Kriegsalltag 1914-1918
Kriegsbegeisterung – Kriegsnot – Friedenssehnsucht. Die Frankfurter evangelische Kirche im Kriegsalltag 1914 bis 1918
Vortrag vor dem Evangelischen Predigerministerium am 30. Oktober 2014 von Jürgen Telschow
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Vorbemerkung
Bei der Beschäftigung mit der Frankfurter evangelischen Kirche im 1. Weltkrieg sollte man sich zunächst vier Sachverhalte vor Augen halten. werfen. Als Erstes: Die evan-gelische Kirche damals war nicht frei und unabhängig. Vielmehr lebte sie in einer engen Symbiose mit dem Staat. Sie hätte sich im 16. Jahrhundert nicht entfalten und seit dem so entwickeln können, wenn nicht Fürsten und Räte von Reichsstädten sich die evangelische Sache zu Eigen gemacht hätten. Und für diese Staatswesen war sie ein Stabilitätsfaktor sondergleichen. Welche gesellschaftliche Kraft zählte schon zu ihren Grundsätzen das „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat.” Als Zweites: Diese Kirche hatte den Kontakt zur Arbeiterschaft, einer sehr großen Bevöl-kerungsgruppe, nie aufbauen können. Um die Jahrhundertwende empfand man die Spaltung der Gesellschaft in der Kirche durchaus als Defizit, blieb aber eine bürger-lich geprägte Kirche. Als Drittes: Entgegen dem allgemein vermittelten Bild von Preußen war Frankfurt nicht militärisch geprägt. Mit dem Infanterieregiment Nr. 81 und dem Feldartillerieregiment Nr. 63 stand die Garnison in keinem nennenswerten Verhältnis zur Gesamtbevölkerungszahl. Im Jahr 1912 leisteten von 10.279 Gestel-lungspflichtigen nur 1.547 tatsächlich Wehrdienst und 1913 nach einer Änderung des Heeresgesetzes von 9.795 nur 3.124.1 In Frankfurt gab es auch 45 Jahre nach der Annexion durch Preußen Vorbehalte gegenüber preußischem Drill und Zwang. Entscheidend waren vielmehr die wirtschaftlichen Verflechtungen Frankfurts mit dem Ausland, insbesondere mit Frankreich und England. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass diese durch einen Krieg zerstört werden könnten, und hoffte auf die wirtschaftlicher Vernunft der Verantwortlichen. Typisch hierfür ist der Frankfurter Friedensverein mit 33 Zweigvereinen.2 Frankfurt war „mit dem Herzen deutsch, mit dem Verstand kosmopolitisch”.3 Es ging ahnungslos und unvorbereitet in den Krieg. Und als Viertes: Vom ersten Kriegstag an gab es eine Zensur aller Schriftwerke und Filme. Die Bilder, die wir von jenem Kriege vor Augen haben, waren also von der Zensur zugelassen, andere nicht.4 Was an Informationen und Bildern zugelassen wurde, vermittelte den Deutschen – anders als etwa in England – kein realistisches Bild von der politischen und militärischen Lage.
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Die Mobilmachung
Der Mord in Sarajewo wurde zwar in Frankfurt mit Bestürzung aufgenommen, war aber kein Anlass zur Beunruhigung.5 Als jedoch am Abend des 25. Juli 1914 das Ulti-matum Österreichs an Serbien ablief, bewegte sich eine große Menschenmenge in der Innenstadt, und insbesondere zum Bahnhof, zu den Stellen also, an denen man neu-este Informationen erwartete. Als bekannt wurde, dass Österreich die serbische Ant-wort als unzureichend erachte, wurden Hochrufe auf die Donaumonarchie ausge-bracht. Andererseits kritisierte die SPD in den folgenden Tagen in Veranstaltungen die Kriegspolitik. Als am 29. Juli bekannt wurde, dass Rußland zunächst im Süden mobil mache, und dann am 30. Juli die Generalmobilmachung folgte, strömten die Massen wieder auf der Suche nach Informationen durch Frankfurt. Nun wurde von einer gedrückten Stimmung berichtet. Auch setzten Panikkäufe ein. Die Preise für die wichtigsten Lebensmittel stiegen sofort. Banken und Sparkassen wurden bestürmt, um Geld abzuheben. Hunderte von Brautpaaren beantragten bei den Standesämtern Trauungstermine. Gegen Abend gingen die Menschen wieder auf die Straße, nun besorgt und angespannt. Als dann die Nachricht von der deutschen Mobilmachung kam, machte sich eine Entspannung breit. Drüner schreibt, dass es keine „hurrapatri-otische Begeisterung” gab, dass der Ernst die Herzen erfüllte. Etwa 100.000 Menschen fanden sich auf dem Bahnhofsvorplatz ein. Die Stimmung war geprägt durch den Willen, den nicht mehr zu verhindernden Krieg mutig und einig zu führen. Sie war ernst und gefasst, aber zuversichtlich.6 Dabei hatte man das Gefühl einer großen inneren Verbundenheit des ganzen Volkes und lebte davon noch eine ganze Zeit. Man sprach von vaterländischer Erhebung, vom Idealismus, der einen führe, und von den starken sittlich-religiösen Kräften des eigenen Volkes.
Am ersten Tag der Mobilmachung (2. August) waren die Kirchen ebenso überfüllt wie am 5. August, dem Landesbuß- und Bettag. Es war wohl die Angst vor dem Kommen-den, auch das Gefühl einer schweren Heimsuchung, das die Menschen bewegte und sie in der Kirche Zuflucht suchen ließ (Zitat von Veit „Religion im Krieg”). Die Pfarrer an der Katharinenkirche, die gerade renoviert wurde, feierten je zweimal im Saal des Palmengartens und im Kaufmännischen Verein Gottesdienst. Der Pfarrer der Pauls-kirche, Julius Werner, hielt nach dem überfüllten Gottesdienst in der Kirche noch eine Ansprache auf dem Paulsplatz. Seinen Worten ist wohl die allgemeine Stimmung in der Kirche zu entnehmen: „Wir wollen uns abkehren von den Götzen einer gott- und zuchtverlassenen Außenkultur. Allen Verlockungen, bloß irdischer Macht zu vertrau-en, setzen wir ein eisernes Nein entgegen. Mit ganzer Wucht und heiligem Willen vertrauen wir Gott, legen unser Leben und unseres Volkes Zukunft in seine starke Hand.”7 Gerne wurde „Ein feste Burg ist unser Gott” gesungen. Auch das ein Zeichen dafür, dass man für eine gerechte und heilige Sache zu kämpfen meinte. Dass der Gegner sich auf denselben Gott berief, dass man Gott für die eigenen Zwecke verein-nahmte, kam nicht in den Sinn. In der Folgezeit gab es in vielen Gemein-den ein- oder zweimal in der Woche Kriegsbetstunden.
