1813 - Kirche, Stadt und Staat im Wandel
1813 – Kirche, Stadt und Staat im Wandel
Einführung
Es ist gerade drei Wochen her, dass vor allem in Leipzig an die Völkerschlacht vor 200 Jahren erinnert wurde. Auch eine Fülle von Veröffentlichungen ist aus diesem Anlass erschienen. So von Andreas Platthaus, dem Redakteur der FAZ: „1813. Die Völkerschlacht und das Ende der Alten Welt.” Da fragt man sich, was die Erinnerung an ein militärisches Ereignis in jener fernen Zeit heute noch soll und was es mit dem Ende der Alten Welt auf sich hatte.
Zum einen: Für etwa 100 Jahre feierte man in Deutschland diesen Sieg über Napoleon als Befreiung von einem jahrelangen Joch der Fremdherrschaft und als militärischen Erfolg über Frankreich, dem man über 160 Jahre stets unterlegen gewesen war. Wer weiß z. B. in Frankfurt noch, dass Frankreich bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648 das Recht gefordert hatte, Frankfurt als Militärstandort zu erhalten; dass 1673 der französische Marschall Turenne vor Frankfurt auftauchte und Leistungen für sein Militär forderte; dass 1688 französische Truppen Oberrad und Niederrad nieder brannten; dass 1690 Frankfurt von französischen Truppen besetzt worden war; dass 1707 französische Truppen vor Frankfurt standen und dass Frankfurt von 1759 bis 1763 vier Jahre von französischen Truppen besetzt gewesen war. Über weiteres wird noch zu berichten sein. Später nannte man das Erbfeindschaft. 1813 und die Völkerschlacht wurden aber auch aus einem anderen Grund zu einem politischen Mythos, also zu einem sinnstiftenden Ereignis, das in weiteren politischen Auseinandersetzungen Kraft geben sollte.1 Die napoleonischen Kriege, unter denen die Bevölkerungen stark gelitten hatten, wurden ja zunächst von den die absolutistische Monarchie verteidigenden Fürsten geführt und verloren. Dann arrangierten sich diese Fürsten wankelmütig mit Napoleon. 1813 erhob sich das Volk und kämpfte für Deutschlands Freiheit und Einheit und die Gleichheit der Menschen, so der Mythos. Auf ihn beriefen sich reformerische Kräfte 100 Jahre lang, z. B. 1848, was z. B. An den Predigten des Frankfurter Seniors Friederich deutlich wird.. Aber auch der Tyrann Hitler. „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los”, das Zitat aus einem Gedicht des Dichters der Freiheitskriege, Theodor Körner, spielte im NS-Durchhaltefilm „Kolberg” eine Rolle, wenngleich man nicht an die erfolgreiche Leipziger Schlacht anknüpfte, sondern an die Verteidigung Kolbergs 1806. In Hitlers letztem Aufgebot, der Armee Wenck, gab es Divisionen mit den Namen Theodor Körner, Scharnhorst und Schill. Man könnte auch meinen, dass 1989 in dem Ruf „Wir sind das Volk!” Anklänge an Theodor Körner zu finden waren.
Zum anderen: Geschichtsschreibung wurde lange Zeit an (vermeintlich) herausragenden Persönlichkeiten oder Ereignissen festgemacht. Mit Herrschernamen bezeichnete man Epochen, und/ oder besondere Ereignisse kennzeichneten eine historische Wende. Nun hat sich aber seit einiger Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass Alt und Neu in der Geschichte meistens einige Zeit neben einander her gehen, das eine sich unter das andere schiebt oder dieses überdeckt. Rapide Brüche sind selten. Und Rückschläge gibt es auch. Deshalb erscheint es lohnender, die Zeit zwischen der Französischen Revolution 1789 und dem Wiener Kongress 1815 als eine Zeit großer Veränderungen in Staat, Gesellschaft und Kirche wahrzunehmen. Dabei ist dieser Dreiklang wichtig, weil die evangelische Kirche ja nicht eigenständig handeln konnte. „Evangelischer Religionscultus”, so eine Formulierung früherer Zeiten, wurde als Teil der staatlichen Aufgaben gesehen, staatliche Veränderungen schlugen unmittelbar auf die Kirche durch. Wie es Frankfurt dabei ergangen ist und speziell der Frankfurter Kirche, davon will ich etwas erzählen.
Frankfurt um 1800
Frankfurt war eh und je ein Verkehrs- und Handelszentrum. Hier kreuzten sich nicht weniger als 26 Verkehrswege und waren 1776 1.100 Handelsfirmen im Meßkalender erwähnt, davon 210 von außerhalb des Deutschen Reiches. Zu jeder Messe strömten 4-5.000 Messebesucher nach Frankfurt. Die Kaiserwahlen und - krönungen waren Großereignisse. Allerdings berichtete 1790 ein württembergischer Diplomat von der Krönung Leopold II. recht sarkastisch: Der Kaiserornat sehe wie vom Trödelmarkt aus, die Krone wie vom ungeschicktesten Kupferschmied und die Zeremonie herabwürdigend, wenn der künftige Kaiser sich mehrmals umkleiden, salben und abwischen lassen und schließlich vor den Bischöfen auf den Boden werfen müsse.2 Das klang schon nicht mehr nach Macht und Größe. In Frankfurt lebten 1780 etwa 36.000 Einwohner. Die Zahl stieg bis 1820 auf 42.000.3 Eine Volkszählung von 1811 stellte 27.075 männliche und weibliche Erwachsenen fest. Davon waren 4.745 (18%) Bürger.4 Rechnet man die Familienangehörigen, das Gesinde, Mitarbeiter hinzu, dann machte diese Gruppe wohl die Hälfte der Bevölkerung aus. Die Bewohnerschaft Frankfurts war vielfältig gegliedert. Aber nur 18% und nur Männer besaßen das Bürgerrecht und hatten damit die vollen Mitwirkungsrechte- und pflichten im städtischen Gemeinwesen; die anderen hatten abgestufte oder gar keine bürgerlichen Rechte. Auch die Bürger lebten in ihren Ständen. Im 1. Stand die Patrizier, Ärzte und Juristen, im 2. Stand die Kaufleute, im dritten Stand die Handwerker. Das klingt nach Wohlstand. Allerdings besaßen beispielsweise Mitte des 18. Jahrhunderts von etwa 3500 Bürgern nur etwa 2.200 ein eigenes Haus. Die Stadtverfassung war Jahrhunderte alt. Ständeverfassung hieß auch, dass man aus den vorgegebenen Ordnungen nicht ausbrechen konnte. Es verwundert nicht, dass es die Aufklärung, die die ganze Welt rational erfassen wollte und so z. B. zwangsläufig zu der Auffassung gelangte, dass alle Menschen gleich seien, in Frankfurt schwer hatte. - Obwohl dank Messe und Thurn und Taxischer Post schon im 17. Jahrhundert Verlags- und Zeitungsstadt war, eine Voraussetzung für eine gewisse bürgerliche Öffentlichkeit und damit die moderne bürgerliche Gesellschaft.5 Zu den Zeitungen kamen die Kaffeehäuser, 1771 13 an der Zahl.6 Dazu 1782 das Theater und auch die Freimauererloge.7 Das alles brachte ja durchaus neues Gedankengut aus ganz Europa nach Frankfurt. Aber es galten auch Goethes Worte: „Wir haben viele Dummköpfe in der Stadt...”8 und „Es lebt in einem beständigen Taumel von Erwerben und Verzehren”.9 Da verwundert es auch nicht, dass die Französische Revolution mit ihrer Forderung nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” in den politisch wichtigen Teilen der Frankfurter Gesellschaft auf Abwehr stieß und die Zahl derer, die sich für die Revolution begeisterten, gering war..
