Tadeusz Szymanski
V E R L I E R D I E H O F F N U N G N I C H T
E r i n n e r u n g e n
v o n
T a d e u s z S z y m a n s k i
Bearbeitet, mit einem Anhang versehen und herausgegeben von Jürgen Telschow
Nr. 2 der Schriftenreihe der Evangelischen Initiative Zeichen der Hoffnung - Znaki Nadziei
Lieber Tadeusz Szymanski,
Am 18.Mai 2002 feiern Sie Ihren fünfundachtzigsten Geburtstag, und am 2.Juli 2002 besteht die Evangelische Initiative Zeichen der Hoffnung - Znaki Nadziei seit fünfundzwanzig Jahren. Beides nehmen wir zum Anlaß, mit dieser Veröffentlichung für Ihr jahrzehntelanges Wirken im Dienste der Verständigung zwischen Polen und Deutschen zu danken. Wir wollen aber auch daran erinnern, wie Sie vielen tausend Deutschen, vor allem jungen, das schreckliche Erleben der Opfer deutscher Konzentrationslager näher gebracht und dafür geworben haben, dass sich so etwas nicht wiederholen darf.
Unserer Initiative sind Sie von Anfang an verbunden gewesen. Sie haben uns bei der Vorbereitung von Studienreisen geholfen und unsere Gruppen durch Auschwitz und Birkenau geführt. Sie haben uns zu Ausstellungen mit Werken von Mieczyslaw Koscielniak und Jan Staszak oder über die „KZ- Lagerpost” verholfen. Und Sie waren uns ein väterlicher Berater und Freund. Und wir haben Sie vor Augen als jemand, für den Auschwitz Schicksal und Lebensaufgabe wurde. Dabei ging es Ihnen nie um die großen Worte und die abstrakten Zahlen. Im Schicksal des einzelnen Häftlings und in den kleinen Geschichten aus dem Lageralltag fanden Sie die Lebenswirklichkeit mit ihrem ganzen Schrecken und erzählten uns davon. Das hat Jung und Alt fasziniert, und das hat Ihre Ausstrahlungskraft ausgemacht. Aus diesem Grund wollen wir nun auch die Texte, die Sie uns vor Jahren anvertrauten, in diesem Heft veröffentlichen, als Zeugnisse Ihrer Erzählkraft und als Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Ihr Gesundheitszustand lässt heute vieles nicht mehr zu, was Sie früher konnten. Um so herzlicher gratulieren und danken wir Ihnen ganz persönlich und im Namen der Mitglieder von Zeichen der Hoffnung, und wir singen in Gedanken das „Sto lat...”
Ihre Klaus Würmell und Jürgen Telschow
Remanent
Du gehst zu einem Laden und plötzlich siehst Du an der Tür einen Zettel mit dem Wort „Remanent”. Die Höflichen fügen das Wort „Verzeihung” hinzu. Was soll ´s ? Es ist eine Bestandsaufnahme und es ist nichts zu machen. Geh weiter und ärgere Dich nicht. Alles, was sich im Laden befindet, wird in Augenschein genommen; es wird der Preis festgestellt, und nachdem alles fertig ist, kann man den Wert des ganzen Ladens feststellen.
Ich will mich mit Dir verabreden. Ich mache „Remanent”, also Bestandsaufnahme meines Lebens. Ich lege Dir das vor, was mir noch etwas wert schien. Schau es an. Gefällt es Dir nicht, dann geh weiter und ärgere Dich nicht. Ich habe mehr verloren als Du .... vor allem Zeit, die ich brauchte, um Dir mein „Remanent” vor zu legen. Meinerseits wäre höflich zu sagen: „Auf Wiedersehen - Verzeihung”. Aber ich möchte vor dem Abschied auch gerne erfahren, warum Du so schnell die Geduld verloren hast. Denn den Wert meines ganzen Ladens kannst du erst dann feststellen, wenn Du alles genau angeschaut hast, was ich Dir vorlege. Trotzdem „auf Wiedersehen”, irgendwo und irgendwann, wenn Du in einer Erzählung, wie im Spiegel, ein Detail von Deinem Leben findest.
Mein Lebenslauf
Häftling 20 034 Auschwitz
Häftling 77 236 Groß Rosen
Häftling 128 031 Buchenwald
Ich wurde am 18.Mai 1917 in Gostila geboren. Damals gab es auf der Landkarte kein Polen. Damals war das die kaiserliche und königliche Monarchie Österreich-Ungarn. Das Dorf Gostila lag in Bosnien, tief in den Bergen. Als ich vor Jahren meinen Geburtsort sehen wollte, konnten wir mit dem Auto nicht dorthin kommen. Es liegt zu hoch, und es gibt keine Straßen. Einen Esel (Magaraz) habe ich nicht gehabt, also sind wir zu Fuß dorthin gegangen. Früher hat man von Bosnien nach Kroatien Verschiedenes geschmuggelt. Als ich jetzt dort war, bekam ich 500 Gramm Tabak und wurde gewarnt, den Zöllnern nicht zu sagen, von wem ich den Tabak bekommen hatte. Die Herrscher haben sich nach meiner Geburt geändert, die Grenzen aber und manches andere bleiben stabil, auch der Zoll. Auch gut. Mein Geburtsdatum ist nicht eindeutig. Meine Mutter behauptete, und sie müsste es ja am besten wissen, dass sie mich vor Mitternacht geboren hat. Aber der Makritasch (Standesbeamte) hat festgehalten, dass ich nach Mitternacht geboren worden bin, also am 18.Mai 1917. Und das, was im Papier steht, ist wichtig, nicht die Tatsache, nicht die Zeugen. Wer ich bin? Österreicher? Nein, obwohl ich geboren bin in der Zeit, wo dort die Österreicher herrschten und mein Vater im Dienst dieser Machthaber stand. Bosnier bin ich auch nicht, obwohl ich in Bosnien geboren bin. Ich bin Pole, weil mein Vater und meine Mutter Polen waren. So steht es auch in meinen Papieren, und das ist wichtig, wie gesagt. Nach meiner Geburt wurde ich von dort nicht vertrieben, nur abtransportiert. Schade, wäre ich vertrieben, könnte ich einen Verband der Vertriebenen organisieren, Ansprüche gegen Bosnien haben und davon profitieren. So habe ich die Wiedergeburt Polens schon auf polnischem Boden erlebt. Aber ich kann davon nichts erzählen, weil ich noch nicht bewusst lebte und zu abhängig von der Muttermilch war.
Was soll ich zu meinen Eltern sagen? Obwohl beide Eltern aus der Stadt Lancut stammten, damals Galizien, machte mein Vater als österreichischer Untertan den Dienst eines, wie man heute sagen würde, Grenzpolizisten in Bosnien, an der Grenze nach Serbien. Über die Grenze wurde manches geschmuggelt, und man sollte eigentlich wissen, was und wie viel geschmuggelt wurde. Aus den Erzählungen meines Vaters weiß ich aber, dass die Grenzler sich wenig bemüht haben, den Schmuggel zu verhindern. Außerdem kannten sich die Bosnier und die Serben in den Bergen besser aus als so ein Grenzler aus Galizien, wie mein Vater einer war. Von Bosnien zogen wir wieder nach Lancut. Dort gab es einige Grafen. Der reichste und Besitzer vieler Meierhöfe war Graf Potocki. Mein Vater stammte von einem Dorf in der Nähe von Lancut. Dort war mein Großvater Förster bei diesem Grafen gewesen. Den Grafen, Eigentümer der Wälder, hat mein Großvater, so weit ich weiß, nie gesehen. Meine Mutter konnte manchmal einen Grafen sehen, wenn er Sonntags zur Kirche ging. Es begleiteten ihn dann eine eigene Kapelle und polnische und jüdische Kinder. Zum 2.Weihnachtsfeiertag passierte etwas besonderes. Dann schlug man den Grafen mit Hafer, und die kleinen Polen steckten sich die Taschen mit Haferkörnern voll. Am 2.Ostertag wurden der Graf und alle, die mit ihm gingen, tüchtig mit Wasser bespritzt. Sonst hatten meine Eltern keinen Kontakt zu Grafen, und Grafen waren sie selbst auch nicht. Nicht Graf sein, aber etwas mehr haben, als die Eltern hatten, das hätte niemand geschadet. Als Polen wieder auf der Landkarte zu sehen war, hat mein Vater bei der polnischen Gendarmerie gedient und später bei der polnischen Polizei. Nach dem 2.Weltkrieg wurde diese Polizei mit dem Schimpfwort „Granatowa Policja” belegt.
Seinen Dienst als Polizist hat mein Vater in Kalinow, nicht weit von Lwow(Lemberg), geleistet. Der Ort trug zusätzlich den Namen Kaiserdorf, weil der Kaiser dort Schwaben angesiedelt hatte. Das waren meine guten Jahre, als ich in diesem Dorf wohnte. Dort besuchte ich die Volksschule und verstand mich sehr gut mit den Schwaben, die im Dialekt redeten und auch polnisch verstanden; denn der Unterricht war in polnischer Sprache. In dem Dorf waren viele Schwaben, weniger Polen und noch weniger Ukrainer oder Lemki, oder Huculen. Im Dorf gab es einen kleinen Grafen. Der Sozanski, so hieß er, wollte mit der Polizei gut leben, und deshalb bekam jeder Polizist ein Stück Land und wurde ein kleiner Landwirt. In dieser Zeit hat sich einer meiner Träume erfüllt, denn mein Vater kaufte mir ein kleines Pferdchen. Nach vier Klassen Volksschule kam ich die Stadt Sambor aufs Gymnasium. Jeden Tag früh musste ich mit der Bahn in die Stadt fahren. Im Sommer aber habe ich noch vorher das Pferdchen geputzt und auf die Weide geritten. Dort weidete und wartete das Pferd auf meine Rückkehr aus der Stadt, und von der Weide ritt ich dann wieder nach Hause. Es war meine erste große Liebe. Auf dem Gymnasium hatte ich auch Probleme im Deutsch-Unterricht wegen meines Dialekts. Doch davon an anderer Stelle.