Das Geschehen zeigt sich also anders als das, was den Deutschen viele Jahrzehnte vermittelt worden ist. Haben wir nicht alle die Bilder von der Kriegsbegeisterung vor Augen, von begeisterten Zivilisten und von begeistert in den Krieg ziehenden Solda-ten? Begeisterte Zivilistenbilder fand man in Berlin, aber nicht in Frankfurt. Die geistige Mobilmachung war eines Sache der Hochschullehrer (auch hier vor allem der Berliner)8 und der Gymnasiallehrer,9 aber auch der Künstler.10 Gymnasiasten auf humanistischen Gymnasien waren schon lange vor dem Krieg mit dem antiken Ideal „dulce et decorum est pro patria mori - süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben,” vertraut gemacht worden. Der berühmte Theologe Adolf von Harnack ent-warf zusammen mit dem Historiker Reinhold Koser den Aufruf Wilhelms II. an sein Volk.11
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Der Krieg als Gemeinschaftserlebnis
Die Bedeutung des Gefühls der inneren Verbundenheit des Volkes wurde später oft betont. Mit dem Terminus „Volksgemeinschaft” verwendeten es die Nationalsozia-listen werbewirksam, förderten es mit ihren Massenveranstaltungen und benutzten es, um gesellschaftliche Gruppen auszuschließen. Man kann es nur verstehen ange-sichts des früheren Gefühls der inneren Gespaltenheit. Die Konfirmationsansprache des Frankfurter Pfarrers Willy Veit vom 6. April 1913 ist dafür ein Beispiel. Pfarrer Willy Veit12 war in Frankfurt ein beliebter und populärer Vertreter der liberalen Theologie, ein Modepfarrer. In seinen Predigten konnte er sich sehr gut auf das Denken, die Sorgen und die Nöte der Menschen einstellen. In seiner „Ansprache an die Konfirmanden bei der Konfirmationsfeier 1913 am 6. April 1913”13 knüpfte er an die Konfirmandenstunden an und sagte dann: „Ich will euch sagen, warum diese Erinnerung mir wichtig ist. Seht, ihr geht jetzt auseinander. …. Jedes von euch wird im Leben, die einen früher, die anderen später, in seinen Kreis treten, in den Kreis seiner Berufs- und Standesgenossen, und die geistige Luft, die Interessen und die Anschauungen dieses Kreises einatmen. Das führt leicht zu einem nicht nur äußeren, sondern inneren Sich-Abschließen gegenüber den anderen Berufen, gesellschaftlichen Klassen und Schichten. Und dieses Abschließen geht dann sehr leicht über in eine Interesselosigkeit an dem Geschick der anderen Schichten, ja sogar in einen gewissen Gegensatz, gar in offene Feindschaft. Denn das ist die tiefbedauernswerte Tatsache unseres heutigen Lebens, besonders bei uns in Deutschland, daß die einzelnen Schich-ten und Stände sich nicht mehr verstehen, daß sie nur das Trennende sehen, und daß gewissenlose Hetzer oben wie unten den Klassengegensatz und die Klassenfeindschaft noch zu vermehren suchen. Da werden dann die Angehörigen eines anderen Standes hingestellt als schlechte Kerle, und dies Urteil wird geglaubt. In dieser Weise betrach-tet heute oft der Arbeiter den Prinzipal und der Prinzipal den Arbeiter, die Herrschaft das Dienstmädchen und das Dienstmädchen die Herrschaft. Wenn solche Versuche, euch zu Klassengehässigkeit zu treiben, an euch herantreten, dann will ich, daß die Gesichter eurer Mitkonfirmanden und Mitkonfirmandinnen vor euch auftauchen … dann bekommt ihr das Gefühl, dass doch alles miteinander nette Kerlchen und nette Dingelchen gewesen sind, auch die, ja vielleicht gerade die, die nicht eurem Stand und eurer gesellschaftlichen Schicht angehörten. Das ist' s, worauf mir' s ankommt: ihr sollt im Leben die Menschen nicht beurteilen und verurteilen nach der Zugehörigkeit zu der oder jener Schicht und Klasse. Ihr sollt in jedem Menschen den Menschen sehn und suchen....” Lag es da nicht nahe, im Sommer 1914 die Bündelung aller Kräfte für den Krieg als großes Gemeinschaftserlebnis zu interpretieren und zu feiern? Und zu hoffen, dass diese Einheit, die keine Klassen mehr zu kennen schien, auf Dauer erhalten werden könne?
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Wie die Pfarrer dachten
Während des Krieges fanden mehrere theologische Vortragsreihen ein starkes Inter-esse. Die Manuskripte der Vorträge zeigen noch heute sehr anschaulich, wie ein großer Teil der Frankfurter Pfarrerschaft damals dachte. Ganz unter dem Eindruck des begonnenen Krieges beschäftigte man sich 1914 mit den Themen: Glaube (Pfr. Friedrich Manz), Buße (Pfr. Willy Veit), Bekenntnis (Pfr. D. Erich Foerster) und Opfer (Senior Prof. Wilhelm Bornemann). In anderen Jahren sprachen u. a.: Pfr. Georg Groenhoff über „Verträgt sich das Schwert mit dem Evangelium?”, Pfr. Friedrich Manz über „Erfüllt der moderne Staat christliche Ideale?, Pfr. Dr. Wilhelm Lueken über „Dürfen wir nach Weltherrschaft streben?”, Pfr. Dr. Hermann Dechent über ”Wo bleibt nun der Idealismus?” oder Erich Foerster über „Reformation und bürgerliche Frei-heit.”
