhaus sei ge--kauft, zu dem Baukosten fehlten also noch 1.500 Gulden. Deshalb werden die Gemeindeglieder gebeten, Erklärungen abzugeben, welchen Betrag sie zu wel-chem Datum zu spenden bereit wären. In einem „Umgang” wolle man diese Er-klärungen erbitten. „Mit dieser Nachricht verbinden wir die freundliche Bitte an alle unsere lieben Mitbürger, eingedenk des Spruches, dass einen fröhlichen Geber Gott lieb hat, uns auch diesmal mit Freundlichkeit aufnehmen zu wollen, welches den Umgang in unserer Gemeinde seither immer so leicht und ange-nehm machte.”

Am 12. Juni 1862 erfolgte die Grundsteinlegung für das Pfarrhaus. In der Festordnung16 hieß es zunächst:

Die Gemeinde und die übrigen Theilnehmenden versammeln sich Nachmittags um halb drei Uhr am oberen Ende des Dorfes, von wo sie sich in geordnetem Zuge unter dem Geläute der Glocken nach dem Bauplatze begeben, in folgender Weise:

  1. Die Schulkinder.

  2. Die Jungfrauen und Frauen der evang. Gemeinde.

  3. Ein weiß gekleidetes Mädchen mit den in den Grundstein zu legenden Urkunden auf einem Kissen, geführt von zwei Kirchenvorstehern und begleitet von 10 weiß gekleideten Mädchen mit Kränzen.

  4. Die anwesenden Mitglieder des Hauptvorstandes des Nass. Gustav-Adolf-Vereins und der Vorstand des Zweivereins Kronberg, begleitet von den anwesenden früheren Geistlichen des Kirchspiels Nied”.

Im Jahr 1865 konnte für die Höchster Gemeindeglieder im Bolongaropalast eine Kapelle errichtet werden, in der dann alle vier Wochen Gottesdienst stattfand. Die Bänke, die Kanzel und die Orgel waren von der niederländischen Prinzessin Marianne gestiftet worden17.

1874 wurde aus der Vikarsstelle eine selbständige Pfarrei, der 1877-83 die Filialgemeinde Höchst zugehörte18.

Von den Nöten der Zeit erzählt auch ein Geschäftsbericht des „Jugend-Sparkas-senvereins zu Nied” aus dem Jahr 189919. Der Verein war 1894 gegründet wor--den und hatte den Zweck, „ a. seinen Mitgliedern Gelegenheit zu geben zum all-mählichen Ersparen derjenigen Summe, welche sie bei der Konfirmation bezw. beim Eintritt in´s öffentliche Leben zur Aussteuer derselben bedürfen und b. in den Kindern seiner Mitglieder wirthschaftlichen Sparsinn zu erwecken.” Die Mindesteinlage betrug 10 Pfg. In den Jahren 1896-1998 wurden im Schnitt etwa 4500 Mk eingezahlt und 4.200 Mark ausgezahlt.

Die Christuskirche

Gegen Ende des Jahrhunderts waren jedoch beide Gemeinden so gewachsen, dass der Wunsch nach eigenen Kirchen erfüllt werden konnte. Lebten in Nied um 1895 noch 954 Gemeindeglieder, so waren es 1908 bereits 3.00020. Ab 1887 wur-den nach und nach der Kirchenchor als Verein, der Frauenverein, der Männer--verein, der Jünglingsverein und der Jugendverein gegründet21. So zahlte die evangelische Gemeinde im Jahr 1907 mit 19.130 Mark die katholische aus und behielt die seitherige Simultankirche. Die alte Orgel bekam die katholische Gemeinde für 150 Mark und konnte auch das Kirchengestühl mitnehmen. Die Glocken behielten die Evangelischen. Die katholische Gemeinde baute die St. Markuskirche.

In der Fest-Zeitung zur Einweihung der katholischen Markuskirche am 2. Juni 1907 finden sich bemerkenswerte Sätze zum Verhältnis der Katholiken zu den Protestanten in Nied:

Nicht vergessen dürfen wir in diesem Festblatte die evangelische Gemeinde in Nied. Bei all den schwierigen Verhandlungen hinsichtlich der Auseinanderset-zung über die gemeinsame Kirche wurde von unsern evangelischen Mitbürgern, namentlich von dem Herrn Pfarrer Schmidtborn, dem Kirchenvorstande und der Gemeindevertretung eine friedliche und gerechte Gesinnung an den Tag gelegt, die alle Anerkennung verdient und zu den besten Hoffnungen berechtigt, dass auch fernerhin, obwohl die beiden Kirchengemeinden in räumlich getrennten Gotteshäusern dem Schöpfer dienen, das einträchtige Verhältnis fortbestehen wird. Die Katholiken werden mit Interesse das Erstehen einer erneuerten und vergrößerten evangelischen Kirche verfolgen und ihren evangelischen Brüdern Gottes Segen zu ihrem Werke wünschen. Schiedlich-friedlich wird fernerhin der Wahlspruch der beiden christlichen Gemeinden sein müssen.”

Bei der Einweihung der Christuskirche am 24. Mai 1908 äußerte sich der Wies-badener Generalsuperintendent D. Mauer ähnlich:

Durch ein verständiges, friedfertiges Einvernehmen der Gemeindeglieder in Nied und durch gegenseitige Achtung der religiösen Gefühle sind in Nied zwei prachtvolle Denkmäler in den beiden Kirchen entstanden.”

Josef Benner, der Chronist, den Vollert zitiert, fügte hinzu: „Jahrhunderte durch hat Nied unter den Folgen der Zwietracht gelitten, jetzt sieht es den Segen der Eintracht22.”

Das klingt etwas anders, als Vollert23 die Situation schildert. Der berichtet von den Spannungen zwischen dem gütigen und sanften Pfarrer Schmidtborn und dem westfälischen Dickschädel Tewes auf katholischer Seite schon vor den Kir-chenbauten. Auch habe Tewes bei der Einweihung der Markuskirche nicht mit Schmidtborn am Ehrentisch sitzen wollen (den er auf de Straße nicht einmal grüßte), so dass Schmidtborn und sein Kirchenvorstand mitten unter den Fest-gästen gesessen hätten. Andererseits berichtet Vollert auch, dass die beiden Kirchenhäupter am nächsten Tag friedlich zusammen durch die Nieder Straßen gegangen seien. Das passt nicht ganz zusammen.