Französische Revolution, Napoleonische Besetzung und deutscher Freiheitskrieg
Da Frankfurt eine verhältnismäßig kleine politischer Einheit war,wurde sein Schicksal weitgehend von den Großmächten bestimmt. Jahrhunderte hatten das Interesse der deutschen Könige und Kaiser an einer nur ihnen untertänigen Stadt im geografischen Zentrum des Reiches und deren Schutz Frankfurt weitgehend vor anderen Eingriffen von außen beschützt. Ebenso hing das Schicksal der Evangelischen in Frankfurt weitestgehend vom Wohlwollen der Stadtregierung ab. Veränderungen in dem nicht gar so entfernt liegenden Frankreich oder Konflikte deutscher Staaten mit Frankreich hatten deshalb schon öfter unmittelbare Auswirkungen auf Frankfurt gehabt. Man denke nur an den pfälzischen Erbfolgekrieg oder den Siebenjährigen Krieg. So sollten nun auch die französische Revolution und der nachfolgende Expansionsdrang Frankreichs spürbare Folgen für Frankfurt haben.
Gemeinhin unterscheidet man unter dem Begriff „Französische Revolution” drei Phasen. Als erste Phase die Zeit von 1789-1791 mit dem Kampf für bürgerliche Freiheitsrechte in einer konstitutionellen Monarchie. Im Jahre 1789 traten in Versailles zum 4. Mal seit 1614 die Generalstände zusammen. Das Bürgertum setzte durch, dass es mit 600 Abgeordneten gegenüber je 300 des Adels und des geistlichen Standes doppelt so stark vertreten war. Im Wahlkampf wurden Freiheit und Gleichheit verlangt, die Abschaffung der absolutistischen Monarchie und andere Reformen. Als im Juni von den herrschenden Kräften die Auflösung dieser „Nationalversammlung” beabsichtigt wurde, gab es in Paris erste Unruhen. Am 14. Juli wurde die Bastille gestürmt und die revolutionäre Nationalgarde gegründet. König und Nationalversammlung wurden nach Paris geführt. Dort beschloss die Nationalversammlung eine demokratisch-monarchische Verfassung, die König Ludwig XVI. annahm. U. a. wurde aber auch das Kirchengut eingezogen. Ab1790 bildeten sich politische Klubs, u a. die radikalen Jakobiner. 1791 wurde die Nationalversammlung aufgelöst und auf Antrag Robespierres eine Gesetzgebende Versammlung gewählt mit gemäßigten Republikanern und Radikalen. Als 2. Phase wird die Zeit von 1792-1794 gesehen, in der gegen Bedrohungen von innen und außen eine Republik mit Revolutionsregierung, Terror und Guillotine entstand. Als Bedrohung wurden die benachbarten Monarchien gesehen, die mit dem französischen Königshaus sympathisieren. 1792 wurden die Tuilerien gestürmt, der König gefangen genommen und Frankreich zur Republik erklärt. Die Gesetzgebende Versammlung erklärte Österreich den Krieg. Es wurde ein Nationalkonvent gewählt, der den König und seine Gemahlin zum Tode verurteilte. Der sog. 1. Koalitionskrieg gegen Frankreich und Preußen von 1792 bis 1997 führte französische Truppen über den Rhein. General Custine eroberte nicht nur Speyer, Worms und Mainz sondern auch Frankfurt. Der Wohlfahrtsausschuss übernahm die Macht und pflegte keinen religiösen sondern einen Kultus der Vernunft. In der 3. Phase von 1795-99 wurde das Land in einer bürgerliche Regierung durch ein Direktorium von 5 Personen geführt. Der Friede zu Basel beendete den Krieg mit Preußen. Preußen akzeptierte, dass Frankreich das linke Rheinufer besetzt. 1796 erhielt Napoleon Bonaparte den Oberbefehl über die italienische Armee und eroberte Oberitalien. Im Frieden Frieden von Campo Formio akzeptierte Österreich 1797 ebenfalls die Besetzung des linken Rheinufers. Damit hatten sich die beiden mächtigsten deutschen Staaten Frankreich gebeugt und die Tür zur Zerschlagung des Deutschen Reiches geöffnet.
Am 9. und 10. November 1799 kam Napoleon Bonaparte mit einem Staatsstreich an die Macht. Eine Konsularverfassung schuf unter dem Schein der Republik die Voraussetzungen für die Militärmonarchie. 1799 - 1804 herrschte die Konsularregierung mit Napoleon als erstem Konsul. Von 1799 bis 1802 wurde der sogenannte 2. Koalitionskrieg gegen Österreich, Rußland, England geführt. Im Frieden von Lunéville zwischen Frankreich und Österrreich (dieses auch für das Deutsche Reich) wurde 1801 bestätigt, dass die linksrheinischen deutschen Gebiete an Frankreich fallen. 1803 regelte die ständige Deputation des Reichstages mit dem Reichsdeputationshauptschluß eigentlich die Entschädigung der weltlichen Fürsten, die linksrheinische Gebiete verloren hatten. Tatsächlich ging man aber viel weiter. Grundlage war der von Russland vorgelegte „Entwurf zur Verteilung des deutschen Landes”. Dies wurde verbunden mit der Säkularisierung der geistlicher Herrschaften und der Mediatisierung vieler kleiner weltlicher Herrschaften. Hauptfolge war die Auflösung der geistlichen Bistümer, die zuvor Reichsstände gewesen waren, mit den Hauptnutznießern Bayern, Baden und Preußen. Der vormalige Erzbischof von Mainz Karl von Dalberg erhielt Wetzlar, Aschaffenburg und Regensburg als Fürstentum, Baden Württemberg und Hessen-Kassel wurden Kurfürstentümer.