Der Zeitgenosse Hans Drüner bewertete dies folgendermaßen. „Der Sinn der religiösen Begriffe Glaube, Buße, Bekenntnis und Opfer schien sich in den entsprechenden Le-bensäußerungen des vaterländischen Bewußtseins widerzuspiegeln und durch sie eine Erläuterung zu empfangen. Man konnte die Artverwandtschaft zwischen religiösem Glauben und vaterländischer Zuversicht, zwischen frommem Abhängigkeitsgefühl dort und hingebender Liebe hier, zwischen dem Heldentum des religiösen Bekennt-nisses und dem Heroismus der vaterländischen Tat hervorheben. Ganz überwiegend klingt durch diese Vorträge des ersten Kriegsjahres ein Ton der Freude über die Lebenskraft, die die Kirche in der großen Schicksalswende bewiesen hatte, und die starke Überzeugung, einer gerechten und reinen Sache zu dienen.... erst im Laufe der Zeit und unter dem Druck der Not, als neben den edlen Regungen der Volksseele Ver-rohung und Rücksichtslosigkeit um sich griffen, wurde die Behauptung des ursprüng-lichen Standpunktes schwieriger und fragwürdiger, wurden die Bemühungen darum geradezu zu einem „Kampf um die Volksseele”, die vom Zweifel erfaßt war. Sehr ernst und auf den Ton der Buße gestimmt waren von Anfang an die Erörterungen, die den Sinn des Krieges für das deutsche Volk zu deuten suchten. Der deutschen Sinnesart entsprach es, hierbei eine derartige Schärfe und Schonungslosigkeit der Selbstbeur-teilung zu üben, daß man wohl fragen konnte, ob sich der gerade, einfache Wille zur nationalen Selbstbehauptung noch damit vereinigen ließ.... Die letzten Jahrzehnte vor dem Krieg erschienen bei dieser prüfenden Rückschau in überaus düsterer Beleuch-tung – als eine Zeit materialistischer Gesinnung und genußsüchtiger Lebenshal-tung..... Selbstprüfung und Selbstbesinnung war das häufig gebrauchte Losungswort mancher Ansprachen und Predigten, die sich gegen die Überschätzung des Gelder-werbs wandten und in ihr eine Hauptursache der sozialen Zerklüftung unseres Volkes erblickten, und wo all' diese öffentlichen Reden der ersten Kriegszeit von dem Gewinn oder dem Ziel des Krieges sprechen, da ist stets nur von einem inneren Gewinn die Rede, der für unser Volk aus der Schicksalsfügung des Weltkrieges hervorgehen soll... Vergebens aber würde man nach einem Worte suchen, das auf äußeren Gewinn oder irgendeinen Ländererwerb, sei es in Europa oder in der kolonialen Welt, hindeutete; Deutschland hatte eben in der Beziehung kein Kriegsziel wie die feindlichen Staa-ten.”14
Theologische Rechtfertigung des Krieges und bildungsbürgerliche Auseinander-setzung mit abstrakten Problemen wurden ihrer Bedeutsamkeit entkleidet mit einer Bemerkung Kübels in seinen „Landsturmbriefen”: „Wenn mich nicht alles täuscht, beruht der größte Wert, den das Evangelium für uns Soldaten hat, gerade in seiner jenseitigen, überirdischen Art. Wir lesen im Evangelium nicht, um unsern Krieg zu rechtfertigen; umgekehrt darin liegt sein Zauber, daß es uns den Krieg entrückt, daß es nicht von Franzosen und Russen redet und uns für eine Weile in die obere Welt, in die Welt der Ruhe und des Friedens eintaucht.”15
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Kirche und Staat
Zur Zeit des 1. Weltkrieges war die Frankfurter Kirche nach Art einer preußischen Kirchenprovinz oder einer Landeskirche organisiert. Nach dem Verständnis des preu-ßischen Staates war sie allerdings weniger, nämlich nur ein Konsistorialbezirk. Lei-tungsorgan war das Königlich Preußische Konsistorium, das dem preußischen Minis-ter für geistliche und Unterrichts-Angelegenheiten direkt unterstand. Sein Präsident war in Personalunion der Präsident des Konsistoriums der Kirchenprovinz Nassau, Dr. Walter Friedemann Ernst. Er war preußischer Beamter und dementsprechend staatstreu.16 Als Reserveoffizier nahm er wie die Pfarrer Kübel und Karl Veidt am Krieg teil. Während dieser Zeit vertrat ihn Prof. Dr. Ebrard, Direktor der Stadtbibli-othek und Geheimer Konsistorialrat. Weitere Mitglieder des Konsistoriums waren die Konsistorialräte Pfr. Baltzer (Oberrad), Pfr. Dr. Bauer (Deutsch-reformierte Gemein-de), Pfr. Dr. Dechent (Weißfrauengemeinde), Pfr. Kayser (Matthäusgemeinde), Regie-rungsrat von Klenck, Stadtrat Meckbach und OLG-Rat Geh. Justizrat Maquet.17 Das Konsistorium war das Bindeglied zwischen dem preußischen Staat bzw. Hof und den Frankfurter Gemeinden. Es vermittelte die ministeriellen Anordnungen.
Als der Kaiser die Mobilmachung befahl, erhielt auch das Frankfurter Konsistorium den Mobilmachungsaufruf. Wie sehr hier religiöses Gedankengut bemüht und der Glaube instrumentalisiert wurde, zeigen folgende Auszüge: „Ich bin gezwungen, zur Abwehr eines durch nichts gerechtfertigten Angriffs das Schwert zu ziehen …. Reinen Gewissens über den Ursprung des Krieges, bin Ich der Gerechtigkeit unserer Sache vor Gott gewiß….. Wie Ich von Jugend auf gelernt habe, auf Gott den Herrn meine Zuversicht zu setzen, so empfinde Ich in diesen ernsten Tagen das Bedürfnis, vor Ihm mich zu beugen und seine Barmherzigkeit anzurufen. Ich fordere Mein Volk auf, mit Mir in gemeinsamer Andacht sich zu vereinigen und mit Mir am 5. August einen außerordentlichen allgemeinen Bettag zu begehen. An allen gottesdienstlichen Stätten im Lande versammle sich an diesem Tage Mein Volk in ernster Feier zur Anrufung Gottes, dass er mit uns sei und unsere Waffen segne….”18
Und während des ganzen Krieges gab es ein für alle verbindliches Fürbittegebet:
„Allmächtiger, barmherziger Gott! Herr der Heerscharen! Wir bitten Dich in Demut um Deinen allmächtigen Beistand für unser deutsches Vaterland. Segne die gesamte deutsche Kriegsmacht. Führe uns zum Siege und gib uns Gnade, dass wir auch gegen unsere Feinde uns als Christen erweisen. Laß uns bald zu einem die Ehre und die Unabhängigkeit Deutschlands dauernd verbürgenden Frieden gelangen.”19
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Wirtschaftliche und soziale Probleme
Die Mobilmachung war gut organisiert. Schnell zeigte sich aber, wie wenig das zivile Leben auf einen Krieg vorbereitet war.20 Die waffenfähigen Männer wurden eingezo-gen. So fehlten einerseits an vielen Stellen Arbeitskräfte. Eisenbahnen dienten nun vorrangig dem Militär. Der Schiffsverkehr wie das Speditionsgewerbe lagen danieder. Die Frankfurter Industrie erhielt die benötigten Rohstoffe nicht mehr, ihre Absatz-märkte vor allem in England und Frankreich konnten nicht mehr erreicht werden. Deshalb mussten bis Ende August allein 56 Betriebe der Metallindustrie stillgelegt werden.21 Andere Firmen konnten nur über-leben, indem sie die Gehälter kürzten. Besonders betroffen war das Hauspersonal, das sich nun viele Haushalte nicht mehr leisten konnten. Zudem kamen Flüchtlinge aus dem feindlichen Ausland. Dies alles führte andererseits zu einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit.22 Die Familien der Soldaten erhielten zwar eine staatliche Unterstützung, die aber so gering war, dass die Kommunen zusätzliche Unterstützungen gewähren mussten, Frankfurt 2 Millionen Mark. Die von der Stadtverordnetenversammlung eingesetzte „gemischte Kriegskom-mission” sollte über die Verwendung dieser Hilfsgelder entscheiden23 und sich mit der Lösung der Probleme der Finanzen, der Lebensmittelfürsorge, der Familienfürsorge, den Rechtsfragen und der Arbeitsbeschaffung befassen. Auch die nichtstaatlichen Sozialeinrichtungen wurden aktiv. In den letzten Julitagen entwickelte die „Zentrale für private Fürsorge” unter ihrem Leiter Dr. Polligkeit, und unter Mitwirkung von Pfarrer Dr. Foerster Pläne für die Frankfurter Kriegsfürsorge, die sich vorrangig mit der Not der Kriegerfamilien befassen sollte.24
Aber es gab auch gesellschaftliche Probleme. Einiges davon beschäftigte auch das Kon-sistorium. Ein Bericht des Konsistoriums25 vom 13. Dezember 1915 an das stellvertre-tende Generalkommando des XVIII. Armeekorps – das hatte im Krieg auch zivile Auf-gaben- listete als Probleme der Jugend (12-18 Jahre) auf: 1. Der Besuch der Kaffee- und sonstigen Wirtschaften, denn infolge der Einberufungen hätten die Wirte häufig Zuhälter und Verbrecher, denen der Eintritt ins Heer verwehrt war, eingestellt. Mäd-chen würden in den Kneipen der Altstadt zu Grunde gehen. 2. Der Besuch der Kinos, in deren Halbdunkel sich Jugendliche mit zweifelhaftem Gesindel herum trieben. 3. Das Rauchen. Schon vorher waren Gerüchte aufgetaucht, dass Konfirmandinnen von der Konfirmation zurück-gewiesen worden seien wegen „sittlicher Verfehlungen mit dem Soldatenstand.” Eine Umfrage in den Gemeinden ergab aber nur einen Fall.26 Zurückgeführt wurde das alles darauf, dass bei der Erziehung die Autorität der Väter fehle, viele Mütter in Fabriken arbeiten müssten und an den Schulen viel Unterricht ausfalle, weil die Lehrer eingezogen worden seien. Am 2. Februar 1916 reagierte das Generalkommando mit einer Verordnung betreffend die Verwahrlosung der Jugendli-chen, die unter anderem abendliche Ausgangssperren für Jugendliche vorsah.27 Ähn-liche Interventionen des Konsistoriums oder von Gemeinden betrafen die Zunahme der Prostitution und die auf Lustspiele ausgerichteten Theater- und Kinoprogramme. Ab Frühjahr 1915 wurden in Zeitungen und Gemeindeblättern keine Anzeigen mehr über Eheschließungen und Geburten aufgenommen, weil den Inserenten Werbung für Abtreibungen zugeschickt worden war.28
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Die Versorgungslage
Ein besonderes Problem stellte von Anfang an die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln dar.29 Schon gleich nach Kriegsbeginn hatte der Magistrat 2.000 Säcke Mehl angekauft und unter Bedürftigen verteilen lassen. Und doch gab es bereits da Unwillensbekundungen unter Arbeitslosen, die mit der allgemein verbreiteten positi-ven Stimmung der ersten Kriegstage nicht mehr zusammen passten. Nachdem bereits im September die Brotpreise angestiegen waren, stiegen im Dezember die Preise für Roggen- und Weizenmehl, Fleisch, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Schmalz, Kakao und anderes mehr deutlich an. Ein Zeichen für die Verknappung der Ware. Gründe waren der kriegsbedingte Mehrbedarf, aber auch der Handel und die Spekulation etwa mit Kartoffeln. Aber auch die Lebensmittelkommission versäumte es, trotz eine guten Ernte 1914 rechtzeitig für Vorräte zu sorgen. Im März 1915 begann eine groß angeleg-te Aufklärungsaktion über die Hintergründe der Probleme. Auch forderte man die Bevölkerung auf, ihre Ernährung umzustellen und sich im Verbrauch von Brot, Fleisch, Eiern und Speisefetten auf bis zu 40% des bisherigen Verbrauches einzu-schränken. Pfarrer Foerster bezeichnete in diesem Zusammenhang den „englischen Aushungerungsplan” als einen Prüfstein für die sittliche Kraft des deutschen Volkes. Rezepte, Wochenspeisepläne und Kochbücher wurden unter die Menschen gebracht. Ein Beispiel sind die „10 Kriegsgebote”. Hier wird bewusst auf die „10 Gebote” angespielt. Ein höchst merkwürdiger, ja blasphemischer, Versuch, religiöses Gedankengut für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.