Die Christuskirche

Aus der Simultankirche sollte also eine evangelische Predigt- und Gemeindekir-che24 werden. Nach Vollert25 war der große Umbau in der evangelischen Gemein-de nicht unumstritten, weil eine Minderheit sich mit dem vorhandenen Gebäude zufrieden geben wollte. Von der Wiesbadener Kirchenregierung wurde aber der Herborner Architekt Ludwig Hoffmann mit der Planung beauftragt. Evangeli-sches Bauen zu dieser Zeit bedeutete die Umsetzung des Wiesbadener Pro-gramms von 1891, also die Einheit von Altar, Kanzel und Orgel. Gewürzt mit einem Schuss reformierten Denkens, entwickelte Hoffmann nun aber etwas recht Eigenständiges, Überraschendes. Altar, Kanzel wurden nicht direkt übereinan-der angebracht und die Konzentration auf den Altar in der Apsis wurde auf-gehoben. Die Erhöhung blieb. Die tiefe Apsis wurde mit einer großen Orgel ausgefüllt. Im Halbkreis davor wurden Sitzmöglichkeiten für den Chor geschaf--fen. Sie bildeten die eine Hälfte des Gemeindekreises, die andere Hälfte des Kreises bildete die im Halbrund sitzende Gemeinde. Beide Halbrunde wurden einerseits durch die Brüstung zerschnitten, andererseits aber durch seitliche Sitzbänke mit einander verbunden. In der Mitte vor und unterhalb der Brüstung stand der Altar, ein ganz zurückgenommener Tisch, der nur als Ablage für Abendmahlsgeräte und die Taufschale genutzt wurde; keine Bibel, kein Kruzifix, keine Kerzen. Die Kanzel in Zeltform hatte neben dem Chorgestühl am linken Eckpfeiler ihren Platz. So wurde die optische Zentrierung vom Altar weg zum gemalten Deckenkreuz im Kreis, umgeben von einem Sechseck, gerichtet. Es symbolisiert die Gegenwart Christi inmitten des Gemeindekreises. Hoffmann nahm hier vorweg, was erst viel später wieder im Kirchenbau zu finden sein wird. „Aus der simultanen Kultuskirche wird eine christologische „Ringkirche.26” Die Kirche wurde am 24. Mai 1908 eingeweiht.

Trotzdem hatte diese bemerkenswerte Konzeption keine Zukunft. 1928 kamen ein Kruzifix, Kerzen, Blumen, Paramente und eine Bibel zum Altar. 1931 wurde im Rahmen einer Renovierung alles übertüncht, auch das Deckenkreuz. Zugleich wurde die Brüstung aufgebrochen, um einen Platz für den Dirigenten zu schaf-fen. 1958 zur Fünfzigjahrfeier erhielt der Altar wieder neu ein Kreuz, Kerzen-ständer, Antependien und eine Bibel. 1960 wurden die verbindenden Kirchen-vorsteherbänke entfernt. Ein wuchtiger Marmoraltar thronte nun, um eine wei-tere Stufe erhöht, im Zentrum. Das alles beschreibt einen Weg zur Sakramen-talisierung des Altarbereiches.

Als es 1977 wieder eine Renovierung gab, entdeckte man die Muschelsymbolik der Kirche. Als barockisierender Schmuck verzierte sie die Emporenbrüstung. Durch die Veränderungen von 1931 hatte das Kirchenschiff eine Muschelform erhalten. Nun wurde die Muschel an die Decke gemalt. So ersetzte ein schöp-fungstheologisches Symbol für Leben oder Einheit der Kirche das christologische Symbol. Zugleich betonte die Muschelform wieder mehr die ursprüngliche Rundform im Kircheninnern und damit das Priestertum aller Gläubigen.

Als in jüngerer Zeit die Kirche wieder umgebaut wurde, entstand eine moderne Veranstaltungskirche, die manches von der alten Symbolik beseitigte und den-noch das Gefühl vermittelt, in einem historischen Raum zu sein. Mit ihrer lichten Helle, der Verbindung von alt und neu hat sie einladenden Charakter.

Glocken

1907 hingen im Kirchturm drei Bronzeglocken, 1. große Glocke, Wort Gottesglok-ke; 2. mittlere Glocke, Christusglocke; 3. kleine Glocke, Gebetsglocke. Die erste und die dritte Glocke mussten im 1. Weltkrieg abgeliefert werden. Um danach neue Glocken anschaffen zu können musste die Christusglocke verkauft werden. 1923 wurden drei Stahlglocken eingeläutet: die große Friedensglocke in „F” , die mittlere Gefallenenglocke in „As” und die kleine Bete- und Arbeiteglocke in „B”. entsprechend dem Zeitgeist wurde Christus durch die Gefallenen ersetzt27. In jüngerer Zeit erhielt die Kirche die Glocken der aufgegebenen Heilandskirche in Frankfurt am Main – Bornheim: 1. Gloria, Lob- und Dankesglocke, 1.100 kg in e'; 2. Pax, Toten- und Ewigkeitsglocke, 850 kg in fis'; 3. Rogate, Betglocke, 450 kg in a'; 4. Johannisglocke, 350 kg in h'.

Französische Besetzung

Nicht mehr im Bewusstsein vieler Menschen, aber von Bedeutung für die Ent-wicklung des Nationalismus war die Besetzung westlicher Stadtteile durch fran-zösische Truppen. Im Waffenstillstand von Compiègne vom 11.11.1918 hatte Deutschland akzeptieren müssen, dass alle linksrheinischen Gebiete und vier Brückenköpfe von Truppen der Siegermächte besetzt werden. Zu den Brücken--köpfen gehörte Mainz mit dem Umfeld innerhalb eines Radius von 30 km. So marschierten am 14.12.1918 französische Truppen in Höchst, Sossenheim, Schwanheim, Sindlingen, Unterliederbach und Zeilsheim ein28 . Griesheim und Nied wurden im april 1919 besetzt.Erst ab 30.06.1930 zogen sie wieder ab, nachdem sie am 06.04.1920 kurzzeitig sogar das Zentrum von Frankfurt besetzt hatten29. Dieser Vorgang ist nicht zu ver-wechseln mit der Besetzung des Rheinlands im Jahre 1923 wegen nicht pünkt-lich geleisteter Reparationslasten. Für Frankfurt bedeutete es, dass eine bewach-te Grenze durch die Stadt gezogen wurde, die man an Kontrollstellen nur mit besonderem Ausweis überschreiten durfte. Das Besatzungsregime war vor allem in den ersten Jahren hart. Wer sich der Besatzungsmacht nicht einfach beugte und aus seiner deutschen Gesinnung keinen Hehl machte, konnte mit Passent-zug oder Ausweisung bestraft werden. Davon berichtete der Schwanheimer Pfar-rer Paul Weber detailliert in der Festschrift. zum 25jährigen Jubiläum seiner Kirche30. Allein im August 1923 nahm die Flüchtlingsstelle im Frankfurter Hauptbahnhof 933 hier und aus dem Ruhrgebiet ausgewiesene Personen mit 2.383 Angehörigen auf31. Wurde die Besetzung deutschlandweit schon als Schmach empfunden, so förderte sie im besetzten Gebiet auch nationalistisches Denken und Fühlen.