Um 1929, als mein Vater Rentner wurde, kehrten wir zurück nach Lancut. Wir zogen in ein kleines Haus, das die Eltern gekauft hatten. Es war weit zur Schule, und ich habe wenig in Erinnerung behalten. Interessant für mich wurde es erst, als ich Mitglied der Pfadfinder wurde. Diese Organisation nach dem Muster der englischen Boy Scouts hat mir sehr gefallen und wurde meine Leidenschaft. Das ging so weit, dass ich den Schulunterricht vernachlässigt habe. Es gab aber damals gute Pädagogen. Unser Latein-Lehrer nahm mich in das Lehrerzimmer mit und sagte zu mir: „Du musst wissen, dass ich dich gern habe, aber deine Leistungen in Latein sind schlecht. Latein ist doch die Grundlage für vieles, nicht nur für die Medizin. Hol das Mangelnde nach. Morgen frage ich dich nach der laufenden Lektion und einer früheren ab, und so jeden Tag.” Er war sehr konsequent, und wir schafften es. Noch heute kann ich manches auswendig. Aber die beste Schule war das, was ich bei den Pfadfindern lernte. Man lernte Praktisches für die Zukunft, fürs Leben. Das ergänzte das Theoretische von der Schule. Allerdings muß ich heute, nach vielen Jahren zugeben, dass es schade ist, dass mein Eifer nicht ausgereicht hat zum Lernen anderer Sprachen und zum besseren Verstehen und Kennen der Geschichte. Im Jahre 1939 beendete ich das Gymnasium mit der Matura.
Anschließend sollte ich zum Wehrdienst in die Offiziersschule. Da ich gleichzeitig etwas für einen neuen Beruf lernen wollte, plante ich, zum Nachrichtendienst zu kommen; denn Telefon, Radio und ähnliches hatte mich schon bei den Pfadfindern interessiert. Doch es kam anders. Ich musste zunächst einen einmonatigen Arbeitsdienst ableisten, zu dem ich in ein Dorf bei Mikolow kam. Dort bauten wir Befestigungen an der polnischdeutschen Grenze. Dann kam der 1.September 1939, der Krieg begann. Wir wollten bewaffnet werden und Polen verteidigen. Doch wir mussten an Kattowitz vorbei nach Osten marschieren. Unterwegs sahen wir von Flugzeugen bombardierte Dörfer, in denen Flüchtlinge Schutz suchten. Wir sahen auch Häuser und Scheunen, die von Saboteuren der sogenannten 5.Kolonne angezündet worden waren. Nach zwei oder drei Tagen wurde unsere Kolonne aufgelöst. Jeder konnte gehen, wohin er wollte. Viele wollten zum Militär. Mir gelang es in Luck, mich als Freiwilliger zu melden. Schon nach wenigen Tagen geriet ich in der Nähe von Lemberg in russische Gefangenschaft, wurde aber bald wieder entlassen. Auf Schleichwegen kam ich nach Hause.Hier übernahm ich verschiedene Arbeiten.
Am 2.Mai 1941 wurde ich als Pfadfinder verhaftet. Über Rzeszow und Krakau kam ich am 12.August 1941 in das Konzentrationslager Auschwitz. Gleich nach der Einlieferung erfuhr ich von Häftlingen, die schon länger da waren, dass wir nach Hause schreiben dürften, weil wir Schutzhäftlinge seien. Komisch ... wir wurden in Schutz genommen, wir dürfen schreiben. Meine Überraschung war noch größer, als ich von einem Polen, der aus Schlesien stammte, einen Briefbogen und eine 12-Pfennig-Marke umsonst bekam. Er verpflichtete mich aber, dasselbe zu machen, wenn ich Geld haben würde. Auch ich sollte in der Häftlingskantine solche Briefformulare und die Briefmarken erstehen und die Neuen damit versorgen. Diese Hilfe eines fremden Kameraden schon am ersten Tag gab mir Mut, um mein Leben zu kämpfen. Mein Glück war auch, dass mit mir viele andere Pfadfinder eingeliefert wurden. So hatte ich neben mir Menschen, zu denen ich volles Vertrauen hatte. Ich verstand deutsch (das war wichtig), ich war jung und gesund; und alle Quälereien wie „Sport” habe ich mit Ruhe durchgehalten.
Durch Zufall kam ich in ein gutes Arbeitskommando, in die Gärtnerei Rajsko. Dort hatten wir einen Brunnen mit gutem Wasser zum Trinken und Waschen, dort konnte man etwas „organisieren”. Im Jahr 1942 starb ein Häftling vom Kommando, das die Neuzugänge registriert hat. Der Kommandoführer, Unterscharführer Stark, hat einen Nachfolger gesucht, und ein Freund hat mich vorgeschlagen. Er hat mir auch geraten, am nächsten Tag nicht zur Gärtnerei zu gehen, weil der Chef mich sehen wolle; denn das gab es, dass jemand nicht anwesend war, wenn man ihn aufrief, und das dann schlimme Folgen hatte. Stark bestellte mich, ich musste eine Schriftprobe ablegen und wurde genommen. Bis Oktober 1944 habe ich dort im Kommando Aufnahme gearbeitet. So hatte ich einen Überblick über alles, was im Lager passierte. Ich wollte mich aber nicht mit den schrecklichen Ereignissen belasten. Ich hatte Angst, dass meine Psyche das nicht aushält. Dank meiner Pfadfinder-Freunde, dank meiner Kameraden vom Kommando, habe ich nie die Hoffnung verloren. Ich wollte am Leben bleiben; auch als ich Fleckfieber hatte und am 29.August 1942 die größte Selektion der Kranken durchgeführt wurde. SS-Arzt Entress hat damals von 800 Kranken über 700 in die Gaskammer geschickt. Ein Glücksfall, dass das Experiment mit Fleckfieber bei mir nicht zu Ende geführt wurde, weil man mein Blut und andres noch zu Untersuchungen brauchte.
Als im Herbst 1944 die Ostfront näher rückte, hat man Häftlinge ins Reich evakuiert. Ich kam in einem Transport in das Nebenlager Breslau-Lissa von Groß Rosen. Dorthin schickte man von Auschwitz vor allem demontiertes Baumaterial. Mir ging es dort noch verhältnismäßig gut. Ich wurde als Kalfaktor (Reiniger, Putzer) für die SS beschäftigt. Dabei habe ich mich ein bisschen wie der brave Soldat Schwejk benommen. Ich hätte auch „Jawohl” gesagt, wenn mir ein Herrenmensch gesagt hätte, dass ich dumm bin. Dann kam die Ostfront auch dort näher. Breslau wurde zur Festung erklärt, und die Bevölkerung evakuiert. Wir kamen nach Groß Rosen. Da ich dort zum „Muselmann” geworden bin, war dieses Lager für mich eine Hölle. Dort hatte ich keine Freunde getroffen, die mir Mut zum weiteren Leben geben konnten. Dort wurden wir fast nicht ernährt. Das Lager war sehr voll, und das kleine Stückchen Brot, das wir bekamen, war ohne Salz und hatte einen Geschmack wie gemahlene Schweinebohnen mit etwas, was man einfach nicht herunterschlucken konnte
Ich weiß nicht mehr, wann wir von Groß Rosen nach Buchenwald überführt wurden. Aber es war ein langer Weg. Von meinem Aufenthalt in Buchenwald will ich an dieser Stelle nicht weiter erzählen. Aber ich kam gegen Kriegsende zu einem Eisenbahntransport in Richtung Tschechoslowakei, und dort gelang mir auch tatsächlich die Flucht. Am 1.Mai 1945 war ich schon frei, bestimmt frei und bei tschechischen Freunden, die für mich sorgten. Etwa nach einem Monat wollte ich nach Hause fahren, es war nicht einfach. Ich hatte keine Papiere, und was ist der Mensch wert ohne Papiere? In der Kreisstadt Domazlice empfahl mir der Stadtälteste zu bleiben, wo ich bin, und auf die Amerikaner zu warten. Die würden mir schon sagen, was ich tun soll. Dasselbe war auf einer Karte zu lesen, in englischer, französischer und deutscher Sprache. Ich behauptete, dass ich keine von diesen Sprachen verstehe, und ein Dolmetscher konnte mir das mit Mühe ins Tschechische übersetzen. Am 25.Juni 1945 fuhr ich dann doch von Klenci nach Prag. Das gelang mir, obwohl es an der Besatzungsgrenze eine amerikanische und eine russische Kontrolle gab. Beide wollten wissen, ob im Zug Ausländer sind. Da ich tschechisch sprechen konnte, unterhielt ich mich mit einem Tschechen, und keine der Kontrollen merkte, dass ich Ausländer war. Von Prag bin ich in Richtung Katowice gefahren. Unser Güterzug war mit Menschen voll beladen. Bei Czechowice wurden wir angehalten und die Papiere kontrolliert. Hatte einer zu viel Gepäck, hat man dafür gesorgt, dass es leichter wurde. Ich hatte nur den Rucksack mit wenig Essen und konnte in die Felder flüchten, ohne kontrolliert zu werden. Gut, dass die Felder bestellt waren. So konnte ich in einem Kartoffelfeld ruhig warten, bis der Zug wieder abgefahren war. Dann bin ich durch Katowice und Krakow in meine Heimatstadt Lancut gekommen.
Am 2.Juli 1945 war ich wieder zu Hause. Ich traf Menschen, die verdächtig schauten und fast gefragt hätten, warum lebst du noch? Von Auschwitz gab es nur einen Weg ... durch den Schornstein, und du lebst? Warst du mit den Nazis befreundet? Gesagt hat es niemand. Aber man sah , wer das eigentlich fragen wollte. Die anderen jammerten ... oh du Armer, du musstest so viel leiden, so lange in Haft. Am liebsten hätte ich ihnen gesagt: ”Hätte ich das Schlimmste erlebt, wäre ich nicht da.” Nur meine Eltern weinten vor Freude und haben nichts gefragt. Aber zugehört, wenn ich etwas erzählte. Im privaten Leben hatte sich inzwischen vieles, allerdings nicht zu meinem Vorteil, verändert. Ein dickes Buch darüber habe ich nicht geschrieben, und mein Leben reicht nicht aus, es zu schreiben. Treu sind mir außer meinen Eltern nur noch meine Pfadfinder geblieben. Mit ihnen fing ich wieder an, in die Gegend zu wandern.