1804 machte sich Napoleon zum Kaiser der Franzosen. Es folgte 1805 der 3. Koalitionskrieg mit England, Russland, Österreich, Schweden. Preußen blieb neutral. 1805 siegte Napoleon in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz. 1806 legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserwürde nieder und erklärte das Reich für aufgelöst. Napoleon gewährte Bayern und Württemberg den Königstitel. Auch errichtete Napoleon den Rheinbund, trennte damit den Westen und Süden von den anderen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches und band sie an Frankreich. Frankreich hatte die politische Ordnung in Deutschland zerschlagen.
Als Preußen von Frankreich die Räumung Süddeutschlands und die Zulassung eines Norddeutschen Bundes verlangte, marschierte Napoleon nach Sachsen und Thüringen. In der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt schlug Napoleon Preußen vernichtend und besetzte es. Am 21. November 1806 verhängte er die Kontinentalsperre. 1807 schlossen Frankreich, Rußland und Preußen den Frieden von Tilsit. Preußen erhielt einen Teil seines Staatsgebietes zurück und Rußland erkannte das Herzogtum Warschau an. Es folgten kleinere Aufstände in vielen Teilen Europas. Auch in Hessen gibt es ein Beispiel. Im übrigen war die Zeit dadurch gekennzeichnet, dass Napoleon die besetzten oder verbündeten Territorien wirtschaftlich ausbeutete und zur Abstellung von Truppen zwang. Ein großer Teil der napoleonischen Truppen bestand aus nichtfranzösischen Hilfstruppen. Das galt auch für Napoleons Rußlandfeldzug von 1812, der mit der Vernichtung der Großen Armee endete.
Mit dem Aufruf Friedrich Wilhelm III. im März 1813 in Breslau begannen die deutschen Befreiungskriege, die allerdings nur im Zusammenwirken mit Rußland, Österreich und England siegreich bestritten werden konnten. Vom 16. bis 19. Oktober 1813 tobte die sogenannte Völkerschlacht bei Leipzig. Auf der Flucht schlugen am 30. und 31. Oktober die Franzosen bei Hanau Bayern und Österreicher, die sich ihnen entgegen stellten. Am 31. März 1814 besetzten die Verbündeten Paris. Napoleon verzichtete auf den Thron und erhielt die Insel Elba mit 2 Millionen Francs Einkünften sowie einer Garde von 400 Mann. Vom November 1814 bis Juni 1815 suchte der Wiener Kongreß, die alten Herrscherhäuser wieder einzusetzen, aber Europa neu zu ordnen. Dabei wurden auch manche Reformen herbeigeführt. Doch am 1. März 1815 landete Napoleon wieder in Frankreich und stellte schnell eine große Armee auf. Auf diverse Schlachten folgte am 18. Juni die Schlacht bei Belle Alliance (Waterloo), die für ihn die endgültige Niederlage bedeutete. Am 22. Juni dankte Napoleon zugunsten seines Sohnes Napoleon II.ab. Er wurde als Staatsgefangener auf die britische Insel St. Helena verbannt. In Deutschland folgte die sogenannte Restaurationszeit. Die Monarchen erinnerten sich nicht mehr der Versprechungen, die sie den Freiheitskämpfern im Hinblick auf einen politischen Wandel gemacht hatten. Alle liberalen Strömungen wurden massiv unterdrückt.
Frankfurts politisches Schicksal
Es liegt auf der Hand, dass dieses Geschehen nicht ohne Auswirkungen auf Frankfurt blieb. Bis1806 hatten zwar die französischen Ereignisse und die verschiedenen Koalitionskriege nur wenig politischen Einfluss auf Frankfurt. Aber Handel und Messen litten, weil Liefer- und Absatzmärkte auf einmal weg brachen. Und häufige Besetzungen Frankfurts – bis 1806 nicht weniger als fünfmal10 - bedeuteten Einquartierungen, Requirierungen und Kontributionszahlungen, die sich 1806 einschließlich der Zinsen auf rund 8,7 Mio Gulden beliefen, eine Riesensumme.11 Als 1792 General Custine mit seinen Truppen Frankfurt eroberte und mit einer Brandschatzung – weil Frankfurt emigrierte französische Adelige unterstützt hatte - nur die Reichen belasten wollte, versuchte er, vermeintliche soziale Gegensätze für sich auszunutzen. Er erließ einen Aufruf an die „Räte des Volkes”, in dem es u. a. hieß: „ Nicht das Volk eurer Stadt beleidigte die Nation der Franken durch Aufnahme unserer Ausgewanderten. - Nicht das Volk eurer Stadt entzog der Republik ihre Gelder, um sie in die Kisten der Prinzen zu werfen.- Der Mann, der vom Überflusse praßt, wirft die öffentlichen Lasten auf die Armen... Volksmagistrat leiht mir eure Kanonen und euren Kriegsvorrat, damit ich die Mittel zur Verteidigung der höchstwichtigen Eroberung, so die Franken-Republik machte, verstärke.... unter dieser Bedingung erlasse ich euch 500 000 Gulden an eurer Brandschatzung...Ich verlange aber, daß diese Verringerung bloß zu Gunsten der ärmeren Zünfte gereiche..” 12 Die Frankfurter Bürger also jene, die das Bürgerrecht besaßen, und nicht die Gesamtbevölkerung, antworteten mit einem offenen Brief: „ Indem Sie, Herr General! Sich als einen Vertheidiger der Freiheit, als einen Beschützer der öffentlichen Wohlfarth darstellen, so würden Sie Ihren eigenen Grundsätzen zuwider handeln, wenn Sie uns nicht bei der unsrigen liessen, und wenn Sie nicht von aller Contribution abstünden, die wir so wenig, als unsere reichern Mitbürger verschuldet haben, und welche unsern bis dahin glücklichen Staat zu Grund richten muß.” Daraufhin nahm Custine fünf reiche Kaufleute und zwei Juden als Geiseln. Die Besetzung durch Custine nahm ein Ende, als Frankfurter Handwerksburschen den anrückenden Preußen und Hessen das Friedberger- und das Allerheiligentor öffneten. Das Hessen-Denkmal erinnert noch heute daran. Auch 1796 kam es zu einer folgenschweren Besetzung, als General Jean Baptiste Kléber Frankfurt beschoss und 140 Häuser in der Judengasse nieder brannten. Kléber verhängte eine Kontribution von 6 Mio Livre sowie Sachleistungen im Wert von 2 Millionen Livre und nahm zahlreiche Geiseln, die nach Frankreich gebrachten wurden. Mühsame Verhandlungen in Paris führten dazu, dass Frankreich Frankfurt als Staatswesen anerkannte und die Geiseln zurückkehren durften.13 Um die Zahlungen zu ermöglichen opferten Frankfurter Bürger und Kirche in großem Stil Goldschmiedearbeiten, aus denen Dukaten mit der Inschrift „Aus den Gefäßen der Kirchen und Bürger der Stadt Frankfurt” geprägt wurden.Beim Abzug nahmen die Franzosen nicht nur städtische Geschütze, sondern auch die Glocken der Barfüßerkirche mit. Danach beschäftigte den Rat aber lange die Frage, wie er zusätzliche steuerliche Belastungen zur Tilgung der Schulden gerecht verteilen solle.14