Schon früh wurde die Kirche vom Staat, wie auch später auf vielfältige Weise, einge-spannt. Am 5. November 1914 forderte Minister von Trott zu Solz die Pfarrer auf, von den Kanzeln auf das Verbot hinzuweisen, Getreide an das Vieh zu verfüttern.30 Gegen-über Pfarrer Dr. Erich Foerster sprach der Oberbürgermeister Ende 1914 die Bitte aus, dass die Pfarrer in den Sylvester- und Neujahrsgottesdiensten den Gemeindeglie-dern nahe bringen sollten, dass sie mit dem Mehl sparsam umgehen. Foerster gab die Bitte in einem vertraulichen Schreiben weiter.31 Am 3. April 1915 wurde das Konsisto-rium angewiesen, Sonntagsarbeit, die der Volksernährung diente, nicht mehr als Feiertagsstörung zu betrachten.32 Später sollten die Pfarrer mitteilen, dass für die Fußbodenpflege kein Öl mehr verwendet und Petroleum nicht mehr für zivile Zwecke verteilt würde.33 Allerdings ging es auch um Meinungsmache. In Erntedankgottes-diensten sollte auf den Zusammenhang zwischen der Nahrungsmittelknappheit und der britischen Seeblockade hingewiesen werden.34
Zum Energiesparen wurde in Frankfurt die „Kochkiste” erfunden und in das übrige Deutschland „exportiert”. Beratungsstellen wurden eingerichtet und hatten großen Zulauf. Trotz all dem verschlimmerte sich die Ernährungslage im Jahre 1915 immer mehr. Einigermaßen stabil bleiben nur die Brotpreise, nicht jedoch die Brotqualität. Als Anfang Oktober die Reichskartoffelstelle in Berlin Frankfurt eine Lieferung von 100.000 Zentnern bewilligte, atmete die Stadtverwaltung etwas auf. Allerdings sollten diese Kartoffeln aus den Landkreisen Osthavelland und Landsberg an der Warthe kommen. Wegen Mangel an Arbeitskräften und Transportmöglichkeiten wurden sie aber erst Ende November 1915 auf den Weg gebracht. Einbrechender starker Frost verdarb nun einen erheblichen Teil der Ladung. Ende 1915 erreichte die Versorgungs-lage bereits die Grenze des Ertragbaren. Allerdings hatte Not noch lange kein Ende. Durch die schlechte Witterung waren die Ernten des Jahre 1916 schlecht gewesen. Die Getreideernte erreichte nur drei Viertel der erwarteten Menge, die Kartoffelernte nicht einmal die Hälfte der vorjährigen. Schon rein rechnerisch bedeutete das, dass für die gesamte Bevölkerung nur 40-50% des Friedensverbrauches möglich war.35 So wurden die ersten Monate des Jahres 1917 die schwersten die die Bevölkerung durch-machen musste. Der Winter wurde der berüchtigte „Kohlrübenwinter”. Mit der Kohle-versorgung war es ähnlich wie mit der Lebensmittelversorgung. So wurden zunächst Theater, Konzertsäle, Versammlungsräume, Museen, alle Vergnügungsstätten, und Kinos geschlossen, dann die höheren Schulen, Fortbildungs- und Fachschulen; schließ-lich einige, wenn auch nicht alle Volksschulen. Es galt auch für die Kirchen und ande-re kirchliche Gebäude.36 Das hatte auch gesundheitliche Folgen. Die Sterblichkeit der Zivilbevölkerung nahm 1916 um 14,5% zu, 1917 um 32%.37
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Die Versorgung der Verwundeten
Eine besondere Herausforderung waren die vielen Verwundeten, die nach Frankfurt kamen. Seit 1870 waren nie mehr als 800 Verwundete gleichzeitig in Frankfurt gewe-sen.38 Für den Mobilmachungsfall hatten die Militärbehörden einen Bedarf von 1.230 Lazarettbetten angenommen und die entsprechende Gestellung mit der Stadt Frank-furt vereinbart. Doch schon am 3. September befanden sich 2.500 Verwundete in Frankfurt. Bereits am 2. August war die Frankfurter Bevölkerung allerdings aufgeru-fen worden, Betten in Krankenheimen, Vereins- und Privathäusern zur Verfügung zu stellen. So standen Ende August rund 5.000 Betten zur Verfügung: 558 vom Militär, 1.243 von der Stadt, 1.208 von Stiftungs- und Privatkrankenhäusern und 2000 von Vereinen und Privatpersonen.39 Daran waren die Protestanten beteiligt mit: dem Diakonissenhaus Eschersheimer Land-straße, dem Diakonissenheim in Bockenheim, dem Diakonissenheim Bethesda, dem Bahnhofsheim, den Gemeindehäusern der Lukasgemeinde und der Gemeinde Seckbach, dem Schwesternhaus in Oberrad bis 1915, der Martins-Missionsanstalt in Ginnheim, dem Missionshaus der Methodisten, dem Schwesternhaus des Bethanien-Vereins.40 Das Diakonissenhaus war für Schwer-verwundete bestimmt.41 Im Haus des Wartburgvereins in der Neuen Mainzer Gasse und in dem Vereinshaus Nord-Ost wurden Tagesheime für gehfähige Verwundete eingerichtet.42 Für französische Verwundete wurde in Niederrad ein Lazarett eingerichtet, in dem es auch Seelsorge französisch sprechender Pfarrer gab.43
Die Frankfurter Diakonissen waren jedoch auch auswärts tätig. 20 Schwestern der Diakonissenanstalt waren zum Lazarettdienst entsandt. Aus zwei Briefen an die Oberin möchte ich zitieren:
„ Sedan, den 13.11.15, Sehr verehrte, liebe Frau Oberin! … Ich bin seit Wochen wieder in meinem früheren Saal, der im Sommer unbelegt und bis auf die Bettstellen, Ma-tratzen und einige Decken ausgeplündert war. Mit 40 Liegenden war ich allein, wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Viele kamen in unbezogene Betten, weil keine Wäsche da war, und bekamen aus Mangel an Kissen ihre Kleider unter den Kopf gelegt. Hand-tücher waren ebenfalls nicht da, und so wurden immer 3 Patienten an einem Hemd abgetrocknet. Es war so traurig, dass man die armen Menschen nicht besser betten konnte, mancher stöhnte auf seinem harten Lager, und wer Schmerzen hatte oder nicht gut lag, bekam einfach Morphium. Man konnte immer mit der Spritze herum-laufen. Die Ärzte waren ja so in An-spruch genommen, dass sie ganz selten auf die Station kommen konnten und wir immer mündlich über die Kranken berichten muss-ten. Wunden, an die man sich sonst nie wagen dürfte, mussten wir selbst verbinden. Man war ganz allein mit seinen Sorgen um die Kranken... Wir haben nicht allein viel mit den Kranken zu tun, sondern auch mit der Esserei. Wie oft haben wir nicht genug für die Leute. Wie sparsam müssen wir mit dem Wasser umgehen, weil jeder Tropfen unten im Hof geholt werden muss. Dann haben wir viel Not mit dem Ungeziefer... Die Betten sehen nun viel besser aus. Kissen, Stühle, Gläser, Bestecke, elektrische Birnen usw. haben wir eines abends im Dunkeln in einem leeren Hotel zagenden Herzens requiriert. Die Not zwang uns einfach dazu... Mit herzlichem Gruß bin ich ergebenst Ihre dankbare Marie Hudel.”44