Da es aus der Zeit der französischen Besetzung keine Berichte im Archiv der Christusgemeinde gibt und die Situation hier kaum anders als in Schwanheim gewesen sein dürfte, skizziert die Schwanheimer Festschrift auch die Situation in Nied:

Die heldenhaften Taten unserer Frontkämpfer, die Opferwilligeit der nationalen Kreise unseres Volkes waren umsonst. Die Zersetzung des Frontgeistes und die Unzufriedenheit über die lange Kriegsdauer schritten fort. Der Zusammenbruch kam, und mit ihm begann eine der traurigsten Epochen in der Geschichte unse-res Volkes. Unser geschlagenes Heer wurde von dem getreuesten Eckart unseres Volkes in guter Ordnung in das bisher von den Feinden freigehaltene Vaterland zurückgeführt. Am 4. Dezember 1918 passierten die letzten deutschen Truppen unseren Ort. … Kaum waren die letzten Transporte unseres Heeres vorbeigekommen, als auch schon Montag den 16. Dezember vormittags 10.30 Uhr Franzosen über unsere Brücke in Schwanheim einrückten, und die Fremdherrschaft sich gleich bemerkbar machte. Die Ausgänge des Dorfes, auch die Zugänge zur Brücke wurden mit Doppelposten in Stahlhelm und mit aufgepflanztem Seitengewehr besetzt. Der Verkehr stockte. Die Ortsschelle war in fortgesetzter Tätigkeit, weil eine Bekanntmachung die andere jagte. … Von Zeit zu Zeit traten Verschärfungen im Grenzverkehr ein, durch die derselbe rücksichtslos ganz unterbunden wurde. Selbst der Verkehr im besetzten Gebiet, also z. B. mit Höchst, war in der Anfangszeit erschwert, indem auch dazu besondere Ausweise nötig waren, die sogar in Höchst nochmals von dem französischen Ortskommandanten und dem Oberbürgermeister abgestempelt werden mussten. Von irgendwelcher Freiheit konnte nicht mehr die Rede sein. …

Alle Veranstaltungen der Vereine, auch außerhalb der Kirche stattfindende Weihnachtsfeiern, mussten mit Angabe des Ortes, der Zeit und der Zahl der Teilnehmer gemeldet und genehmigt werden. Ja selbst für die Teilnahme und die gesangliche Mitwirkung unseres Jungmädchenvereins bei der Beerdigung eines Mitgliedes musste erst die Erlaubnis mit der ausdrücklichen Versicherung erwirkt werden, dass damit keine Manifestation verbunden sei. Erst später traten Erleichterungen ein. ... Es war eine Zeit der Ueberwachung und der Denunziationen, des gegenseitigen Mißtrauens. Dass die Pfarrer ganz besonders überwacht und bespitzelt wurden, zeigte sich in den mancherlei Anweisungen und Zitationen von Geistlichen und sollte der Chronist am eigenen Leibe erfahren. … Es war eine Zeit der rücksichtslosesten Ausweisungen. … Am Pfingstmontag, als man zum Gottesdienst ging, standen die Möbelwagen vor dem der Kirche gegenüberliegenden Haus des Arztes Dr. Neumann, den man am Pfingstsamstag schon über die Grenze abgeschoben hatte, um den Hausrat ins unbesetzte Gebiet zu befördern. Es war ein erschütternder Anblick für die Kirchgänger. Die Ausführungen der Pfingstpredigt brachten es mit sich, auf den großen Kontrast zwischen dem Ernst der Zeit, wie ihn die draußen stehenden Möbelwagen illustrierten und der Leichtlebigkeit so vieler Volksgenossen hinzuweisen, wie sie sich gerade an den Pfingsttagen mit den vielen Tanzbelustigungen zeige. Das Wort „Möbelwagen”, das wohl das schlechte Gewissen der Franzosen traf, gab einem französischen Spitzel im Gottesdienst willkommenen Anlaß, die Sache dem übelberüchtigten Kreisdelegierten Schnedecker in Höchst zu melden. Die Folgen zeigten sich allzu schnell: Vorladung vor den Kreisdelegierten, Entziehung der Pässe aller Familienmitglieder, Androhung der Ausweisung und dann ein glänzender Hinauswurf, der diesem übelberüchtigten Kulturträger alle Ehre machte, mit einer hämischen Bloßstellung vor allen im Vorraum anwesenden deutschen Bittstellern: „Das ist pasteur protestant von Schwanheim, welcher predikt Hässlichkeiten gegen die Franzosen”. Wenn es auch nicht zu der angedrohten Ausweisung gekommen ist, so lebte doch der Chronist mit seiner Familie wochenlang in täglicher Unruhe, dass die Franzosen ihn eines frühen Morgens aus dem Bett herausholen würden…”32

Die Kolonie

Ab 1916 wurde in Nied ein Eisenbahnausbesserungswerk für Lokomotiven errichtet. Für dessen Mitarbeiter und ihre Familien entwickelte sich daneben eine schnell wachsende Kolonie, die auch bald eine eigene kirchliche Versorgung benötigte. So findet man im Protokollbuch des Kirchenvorstandes unter dem 12. Juli 1932 folgendes:

Der Vorsitzende berichtet unter Vorlegung von Plänen, daß durch Vermittlung von Herrn Werkdirektor Warnecke Herr Reg.Baumeister Waltenberg von der Reichsbahndirektion Frankfurt a./M. bereit ist, einen Entwurf zu machen. Als für die Siedlungsgemeinde erwünscht, hat ihm der Vorsitzende angegeben:

Eine auch als Gemeindesaal benutzbare Kirche, ein Wohnhaus, in dem für einen Hilfspfarrer, eine Gemeindeschwester, eine Kindergärtnerin u. allenfalls auch für eine Küsterfamilie Platz sein soll. Kirche und Wohnhaus sollen so gebaut werden, daß sich eine Kleinkinderschule darin einrichten läßt; das Wohnhaus wäre auch möglichst so zu gestalten, daß es später als Pfarrhaus für einen festangestellten 2. Pfarrer verwandt werden kann. Bei der Kirche soll auch auf Erweiterungsmöglichkeiten schon im Entwurf geachtet werden.”