Im Sommer 1946 fuhr ich mit einer Gruppe ehemaliger Häftlinge zu einem Erholungsaufenthalt. Auf dem Rückweg fuhren wir auf meinen Vorschlag nach Oswiecim, um zu sehen, was von Auschwitz übrig geblieben war. Hier hat uns, und vor allem mich, mein Freund Baca-Wasowicz begrüßt. Er schlug mir vor, nach Oswiecim zu kommen, weil er auf dem Gelände des Lagers Auschwitz eine Gedenkstätte errichten wollte. Nach langer Überlegung sagte ich zu, bei dieser Arbeit zu helfen, aber er sollte sich nicht wundern, wenn ich wieder abhauen würde. Am 1.Oktober 1946 war ich dann wieder in Auschwitz. Ja, wörtlich in Auschwitz, denn selten habe ich das Gebiet des Lagers verlassen, um z.B. in die Stadt Oswiecim zu gehen. Die erste Zeit war nicht leicht, aber gut. Gut für meine Psyche. Hier in Auschwitz hatte ich keine Alpträume über Auschwitz. Hier hat es keine Arbeitszeit gegeben, die ganze Zeit waren wir da; ständig an der Arbeit, viele Besucher-Pilger sind jeden Tag gekommen. Ich wohnte im früheren SS-Revier, hatte ein eisernes Bett, einen SS-Schrank, einen Lagertisch und einige Lagerhocker. Mein Wohnzimmer benutzte ich oft auch als Dienstzimmer. Dazu hatte ich Mut, Lust auf Arbeit und einen Direktor, von dem man eher sagen musste, älterer Bruder, Vater der ziemlich großen Familie. Am Anfang waren wir 18 Personen, meist ehemalige Häftlinge. Und wenn man ein Beispiel suchen möchte für eine gute solidarische Arbeitsgruppe, dann waren wir das in den Anfangsjahren. Doch das änderte sich. Jeder hatte seinen Arbeitsbereich, aber auf einmal war zu spüren, wer Abteilungsleiter geworden war. Nur der Baca blieb derselbe, fast bis zu seinem Tod im Jahre 1952. Er hat sich wenig geändert, obwohl sich vieles im Lande änderte. Er bekam, obwohl er es nicht brauchte, einen Vizedirektor, der auch politischer Stellvertreter genannt wurde. Das war leider auch ein ehemaliger Häftling, der mit allen Mitteln eine „neue Ordnung” einführen wollte. Die Folge war, dass man überall kämpfte, nur nicht wusste wofür und mit wem. So war dem Baca eigentlich geholfen, als er starb. Theoretisch gab es viel mehr Feinde, als es tatsächlich waren. Selbst Kommunisten wurden verdächtigt, Feinde des Kommunismus zu sein. Ich konnte nicht und musste nicht alles verstehen. Der kalte und frostige Wind hat mich nicht kalt gemacht. Wer aber schwache Nerven hatte, der konnte leicht dem Baca folgen. Als er starb, war ich nicht mehr da. Ich hatte mich in meine Heimatstadt zurückziehen müssen, weil ich nicht alles mitmachen konnte. Auch dort gab es manche Proben, aber ich habe sie überstanden, ohne mein Rückrat gebrochen zu haben.
Es folgte dann eine Zeit mit verschiedenen Direktoren, die wenig von der Arbeit verstanden und um gut gepolsterte Stühle kämpften. Das war eine schlimme Zeit für die Gedenkstätte. Als dann um 1956 ein anderer ehemaliger Häftling zum Direktor der Gedenkstätte ernannt wurde, änderte sich die Situation zu Gunsten der Arbeit der Gedenkstätte. Es war die Zeit, wo alles in Plänen erfasst werden musste. Auch fing es an, etwas „wissenschaftlicher” zu werden, und dabei wurden die geschätzt, die ihren wissenschaftlichen Stand in ihren Papieren bestätigt hatten. Dieser Direktor blieb bis in die jüngste Zeit, und hierzu möchte ich mich nicht weiter äußern. In der Gedenkstätte leitete ich zunächst die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, oder anders gesagt die Betreuung der Besucher. Da ich weder Titel noch Mittel zur Verfügung hatte, bat ich um eine andere Stelle und wurde Leiter der Abteilung „Sammlungen”. Dort wurden historische Gegenstände und Kunst gesammelt. Auch mit dieser Arbeit war ich zufrieden, und ich denke, dass mir manches gelungen ist. Gelungen ist mir vor allem der Kontakt mit ehemaligen Häftlingen, von denen ich viele wertvolle und interessante Exponate erhalten habe. Auch die Kunst ist zu sehen und steht jetzt unter dem Schutz meiner Frau.
Im Jahre 1977 durfte ich Rentner werden. Ich bekam ein Dankschreiben für die bisherige Arbeit und man wünschte mir die verdiente Ruhe. Bei meinem Charakter hat mir allerdings das Warten auf das Sterben allein nicht ausgereicht, und ich suchte mir Arbeit. Bald hatte ich, wie Heinrich Böll sagte, keine Arbeit, aber viel zu tun. Das fand ich interessant. Es war nichts Neues dabei. Ich saß immer am Thema Auschwitz. Vorträge hatte ich schon gehalten, als ich noch berufstätig war. Das machte ich weiter und musste niemand fragen, ob ich es machen darf oder, was ich sagen darf. Ausstellungen hatte ich vorher dienstlich organisiert und machte es jetzt privat mit Hilfe derer, die die Ausstellungen haben wollten, und der Autoren; zum Beispiel die Ausstellung mit Bildern des Malers Koscielniak, die mit Holzfiguren des Schnitzers Staszak und meine Ausstellung „Lagerpost”. Die Ausstellungen wurden durch Zeichen der Hoffnung zuerst in Frankfurt am Main gezeigt und dann in anderen Städten in der Bundesrepublik Deutschland. Mich und die Gedenkstätte hat es kein Geld gekostet, nur ein bisschen Arbeit. Es ist mir gelungen, Menschen zu animieren, Filme über „Auschwitzer Kinder” zu machen. Als ich noch berufstätig war, wollten mein Direktor und andere mir das ausreden. Damals habe ich geantwortet: „Vielleicht habe ich mich in eine Frau verliebt, die als Kind in Auschwitz war, und deshalb pflege ich diese Kontakte. Nun brauchte ich keine Belehrungen mehr anzuhören und konnte die Filme sogar in Griechenland und Japan zeigen. Weiter gepflegt habe ich auch die Kontakte mit der Aktion Sühnezeichen - Friedensdienste. Ich fuhr zu Seminaren, traf viele Gruppen während der Reise durch Polen und habe mich oft mit der deutschen Jugend in der Bundesrepublik und in Westberlin unterhalten.
Es war eine große Überraschung für mich, als mir im Jahre 1982 die Theodor Heuß Medaille zuerkannt wurde. Ich habe der deutschen Jugend, und nicht nur der Jugend, von den Verbrechen der Nazis erzählt, und dafür wurde ich mit einer Medaille ausgezeichnet ... unwahrscheinlich. Als ich diese Medaille am 15.Februar 1982 im Stuttgarter Schloß in Empfang nahm, waren da so viele Freunde, die aus Berlin, Frankfurt und Wedel gekommen waren ... unwahrscheinlich. Das gab Mut zu weiterer Arbeit. Jede Anerkennung, die mir fehlte, als ich berufstätig war, jede Auszeichnung, die ich auch in Polen bekam, gab einem Alten wie mir neue Kräfte. Man soll aber auch niemand überschätzen. Wenn ich mich umschaue, sehe ich wie viel wir ehemaligen Häftlinge vernachlässigt haben. Vieles hätte ich noch machen können, hätte ich früher die Möglichkeiten gehabt, die ich jetzt habe: Zeit, Reisemöglichkeiten und Freundschaften in der ganzen Welt. Ein Appell an die Reichen, dass sie die Gedenkstätte finanziell unterstützen, hat keinen Sinn. Es hat auch keinen Sinn, den Menschen guten Willens immer wieder zu sagen, die Geschichte von Auschwitz muß schnell geschrieben werden, solange die Zeugen noch leben. Archäologische Ausgrabungen kommen sowieso; wie letztens, als in Warszawa ein Massengrab gefunden wurde, in dem Polen und Juden neben einander lagen ... vereinigt im Grab. Ist das nicht möglich bei den Lebenden, das Aufhören mit Vorurteilen und Urteilen usw.? Im Lager Auschwitz hat mich Kamerad Baca einmal gefragt: „Was hast du heute für Gott, für dein Vaterland, für andere Menschen und für dich selbst getan?” Damals hat mich das geärgert, solch eine Frage im Konzentrationslager! Der Baca wusste, warum er fragt, und ich habe später auch Antworten auf diese Fragen gesucht. In diesem Lebenslauf sind sie aber auch nicht beantwortet.
1. K i n d h e i t u n d J u g e n d
1.1 Erste Begegnungen mit Deutschen
Die ersten Deutschen auf meinem Pfad? Das ist schwer festzustellen. Sie sprachen deutsch. Ich weiß aber nicht, ob ich sie gehört habe. Jedenfalls war es mir damals gleich, wer spricht und was gesprochen wird; und sobald es ein bißchen lauter war, habe ich geschrien, denn an diesem Tage war ich die wichtigste Person. Das war am 18. Mai 1917 in dem kleinen Dorf Gostila, hoch in den Bergen Bosniens, nicht weit von der damaligen Grenze zu Serbien. In Jugoslawien gibt es wenigstens zwei Dörfer mit dem Namen „Gostila”. Mein Geburtsort liegt in der Nähe von Gorazda und Sarajevo. Sofort nach der Geburt waren, so erzählte mir die Mutter, viele „Schwaben” neben mir. Es waren keine richtigen Schwaben. Die Deutschen oder deutsch Sprechenden wurden von den Polen nur so genannt, und das war kein böser, eher ein freundlicher Spitzname. Noch im selben Jahr kehrte die Mutter mit mir in ihre Heimat zurück. Kurz darauf war ich kein Untertan der KuK-Monarchie mehr, sondern ich war Bürger Polens. Nach über einhundert Jahren Teilung war Polen wieder frei. Sicher habe ich mit der Muttermilch die Freude der Eltern mitbekommen.Vielleicht habe ich sie sogar geteilt. Danach kommt eine ziemlich lange Lücke. Aber langsam fangen die Bilder meiner Kindheit an; Strich für Strich wird manches der Bilder deutlicher.