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Materielle Opfer
Doch der Krieg forderte auch materielle Opfer von den Kirchengemeinden. Nicht weni-ge legten ihre Rücklagen in Kriegsanleihen an, die mit 5% verzinst wurden, aber na-türlich nach dem verlorenen Krieg wertlos waren. Die Kriegsanleihen dienten der Finanzierung des Krieges, denn Haushaltsmittel konnte das Reich mit seinen gerin-gen Steuereinnahmen nicht bereitstellen. Zwischen September 1914 und Oktober 1918 wurden allein in Frankfurt über 3,5 Milliarden Anleihen gezeichnet, etwa ein Drittel des Gesamtbetrages. Bereits am 10. September 1914 forderte der Evangelische Ober-kirchenrat in Berlin das Konsistorium auf, gegenüber den Kirchengemeinden, Anstal-ten und Stiftungen darauf hinzuwirken, dass diese sich nach Kräften beteiligen. So zeichneten schließlich 16 Kirchengemeinden - die Stadtgemeinden besaßen kaum Ver-mögen – und die Stadtsynoden 1.694.200 Mark. Im Vergleich zum gesamten Frankfur-ter Aufkommen war das eine geringe Summe, gemessen am kirchlichen Vermögen war es eine Riesensumme.45 Auch rief das Konsistorium auf, vorhandenes Goldgeld in Pa-piergeld umzutauschen, um so die Goldreserven des Reiches zu erhöhen.46 Eine Aktion „Gold gab ich für Eisen”, zu deren Initiatoren ebenfalls Pfarrer Dr. Foerster gehörte, sammelte Gold, Schmuck und Juwelen im Wert von 400.000 Mark und unterstützte damit mittelständische Gewerbetreibende und Freiberufler, die durch den Krieg in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren.47
Für die Kriegsführung benötigte der Staat Rohstoffe. So gab es immer wieder Roh-stoffsammlungen. Für Waffen und Munition benötigte der Staat wertvolle Metalle. Deshalb wurde das Konsistorium vom Unterrichtsministerium am 24. August 1915 aufgefordert, eine Bestandsmeldung zu erstellen, die kupferne Dachrinnen, Regenroh-re, Fenster- und Gesimsabdeckungen, Türbeschläge, Glocken und Orgelpfeifen umfas-sen sollte.48 Wegen der schwierigen Bewertung der Glocken setzte deren Beschlagnah-me jedoch erst 1917 ein. So mussten die 16 Frankfurter Gemeinden 38 Glocken, 4.238 kg Kupfer und 707 Orgelpfeifen abliefern. Als Entschädigung erhielten sie 115.000 Mark.49 Um es konkreter zu machen: Allein im Gebiet innerhalb des Anlagenrings betraf das die Alte Nikolaikirche mit drei von vier Glocken, die Christuskirche mit einer von drei Glocken, St. Katharinen mit einer von drei Glocken, die Lutherkirche mit drei von vier Glocken, die Matthäuskirche mit drei von vier Glocken, St. Peter mit drei von vier Glocken und Weißfrauen mit einer von zwei Glocken, mithin 15 von 23 Glocken.50
Daneben gab es auch viele kleine Einzelinitiativen. Dazu gehörte die Lukasgemeinde, die eine eigene Kriegshilfe organisierte und in ihrem Gemeindebereich die zuvor im Großen beschriebenen Aufgabenfelder abzudecken suchte.51 Von anderen Gemeinden wird berichtet, dass sie Kindergärten errichteten und dass das karitative Engagement zunahm.
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Grüße aus der Heimat
Eine andere Form der Bewältigung der aktuellen Nöte finden wir in einer kleinen Schrift des Schwanheimer Pfarrers Paul Weber für die Gemeindeglieder im Felde und zu Hause.52 Mit den Glocken grüße die Heimat, wenn diese sonntäglich zum Gottes-dienst rufen, am Donnerstag-Abend zur Kriegsbetstunde einladen oder einen Toten zur letzten Ruhe begleiten. Dann dächten sie „mit wehem Herzen auch an die Tapfe-ren”, die draußen für die Heimat gefallen sind und in fremder Erde ruhen. „Die Hei-mat grüßt Euch, so oft alle 4 zusammen klingen und mit jauchzender Stimme ins weite, stille Land hinausrufen: „Sieg, Sieg!” Dann gedenken wir Eurer und danken Euch und Gott für herrliche Waffentaten in Ost und West.” 53 Auch fordert Weber sie auf, an die Heimatglocken zu denken und an deren Inschriften: „ Ein feste Burg ist unser Gott”, „Verzage nicht, du Häuflein klein”, „Ist Gott für uns, wer mag wieder uns sein?” und „Einer ist unser Meister, Jesus Christus”. Schließlich schildert er die Fürsorge der Heimat. Die Päckchen mit Liebesgaben, die öffentlich Unterstützung der Kriegerfamilien und die Liebesarbeit der Vaterländischen Frauenvereins. Besonders beschreibt er die Arbeit der Frauenhilfe der Martinusgemeinde und zählt auf, was alles gestrickt worden ist: 330 Paar Strümpfe, 10 Paar Kniewärmer, 6 Leibbinden, 12 Lungenschützer, 35 Pulswärmer, 24 Ohrenschützer, 8 Paar Schießhandschuhe, 4 Unterjacken, 6 Unterhosen.54
Auch erzählt er, dass gerade Kinderstimmen vom Kindergarten herüber klängen. Dort sängen die Kinder ihr Morgenlied nach der Melodie „Jesu geh' voran”:
Ernst ist jetzt die Zeit,
Feinde, weit und breit,
Stehen rings an unseren Grenzen.
Kugeln fliegen, Waffen glänzen.
Herr,mit starker Hand
Schütz das Vaterland!
Steh uns gnädig bei!
Mut und Kraft verleih
Unsern Truppen, welche kämpfen,
Um der Feinde Macht zu dämpfen.
Sei Du unser Herr,
Feste Burg und Wehr.
Schenke uns den Sieg,
Daß der böse Krieg
Glücklich endlich bald aufhöre
Und der Friede wiederkehre.