Die wirtschaftliche Situation der Zeit schlägt sich darin nieder, dass den Baufirmen zur Auflage gemacht werden sollte, zu 80% erwerbslose Facharbeiter und Hilfsarbeiter zu beschäftigen. Wenig später wurden die Kosten mit 48.000,- RM veranschlagt. Eine längere Diskussion gab es um den Namen der Kirche, da der Vorschlag Johann Hinrich Wichern keine Mehrheit im Kirchenvorstand fand. So wurde es die Apostelkirche. Am 8. Oktober 1933 wurde die Kirche eingeweiht. Mit Wirkung vom 1.April1958 wurden dann aus der Evangelischen Kirchengemeinde Nied die Christuskirchengemeinde und die Apostelgemeinde.

Vor dem Bau hatte es verschiedene Provisorien gegeben. Dazu gehörte auch wieder eine „Simultannutzung.” Denn ab 1931 durften beide Konfessionen den Speisesaal der neuen Friedrich-List-Schule für ihre Gottesdienste nutzen33. Etwa zur gleichen Zeit, in der die Evangelischen ihre Apostelkirche bauten, errichteten die Katholiken in der Kolonie ihre Dreifaltigkeitskirche. Bei einem der Luftangriffe im Jahr 1944 brannte die Dreifaltigkeitskirche völlig aus, während die Brandbombe in der Apostelkirche nicht zündete. Von da an bis zum Kriegsende war die Dreifaltigkeitsgemeinde zu Gast in der Apostelkirche. Dann stellte die Apostelgemeinde ihre Kirche den Amerikanern als Schlafsaal zur Verfügung, um die Beschlagnahme von Wohnungen zu verhindern. Katholische und evangelische Gemeinde feierten nun ihre Gottesdienste im notdürftig wieder hergestellten evangelischen Kindergarten. Das ging so bis 1946. Dann erhielt die Apostelgemeinde ihre Kirche zurück. Die Dreifaltigkeitsgemeinde erhielt eine Baracke auf dem Grundstück vor dem heutigen evangelischen Pfarrhaus. Auch danach noch hatte sie bis 1951 eine Sakristei für die Aufbewahrung ihrer Geräte in der Apostelkirche34. Ein weiteres Zeichen für die ökumenische Verbundenheit.

3. Reich

Bei der Reichstagswahl 1932 entfielen in Nied auf die KPD 30%, auf die SPD 27%, auf die NSDAP 20% und auf die Zentrumspartei 14,5% der Stimmen. Nach dem Parteienverbot existierten Gruppen der KPD und der SPD im Untergrund weiter35.

In dieser Zeit war Alexander Pelissier Pfarrer der Gemeinde36. Sieht man die Kirchenvorstandsprotokolle ab Anfang der dreißiger Jahre durch, so dominierten zunächst Einsprüche gegen die von der Gemeinde erlassenen Kirchensteuerbe-scheide und ab dem Jahr 1933 Fragen, den Bau der Apostelkirche betreffend. Die politischen Veränderungen schlugen zunächst nicht durch. So beschäftigte sich der Kirchenvorstand am 21. Juni 1933 mit der Vergabe von Handwerkerleistun-gen, mit der Anschaffung von Glocken und mit dem für den Johannistag geplan-ten Jugendgottesdienst. Aber am 26. Juni teilte der Vorsitzende in einer erneu-ten Sitzung mit, dass der Reichskommissar die Kirchenvorstände und Gemeinde-vertretungen aufgelöst hat. Deshalb könne in dieser, wegen der Dringlichkeit einberufenen, Sitzung die Beschlussfähigkeit nur unter dem Vorbehalt als gege-ben angesehen werden, dass der bisherige Kirchenvorstand als geschäftsführen-der so lange weiter besteht, bis der neue sein Amt antritt. Beraten wurden u. a. der Haushaltsplan 1933 und die Festsetzung des Kirchensteuerhebesatzes auf 12%. Am 29. Juni tagten Kirchenvorstand und Baukommission gemeinsam. Hier wurde zunächst festgestellt, dass nach Auflösung der Kirchengemeindevertre-tung deren Vertreter in der Baukommission nicht mehr stimmberechtigt sind. Dann wurde wieder über die Vergabe von Handwerkerleistungen entschieden. Schließlich bestand Unsicherheit über die Fahnenfrage. In der Zeitung hatte nämlich gestanden, dass künftig auch die schwarz-weiß-rote und Hakenkreuz-fahne gehisst werden müssten. Man entschied sich abzuwarten, bis es eine kirchliche Anordnung gäbe. Am 13. Juli entschied man, dass an der Apostel-kirche wegen der angespannten Finanzlage möglichst viele Arbeiten in Eigen-arbeit erledigt werden sollten, und am 14. Juli, dass wegen zurückgegangener Steuereinnahmen ein „Steuerpflegedienst” eingerichtet werden solle.

Am 14. Juli 1933 wählte der Kirchenvorstand die Glockensprüche für die Apos-telkirche aus. Da fragt man sich, ob sie etwas über das Denken des Kirchenvor-stands in dieser Zeit aussagen oder über den Pfarrer:

Große Glocke: „Die Liebe ist die größte unter ihnen” 1. Kor. 13, 13

Mittlere Glocke: „Habt Glauben an Gott”, Mark 11, 22

Kleine Glocke: „seid fröhlich in Hoffnung”, Röm. 12, 12

Am 17. Juli informierte der Vorsitzende über die Bestimmungen für die auf den 23. Juli.1933 angeordneten Neuwahlen der Kirchenvorstände und Gemeindever-tretungen. Dabei berichtete er über die von ihm vorgenommenen Schritte zur Bildung einer Einheitsliste mit den Deutschen Christen. Für diese Liste schlug dann der Kirchenvorstand die bisherigen Kirchenvorsteher Wels, Weingardt, Steinebach und Frank vor. Die anderen Plätze sollten den Deutschen Christen zur Verfügung stehen. Mit dieser Liste begab sich sodann Wels um 9.45 Uhr in das Büro der NSDAP zur Beratung. Als er gegen 11.00 Uhr zurück kam begleite-ten ihn als Vertreter der NSDAP Lehrer Wendt und die Herren, Helmes, Fehse, Philipp Wegner und Rudolph Schmidt. Wendt teilte dem Kirchenvorstand mit, dass diese Herren den gesamten bisherigen Kirchenvorstand ablehnen. Er forderte eine völlige Neubesetzung des Kirchenvorstandes mit Mitgliedern der NSDAP. Darauf ließ sich der Kirchenvorstand jedoch nicht ein, und es kam zu keiner Einigung. Der Vorsitzende wollte sich mit seiner Behörde und der Leitung der Deutschen Christen in Nassau in Verbindung setzen und berief die Herren Wels, Stahl, Fehse und Paul in den Wahlvorstand.