Das Dorf Kalinow, von den Einwohnern mit dem Beinamen „Kaiserdorf” versehen, lag im Bezirk Lemberg. Die meisten Einwohner waren „Schwaben”. Es wohnten aber auch einige ukrainische Familien dort, und der Rest, vielleicht 20 Prozent der Einwohner, waren Polen. Die meisten Polen bildeten die Oberschicht und bekleideten verschiedene wichtige Ämter wie Bürgermeister, Lehrer und Pfarrer. Die drei Polizisten, aber auch die ärmste polnische Familie trugen den Namen der reichen und adligen Familie Potocki. Mein Vater war einer der drei Polizisten. Die anderen beiden unterstanden ihm. Einen von ihnen, den Fic, werde ich nie vergessen. Er hatte einen schwarzen Hengst und ritt auf ihm dienstlich in die Nachbardörfer Kornalowice, Brzegi und Bacice, denn das war sein Revier. Ich beneidete ihn so lange, bis mir mein Vater auch ein Pferdchen gekauft hat. An manches, was in diesem Dorf in den zwanziger Jahren passiert ist, kann ich mich noch ganz gut erinnern.
1.2 Pfarrers Obstgarten
Der Pfarrer hieß Nahajski und war mit meinen Eltern befreundet. Von Zeit zu Zeit besuchte er uns. Auf einen solchen Tag warteten vor allem meine schwäbischen Freunde. Einer sagte zu mir: „Der Pfarrer ins Haus und du raus”. Ich mußte ein bißchen warten, bis die Eltern tief im Gespräch waren und ich vergessen war. Dann war ich draußen. Der Karel wartete hinter der Scheune. Sobald wir zusammen waren, liefen wir in Richtung Obstgarten des Pfarrers. „Jetzt!”, sagte Karel, und wir kletterten durch den Zaun. Die schönsten Birnen und Pflaumen waren unser. Vielleicht waren die bei uns Zuhause auf dem Tisch sogar schöner; aber die haben längst nicht so gut geschmeckt wie jene, die ich mit Karel im Garten des Pfarrers gepflückt habe. Zusätzliche Freude hatten wir, als mich der Pfarrer beim nächsten Besuch fragte, ob ich wüßte, welcher Knabe ihn in seinem Garten bestiehlt. Probleme gab es später allerdings bei der Beichte. Gut, daß immer auch ein fremder Geistlicher kam. Da mußte man eben nur genau schauen, in welchem Beichtstuhl er sitzt. Ich weiß nicht mehr, ob die Belehrungen des fremden Geistlichen so auf uns gewirkt haben oder ob es kein Obst mehr gab - im Herbst gaben Karel und ich auf und suchten andere Freuden.
1.3 Setz dich, Esel
Kleine Kinder, kleine Sorgen - große Kinder, große Sorgen. Aber auch die Sorgen der Kinder wachsen im Laufe der Jahre. Bis zur vierten Klasse der Volksschule lebte ich auf dem Dorf, und sehr selten war ich in der Stadt. Das war auch nicht nötig, denn im Dorf fand ich alles: Freunde, Partner beim Spielen und bei ernsten Sachen. In der Stadt, in der ersten Klasse auf dem Gymnasium, wuchsen die Sorgen. In der Klasse hatten wir Deutschunterricht. Mit meinen Freunden, den jungen Schwaben, hatte ich mich gut verständigt. Aber sobald ich etwas vom Lehrer gefragt wurde, hörte ich auf meine Antwort: „Setz dich, Esel! Ungenügend!” Ich hätte fast geweint, weil es mir schien, daß ich gut geantwortet hatte. Aber statt eines Lobes, mußte ich „ungenügend” hören. Daraufhin ist mein Vater in die Stadt zum Gymnasium gefahren und hat mit dem Lehrer gesprochen, und es hat sich alles aufgeklärt. Der Lehrer hatte mich überhaupt nicht verstanden, weil ich im Dialekt, nämlich schwäbisch, gesprochen hatte. Von da an bemühte sich der Lehrer, mich zu verstehen, und ich versuchte, langsamer, deutlicher und ohne Dialekt zu sprechen. Ich hörte nicht mehr: „Setz dich, Esel!” Im Jahre 1930 habe ich Kalinow verlassen - mein Vater ging in Pension
1.4 Meine erste Zigarette
Pischnot, einer meiner schwäbischen Kameraden, wußte, wo unsere Hühner Eier legen. Natürlich war es kein großes Geheimnis; denn jedes Huhn, das ein Ei gelegt hat, ist stolz darauf und gackert ....... es sollen alle wissen, was ihm gelungen ist. Pischnot hat es vorgeschlagen und ich hatte nichts dagegen. Wir nahmen zwei oder drei Eier aus dem Nest und gingen zum Kaufmann. Es war ein kleines jüdisches Geschäft. Pischnot bekam für diese Eier einige Zigaretten und Zündhölzer. Heimlich standen wir später in einer Ecke unseres Gartens an der Scheune. Nun sollte das Männliche anfangen. Pischnot wollte, daß ich mit dem Rauchen anfange; aber ich sagte: „Du hast schon probiert, also fang Du an.” Er fing an. Aber oh weh! Als ich zwei-, dreimal den Rauch eingezogen hatte, wurde mir schwindlig. Doch Angst haben ging nicht. „Na?”, fragte Pischnot. „Gut!”, antwortete ich; aber es war ganz das Gegenteil. Wer weiß, wie es weiter gegangen wäre. Aber auf dem Hof erschien meine Mutter.Wir mußten die Zigaretten ausmachen und uns in der Scheune verstecken. So hatte ich die Männlichkeitsprobe überstanden. Pischnot erzählte es dann einigen Schulkameraden, die uns mit Anerkennung angeschaut haben. Es war zwar nichts zu bewundern, aber wir wurden bewundert. Ich war Pischnot dankbar, daß er auf die Wiederholung der Probe verzichtete; und ich nehme an, daß er mir dankbar war, daß ich einen solchen Vorschlag nicht gemacht habe. Einmal ist keinmal ..... Nach Jahren habe ich es wieder probiert ...... Es ist gelungen ...... Und jetzt nach fünfzig Jahren probiere ich, aufs Rauchen zu verzichten ..... Zur Zeit gelingt es.
1.5 Bestrafte Eifersucht
Von unserem Grundstück sollte ich Kartoffeln holen. Mein Pferdchen Sofia zog fröhlich den kleinen Wagen, als aus einem Bauernhof ein Fohlen herausgelaufen kam und Sofia folgte. Ich wollte es wegjagen und hob die Peitsche. Aber das Fohlen reagierte schneller, schlug aus und traf mich. Etwa nach einer Stunde krabbelte ich aus dem Straßengraben heraus. Da erst merkte ich, daß ich ohnmächtig im Graben gelegen hatte, während Sofia auf mich wartete. Ich konnte nicht richtig atmen. So weh hatte der Schlag des Fohlens getan. Da dachte ich schon, daß das Fohlen mir mit seinem Tritt die Rippen gebrochen hat. Langsam fuhr ich nach Hause, und meine Mutter wunderte sich nur, daß ich so lange weggeblieben war. Nur meinen Freunden im Dorf, den jungen Schwaben, erzählte ich, was passiert war. Für mich behielt ich jedoch, daß meine Eifersucht auf das Fohlen so bestraft worden war.
1.6 Übung macht den Meister
Im Jahre 1930 habe ich Kalinow verlassen, mein Vater ging in Pension. Den Dialekt brauchte ich nun nicht mehr. Die deutsche Sprache wurde durch Latein ersetzt. Erst in höheren Klassen hatte ich wieder Deutsch-Unterricht. Ohne Schwierigkeiten konnte ich einen Artikel in der deutschen Zeitung lesen und ihn dann mündlich wiedergeben. Das war dann auch immer meine Aufgabe, wenn der Schulinspektor zur Kontrolle in unsere Klasse kam. Andere haben fehlerlos die Geburtsdaten und Lebensläufe großer Dichter und berühmter Deutscher auswendig aufgesagt und alle waren zufrieden. Hätten wir gewußt, was kommt, hätten wir die deutsche Sprache sicher eifriger gelernt. Damals im Gymnasium jedenfalls ahnte ich nicht, daß mir die deutsche Sprache bald behilflich sein würde!
1.7 Jambore!
Eines meiner schönsten Erlebnisse war das Jambore in Spala, in den Wäldern neben dem Jagdschloß des polnischen Staatspräsidenten. Es war ein Treffen von Pfadfindern aus ganz Polen mit Pfadfindern und Scouts aus Nachbarländern. Einige tausend junge Menschen waren zusammen, um sich kennen zu lernen, zusammen zu spielen, zu singen, zu feiern und zu diskutieren. Aus Deutschland war nur eine Gruppe polnischer Pfadfinder anwesend, denn deutsche Pfadfinder gab es damals nicht. Im Dritten Reich gab es ja nur die Hitlerjugend. Man hat damals erzählt, daß die polnischen Pfadfinder im Dritten Reich verfolgt würden. Deshalb seien sie teilweise illegal über die Grenze nach Polen gekommen. Deshalb hat man sie auch überall besonders herzlich begrüßt. Wir waren mit ihnen solidarisch, obwohl wir damals so wenig wußten, wie groß und wie nahe die Gefahr ist. Im Jahre 1935 spürte man eine Spannung, aber wer hätte damals geahnt, daß es schon so bald zum Krieg kommen würde?