Herr Gott Zebaoth
Hilf uns aus der Not!55
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Friedenssehnsucht
Doch es verwundert nicht, dass sich bereits 1915 auch eine andere Friedenssehnsucht breit machte. In der SPD, in der es schon im Mai 1915 Forderungen nach einer Frie-densagitation gab, wurde in der Generalversammlung am 28. Juni 1916 die Erkennt-nis geäußert: „Die Fortsetzung des Krieges bedingt eben den noch größeren Hunger.” 56 Der Bischof von Limburg ordnete für den 3. und 10. September eine Wallfahrt zur Bergkapelle der Mutter Gottes in Hofheim an, wo für einen ehrenhaften Frieden gebe-tet werden sollte. Auch viele Frankfurter nahmen daran teil.57 Vor allem die Sozialde-mokratie forderte in Großveranstaltungen Friedensverhandlungen. Am 1. Oktober 1916 kamen 20. - 25.000 Menschen im Ostpark zusammen und hörten prominenten Sozialdemokraten zu. Diese betonten, dass Deutschland einen Verteidigungskrieg und keinen Eroberungskrieg führe. Sie forderten, dass die Reichsregierung sich zu dieser Auffassung bekenne und deshalb ihre Bereitschaft zu Friedensverhandlungen erklä-re.58 Ab Sommer 1917 gab es am 30. Juni, am 15. August, am 30. September, am 10. Oktober, am 18 Dezember und am 13 Januar 1918 Veranstaltungen, in denen die Redner für einen Verständigungsfrieden eintraten. Zunehmend äußerten sich hier nun nicht mehr nur Sozialdemokraten, sondern auch Zentrumspolitiker. Auf der Gegenseite standen durchaus Frankfurter Theologen, die in Predigten und Vorträgen auch 1917 an die vaterländischen Gefühle appellierten und daran, dass es sich lohne, hierfür auch sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Hierzu noch einmal der Brief einer Frankfurter Diakonisse:
„Warschau, 24.7.16, Liebste Frau Oberin, soeben las ich Ihren lieben Brief und danke Ihnen herzlich dafür. Ja, man denkt oft, es nicht mehr aushalten zu können, all das Schreckliche draußen, von dem wir jetzt mehr als früher hören durch unsere vielen Verwundeten. Ich kann es nicht verstehen, dass es noch immer kein Ende gibt. Sind denn die Menschen ganz toll geworden, sich so gegenseitig aus der Welt zu schaffen und auf so grausame Weise! Ich meine immer, unser Kaiser müsse ein Machtwort sprechen im Namen aller Nationen und sie auffordern, Schluss zu machen und sich auf irgendeine Weise zu einigen. Das ist doch eine Schande, dass es für menschliche Wesen, die doch nach Geist und Herz auch viel Göttliches in sich haben, keinen Ausweg geben soll aus dem Schlachten und Morden..... Ich kann heute nicht mehr, mein Herz ist so schwer. Allen 1000 Grüße. Ihre treue Schwester Anna (von Soden).”59 Dies bedarf keines Kommentars.
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Pfarrer an der Heimatfront
Damit sind wir bei der Rolle der Pfarrer an der „Heimatfront. Nachdem zunächst die Information der Familie über den Tod eines Soldaten dadurch erfolgte, dass die Feld-post mit dem Vermerk „tot” oder „gefallen” zurückgeschickt wurde, informierte der Oberkirchenrat in Berlin das Konsistorium am 10. November 1914 über ein neues Verfahren. Nun sollten die Postämter solche Sendungen erst dem Pfarrer zustellen, damit „so dem letzteren die willkommene und fruchtbarste Gelegenheit zur Darbie-tung seelsorgerlichen Trostes geboten werde.”60 Klingt das nicht wie Blasphemie? Der Staat, das Militär schickt die Soldaten in den Tod. Aber die schwere Mitteilung über den Tod des Soldaten erfolgt durch einen kurzen Vermerk auf der zurückgeschickten Post, und die Überbringung erfolgt durch den Pfarrer, dem dieser Dienst noch will-kommen sein soll. Später gab es dann auch eine Urkunde.
Je länger der Krieg dauerte, desto unzufriedener wurde die Bevölkerung und desto stärker wurden die Zweifel am Sinn des Krieges. Die Tatsache, dass es seit 1916 fak-tisch eine Militärdiktatur unter Hindenburg und Ludendorf gab, forderte geradezu nach Veränderungen hin zu mehr Demokratie. Die Monarchie wankte, weshalb man sich nun verstärkt der evangelischen Kirche als Stabilisator der überkommenen gesellschaftlichen Strukturen zu bedienen suchte. In einem geheimen Schreiben vom 19. April 1917 forderte das Kriegsministerium das Konsistorium auf, wieder den „mo-narchischen Gedanken” zu verbreiten.61 Darin hieß es u. a.:
„In dem Maße, wie unsere Gegner mehr und mehr zu der Einsicht kommen, dass sich ein für sie günstiger Ausgang des Krieges mit den Waffen nicht erzwingen lässt, wen-den sie sich anderen Mitteln zu. In der richtigen Erkenntnis, dass der Grund unserer Stärke in den durch jahrhundertealte Wechselbeziehungen zwischen Herrscherhaus und Volk gefestigten inneren Zuständen liegt, entfalten sie neuerdings immer unver-kennbarer eine rege Tätigkeit, dieses glückliche Verhältnis zu stören und uns den Er-folg durch Bereitung innerer Schwierigkeiten zu entreißen. Jedes Mittel zur Errei-chung dieses Zwecks ist ihnen recht und mir liegen Beweise vor, dass auch feindliche Agenten nach diese Richtung an der Arbeit sind. Diese Bestrebungen finden bei dem radikalen Teile der deutschen Sozialdemokratie wirksame Unterstützung … Für unbe-dingt notwendig halte ich es aber auch und glaube hierin der Zustimmung Eurer Exzellenz sicher zu sein, dass zur Stärkung des monarchischen Gedankens Schule und Kirche herangezogen werden.”
In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag des Generalkommandos gegenüber dem Konsistorium vom 15. Mai 1917 zu sehen, einen Pfarrer als Verbindungsmann zur Pressestelle des Heeres zu benennen.62 Dies alles zeigt aber auch, wie sehr die Bevölkerung sich inzwischen vom Staat entfremdet hatte. Nur war die Kirche in Frankfurt kaum näher an der Bevölkerung dran. Jahre der Not strapazierten eben die Opferbereitschaft und bestärkten die Zweifel am Sinn des Krieges. So wies dann auch das Konsistorium die Pfarrer an, Zweifel der Kirchenbesucher an der Sinnhaftigkeit des Krieges auszuräumen.63 In weiteren Schreiben des Kriegsministeriums wurden die Geistlichen aufgefordert, die Gemeindeglieder nicht nur in Predigten und Anspra-chen für den gefährdeten Staat zu gewinnen, sondern auch in der Seelsorge. Am 2. November 1918 erhielt das Konsistorium ein letztes Schreiben dieser Art, von General-feldmarschall Paul von Hindenburg über das Stellvertretende Generalkommando des XVIII. Armeekorps im Reuterweg 10, in dem es um die bevorstehende Revolution ging: „„Die rege Agitation umstürzlerischer Elemente, welche darauf abzielt, die gleichen Zustände wie sie in Russland herrschen, in Deutschland herbeizuführen, bildet eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Infolge der langen Kriegsdauer, der Lebensmittel-Schwierigkeiten und des Umschwungs der militärischen Lage herrscht eine weitver-breitete Mißstimmung. Es erscheint eine besonders wichtige und dankbare seelsor-gerliche Aufgabe den Einzelnen, insbesondere den Frauen, eindringlichst klar zu ma-chen, dass durch revolutionäres Vorgehen die Verhältnisse nicht verbessert sondern verschlimmert würden, unter denen jeder einzelne schwer zu leiden hätte…”64 Wie weit das alles befolgt wurde, ist allerdings nicht bekannt.