Am nächsten Tag (18. Juli) tagte der Wahlvorstand und arbeitete „in Abwägung aller Bedürfnisse” folgenden Wahlvorschlag aus: Karl Fehse (NSDAP), Otto Frank (KV), Wilhelm Helmes (NSDAP) oder Willi Nickel, Karl Paul, Georg Wein-gardt (KV) oder Phil. Steinebach (KV), Heinrich Wels (KV). Außerdem wurde eine lange Kandidatenliste für die Gemeindevertretung aufgestellt. Wieder einen Tag später (19. Juli) wurde die Liste präzisiert: Weingardt und Helmes in den KV, Steinebach und Nickel in die Gemeindevertretung. Noch am gleichen Tage teilte Herr Schmidt mit, dass der Vorschlag für die DC nicht tragbar sei. Die Be-denken richteten sich vor allem gegen Steinebach und Weingardt. Da die Beden-ken gegen Steinebach ausgeräumt werden konnten, wurde dieser für den KV vorgeschlagen. Der Vorsitzende und die Herren Wels und Stahl erklärten aller-dings ausdrücklich zu Protokoll, dass sie schweren Herzens und um des Friedens willen auf Weingardt verzichten. Schmidt erklärte, dass seitens der DC kein Einspruch mehr erhoben wird.

Am 7. August konstituierte sich der neu gewählte Kirchenvorstand. Er bildete die Baukommission um, bisherige KV-Mitglieder wurden Sachverständige. Bei der Wahl zum Kreiskirchentag gab es dann offenbar ein ähnliches Spiel. Zwei Jahre später legte der Kirchenvorstand den Nationalsozialisten mit Erfolg den Rücktritt nahe. Mit Johann Barth, Friedrich Hildenbrand, Theodor Mühlich und Albert Strauchmann konnten Gemeindekandidaten nachberufen werden37. Zum Kirchenvorstand gehörten auch die Hilfspfarrer Erich Pongs und Wilhelm Schmelz.

Im September 1933 schickte das Landeskirchenamt für die Arbeit an der Apos-telkirche Vikar Pongs38 als Hilfspfarrer. Pongs wurde Mitglied der Bekennenden Kirche und baute eine entsprechende Gemeindearbeit in der Eisenbahnersied-lung auf. Das führte dazu, dass am 18.11.1934 der Kirchenkampf auf der Tages-ordnung des Kirchenvorstandes stand. Pelissier berichtet über den Kirchen-kampf und der KV stellte seinen Wunsch fest, die Einigkeit in der Gemeinde zu erhalten, jedoch unter ausdrücklicher Anerkennung des Ernstes, der in dem Kampf um das Bekenntnis in der Kirche ausgebrochen ist. Es wurde gewünscht, dass weitere solche Aussprachen stattfinden sollen.

Mit Hilfspfarrer Schmelz39 folgte auf Pongs ein weiteres Mitglied der Bekennen-den Kirche. Eine weitere Aussprache erfolgte nach dem Pfarrertag vom 25. Janu-ar 1939 in der Frankfurter Matthäuskirche am 15. Februar 1939. Unter dem Ta-gesordnungspunkt „Besprechung der kirchlichen Lage” berichtete Pfarrer Pelis-sier von den „Bemühungen der Herren Landesbischof Dietrich Propst Müller und Pfarrer Karl Veidt um Einigung der Kirche Nassau-Hessen unter einer geistli-chen Leitung, besonders über die große Pfarrerversammlung in der Matthäuskir-che am 25. Januar. Hilfspfarrer Schmelz ergänzte den Bericht, besonders betref-fend die Bekennende Kirche. Der Kirchenvorstand begrüßte diese Bestrebungen auf Einigung freudig u. stellte sich hinter jede Bemühung, die dem Frieden und dem inneren Aufbau der Kirche dient. – Hilfspfarrer Schmelz berichtete auch von den Schwierigkeiten, die ihm von Einzelnen bereitet werden; er erzählte, dass sich der Bruderrat in der Siedlung vor einiger Zeit bereits freiwillig aufgelöst u. dass er die Kollekten jetzt wieder durch das Pfarramt Nied an das Dekanat ablie-fere. Auch über den starken Besuch seiner Gottesdienste von Seiten der Höchster Bekennenden Kirche, sowie über die von Höchst gekommenen Konfirmanden berichtet Pfarrer Schmelz. Der Kirchenvorstand war mit der Einsegnung der Höchster Kinder am 2. April einverstanden.”

Eine Rolle in der Nieder Geschichte hat die Haltung von Pfarrer Pelissier im 3. Reich gespielt. Adalbert Vollert, der katholische Nieder Ortschronist hatte ihm eine Nähe um NS-System nachgesagt40. Er hat das inzwischen als Irrtum zu-rückgenommen. Pfarrer Knohl hatte sich um Aufklärung bemüht41, aber keine eindeutigen Erkenntnisse gewonnen. Nur meinte er, dass Pelissier anfangs mit Adolf Hitler sympathisiert habe. Dazu kann aber folgendes festgestellt werden. Unmittelbar nach Kriegsende mussten die evangelischen Pfarrer und Kirchenbe-amten einen kirchlichen Fragebogen zu ihrem Verhalten im 3. Reich ausfüllen. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Frage, ob jemand seiner Gemeinde oder der Kirche geschadet hatte, nicht sein politisches Verhalten. In diesem Fragebo-gen hat Pelissier am 1. Juli 1945 erklärt, dass er Veröffentlichungen im Sinne der Trinkerfürsorge vorgenommen, nicht–arische Gemeindeglieder wie die ande-ren behandelt und den Gedanken der Judenmission gepflegt habe. Eine Partei-mitgliedschaft habe er abgelehnt; doch wollte er mit der Partei in Frieden leben, um der inneren Ruhe in der Gemeinde willen. Am 26. April 1946 hat er im Rah-men der ideologischen Überprüfung der Deutschen den Fragebogen der Militär-regierung ausgefüllt. Hieraus ergibt sich, dass er keiner NS-Organisation ange-hört hat außer der NSV (Nationalsozialistische Volks Wohlfahrt), dem VDA (Ver-ein für Auslandsdeutschtum) 1938, dem DRK (Deutschen Roten Kreuz)1939 und dem Opferring 1936-1940. Dazu ist zu bemerken, dass es zwei Opferringe zum Sammeln von Spenden gab; einen der NSDAP und einen der NSV. Da Pelissier seinen im Zusammenhang mit karitativen Organisationen erwähnt, könnte man annehmen, dass es sich bei ihm um den Opferring der NSV handelte. 1944 war Pelissier Militärpfarrer. Daraus ergibt sich das typische Bild eines Pfarrers, der durch die Mitgliedschaft in verschiedenen anderen Organisationen die Parteimit-gliedschaft umgehen, aber nicht in Konflikte mit der Partei geraten will. Natür-lich führt der‚Wille, mit der Partei in Frieden zu leben, zu manchem Kompro-miss, den andere schon als Nähe zur Partei interpretieren konnten.