Bei den Friedensverhandlungen in in Campo Formio war Frankfurt durch Gesandte vertreten, die dem Friedensvertrag gegen das Versprechen Frankreichs zustimmten, dass dieses für die Unabhängigkeit Frankfurts eintrete. Als auf dem Kongress von Rastatt 1797-99 über die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich verhandelt wurde, bestand für Frankfurt die Gefahr, einem Territorialstaat zugeschlagen zu werden. Dies geschah dann nicht, blieb aber eine beständige Gefahr bis zum Wiener Kongress.
Nun fragt man sich, wie denn die Ideen der Französischen Revolution in Frankfurt überhaupt aufgenommen wurden. Betrachtet man die gängigen Darstellungen der Frankfurter Geschichte, findet man hierzu erstaunlich wenig. Bei Klötzer15 liest man, dass sich nur eine Minderheit Rationalismus, Liberalismus und der französischen Zeitkritik öffnete. Roth16 überschreibt einen Abschnitt mit. „Statt Jakobinern und Girondisten arbeiten am Fortschritt von Bildung und Kultur.” Mehr am Rande wird erwähnt, dass die „Klubisten” ( = Jakobiner = radikale Verfechter der Ideale der Französischen Revolution) sich zu einer Vereinigung zusammenschlossen17, dass 1798 die Freiheitsideen zu Unruhen durch mehrere Zünfte führten oder dass es ein Revolte der „Klubisten” gegen die Obrigkeit gegeben habe, die der Rat niederschlug, ohne französische Hilfe aus Mainz angenommen zu haben18. Das macht doch misstrauisch. Die französische Grenze war nicht weit entfernt. Nur 50 Kilometer entfernt gab es 1793 für einige Monate die Mainzer Republik der Jakobiner. Und das soll auf Frankfurt nicht abgefärbt haben, weil sich die Frankfurter so wohl fühlten? Wir erinnern uns doch an die dortige Sozialstruktur. Für Weimar etwa hat man vor einiger Zeit ein solches harmonisches Bild gründlich in Frage gestellt.19 Sollte auch unser Frankfurter Bild mehr von einer bürgerlichen Geschichtsschreibung als von den Tatsachen bestimmt sein? Im Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst erschien 1962 ein Beitrag von Franz Lerner: „Die Reichsstadt Frankfurt im Jahre 1798”. Und sieh da! Allein für dieses eine Jahr berichtete er: dass die Bäckerknechte über die Kritik ihrer Meister „missvergnügt” gewesen seien und alle die Stadt verlassen hätte, sodass den Meistern nun die Frauen und Mägde hätten helfen müssen;20 dass die Schuster die Läden fremder Schuhhändler geplündert hätten, weil sie selbst nicht genug Arbeit gehabt hätten;21 dass es in Oberrad öffentliche Auseinandersetzungen gegeben habe, weil die unter Absatzschwierigkeiten leidenden Gärtner zu hohe Steuern zahlen müssten und der Schultheiß ihre Anliegen nicht ausreichend vertreten hätte – der Rat senkte die Steuern;22dass die Schmiedegesellen, nachdem einer der ihren Streit mit seinem Meister hatte, die Arbeit niedergelegt hätten und sich die Glaser, Schreiner und Schuster angeschlossen hätten; als die Gesellen einen bürgerlichen Adjutanten beschimpft hätten, seien Patrouillen der Bürgerwehr durch die Stadt gezogen; gegen mit Steinen bewaffnete Schlosser seien Scharfschützen eingesetzt worden;23 schließlich seien viele Zimmergesellen und andere Handwerksburschen auf die Wanderschaft gezogen;24 und dann noch, dass ein Metzger – die Metzger hatten Absatzschwierigkeiten – gegen Personen, die Fleisch von außen nach Frankfurt bringen wollten, vorgegangen sei, woraufhin er zu Arrest verurteilt, aber von seinen Kollegen aus der Mehlwage befreit worden sei.25 Das alles zeugt nicht nur von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen sich die Bevölkerung befand, sondern auch davon, dass man seine Rechte selbst in die Hand nahm .Sollte das nur im Jahr 1798 so gewesen sein und war das in dieser Anhäufung in früheren Jahrzehnten überhaupt denkbar gewesen? Oder galt für Frankfurt das, was in Weimar ebenfalls eine Rolle spielte, nämlich dass die Französische Revolution und das, was danach aus Frankreich kam, sehr bald unter dem Aspekt der kriegerischen Folgen und der entsprechenden Belastungen für die Bevölkerung gesehen wurde? Jedenfalls führten diese Erfahrungen wohl auch in Frankfurt dazu, dass die Sympathie für die Revolution in Frankfurt zumindest deutlich abnahm und der reichsstädtische Patriotismus zunahm.26 Hier kann noch erwähnt werden, dass Frankfurt im Jahr 1800 von französischen Truppen eine „Indemnitätsgebührr von 800.000 Livres auferlegt wurde, weil es den Durchzug kaiserlicher Truppen unterstützt habe. 1803 erhob der Landgraf von Hessen-Darmstadt Entschädigungsansprüche gegenüber Frankfurt, weil er angeblich dessen Schutzherr sei. 1806 besetzten französische Truppen zum fünften Mal seit 1792 Frankfurt und forderten eine Kontribution von 4 Mio Francs. Der Krieg ernährte sich eben damals aus dem Land, in dem sich die Truppen gerade befanden, und aus dem reichen Frankfurt versuchte jeder herauszupressen, was er nur konnte.