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Schluss
Ich möchte schließen mit einigen Passagen aus den Lebenserinnerungen von Dr. Erich Foerster, Pfarrer in der Deutsch-reformierten Gemeinde, Professor an der Frankfurter Universität, mit guten Kontakten in die verschiedensten Richtungen:
„Ich war bei seinem Beginn überzeugt von der Unschuld der deutschen Regierung am Kriege … Von den großen Fehlern der deutschen Politik seit Bismarcks Sturz hatte ich nur ganz unzulängliche Vorstellungen. Allerdings war ich im letzten Jahrzehnt immer stärker oppositionell geworden … Nun beeindruckte mich aufs stärkste der glänzende Anfang des Feldzugs und die stolz Zuversicht des deutschen Offizierskorps, und ich teilte ganz und gar die Begeisterung der riesigen Mehrheit der Nation und die Entrüs-tung besonders über England. In dieser Stimmung hat mich auch weder der Ein-marsch in Belgien noch der Rückschlag an der Marne, dessen Bedeutung ich nicht verstand, irre gemacht, sie hat ungefähr bis Herbst 1915 angehalten. Erschüttert wurde sie zuerst durch die genaueren Nachrichten über die entsetzliche Menschen-schlächterei unter Armeniern …. Greuliches über die Mängel der Militärseelsorge und ihren Leutnantsjargon,.... (Berichte von der serbischen Front) es gelte gegenüber der Bevölkerung allmählich alles für erlaubt.... (auf einer) Eisenbahnfahrt Gespräche von Soldaten, die mich entsetzten: Unverhohlene Abneigung gegen die Dienstpflicht...... (Gespräche in Berlin mit Mitgliedern des Reichstages) In diesem Kreise wurde der Gedanke, England auf die Kniee zu zwingen, verlacht.... Auf der letzten Lazarett-weihnachtsfeier in dem Bahnhofsheim Gutleutstraße hatte ich den deutlichen Eindruck von einer unter den Leuten schwelenden Verbitterung. …. Die Revolution war ein Zusammenbruch in völliger Erschöpfung.”
1Drüner, Im Schatten, S. 47, Anm.37.
2Drüner, Im Schatten, S. 48.
3Drüner, Im Schatten, S. 53.
4 Bösch, Frank: Der Beginn des modernen Medienkrieges, in: Potsdamer Neueste Nachrichten 26.2.2014, S. 21.
5Hierzu und zum folgenden: Drüner, Im Schatten, S. 54 -61.
6Drüner, Im Schatten, S. 63 f.
7Zitiert nach: Drüner, Im Schatten, S. 67.
8 Bruch, Rüdiger vom: Erster geistiger Waffenplatz Deutschlands, in: Potsdamer Neueste Nachrichten vom 6.6.2014, S. 24
9 Hans-Heino Ewers in einer Podiumsdiskussion in Frankfurt, nach: FAZ 27.2.2014, S. 36.
10 Piper, Ernst: Das niedrige Niveau der großen Geister, in Potsdamer Neueste Nachrichten 19.3.2014, S. 10.
11 Ebd.
12Veit, Philipp Friedrich Wilhelm (Willy), 1872 -1940, 1998-1905 Pfarrer Manchester/England (deutsche Gemeinde), 1905-1933 Pfarrer St. Katharinengemeinde.
13Veit, Willy, Predigtsammlung 1913-1919..
14Drüner, Im Schatten, S. 108 f.
15Groenhoff, Schwert, S.37 f. Unter Bezugnahme auf: Die Gemeinde, 1915, S. 300.
16 Bornemann, Wilhelm, Zwei Jahrzehnte kirchlichen Lebens unter Konsistorialpräsident Dr. Ernst, in: FKK 1920, S. 52 f.,; Fischer, Peter: Das Frankfurter königliche Konsistorium, S. 7.
17 FKK 1915, S. 42.
18 FRV 22/8: 3, nach Fischer, S. 31.
19 FRV 22/8: 10, nach: Fischer, S. 34.
20Hierzu und zum folgenden: Drüner, Im Schatten, S. 69-81.
21Drüner, ebd. S. 69.
22Drüner, ebd. S. 70.
23Drüner, ebd. S.71.
24Drüner, ebd., S. 71.
25 FRV 22/10, nach Fischer, S. 45-47.
26 FRV 22/10
27 FRV 22/10, Fischer, S. 47
28FRV 22/428: 111, nach: Fischer, S.48 f.
29Drüner, Im Schatten S. 117-131.
30FRV 22/8: 64, nach: Fischer S. 51.
31 Fischer, S. 50.
32 FRV 22/10, nach: Fischer, S. 51 f.
33 Fischer, S. 52.
34 Fischer, S. 52
35Drüner, Im Schatten, S. 207.
36Drüner, Im Schatten, S.216.
37Drüner, Im Schatten, S.222.
38Drüner, Im Schatten, S. 84, Anm. 61.
39Drüner, Im Schatten, S.85.
40Drüner im Schatten, S. 85, Anm. 62.
41Drüner im Schatten, S. 86.
42Drüner im Schatten, S. 90.
43Drüner im Schatten, S. 91.
44Frankfurter Diakonissenhaus: Blätter aus dem Mutterhaus, Nr. 463, September 2014, S. 12 f.
45 FRV 22/6-22/8, insbes. FRV 22/6:37; FRV 22/7:109 u.110; Drüner, S. 145 nach Fischer, S. 61-65.
46 FRV 22/8:46, nach: Fischer, S. 66.
47Drüner, ebd. S. 80.
48 FRV 22/10, nach: Fischer, S. 66.
49 FRV 22/7:92, nach: Fischer, S. 68.
50 Proescholdt, Telschow, S. 42-151.
51Drüner, ebd. S. 81.
52 Weber, Paul: O Deutschland Hoch In Ehren! Ein Heimatgruss ins Feld den Kriegsteilnehmern der Ev. Gemeinde Schwanheim. Ein Kriegsgedenkbüchlein den Daheimgebliebenen von Paul Weber, Pfarrer in Schwanheim a. Main, 1915.
53Weber, O Deutschland, S. 1.
54Weber, O Deutschland, S. 5.
55Weber, O Deutschland, S. 6.
56Drüner, Im Schatten, S. 203
57Drüner, Im Schatten, S. 203 f.
58Drüner, ebd.
59Frankfurter Diakonissenhaus: Blätter aus dem Mutterhaus, Nr. 463, September 2014, S. 14.
60 FRV 22/8:104, nach: Fischer S. 44.
61 FRV 22/12, nach: Fischer, S. 75 f.
62 FRV 22/12, nach: Fischer, S. 53.
63 Fischer, S. 54.
64 FRV 33/13:268, nach: Fischer, S. 76