Erwähnenswert hinsichtlich seiner Eisntellung ist außerdem, dass er 1937 mit 17 Pfarrern den vermittelnden „Einheitsblock” gebildet hat. Seinem „Rechenschafts-bericht” von 1958 kann man auch entnehmen, dass er in seiner Gemeinde keine enge Kirchturmpolitik betreiben wollte. Deshalb gehörte er der Vereinigung „Evangelisch-christliche Einheit zwischen Deutschen und Franzosen” an, die D. Jules Rambaud gegründet hatte, und organisierte deren erste Tagung nach dem 2. Weltkrieg in Nied und Königstein mit.

Auf einen besonderen Aspekt zur zeit des Dritten Reiches hat Heinz Krämer hin-gewiesen42. In der letzten Woche des Kirchenjahres 1936/37 wurde von den Pfar-rern Pelissier und Schmelz eine volksmissionarische Bibelwoche zu den sieben Sendschreiben der Offenbarung abgehalten. Das klang unverfänglich und wurde wohl auch von den NS-Behörden so gesehen. Aber dort hieß es in freier übersetzung u. a. :

Ich bin Johannes, euer Bruder, der mit Jesus verbunden ist wie ihr. Darum lebe ich bedrängt wie ihr, darum kann ich mit euch durchhalten (Offenbarung 1, 9).

Oder

Ich weiß, daß ihr verfolgt werdet und daß ihr arm seid. Aber in Wirklichkeit seid ihr reich (Offfenbarung 2, 9).

Oder

Hört gut zu! Ich werde Menschen zu euch schicken, die zum Satan gehören. Diese Lügner werden behaupten, dass sie zum Volk Gottes gehören; aber das ist nicht wahr (Offenbarung 3, 9.”

Diese Texte waren also von einem ungemeinkritischen Gegenwartsbezug.

Pelissier selbst schrieb in seinem Rechenschaftsbericht 1958: „In der Zeit des Kirchenkampfes, der die Pfarrerschaft zu zersprengen drohte, konnte ich mich, schweren Herzens, nicht der bekennenden Kirche anschließen, sondern fand meine Stellung bei den Männern der Mitte, stets bestrebt, nach beiden Seiten hin die Hände zur Versöhnung auszustrecken”. Zum Krieg schrieb er: „Eine harte und schwere Zeit waren für uns alle die Jahre des 2. Weltkrieges und die ersten Friedensjahre. Wie haben wir gearbeitet und uns gemüht im Luftschutz mit seinen vielen Kursen und Übungen! Wie haben wir gebangt in den Bombennächten und bei Gottesdiensten und Amtshandlungen, die von Fliegerangriffen überrascht wurden!43 Er berichtete auch von 11 Bombenopfern und dem großen Bombenkrater im Pfarrgarten, den hilfsbereite Gemeindeglieder wieder zuschütteten. Die Luftschutzfragen werden illustriert durch Bemerkungen im Kirchenvorstandsprotokoll. Am 17. Januar 1940 wird davon berichtet, dass die Polizei auf die Beschaffung von Luftschutzräumen dringt. Am 11. März 1940 heißt es, dass die Luftschutzpolizei das Spritzen der Dachböden mit Flammschutzmittel fordert. Am 19.September 1940 werden die Kosten des Flammschutzes mit 802,79 Reichsmark beziffert.

Zu Nied gibt es hier einen interessanten Aspekt. In seinem Rechenschaftsbericht äußert Pelissier, dass er mit den katholischen Amtsbrüdern ein gutes Verhältnis gehabt habe und mit ihnen in der Una-Sancta-Bewegung zusammen gearbeitet habe44. Auch habe er mit ihnen versucht, der Mischehenproblematik „etwas auf den Grund zu kommen”, wozu „Mischehenpfleger” eingesetzt worden seien45. Lei-der sagt er nicht, wann das gewesen sei. Nun, die Una-Sancta-Bewegung ent-stand in den dreißiger Jahren als katholische Basisbewegung und war ein Zweig der ökumenischen Bewegung. In ihr kamen ökumenisch gesinnte Katholiken mit ebensolchen Protestanten zusammen, um in Gebet und Gespräch dogmatische, moralische, institutionelle und soziale Gemeinsamkeiten heraus zu arbeiten und Gegensätze zu erörtern. Das Ziel war eine mit innerer Erneuerung verbundene Vereinigung der katholischen und der evangelischen Kirche in eine „evangelische Katholizität.” Die vertraulichen Gespräche fanden auch im Dritten Reich und im 2. Weltkrieg statt. Ein Vertreter dieser Bewegung war der in Höchst getaufte und einige Zeit dort lebende Priester Herrmann Joseph Wehrle. Wehrle musste aus gesundheitlichen Gründen sein Theologiestudium aufgeben, studierte dann aber an der Frankfurter Universität ab 1922 und wurde dort zum Dr. phil. pro-moviert. Er lebte dnn als Journalist und freischaffender Referent, ab 1931 als Landessekretär des römisch-katholischen Hilfs- und Informationswerks Catho-lica Uno. 1933 war er nicht bereit, in die Reichsschrifttumskammer einzutreten und konnte deshalb nicht mehr journalistisch tätig sein. Er war nun in der Frankfurter Stadtbibliothek und als Nachhilfelehrer tätig und hielt Vorträge in der Una-Sanctsa-Bewegung. 1936 ging er nach Bayern und erhielt dort 1942 die Priesterweihe. Er hatte Kontakt zu Alfred Delp und seinem Cousin Rupert May-er und wurde 1944 in Plötzensee gehenkt. Wer in Frankfurt und Umgebung zur Una-Sancta-Bewegung gehörte, kannte ihn vermutlich. Es ist gut möglich, dass dazu auch die Pfarrer beider Konfessionen in Nied gehörten.