Unbestreitbar ist auch, dass es Fortschritte in Bildung und Kultur gab. Die Zahl der unsäglichen Quartierschulen wurde reduziert. 1803 wurde die Musterschule als Reformschule gegründet. Nach der Säkularisation wurden die katholische Schulen unter staatliche Leitung gestellt und die geistlichen Lehrer nach und nach durch theologische Laien ersetzt.27 Die Juden aus den zerstörten Häusern konnten sich langsam auch anderswo ansiedeln, Frankfurt wurde um 1800 ein Zentrum des Reformjudentums.1804 wurde das Philanthropin gegründet, das den Juden weltliche Bildung, deutsche Sprache und eine aufgeklärte Sicht des Judentums vermitteln sollte.28 Im Kompostellhof, auf der Liegenschaft östlich des Spenerhauses, entstand eine Jüdische Volksschule.29
Doch alles änderte sich mit der Auflösung des Deutschen Reiches 1806. Nun spielte eine Person eine besondere Rolle: Karl von Dalberg, 1802 Erzbischof von Mainz, hatte sein Erzbistum als Staat 1803 verloren. 1806 machte ihn Napoleon zum weltlichen Fürsten, unterstellte ihm die Ostgebiete des vormaligen Erzbistums Mainz, Frankfurt, die Grafschaften Hanau und Isenburg sowie das ehemalige Fürstbistum Fulda. Das neue Fürstentum wurde Teil des Rheinbundes, Dalberg Fürstprimas diese Bundes und damit dessen erster Mann. Kurz danach sollte Frankfurt den Geburtstag Napoleons groß feiern. Das lehnte der Rat zunächst ab, musste sich aber doch fügen. Wegen des schlechten Wetters brannten dann die Lampen nicht richtig und das Feuerwerk funktionierte nur teilweise. Die Schadenfreude der Frankfurter war groß.30 Zur Übergabe der Stadt an den neuen Landesherrn gab es eine Erklärung des Rates, dass die Stadt immer treu Kaiser und Reich gedient gedient habe und das die jetzige Situation Folge eines Vertragsbruches der Franzosen sei. Man biederte sich also nicht an, wie das andere taten.31 Dalberg hatte die Vision, den Rheinbund zu einem Nachfolger des Deutschen Reiches zu machen, scheiterte damit aber an den anderen Fürsten und an Napoleon.32 Nach innen unternahm er alles, seinen Staat nach französischen Vorbild zu organisieren. Das bedeutete für Frankfurt vielfältige Veränderungen. Der Rat verlor den Großteil der Gerichtskompetenzen, die einem neu gebildeten Gericht zugewiesen wurden.33 Die 1803 säkularisierten Güter sollten zur Dotation der katholischen Kirchen und Schulen dienen, insbesondere der Pension der Klostergeistlichen.34 Im Rat der Stadt gab es folglich mehr Kaufleute, aber weniger Patrizier und Juristen.35 In der Stadt gab es einen Widerwillen gegen die Ausweitung des Bürgerrechts, insbesondere auf die Juden.36 1810 wurde das Fürstentum in das Großherzogtum Frankfurt umgewandelt. Nun wurde die französische Verwaltungsorganisation übernommen.37 Frankfurt wurde eines der 4 Departements des neuen Staates, der Freiherr von Günderode der Präfekt, die kommunale Selbstverwaltung war aufgehoben.1811 wurden die staatsbürgerliche Gleichheit und der Code Napoleon eingeführt.38 Die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre schadete Frankfurt wirtschaftlich sehr.39 Auch das führte zu zunehmender Kritik an Dalbergs Maßnahmen.40 Für die Frankfurter erschien der Scheinkonstitutionalismus schlechter als die frühere Stadtrepublik.41 Gegen Ende der Dalbergzeit versank das Großherzogtum in einem organisatorischen Chaos.
Allerdings blieb Frankfurt auch in diesen Zeiten nicht unberührt von den Kriegen.Im Jahr 1809 musste ein Frankfurter Linienbataillon für Frankreich in Spanien kämpfen. Von 1.368 ausgerückten Soldaten kehrten weniger als 600 zurück.42 Auch an Napoleons Rußlandfeldzug musste Frankfurt sich 1812 beteiligen. Auch wenn das Frankfurter Regiment „nur” bis Wilna kam, sahen von 1.800 Mann nur 17 Offiziere und 60 Mann die Heimat wieder.43 Für das kleine Frankfurt war das ein hoher Blutzoll, selbst wenn wohl ein Teil dieser Soldaten von außerhalb angeworben war. Das Jahr 1813 brachte Frankfurt erneut verschiedene Besetzungen mit schon zuvor erwähnten Folgen. Zwischen 17. Januar und 30. Juni 1813 mussten 230.000 Personen und 40.000 Pferde untergebracht und verpflegt, 1814 340.000 durchmarschierende Soldaten und 6.000 Verwundete versorgt werden. Die durchziehenden Soldaten brachten zudem Seuchen wie Fleckfieber und Typhus mit, die sich auch in der Bevölkerung ausbreiteten. Da ist die Freude über jede Niederlage der Franzosen wie die bei Leipzig verständlich.44 Am 31.10.1813 hielt sich Napoleon auf dem Rückzug in Frankfurt auf. Am 1.11. flohen seine Truppen aus Frankfurt. Am 2.11.1813 folgte Dalberg. Am 6.11.1813 wurde der österreichische Kaiser Franz I., vormals deutscher Kaiser Franz II, freudig begrüßt - in der Hoffnung auf Wiederherstellung des alten Kaiserreiches.45 Frankfurt beteiligte sich mit einem Freiwilligenkorps am weiteren Krieg so wie auch 1815, nach der Rückkehr Napoleons von Elba, wobei hier noch ein Linienbataillon hinzukam.