1938 war ich in der Freien Stadt Danzig zur Feier der Weihe einer Pfadfinderfahne. Als wir gerade in einer Schule Gottesdienst hielten, kam die Hitlerjugend, warf Steine in die Schule und wollte uns an den Feierlichkeiten hindern. Das sah ich dann schon als ernster an.
2. K r i e g
2.1 An der polnischdeutschen Grenze
Im August 1939, nach der Reifeprüfung und vor der Einberufung zum Militär, wurde ich zu einer Art Arbeitsdienst eingezogen. Denn nach der Maturitätsprüfung sollte jeder Abiturient einen Monat körperlich arbeiten. Im August 1939 wußte man schon, wohin die Welt geht, was Hitler vorbereitet. Aber die Polen rechneten damit, dass England und Frankreich ihnen sofort helfen würden, wenn Polen angegriffen würde. Wir fühlten uns stark und einig, und dazu solche Verbündeten.... Ich kam nach Mokre bei Mikolow. Wir haben an der deutschpolnischen Grenze Befestigungen gebaut. Dazu haben wir in einem Zeltlager gewohnt und tagsüber Bunker gebaut, die die Grenze sichern sollten.
Am 1.September wurden wir etwa um 4.00 Uhr früh geweckt und standen in Kolonnen marschbereit, als von Westen Flieger erschienen. Uns schien, es waren keine Kampfflugzeuge. Sahen sie doch wie normale zivile Flugzeuge aus. Aber als wir schon außerhalb des Zeltlagers waren, wurde aus den Flugzeugen mit Maschinengewehren auf unsere Zelte geschossen. Wir gingen in Deckung, und uns wurde klar ....... ohne Kriegserklärung haben wir den Krieg. Die noch nassen Betonbunker waren noch unbewaffnet. Wir hatten keine Waffen. Nur unsere Spaten blinkten in der Sonne und zeigten den feindlichen Fliegern, wo wir gerade waren. Noch öfters mußten wir Deckung nehmen, weil unsere Kolonne angegriffen wurde. Nicht nur wir wurden angegriffen, sondern auch die Getreidegarben auf den Feldern, die wie Soldaten in Reih €˜ und Glied standen. Auf alles, was sich bewegte, wurde geschossen. Angegriffene Dörfer, Brände und Zivilisten auf der Flucht, waren die ersten Zeugnisse des Terrorkrieges. Das war der Anfang.
2.2 Fast beleidigt
Unsere Kolonne marschierte und wir trugen den Spaten auf der Schulter. Weil wir wie Soldaten aussahen, griffen uns die Flieger einige Male an. Ununterbrochen marschierten wir durch kleine Dörfer und näherten uns schließlich einer Stadt. In Erinnerung blieb mir der Name Katowice. Wir waren wohl in einer Vorstadt von Katowice. Manche hatten Durst und junge Mädchen reichten uns Wasser in Flaschen oder Töpfen. Andere hatten belegte Brote, aber wir hatten keinen Hunger.
Unter den Mädchen waren auch welche in Pfadfinderuniform. Als ich sah, daß sie Zigaretten verteilen, fühlte ich mich fast beleidigt. Pfadfinder rauchen nicht, und die Pfadfinderinnen haben nichts besseres zu tun, als Zigaretten zu verteilen!? Der Stolz fehlte mir noch nicht, und ich habe keine Zigaretten angenommen. Ich sagte sogar: „Ich bin Pfadfinder!”. Da bekam eben mein Nachbar in der Kolonne eine doppelte Portion. Doch die Erlebnisse während des Marsches waren so vielfältig, daß ich bald vergaß, beleidigt zu sein.
Unterwegs haben uns die Menschen gefragt, wo die Front steht und ob die Hitlerarmee zurückgeschlagen würde. Doch, was sollten wir antworten? Wir wußten es ja auch nicht. Wir marschierten weiter. Viele fragten, wann es erlaubt werde, die Spaten wegzuwerfen und wann wir richtige Waffen in die Hände bekämen. Aber sie erhielten keine Antwort.
2.3 Gefangenschaft
Mir gelang es erst in Luck, ganz weit an der damaligen polnischsowjetischen Grenze, mich als Freiwilliger zu melden. Von Luck aus fuhren wir in einer Militär-Kolonne in Richtung rumänischer Grenze, weil die Hitler-Armee immer näher kam. Bei Winniki, in der Nähe von Lemberg, wurde unsere Kolonne von sowjetischen Tanks eingekreist. Wir mussten unsere Fahrzeuge verlassen und zwei Tage und Nächte auf einer Wiese verbringen, nachdem die Offiziere, Unteroffiziere und Kraftfahrer aussortiert und abgeführt worden waren. Niemand kümmerte sich um uns. Dann kam ein Russe auf einem Pferd und sagte uns, dass wir in das nächste Dorf gehen, dies aber nicht verlassen dürften. Ich bin durch die Dorfstraße gegangen und sah einen alten Juden. Zu ihm habe ich gesagt: „Ich habe Durst, ich möchte Sie bitten um ein bisschen Wasser.” Er antwortete: „Kommen Sie, kommen sie mal rein.” Dann hat er mir Milch gebracht und ein Stück Brot. Und dann sagte er: „Wenn Sie müde sind, können Sie in meinen Schuppen gehen, da gibt es genug Heu, da können Sie sich hinlegen und schlafen.” So habe ich es auch gemacht. Am nächsten Tag wurden wir aus der Gefangenschaft entlassen, und ich durfte nach Hause gehen. Auf Schleichwegen kam ich wieder nach Lancut.
2.4 Erst heute .......
Die Wehrmachtspatrouille ging wieder weg, und trotzdem war ich nicht sicher, ob ich nicht auf eine andere Gefahr stoße. Langsam und leise bewegte ich mich weiter. Da sah ich von weitem mein Elternhaus. Hier konnte mir nichts passieren. Hier kannte ich jeden Garten, jeden Busch. Doch plötzlich sah ich, daß an der Ecke unseres Hauses jemand stand. Wer konnte das sein? Bestimmt kein Soldat, kein Polizist. Ich schlich näher und hatte ja immer noch die Möglichkeit, im Garten zu verschwinden. Immer näher kam ich, fast auf Zehenspitzen. Da erkannte ich, daß meine Mutter vor dem Haus stand. „Mutti! Was machst du hier?” „Ich warte auf dich!”, war ihre Antwort. Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie die Begrüßung ausgeschaut hat.
Der Vater hat bei der Begrüßung nicht geweint, aber seine Augen waren leuchtend und feucht .... wir waren sehr glücklich. Die Mutter ging in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen. Da nutzte ich die Gelegenheit, meinen Vater zu fragen, ob die Mutter jeden Abend auf mich gewartet hat. „Nein”, sagte er. Aber heute sei sie nervös gewesen und vor einer halben Stunde aufgestanden. Sie habe gesagt: „Heute kommt der Tadek, und ich gehe ihm entgegen.” „Es ist doch Polizeistunde”, habe er gesagt. Aber sie hat geantwortet, vor dem Haus könne ihr nichts passieren, habe den Mantel genommen und sei vor das Haus gegangen. „Erst heute sagte sie, daß du kommst.” Erst heute ........ ?
2.5 Briefmarkensammler Ortskommandant
Bücher könnte man schreiben, um die Geschichte der Stadt Lancut zu schildern - wie die Juden vertrieben wurden, wie man die Lehrer eingesperrt hat, wie unruhig die Jugend war, weil sie ihren Patriotismus nur im offenen Kampf beweisen wollte, wie der Terror gewachsen ist. Von Tag zu Tag konnte man deutlicher sehen, wozu die Nazis imstande waren. Aber bis zu einem bestimmten Tag habe ich mit diesen Deutschen keinen unmittelbaren Kontakt gehabt.Es muß Anfang des Jahres 1940 gewesen sein, als ich von der Stadtverwaltung die Nachricht erhielt, ich solle mich beim Stadtkommandanten melden. Diese Nachricht mußte ich unterschreiben, und sie wurde mir wieder abgenommen. „Was soll das?” Der Sekretär der Stadtverwaltung, damals war das noch ein Pole, wußte nicht, um was es geht. Er glaubte, daß der Ortskommandant vielleicht einen Dolmetscher brauche und erfahren habe, daß ich deutsch verstehe ..... oder ..... ? Interessant war, daß ich mich nicht in der Kommandantur, sondern in seiner Wohnung melden sollte. Die Familie, bei der er Quartier hatte, war anständig, hatte Verwandte in Wien. Auch der Ortskommandant stammte aus Österreich.
Am nächsten Tag entschloß ich mich voll Angst, doch zum Ortskommandanten zu gehen. Ich klingelte. Die Hauswirtin ließ mich nach einer Weile in den Flur, wo ich warten sollte. „Kommen Sie rein!”, hörte ich plötzlich. „Sie” wurde gesagt; vielleicht kam ja doch nichts Schlimmeres hinterher? Das Gespräch war kurz. „Ich hörte, Sie sind Philatelist. Was sammeln Sie?” „Nur Polnische, die ich zufällig finde.” „Haben sie ganze Sätze? Eine vollständige Sammlung? Auch Doppelte?” „Nein. Ich habe nur einige; denn für alle fehlte mir als Schüler das Geld.” „Ach so. Da wurde ich falsch informiert. Sie können gehen. Danke. Auf Wiedersehen.” Doch ich war schon draußen. Mir stand der Schweiß auf der Stirn, die Nerven entspannten sich. Solch eine harmlose Einladung - welch starkes Erlebnis.