1945

In einem Aufruf an alle Frankfurter Kirchengemeinde teilte das Military Go-vernment am 26. April 1945 mit: „Es ist die Absicht der Militärregierung, den Nazi-Einfuß aus allen religiösen Kreisen auszutilgen ... Religiöse Freiheit und Achtung für alle Kirchen in Deutschland wird gewährleistet ... alle kirchlichen Führer sollen mit Achtung behandelt werden. Es ist die Politik der Militärre-gierung, alle diejenigen Kirchenbeamten aus ihren Ämtern zu entfernen, die aktive Nazis sind oder waren oder eifrige Sympathisierer mit ihnen. Das betrifft Kirchenbeamte jeden Ranges und auch Laien, die kirchliche Ämter inne hatten.”46

Von diesen Tagen berichtete Pfarrer Pelissier47: „Zwei Ereignisse haben mich am Ende des letzten Krieges besonders erschüttert. Als wir am Karfreitag 1945 das Hl. Abendmahl beendet hatten, erschienen amerikanische Soldaten in der Kirche – sie hatten am Gründonnerstag Nied besetzt – und wollten Gottesdienst halten. Nachdem jahrelang deutsche Truppenteile die Kirche nicht betreten hatten und dies von der Obrigkeit immer bedroht worden war, mußten sogenannte „Feinde” zuerst wieder den Weg in das Gotteshaus finden! Tief beschämend war es dagegen, daß deutsche Menschen, die in den ersten Tagen der Besetzung nach 9 Uhr auf der Straße angetroffen, von den Soldaten in der Kirche eingeschlossen worden waren, dieselbe häßlich beschmutzten und sogar die alte Bibel ehrfurchtslos entblätterten.”

Die jüngere Vergangenheit

Die vergangenen 70 Jahren sind geprägt durch Expansion und Reduktion. So gab es einerseits mit den Neubaugebieten südlich der Mainzer Landstraße rund um die Dürkheimer Straße und nördlich davon rund um Birmingham- und Walter Bockelmann-Straße sowie auf dem ehemaligen Ausbesserungswerk einen deutlichen Zuzug von Einwohnern. Andererseits blieben die Folgen der demografischen Entwicklung auch in Nied nicht aus. Dies zeigen die folgenden Gemeindegliederzahlen nach dem Kirchlichen Jahrbuch.

1960

1970

1980

1990

2000

2014

Apostel...

1.935

1.863

1.795

1.701

1.978

Christus...

4.050

5.515

4.001

3.404

2.294

Nied insg.

5.985

7.378

5.796

5.105

4.272

3.150

Wegen der zuvor genannten positiven Faktoren ist die Entwicklung insgesamt günstiger als für ganz Frankfurt. Aber sie ist signifikant. Die Kirchengemeinde reagierte darauf mit der Gemeindeteilung 1958 und einem Gemeindezentrum in der Dürkheimer Straße, das ab 1967 errichtet wurde. Das Gemeindezentrum Dürkheimer Straße wurde inzwischen wieder aufgegeben. Die Gemeindeteilung wurde im Jahre 2008 rückgängig gemacht.

Mit Nied im Laufe der Geschichte kirchlich verbundene Gemeinden

Höchst

Das zu Kurmainz gehörende Höchst blieb auch nach der Reformation katholisch. Hieran änderte sich erst etwas im Dreißigjährigen Krieg, als Gustav Adolf von Schweden Höchst am 27. November 1622 besetzte. Er ließ den Katholiken die Justinuskirche und stellte den Lutheranern die Wolfgangkapelle im Schloss zur Verfügung. Hier fanden nun lutherische Gottesdienste statt, die von seinem Feldprediger D. Fabricius und Magister Johannes Cnottius gehalten wurden. Doch entwickelte sich keine evangelische Gemeinde, da nach dem Abzug der Schweden wieder das katholische Mainz herrschte. Die wenigen Evangelischen wurden von Oberliederbach und dann von Nied aus betreut. Dass 1768 der tolerante Mainzer Fürstbischof Emmerich Josef zur Errichtung der Höchster Neustadt auch die Religionsfreiheit verkündete, änderte an der Situation nichts. 1803 kam Höchst zum Fürstentum Nassau, später Herzogtum Nassau. Erst 1819 fand eine erste evangelische Haustaufe statt, 1823 die erste evangelische Beerdigung. Im Zuge der Industriealisierung wuchs dann auch die Zahl der Evangelischen. Ab 1865 wurde Gottesdienst in der Kapelle des Bolongaro-Palastes abgehalten. 1878 wurde Höchst Filialgemeinde von Nied, und 1883 wurde es eine selbständige Kirchengemeinde, zu der auch Sindlingen und Sossenheim gehörten. Mit Wirkung vom 1. Januar 1965 wurde der nördliche Teil der Gemeinde verselbständigt und erhielt den Namen „Evangelische Christophorusgemeinde Frankfurt a. M. – Höchst – Nord.

Die verbleibende Gemeinde erhielt den Namen „Evangelische Kirchengemeinde Alt-Höchst”.

Am 1. Januar 1999 vereinigten sich beide Gemeinden wieder zur „Evangelischen Kirchengemeinde Höchst am Main”.

Griesheim

Griesheim gehörte kirchlich lange zu Nied. So lag es im Einflussbereich des Erzstifts Mainz, auch noch, als die Grafen von Hanau ab 1342 Landesherren waren. Diese führten dann auch im Jahre 1554 in Griesheim und Nied die lutherische Reformation ein. Es folgten lange Streitigkeiten zwischen Kurmainz und Hanau, bis im Jahre 1684 festgelegt wurde, dass die Griesheimer und Nieder, die 1624 evangelisch gewesen waren, dies nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens auch bleiben könnten. In Griesheim lebten 1648 nur wenige Protestanten, die nach Bockenheim, Ginnheim oder zum Gutleuthof in die Kirche gingen. Erst 1779 durfte erstmals der evangelische Pfarrer vom Gutleuthof Amtshandlungen in Griesheim vollziehen. Die Betreuung der Griesheimer vom Gutleuthof endete 1801 nach dem Brand des Gutleuthofes, der die Kapelle beschädigte. 1829/30 wurde in Nied eine Simultankirche errichtet, die beiden Konfessionen diente und die Griesheimer mit einschloss. Am 12. Januar 1861 stimmte das Nassauische Staatsministerium der Errichtung einer evangelischen Kirchengemeinde in Griesheim zu, zu der auch Schwanheim und Goldstein gehörten. Zu diesem zeitpunkt gab es dann in Nied und Höchst 800 Evangelische. 1888 wurde Schwanheim mit Goldstein selbständig.