Mit dem kaiserlichen Besuch hatte es aber eine eigene Bewandtnis. Der österreichische Außenminister Fürst von Metternich hatte am 3. Oktober 1813 mit Bayern den Geheimvertrag von Ried geschlossen, in dem Österreich Bayern u. a. die Einverleibung Frankfurts in Aussicht gestellt hatte. Franz I. war also bei seinem Besuch in Frankfurt weit entfernt davon, für Frankfurt die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Nur sagte er das nicht. Auch einer Abordnung der Bürgerkapitäne, die ihn um die Herstellung der alten reichsstädtischen Verfassung baten, hatte er keine Zusagen gemacht.46 Vielmehr war es der Freiherr vom Stein, der vom 13. November 1813 bis 18. Dezember 1814 als Leiter des Zentralverwaltungsdepartements, also als Verantwortlicher für die Zivilverwaltung der befreiten Gebiete, in Frankfurt weilte. Stein favorisierte zunächst die Wiederherstellung des Alten Reiches, was aber an der Ablehnung der Großmächte scheiterte. Dann verfolgte er das Ziel eines Deutschen Bundes.47 Dabei sollte Frankfurt wieder eine besondere Rolle spielen. Zunächst aber wurde am 13.12.1813 die Dalbergsche Munizipalordnung von Stein wieder aufgehoben und die alte reichsstädtische Verfassung wieder in Kraft gesetzt. Am 29. Dezember fielen der Code Civil, der Code Penal und der Code Procédure, also die französische Rechtsordnung. Am 16. Januar 1814 wurde das Zivilstandsregister abgeschafft und das Konsistorium mit der Führung der Kirchenbücher betraut. Am 29. Februar schließlich wurde auch die Militärgerichtsbarkeit abgeschafft.48 Allerdings blieb die Gefahr, dass Frankfurt seine Selbständigkeit wieder verliert, denn Bayern und Hessen wollten die Stadt sich einverleiben, Bayern als Brücke zu der im zugeschlagenen Pfalz. Erst Art. 46 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 garantierte Frankfurt die Souveränität. Das war eigentlich mehr, als es je gehabt hatte, denn nun hatte man nicht einmal mehr einen Kaiser über sich.49 Da Frankfurt dies vor allem dem Freiherrn von Stein zu verdanken hatte, machte man ihn zum Ehrenbürger.50 Die 1931 an der Paulskirche angebrachte Gedenktafel erinnert noch heute daran. Wie begeistert die Bevölkerung von der Nationalidee war, sieht man daran, dass Frankfurt sich an den vielen Erinnerungsfeiern für die Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1914 beteiligte.51
Nun war zwar das französische Recht in seinen wesentlichen Elementen wieder aufgehoben und die reichsstädtische Verfassung wieder in Kraft gesetzt. Doch hatte letztere schon einige Zeit nicht mehr den gesellschaftlichen Veränderungen entsprochen, sodass das Rad der Zeit nicht einfach zurück zu drehen war. Mit der Einsetzung des alten Rates hatte der Stadtadel auf einmal wieder eine dominante Stellung und die Kaufmannschaft, die in den letzten 20 Jahren politisch an Gewicht gewonnen hatte, verlor wieder an Einfluss. Reformierte und Katholiken befürchteten den Verlust der Gleichberechtigung.52 Die Juden bestanden auf der mit einer hohen Ablösesumme bezahlten Gleichberechtigung.53 Außerdem setzte sich Österreich für die Interessen der katholischen Minderheit ein.54 Zwei Jahre kämpften nun die verschiedenen Interessengruppen, zu denen auch die Handwerkerschaft gehörte, um eine Verfassung, die möglichst vielen gerecht werden sollte. Dabei vertraten vor allem die Kaufleute die neuen liberalen Ideen, zu denen auch neue demokratische Formen gehörten. Unterstützt von den Juristen traten sie ebenfalls für die Beibehaltung der Gleichberechtigung der Konfessionen ein. Die Auseinandersetzungen um die neue Verfassung erreichten auch breitere Bevölkerungsschichten, allein 70 Bürger nahmen an den verschiedenen Gremien teil, 31 Kaufleute, 15 Handwerker, 22 Bildungsbürger. Eine wichtige Rolle spielte hier Pfarrer Anton Kirchner.55 Schließlich wurde am 18. Juli 1816 die Constitutions-Ergänzungsakte mit 2.733 Stimmen, oder 60% der Bürgerschaft, als Kompromiss von ständischen und modernen Elementen verabschiedet. Die Bürger blieben gegenüber den Beisassen, Juden und Dorfbewohnern privilegiert. Die Judenemanzipation wurde weitgehend rückgängig gemacht.56 Der Senat war im wesentlichen so zusammengesetzt wie der alte Rat (zwei Bürgermeister, Bänke der Schöffen, Senatoren und Ratsherren) und blieb das Machtzentrum.57 Allerdings gab es auch eine Gesetzgebende Versammlung. Die Gleichberechtigung der Konfessionen blieb.58 . Die Gesetzgebende Versammlung setzte sich nicht aufgrund allgemeiner, direkter Wahlen zusammen, sondern bestand aus je 20 Mitgliedern der Bürgerrepräsentation (Kontrolle der städtischen Finanzen) und des Senates sowie weiteren 45/54 Mitglieder.59 Diese wurden von Wahlmännern gewählt wurden, die von den Bürgern in drei Abteilungen gewählt wurden.60 Vom Wahlrecht der Frauen sprach noch niemand. Erst 1817 wurde die Leibeigenschaft, aufgehoben. 1824 sah eine neue Gemeindeordnung das Wahlrecht auch der Dorfbewohner vor. Viele Vorbehalte gab es weiter gegenüber der Gleichberechtigung der Juden.61 Nur wenige Liberale wie Pfarrer Anton Kirchner, Pfarrer an der Heiliggeistkirche, unter Dalberg Leiter der Schul- und Studieninspektion, nun Mitglied der Verfassungskommission, waren hierzu bereit.62
Kirchliche Veränderungen
Für das Christentum bedeutete die Revolutionszeit eine tiefe Zäsur. Es verlor die bisherige Bedeutung für Staat und Gesellschaft. Auf einmal wurde es zur Legitimierung beider nicht mehr benötigt. Beide wurden nun aus sich selbst heraus verstanden und erklärt. Es setzte in Frankreich eine Dechristianisierung des Staates ein. In Deutschland wurde vor allem der katholischen Kirche ihre ökonomischen und politischen Ressourcen genommen. Vorsichtige Ansätze, die evangelische Kirche vom Staat zu trennen, wurden zunächst gestoppt, dann aber infolge des Wiener Kongresses befördert. So brachte die Zeit auch für die Frankfurter Kirche Belastungen und bedeutsame Veränderungen. Zu den Belastungen gehörte ja nicht nur die schon erwähnte Abgabe von Abendmahlsgerät. Immer wieder wurden kirchliche Gebäude zweckentfremdet, Kirchen als Proviantmagazine, das lutherische Pfarrhaus am Roßmarkt als Militärgefängnis. 1786 trauten sich die Pfarrer nicht im Talar auf die Straße, weil sie fürchten mussten von den französischen Soldaten misshandelt zu werden. Dabei will ich jetzt nicht auf Theologie und Theologen zu sprechen kommen, weil dies ja das Thema des nächsten Vortrags von Herrn Treplin ist. Aber es sei kurz erwähnt, dass die Kirchenkritik der radikalen „Freigeister” und „Klubisten” die kirchlichen Gemüter doch für einige Zeit bewegte.