2.6 Ein „Schwabe” aus Kalinow
Es war niemand zu Hause, als ein junger Mann kam und nach uns fragte. Dem Nachbarn sagte er, daß er ein Deutscher aus Kalinow sei. Der Nachbar wollte es gar nicht glauben, weil er so gut polnisch sprach. Der Fremde erzählte auch, daß alle jungen Deutschen in ein Umschulungslager bei Lodz kommen sollen, bevor dann die ganzen Familien aus Kalinow ins Reich umgesiedelt würden. Er selbst versuche, in Krakow Arbeit zu finden, weil er nicht in das Umschulungslager gehen wolle. In Krakow habe er studiert, habe dort auch Freunde. Aber das seien Polen. Wer weiß, ob sie ihm helfen könnten. Noch immer frage ich mich, wer von meinen Schulkameraden das gewesen sein könnte und was wohl auch ihm geworden ist.
2.6 Geisel!
Auch für mich ist es wichtig gewesen, eine Arbeit und die richtigen Papiere zu haben. Zuerst habe ich kurzfristige Arbeiten bekommen. Dann habe ich als Zeichner bei einem Landvermesser gearbeitet, der für die gräfliche Gutsverwaltung landwirtschaftliche Pläne machte. Meinen Arbeitsplatz habe ich direkt im Schloß des Grafen Potocki in Lancut gehabt. Eine Bescheinigung hatte ich auch und auch einen Passierschein, weil am Eingang des Schlosses Soldaten der Wehrmacht Wache standen. In einem Teil des Schlosses war nämlich ein Wehrmachts-Stab untergebracht. Ich fühlte mich fast sicher. Meine Papiere waren in Ordnung, und nach den Papieren wurden die Menschen eingeschätzt. Eines Tages habe ich ein Plakat gelesen. In Lancut war der Mast einer Antenne des Kurzwellensenders beschädigt worden, und, falls die Täter nicht gefunden würden, wollte man Geiseln nehmen und sie für die Tat verantwortlich machen. Glücklicherweise wurde dann festgestellt, dass es kein Sabotageakt gewesen war, und es ist nichts weiter passiert. Diese Plakat war „so logisch”, dass ich es von der Mauer abgerissen und mir als Andenken mitgenommen habe. Heute befindet sich das Plakat im Archiv der Gedenkstätte Auschwitz. Ende April 1941 bekam ich ein Schreiben der Stadtverwaltung von Landshut (Lancut) mit der Mitteilung, daß ich eine dieser Geiseln sei. Sollte etwas in der Stadt passieren, würden die Geiseln verhaftet ..... und verurteilt als Verantwortliche der Taten unbekannter Täter. Ein bisschen Angst habe ich da schon bekommen, denn den Besetzern traute man immer und überall etwas Böses zu. Glücklicherweise ist in der nächsten Zeit in Lancut nichts passiert. Als Geisel wurde ich deshalb nicht verhaftet.
3. IN DER GEWALT DER DEUTSCHEN
3.1 Nicht als Geisel ..... als Pfadfinder
Der 2. Mai 1941 war ein schöner Tag. Schon am 1. Mai hatten die deutschen Besatzungsbehörden Alarmbereitschaft; denn am Tag der Arbeit konnten ja von den Arbeitern Unruhen ausgehen. Und auch der 3. Mai, der polnische Nationalfeiertag, gab den Deutschen Anlaß zu Sorgen. Also wurde die Alarmbereitschaft verlängert. Man sah mehr Soldaten und verdächtige Zivilisten auf den Straßen als sonst. Als ich am 2.Mai von einer kurzen Reise an meinen Arbeitsplatz zurückkam, erzählte mir der Portier Anton, daß zwei Herren nach mir gefragt hätten ..... verdächtige Herren. Ich ging in mein Zimmer. Kurz danach ging die Tür auf und die beiden kamen direkt auf mich zu. „Sie heißen Szymanski?” ”Jawohl!” „Los, komm mit!”. Sie duzten mich, obwohl sie sich nicht zu meinen Freunden rechnen konnten.
Bald saß ich in einem Kübelwagen, bewacht von den beiden. Auf dem Fahrersitz saß noch ein Dritter. Vom schönen Schloß in Lancut ging es nun in das frühere Schloß eines anderen Grafen. Vom Potocki in Lancut zum Lubomirski in Rzeszow. Dessen Schloß war inzwischen „Reichshof” und wurde als Gefängnis genutzt. Übrigens durfte ich später auch noch ein drittes Schloß „besuchen”, das Schloß Montelupich in Krakow. Doch davon ein ander Mal mehr.
Ich war froh, daß gesehen worden war, wer mich verhaftet hatte, und daß ich überhaupt abtransportiert worden war. Denn manchmal verschwand ein Mensch und niemand erfuhr etwas. Nicht immer mußte das ein „NN-Fall” sein. Manche verschwanden bei Nacht und Nebel für die Dauer des Krieges und kehrten nach dem Krieg heim. Viele verschwanden aber für immer. Ich jedenfalls war schnell in einer Zelle und konnte kaum glauben, daß es ohne Fußtritte und Ohrfeigen abgegangen war.
Im Gefängnis hat man mir alles weggenommen außer meinem Anzug. Dann kam ich in eine Zelle und wurde von den anderen Insassen nur gefragt, von wo ich bin. Dann hatte ich meine Ruhe. Aber ich wollte natürlich auch wissen, wer sie sind und von woher sie kommen. Andererseits wusste ich, dass in den Zellen Spitzel sein können. Deshalb habe ich mir die anderen angeschaut. Keiner sah aus wie ein Spitzel, einer schien es wert zu sein, dass man ihm vertraut. In einer Ecke fragte ich ihn, woher er stammt. Darauf sagte er mir viel mehr, als ich erwartet hatte. Er, Wladek, war als Pfadfinder verhaftet und schon vernommen worden. Bei der Vernehmung hatte man ihm Fotos gezeigt, auf denen er andere Pfadfinder identifizieren sollte. Da er wusste, dass der „Baca” schon inhaftiert war, hat er den erkannt. Dann zeigte man ihm einen anderen und fragte. Dabei wurde er geschlagen. Schließlich sagte man ihm, dass der Kret auch da sei. Andere hat er wirklich nicht gekannt. Als ich später vernommen wurde, habe ich mich genauso verhalten. So war es Glück, dass man mich mit Wladek in eine Zelle gesteckt hatte, und der Wladek hat mir sehr geholfen.
Vom ehemaligen Schloß des Grafen Lubomirski in die Jagiellonenstraße war es gar nicht so weit. Eines Tages ging die Zellentür auf und ich hörte meinen Namen. Ich trat heraus, und die Tür wurde wieder verriegelt. Der Wächter fragte mich noch einmal nach meinem Namen, tastete mich am ganzen Körper ab und zeigte dann einem Zivilisten, daß ich „marschbereit” sei. Los ging €™s. Eine Tür ging auf und wurde hinter uns wieder verschlossen, eine zweite, und wir waren am Gefängnistor. „Mein Zivilist” nannte in gutem Polnisch meinen Namen. Er muß polnisch können, dachte ich mir, und das bestätigte sich auch sofort. Noch am Gefängnistor sagte er: „Poczekoj!” - warte mal. Danach zog er eine Pistole aus der Tasche und zeigte sie mir: „Jo strzelom dobrze. Pieronie! Nie probuj glupot, bo cie zastrzela!” - Ich schieße gut. Pieronie! Mach keine Dummheiten, sonst schieße ich dich nieder. Ja, das mußte ein Schlesier sein mit seinem „Pieronie”. Und man muß auch sagen, er entsprach dem deutschen Ideal mehr als Hitler, Göbbels oder Göring. Er war groß, schlank und blond. Nur in die Augen wollte ich ihm lieber nicht schauen. Aber vielleicht waren die auch blauer als die der zuvor genannten Herren.
Wir gingen einige hundert Meter auf öffentlichen Straßen. Die Menschen gingen neben uns und mein Bewacher kaum einen Schritt hinter mir. Nur einmal sagte er „rechts”, und bald waren wir an der Tür des Gestapo-Gebäudes. Mein Zivilist übergab mich an einen Uniformierten. Und dann fing die Vernehmung an. Die Personalien stimmten, aber meine Antworten gefielen dem Uniformierten wohl nicht. Jedenfalls öffnete er eine Schublade und zeigte mir seine Pistole, Peitschen und eine Kette, machte aber von diesen Dingen keinen Gebrauch. Es genügten ihm seine Hände und Füße. Ob sie menschlich waren? Jedenfalls konnte mich mein Zivilist in der Dämmerung wieder in das Gefängnis zurückführen. Unterwegs sagte er nur: ”Ihr dummen Pollacken” und kein Wort mehr. Im Gefängnis wurde ihm bestätigt, daß er mich abgeliefert hatte.In der Zelle brauchte ich keinen Verband. Aber ein Lappen, der naß und kalt war, brachte mir große Erleichterung. Ich hatte Glück gehabt. Ich habe auch jemanden gesehen, der auf einer Bahre in seine Zelle gebracht und wie ein Sack hineingeworfen wurde.
In das Gefängnis in Rzeszow habe ich auch Briefe bekommen, legal und illegal. Meine Familie versuchte, mich herauszubekommen, aber es ist nicht gelungen. Als eine Woche nach meiner Verhaftung mein älterer Bruder starb, erfuhr ich dies erst nach einigen Tagen. Von unserer Zelle konnte man in die Kastanienallee schauen, die etwa einhundert Meter vom Gebäude entfernt lag. Eines Tages sah ich dort meinen Vater. Ich durfte nicht rufen, ich konnte nur winken, aber mein Vater sah mich. Dann ertönten auf einmal die Sirenen, und es gab Fliegeralarm. Sofort kamen Polizei und Gendarmerie und brachte alle Menschen weg. Zwei Tage habe ich befürchtet, dass die Gendarmerie meinen Vater verhaftet haben könnte. Dann aber kam die glückliche Nachricht, dass die Zivilisten nur von der Kastanienallee vertrieben worden waren. Das passierte an dem Tage, an dem die Wehrmacht die Sowjetunion überfiel.