Sossenheim

Der einst kurmainzische und damit katholische Ort Sossenheim wurde urkundlich erstmals im Jahr 1218 erwähnt und fiel 1803 an Nassau. Der erste evangelische Christ ließ sich hier 1848 nieder. Die evangelischen Sossenheimer wurden von Nied aus betreut. Im Jahr 1904 wurde Sossenheim eine selbständige Kirchengemeinde. Die Kirche wurde nach Plänen des Herborner Kirchenbaumeisters Ludwig Hoffmann erbaut und am 18. September 1898 eingeweiht. Sie ist ein neogotischer Saalbau mit niedrigem Seitenschiff und Chor im Fünfachtelschluss. Das Hauptschiff findet mit einer leicht tonnenartig gewölbten Holzdecke seinen Abschluss. Der Chorraum ist durch einen spitzbogigen Triumpfbogen zugänglich, an dessen rechter Seite sich die Kanzel befindet. In der Nische links neben dem Altarbereich öffnet sich die Taufkapelle. Das Seitenschiff links ist durch eine Rundbogenarkade zu betreten. Der Turm mit Satteldach und Spitzhelm über dem schmalen Dachreiter ist seitlich angebaut. Die Glasfenster wurden im Krieg zerstört Der Entwurf der Fenster im Altarraum stammt von Rudolf Koch. Sie stellen den Auferstandenen und seine Gemeinde dar und erinnern an die Toten des 2. Weltkrieges. Die Kirche steht unter Denkmalschutz.

Literatur

Arbeitskreis Ökumene in Nied (Hrsg.): „schranken-los” - ökumenisch in Nied. Das Pfingstmagazin 2014. Frankfurt 2014.

Fest-Zeitung zur Einweihungs-Feier der neuerbauten katholischen Markus-Kirche in Nied a. M. am Sonntag, den 2. Juni 1907. Artikel Benner.

Henrich, Fritz: Auf dem Boden der Apostel. Ein Bericht über das Werden der evangelischen Apostelgemeinde Frankfurt a. M.-Nied aus Anlaß der 25. Wiederkehr des Tages der Einweihung der Evang. Apostelkirche. Frankfurt a. M. 1958.

Knohl, Gerhard: Geschichte, Bilder und Symbole der evangelischen Christuskirche Frankfurt-Nied. Frankfurt-Nied 1991.

Krämer, Heinz: Zur Geschichte der evangelischen Kirchen in Frankfurt-Nied. Vortrag gehalten am 23. September 2008 im Rahmen der Festwoche 100 – 75 – 50 Jahre.

Carl Franz Michel, Kaplan, Die Geschichte und gegenwärtige Lage des evangelischen Kirchspiels Nied, Herzogtum Nassau, dargestellt in einer Ansprache des Kirchenvorstandes an die Gemeinde, 1858.

Rebentisch, Dieter: Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918 1945, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.): Frankfurt am Main. Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. Sigmaringen 1991.

Schneider, Konrad, in: Institut für Stadtgeschichte, Newsletter, Ausgabe 1 „Französische Besatzung in Frankfurts westlichen Stadtteilen. Frankfurt a. M. o. J.

Vollert, Adalbert: Nied am Main. Chronik eines Frankfurter Stadtteils, Frankfurt am Main 1998.

Vollert, Adalbert: Nied – wie es einmal war. Historische Notizen eines Frankfurter Stadtteils, Frankfurt 1989.

Vollert, Adalbert: Zur Geschichte der christlichen Gemeinden in Nied, in: 50 Jahre 1933-1983 Evangelische Apostelkirche Frankfurt a. M. -Nied. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der evangelischen Apostelkirche zu Frankfurt/M.-Nied. Frankfurt 1983.

Weber, Paul: Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der Martinuskirche Frankfurt am Main – Schwanheim. Frankfurt a. M. 1936.

Frankfurt am Main, im Dezember 2015

1 Knohl,Geschichte, S. 7.

2 S. Festzeitung, ohne Seitenangabe.

3 S. Festzeitung, ohne Seitenangabe.

4Vollert, Chronik, S. 31.

5S. Festzeitung, ohne Seitenangabe.

6Knohl, Geschichte, S. 10-14. Zu den Kirchen insgesamt auch: Proescholdt, Joachim/Telschow, Jürgen: Frankfurts evangelische Kirchen im Wandel, Frankfurt a. M. 2011, S. 310-313.

7Krämer, Evangelische Kirchen, S. 13 f.

8 Vollert, Zur Geschichte, S. 17

9 Michel, Franz Karl, 13.6.1829-1.1.1894, 1855-1859 Kaplan Nied, 1882 Dekan des Dekanats Weilburg

10 Michel, Zur Geschichte, S. 3.

11 Michel, Zur Geschichte, S. 11.

12 Michel, Zur Geschichte, S. 13, 14.

13 Exemplar im Gemeindearchiv.

14Vogel, Ruprecht Arnold, Dr. theol. hc., Kaplan Nied, 1.10.1861-30.6.1868

15Exemplar im Gemeindearchiv.

16 Exemplar im Gemeindearchiv.

17 Knohl S. 13.

18 Vollert, Zur Geschichte, S. 17.

19 Exemplar im Gemeindearchiv.

20 Knohl, Geschichte, S. 13.

21 Knohl, Geschichte, S. 13.

22Vollert, Chronik, S. 92.

23Vollert, Nied , S. 34 und 36.

24Knohl, Geschichte, S. 14-24.

25 Vollert, Nied, S. 37.

26Knohl, Geschichte, S. 21.

27 Knohl, Geschichte, S. 25.

28Schneider, Französische Besatzung.

29Rebentisch, Frankfurt, S. 423 ff.

30Weber, Festschrift, S. 22 ff.

31Rebentisch, Frankfurt, S. 440.

32 Weber, Festschrift, S. 22-24.

33Henrich, Festschrift, S. 11.

34Henrich, Festschrift,S. 19.

35Vollert, Chronik, S. 95.

36Pelissier, Alexander, 28.5.1885-9.1.1961, Pfr. Nied 1917-1956, 1914-1918 Abschnittsspfarrer Metz.

37 Knohl, Geschichte, S. 27.

38 Pongs, Erich, 1908-1944 gefallen, Vikar Nied Nord-Bezirk 1933-1936, BK.

39Schmelz Wilhelm August, 1934 Pfv. Oppenheim, 4.11.1934 KV einmütig BK, 4.4. 1935 Dienststrafverfahren, Bk, Nied 1.5.1936- 1946, 1940 - 1945einberufen

40Vollert, Chronik, S. 99 f.

41Bericht im Gemeindearchiv S. 22.

42Krämer, Evangelische Kirchen, S. 28 f.

43 Rechenschaftsbericht S. 19

44S. 19.

45S. 19.

4650 Jahre Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, S. 88.

47 Rechenschaftsbericht S. 20, 21.

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