Es war bereits die Rede vom Ende des Alten Reiches und dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803. Auch die Stadt Frankfurt profitierte hiervon. Erhielt sie doch das Bartholomäus-, Leonhardts- und das Liebfrauenstift mit zusammen fast 100 Häusern, das Karmeliterkloster, das Dominikanerkloster, das Kapuzinerkloster mit samt deren Vermögen sowie die Besitzungen des Deutschen Ordens, der Malteser, den Kurmainzer Kompostellhof, den Trierischen, den Arnsburger und den Aschaffenburger Hof und 5 weitere Häuser. Das sollte man nicht vergessen, wenn derzeit aus Anlass der Limburger Turbulenzen über Staatsleistungen an die Kirchen diskutiert wird. Schon die Reformation hatte ja zu einer erheblichen Enteignung der katholischen Kirche geführt. Schon hier hatte der Staat sein vereinnahmendes Wesen gezeigt. Zumindest die Kirchengebäude wurden damals einer erneuten kirchlichen Nutzung zugeführt, allerdings wurde Eigentümer die Bürgergemeinde und nicht eine nicht existierende evangelische Kirchengemeinde. Nun die Säkularisation. Die heutigen Staatsleistungen stellen da nur einen geringen Gegenwert dar.
Die folgenden Veränderungen brachte Frankfurt nicht aus eigener Kraft zu Stande brachte, wohl aber der aufgeklärte Dalberg. Hier ist vor allem die „Erklärung und Verordnung Sr. Hoheit wie die neue Verfassung in Frankfurt sein solle”, das „Toleranzedikt” vom 10. Oktober 1806 zu erwähnen.Zunächst wurde in § 1 „Sämtlichen frommen, milden und wohltätigen Stiftungen” ihr Eigentum zugesichert. Das betraf vor allem den Almosenkasten, das Hospital zum Heiligen Geist, das Armen- und Waisenhaus und das Katharinen- und Weißfrauenstift. Auch wurde dem Konsistorium Augsburger Konfession zugestanden, dass es im Namen des souveränen Fürsten dessen Rechte bezüglich der Frankfurter Kirchengemeinden ausübte (§ 2). Das war eine Sonderregelung, denn in Aschaffenburg und Wetzlar übte er diese Rechte persönlich aus, obwohl er katholischer Konfession war63. Doch dann wurden den Reformierten die gleichen Rechte wie den Lutheranern zugestanden (§ 3). Diese durften nun z. B. Taufen und Trauungen durch eigene Geistliche in eigenen Gotteshäusern vollziehen, ihre Gotteshäuser mit Türmen und Glocken versehen und Schulen errichten64. In eine ähnliche Richtung ging, dass die Mitglieder der drei christlichen Bekenntnisse von keinem öffentlichen Amt mehr ausgeschlossen sein sollten und auch Reformierte wie Katholiken Aufnahme in den Zünften finden könnten. (§ 5). Schließlich erhielten auch die Juden mehr Rechte, indem sie gegen Beleidigungen und Beschimpfungen in Schutz genommen wurde (§6). Schon vorher hatte die Stadtkanzlei genehmigt, dass der Judenschaft die öffentlichen Promenaden auf den ehemaligen Festungsanlagen offen stünden. Die Gleichberechtigung mit den christlichen Konfessionen erhielten sie aber nicht.
Als 1810 das Großherzogtum geschaffen wurde, wurde die Gleichberechtigung der christlichen Minderheiten bestätigt,65 und die Juden erhielten sie 1811, allerdings gegen die Zahlung von 440.000 Gulden. Das bedeutete die politische Umsetzung der tatsächlichen Anerkennung der wohlhabenden katholischen und reformierten Kaufmannsfamilien, die es schon länger gab. Für diese war es der letzte Schritt der Emanzipation. Nach der wirtschaftlichen, dann der gesellschaftlichen Anerkennung erfolgte nun auch die politische.Vermutlich wurde das im Allgemeinen positiv aufgenommen. Anders die Verordnung vom 28 Januar 181266, die von den Frankfurter Lutheranern scharf kritisiert wurde. Ordnete sie doch an, dass vom 1. März des gleichen Jahres im ganzen Großherzogtum nur noch je ein evangelisch-lutherisches und ein evangelisch-reformiertes Konsistorium, beide mit Sitz in Hanau, bestehen sollten. Auch wurde das Predigerministerium erneut geschwächt. Zwar hatte Dalberg Senior Hufnagel und Pfarrer Deeken bei ihrer Aufwartung am 27. September 1806 versichert, dass sich an der Verfassung des Ministeriums nichts ändern werde67. Aber dann hatte es an der Gesetzgebung doch nicht beteiligt. Nun wurden die beiden profiliertesten Mitglieder des Ministeriums zu Konsistorialräten ernannt, Hufnagel Inspektor der evangelisch-lutherischen Kirchen und festgestellt, dass er den Vorsitz im Predigerkonvent habe ( Art. 7.). Das alles ging am Predigerministerium vorbei. Anderseits hatten beide Konsistorien „ in Unserem Namen alle Episcopal- und kirchlichen Rechte auszuüben und stehen in dieser Hinsicht unter der besonderen Leitung und Aufsicht Unseres Ministeriums des Cultus” (Art. 14). Die großherzogliche Zeit fand das beschriebene Ende. 1814 wurden auch kirchlich die alten Verhältnisse wieder hergestellt. Auch für die Kirchen galt aber, dass letztlich nicht alle Reformen rückgängig gemacht werden konnten. Art. 16 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 hielt fest, dass die „Verschiedenheit der Religions-Partheyen in den Ländern und Gebieten des Deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen” kann. Die Constitutions-Ergänzungsakte bestätigte ebenfalls die Gleichberechtigung der drei christlichen Bekenntnisse (Art. 6). Als Programmsatz enthielt sie die Forderung, die finanzielle Ausstattung der Kirchen zu regeln, was 1830 mit der sog. Dotation geschah. Auch sollten die drei christlichen Gemeinden je einen Gemeindevorstand bestellen dürfen, zur Vertretung gegenüber den Behörden, um das Kirchengut zu verwalten und für die Unterhaltung der Kirchen zu sorgen (Art. 40) Der lutherische Gemeindevorstand wurde dann 1820 gebildet.