3.2 Die Hände sind stärker als die Beine
Eine Erfahrung aus dem Gefängnis Rzeszow ..... etwa zwei Wochen nach der Einlieferung.Jeden zweiten oder dritten Tag wurden wir Häftlinge in einen Hof geführt, wo wir etwa eine Viertelstunde spazieren gehen durften. Wie freuten wir uns darauf! Nur der Rückweg machte einige Schwierigkeiten. Mußten wir doch drei oder vier Treppen überwinden. Auf dem ebenen Hof haben uns die Beine noch getragen, aber nach oben versagten die Kräfte. Doch das durfte niemand vom Gefängnispersonal merken. So haben wir das Geländer angefaßt und uns hochgezogen, Fuß um Fuß auf die nächste Stufe gestellt. Die Hände haben geholfen, und der Posten auf dem Turm konnte nicht sehen, wie schwach wir schon waren.
3.3 Arbeit macht frei?
Wir waren acht oder neun in der Zelle, und man war nie sicher, ob die Gestapo nicht einen V-Mann, oder besser gesagt, einen Spitzel darunter hatte. Die meisten saßen schweigend in einer Ecke oder gingen unruhig von einer Ecke in die andere. Die Nervenanspannung war groß. Wir hatten nichts zu tun, nur die Gedanken nahmen uns die Ruhe. „Wenn doch etwas passieren würde, ich halte es nicht mehr aus”, sagte der Raucher. Ein Nikotinsüchtiger ist eben besonders unruhig. Dann kam eines Tages die Abwechslung. In unsere Zelle wurden zugeschnittenes Papier, ein Topf mit Leim und einige Pinsel gebracht. Uns wurde gezeigt, wie wir das Papier falten sollen und wie daraus Briefumschläge geklebt werden. Die Arbeit wurde verteilt und lief wie am Fließband. Für zwei von uns war kein Platz an dem kleinen Tisch. Deshalb wechselten wir uns ab: zwei waren immer „arbeitslos”, und die anderen arbeiteten. Der vorher so unruhige Raucher dirigierte während der Arbeit, und schließlich hörten wir sogar, wie er leise sang. Wir waren glücklich, und das scheinbare „Glück” hatte uns die Arbeit gegeben. Arbeit macht nicht frei, aber „glücklich".
3.4 Von Rzeszow nach Montelupich
„Aufsteigen! Ruhe!”. Auf dem Hof des Gefängnisses in Rzeszow dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis die Kolonne endlich losfuhr. Vorne weg ein Motorrad mit Beiwagen. Im Beiwagen ein SS-Mann mit schußbereiter Maschinenpistole. Dann zwei Militär-Lkw €™s mit Häftlingen. Und zum Schluß wieder ein Motorrad. Unterwegs blieben die Menschen stehen und schauten dem Konvoi nach. Bald wußte die ganze Stadt, daß heute vom Gefängnis ein Transport abgegangen war.
„Jungs, es geht los”, hatte der SS-Mann ganz freundlich gesagt, aber wir wußten nicht, wohin. Die Plane war ziemlich dicht, aber ein bißchen konnte man doch sehen. Einer sagte leise: „Wir fahren durch Tarnow.” Aber es ging weiter, und schon waren wir in Bochnia. Fuhren wir vielleicht in das Gefängnis von Wisnicz? Dabei hatte ich doch gedacht, wir würden eher in Tarnow bleiben. Nein, es ging weiter, weiter Richtung Krakow. Da sagte der „Baca”: „Wir sind am Altersheim Helclow”. Das Auto blieb stehen, die SS-Männer wurden eifriger. „Ruhe!” Dann hörte ich den Wasowicz aus Krakau „Montelupich” sagen.
Wir waren also in dem berüchtigten Gestapo-Gefängnis. In Rzeszow hatte ich die Zelle Nummer 43 gehabt. In Montelupich stieg ich auf in Zelle Nummer 145. Es war eine ziemlich große Zelle, und da traf ich mehrere Freunde. Es waren auch Pfadfinder, die in Rzeszow und Umgebung verhaftet worden waren. Jetzt waren wir fast alle zusammen. Da es lauter „eigene” waren, konnten wir offen reden; uns erzählen, wie es während der Vernehmungen gewesen war, wen sie nicht bekommen hatten, weil ihn niemand verraten hatte usw. usw.
Von unserer Zelle aus konnten wir sehen, was auf dem Hof passierte. Jeden Donnerstag sahen wir zwei schwarz gekleidete Personen, die Pakete für uns abgaben. Es waren Vertreter der Rada Opiekuncza. Auch lag auf dem Hof ein Kokshaufen. Wenn am Sonntag schönes Wetter war, holten SS-Leute die Juden aus den Zellen und ließen sie „Sport” machen. Mal war es der „Siwek”, „der Graue”, mal „der Bialy”, „der Weiße”. Letzterer wurde in unserer Zelle so genannt, weil er weißhaarig war und gerne eine weiße Jacke trug. Die Juden mußten sich dann barfuß und ohne Hemden auf dem Koks hinlegen, sich rollen, aufstehen, Kniebeugen machen, sich wieder rollen und so fort, bis sie nicht mehr konnten. Dann standen sie eine Weile in einer Kolonne und mußten immer wiederholen: „Wir Juden sind schuldig an allem Unglück der Welt und, daß dafür das kostbare deutsche Blut vergossen werden mußte.” Dann schrie der SS-Mann: „Lauter!”. Und bei der nächsten Wiederholung schrie er: „Noch lauter!”. Das dauerte dann solange, wie es ihm Spaß machte. Einmal haben wir den „Weißen” auch in unserer Zelle erlebt. Wir mußten „Wojenko, wojenko, cozes Ty za Pani” singen, ein polnisches Lied, das die Soldaten gerne sangen. Dabei machte er es mit uns wie mit den Juden. Wir mußten lauter und lauter singen, bis wir geschrien haben. Was mögen da wohl die Polen gedacht haben, die draußen vorübergingen und das hörten?
Manchmal konnte man sich auch krank melden und wurde dann zu einem polnischen Häftling geführt, der Arzt war. Er hatte die Möglichkeit, Informationen aus dem Gefängnis zu schmuggeln.
In Polen lebte ein berühmter Skispringer. Wenn man ihn nach dem Kriege fragte, welches sein bester Sprung gewesen sei, hat er immer gesagt, der vom Fenster des Gefängnisses Monte Lupich über die Mauer direkt in die Freiheit. Diesen Sprung habe ich aber persönlich nicht miterlebt.
4. I n A u s c h w i t z
4.1 Vom „Monte” ins „KL Au”
Erst kamen wir in die Transportzelle, danach wurden wir kontrolliert und registriert und dann fuhren wir von Krakow nach Oswiecim. Der Transport bestand aus zwei Lastwagen. Vor und hinter uns fuhren SS-Männer mit schussbereiten Maschinenpistolen auf Motorrädern. In jedem Wagen saßen noch zwei SS-Männer. Mit uns fuhr ein Häftling, der schon in Auschwitz gewesen war und jetzt zurückkehrte. Wir stellten ihm viele Fragen, er antwortete aber nur, „das werdet ihr bald erfahren”. Erst später haben wir das verstanden. Obwohl wir dabei vom General-Gouvernement ins Reich gefahren sind, wurde unsere Kolonne an der Grenze nicht angehalten. Das Konzentrationslager Auschwitz „bewohnten” damals fast nur Polen, und die Umgebung bewohnten „fanatische Polen”, wie Lagerkommandant Höß dem Reichsführer SS nach der Flucht eines polnischen Häftlings meldete.
Am 12.August 1941 standen wir um die Mittagsstunde neben der Blockführerstube gegenüber dem Tor „Arbeit macht frei”. Viele haben es geschildert, wie man im Lager „empfangen” wurde, wie man registriert und dann gedrillt wurde. Sechs Schritte vor dem Herrenmenschen musste man die Speckdeckel-Mütze abnehmen, und erst drei Schritte hinter ihm durfte man sie wieder aufsetzen. Sogar der kriminelle Häftlings-Lagerälteste Bruno oder auch der Leo waren zufrieden, wenn man vor ihnen die Mütze abnahm. Vor jedem Blockältesten (auch ein Häftling, meist ein krimineller) musste man stramm stehen .. ohne Mütze, besonders wenn man ein sogenannter Zugang war. Nur die alten Nummern waren schon frecher und nicht mehr so ängstlich und gehorsam.
So wurde ich am ersten Tag eine „20034”, und diese Nummer sollte von nun an meinen Namen ersetzen. Ein politischer Pole hatte über oder neben dieser Nummer ein rotes Dreieck mit dem Buchstaben „P”; Kriminelle waren „die Grünen” , Asoziale „die Schwarzen” und so weiter. Auf dem roten Dreieck sollte das „P” schwarz geschrieben sein. Viele politische, polnische Häftlinge haben jedoch ein weißes „P” gemalt, weil doch das polnische Staatswappen einen weißen Adler auf rotem Grund zeigt und weil die polnischen Nationalfarben weiß und rot sind. Das ist den SS-Männern nie aufgefallen, aber es machte Freude. Doch es wäre eine kurze Freude gewesen, wenn es die Lagerbehörden bemerkt hätten.
Mein tschechischer Freund Tonik, der als Mitglied der Organisation „Sokol” verhaftet worden war, erzählte mir, dass die tschechischen, politischen Häftlinge auf dem roten Winkel einmal den Buchstaben „C” trugen, als den ersten Buchstaben des Wortes Ceskoslowensko; vorgeschrieben war aber der Buchstabe „T” für Tschechoslowakei, weil doch deutsch die Amtssprache war. Nur merkte es der Blockführer und untersagte streng die Eigenmächtigkeit. Ganz anders war es da aber im Fall der Briefe, die die tschechischen Häftlinge an ihre Familien sandten oder von der Familie bekamen. Da durfte nicht „Tschechoslowakei” sondern nur „Protektorat” geschrieben werden. Sonst konnte der SS-Mann von der Häftlings-Postzensurstelle den Brief vernichten.