Schluss
Was haben wir gesehen? Eine turbulente Zeit. Ideale für die Gestaltung von Staat und Gesellschaft, die auch unser Leben bestimmen, setzten sich in der Französischen Revolution durch. Aber wie viele Revolutionen führte auch diese zu Kriegen und erneuter Unterdrückung. Letztlich kam die Macht nur in andere Hände. Deutschland wurde mit Kriegen überzogen, die Menschen erfuhren viel Leid. Das Alte Deutsche Reich wurde von Frankreich zerschlagen, deutsche Territorialfürsten wirkten willig mit, weil sie davon profitierten. Die prägende Rolle des Christentums für Staat und Gesellschaft ging verloren, diese emanzipierten sich. Frankfurt war ein Spielball der Mächtigen. Dies führte allerdings zu dringend notwendigen Reformen, für die Frankfurt selbst damals nicht die Kraft hatte. So kann man die Veränderungen jener Zeit für die evangelische Kirche auch als einen ersten Schritt der Emanzipation der Kirche vom Staat sehen.
Literatur
Boehncke, Heiner/Sarkowicz, Hans: Was niemand hat, find ich bei Dir. Eine Frankfurter Literaturgeschichte, Darmstadt/Main 2012.
Bothe, Friedrich: Geschichte der Stadt Frankfurt am Main, 3. Aufl. 1929, Reprint Frankfurt am Main 1977.
Dechent, Hermann: Kirchengeschichte von Frankfurt am Main, 2. Bd. Leipzig/Frankfurt 1921.
Die Dalberfe
ier der beiden reformierten Gemeinden zu Frankfurt am Main am 31.1.1907, Frankfurt a. M. 1907.
Grabau, Richard: Das Evangelisch-lutherische Predigerministerium der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt/Leipzig 1913.
Klötzer, Wolfgang:Frankfurt am Main von der Französischen Revolution bis zur preußischen Okkupation 1789-1866, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.): Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S.303-348.
Kramer, Waldemar: Frankfurt Chronik. Frankfurt am Main 1964.
Lerner, Franz:Die Reichsstadt Frankfurt am Main 1798, in Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst,Heft 48, 1962, S. 87-112.
Münkler, Herfried:Der Mythos der Völkerschlacht und sein Ende, in:Frankfurter Rundschau, 69. Jahrgang, Nr.243, vom 19./20. Oktober 2013, S. 32,33.
Roth, Ralf: Die Herausbildung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft. Geschichte der Stadt Frankfurt am Main, Band 3: 1789-1866, Hrsg. Frankfurter Historische Kommission, , Ostfildern 2013.
Telschow, Jürgen: Die alte Frankfurter Kirche. Recht und Organisation der früheren evangelischen Kirche in Frankfurt. Frankfurt a. M.1979.
Telschow, Jürgen: Rechtsquellen zur Frankfurter Kirchengeschichte, Frankfurt a. M. 1978.
Wilson, W. Daniel: Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München 1999,
1Münkler, S. 32,33.
2Boehnke S. 159
3Roth, S. 63.
4Roth S.112
5Roth S. 161.
6Roth S. 163.
7Roth 165.
8In einem Brief an Ludwig Ysenburg von Buri vom 2. Juni 1764. Goethes Werke Sophienausgabe Bd. IV/1, Weimar 1887-1919, S. 5.
9Brief an Friedrich Schiller vom 9. August 1797, Goethes Werke Sophienausgabe Bd. IV/12, S. 217.
10Boehncke S. 159.
11Roth S. 177.
12Dieses und das Folgende s. Kramer, S. 236.
13Roth S. 181.
14Lerner, S. 103.
15Klötzer, S. 306.
16Roth S. 184.
17Bothe, S.247.
18Kramer, S. 246.
19Wilson, S. 117-171.
20Lerner, S. 92.
21Lerner S. 96
22Lerner, S. 97.
23Lerner, S. 100.
24Lerner, S. 101.
25Lerner, S. 108 f.
26Roth S.183.
27Roth S. 184 f.
28Roth S. 186.
29Roth S. 188.
30Roth S. 197.
31Roth S. 198.
32Roth S. 202.
33Roth S. 205.
34Roth S. 205
35Roth S. 212.
36Roth S. 212.
37Roth S. 213.
38Roth S. 213.
39Roth S.216.
40Roth S.220.
41Roth S. 223.
42Kramer, S. 258.
43Kramer, S. 264.
44Roth S. 223.
45Roth S. 224.
46Roth S. 226.
47Roth S. 227.
48Roth S. 228.
49Roth S. 229.
50Roth S. 230.
51Roth S. 227.
52Roth S. 244.
53Roth S. 246.
54Roth S. 245.
55Roth S. 246.
56Roth S. 247.
57Roth S. 248.
58Roth S. 249.
59Roth S. 250.
60Roth S.251.
61Roth S. 252.
62Roth S. 253.
63Dechent II, S.284.
64Vgl. auch „Die Dalbergfeier ...”
65Roth S. 206.
66Regierungsblatt Bd. 1, S. 621; Telschow, Rechtsquellen, S. 55-61.
67Grabau, S.71 ff. insbes. S. 80