Ordnung musste sein. Und von der Einlieferung bis zur Überstellung oder bis zum Tod, wurde der neue Name auf vielen Formularen geführt. Die Menschen, die ins Vernichtungslager eingeliefert wurden, wie die Juden im Rahmen der „Endlösung”, wurden nicht registriert. Im Gegenteil, jede Spur von ihnen sollte verwischt werden. Ja, in Auschwitz hat man den Häftlingen, außer den Deutschen, die Nummern eintätowiert. Ja, in Auschwitz-Birkenau gab es auch Kinder, an denen man medizinische Experimente durchführte. Ja, der angeblich nicht mehr lebende Dr.Mengele ist heute noch dafür bekannt.
So viel wurde über Auschwitz geschrieben, fast in jedem Land. In Deutschland haben sogar ehemalige SS-Männer über die „Auschwitz-Lüge” geschrieben. Nur gut, dass nicht alle Häftlinge ermordet und nicht alle Dokumente verbrannt wurden, so gibt es genug Beweise.
4.2 Zäune und Mauern
Der Stacheldrahtzaun aller Konzentrationslager sah ähnlich aus. Manchmal lag der Unterschied darin, daß es Holzpfeiler wie in Majdanek gab oder Betonpfeiler wie in Auschwitz, Birkenau, Buchenwald und Sachsenhausen. Wenn die Umzäunung mit einer Mauer versehen wurde, gab es besondere Gründe. Im Stammlager Auschwitz I stand außer dem Stacheldrahtzaun eine Mauer entlang der öffentlichen Straße, die von Zivilisten passiert werden durfte. Durch Mauern wurde auch der Hof zwischen dem Block 10 und dem Todesblock 11 abgeschirmt, damit man nicht sehen konnte, was vor der schwarzen Wand des Todesblocks 11 passiert.
Im Kriege durften die Polen kein Radio haben. Das war auch eine Art „Abdichtung”. Nicht jeder konnte die Schüsse bei den Exekutionen vor der Todeswand hören. Und nicht jeder hatte den Mut, sich ein Radio illegal zu besorgen und „Bum-Bum-Bum” abzuhören - die Nachrichten in polnischer Sprache von BBC London. Das Abhören der feindlichen Sender wurde streng verfolgt.
Gleichzeitig gab es einen Abhördienst, der sorgfältig notierte, worüber die feindlichen Sender berichtet haben. In deutschen Archiven gibt es Dokumente des Abhördienstes. Man liest da, dass im Jahre 1944 feindliche Sender über Massentransporte von Juden berichtet haben, von Juden, die in Auschwitz massenweise vergast wurden. Für diese Stimmen hat es keine Mauern gegeben. Wer wollte, konnte es hören.
4.3 Das verkehrte B
Jahrelang hätte ich es sehen müssen, aber ich habe es nicht gesehen. Genau so haben es Tausende von Häftlingen nicht gesehen, die durch das berühmte Tor „Arbeit macht frei” des Stammlagers Auschwitz I zur Arbeit geführt wurden oder von der Arbeit zurückkamen. Sogar nach dem Kriege gingen Millionen Besucher durch dieses Tor, um die Gedenkstätte zu besuchen, und sahen es nicht. Man wusste, dass der in Dachau geschulte Lagerkommandant das Tor von Dachau nachahmen wollte und dass die Inschrift in der Häftlingsschlosserei hergestellt worden war. Dort hatte man das B verkehrt herum eingeschweißt. Selbst Lagerkommandant Höß und die anderen SS-Männr haben es nicht bemerkt, denn sonst hätten es die Häftlinge von der Schlosserei zu spüren bekommen. Niemand hat es bemerkt; es ist eben normal, dass man nicht sieht, was man ständig anschaut. Kannst Du zum Beispiel Deine Armbanduhr genau beschreiben?
Erst fünfzehn oder zwanzig Jahre nach der Befreiung des Lagers traf ich in der Gedenkstätte den Schreiber des Kommandos Schlosserei. Als wir an der Blockführerstube vor dem Tor standen, machte er mich auf das verkehrte B aufmerksam. „Das haben wir bewusst so gemacht, und das hat uns gefreut. Als die Inschrift am Tor befestigt wurde, haben manche von uns Angst bekommen .... wenn das die SS erfährt!! Als unser Kommando durch das Tor marschierte, haben wir gar nicht hingeschaut. Wir haben den Blockführer beobachtet und waren beruhigt, dass er nichts gemerkt hatte. Da wuchs unserer Schadenfreude. Und so war unsere Einstellung im Lager, wo möglich, wenn auch bei ganz kleinen Sachen, etwas falsch machen.” Hätte es die SS erfahren, es hätte sich nicht gelohnt.
4.4 Der „Bumbo”
Am Tor „Arbeit macht frei” des Stammlagers Auschwitz stand ein kleiner Häftling als Pförtner, Bumbo. E s war ein polnischer politischer Häftling, ein Zwerg, von Beruf soll er Zirkusclown gewesen sein. Als griechische Transporte nach Auschwitz kamen, hat die SS ihm einen Helfer zugeteilt. Neben dem kleinen Bumbo stand nun ein griechischer Jude mit 2,18 Meter Größe. Dieser Kontrast hat den SS-Männern viel Spaß gemacht; aber nicht all zu lange, weil der junge Grieche bald starb. Häftlinge, die Bumbo nicht verstanden haben, glaubten, er sei so eifrig, um Vergünstigungen zu erhalten. Doch die Sache lag anders.
Beim Einmarsch der Arbeitskommandos schrie Bumbo manchmal sehr laut und versuchte, die SS-Männer bei der Kontrolle zu ersetzen. Er machte das auf eine so komische Art, dass ihm manche SS-Männer dies erlaubten. Wenn er bei einem Häftling etwas aufgespürt hatte, schrie er noch lauter, um die SS-Leute zu beruhigen und zu überzeugen, dass er gründlich „gefilzt” hatte. Wir Häftlinge von dem Kommando „Gärtnerei Rajsko” aber wussten, wenn der Bumbo sehr laut schreit, dass es eine verschärfte Kontrolle gibt. Häftlinge, die eine Kartoffel oder eine Zwiebel ins Lager schmuggeln wollten, konnten dann diese Produkte fallen lassen, bevor sie an das Tor kamen. Kam ein SS-Mann ins Lager, schrie er „Achtung”. Das war eine Warnung für Häftlinge, die sich auf der Lagerstraße befanden. Aber er schrie auch „Achtung”, wenn kein Häftling in der Nähe war. Das war dann eine Warnung für die Häftlinge in der Schreibstube in Block 24. Je lauter der Bumbo schrie, desto gefährlicher der SS-Mann, der kam. Ganz ernst war die Stimme, wenn der Boger oder Rapportführer Palitzsch kamen, laut, aber lustiger war die Stimme, wenn jemand wie der Kaduk ins Lager kam. Kaduk war stolz darauf, dass er durch das laute „Achtung” geehrt wurde.
Das alles musste man wissen, um die Rolle von Bumbo richtig einzuschätzen und ihm gerecht zu werden. Nicht alle haben sie richtig eingeschätzt, und das ist bedauerlich.
4.5. Wie man in Auschwitz grüßte
Diese Frage habe ich mir oft gestellt und konnte die Antwort nur schwer finden. Meine besten Freunde im Lager waren die polnischen Pfadfinder, aber im Lager haben wir den Pfadfindergruß nicht benutzt. „Czuwaj” bedeutet in wörtliche Übersetzung „Wache”, „Sei wachsam”, „Sei vorsichtig!” Es wäre zu gefährlich gewesen, diesen Gruß zu verwenden. Wenn ich mich richtig erinnere, sagten wir eher „Czesc”, was zu vergleichen wäre mit „Habe die Ehre”. Die Österreicher grüßten sich mit dem Wort „Servus”, was aus dem Lateinischen kommt und wörtlich „Sklave” heißt. Gemeint war damit, ich bin dein Diener, ich bin bereit , dir zu dienen.
Wie sich die Häftlinge sonst grüßten, weiß ich nicht mehr. Anstatt des Grußes kam wohl oft die Frage: „Wie geht €™s?” Eine Antwort wurde kaum erwartet, höchstens unter Freunden. Ihnen gegenüber konnte man ehrlich sein. Aber den Lieben, der Familie musste man in Lagerbriefen schreiben. „Ich bin gesund, und es geht mir gut.”
Die SS-Männer grüßten sich mit dem „deutschen Gruß”, aber wohl nur bei dienstlichen Begegnungen, auch in Anwesenheit eines Häftlings. Wie sie sich inoffiziell grüßten, habe ich nicht feststellen können. Diese Herrenmenschen musste ein einfacher Häftling durch Abnehmen der Mütze sechs Schritte vor dem Herrn grüßen.
Es gab auch noch eine mittlere Klasse im Lager, manche Funktionshäftlinge. Dies waren alle Lagerältesten, manche Blockältesten und Kapos, vor allem, wenn es Reichsdeutsche waren. Diese haben erwartet, dass man sie grüßt wie die Herrenmenschen, die SS-Männer. Man musste auch vor ihnen die Mütze abnehmen. Um dieses Grüßen zu vermeiden , sind ihnen Häftlinge manchmal aus dem Weg gegangen. Wehe, wenn der Funktionshäftling diese Absicht durchschaut hat.
4.6. Jawohl
Nach der Einlieferung in Auschwitz wurden die Häftlinge gedrillt. Zuerst brachte man ihnen bei, wie man vor den SS-Männern die Mütze abzunehmen hatte. Dann lernten sie, im Gleichschritt marschieren, singen und vor allem gehorsam zu sein. Dazu gehörte, dass man nach jedem erhaltenen Befehl „jawohl” sagen und den Befehl schnell ausführen musste.
Ein polnischer Kunstmaler, Gorale aus Zakopane, verstand zwar kein Deutsch, aber das Wort „jawohl” hat ihm ständig geholfen. Rief der Chef Hofmann: „Nase!”, schrie Tadeusz Myskowski: „jawohl” und wartete, bis ihm die Kameraden gesagt hatten, um was es ging; und danach schrie er noch mal „jawohl” und führte den Befehl aus. Es passierte aber einmal, dass niemand von den Kameraden in der Nähe war, als der Hofmann dem Nase einen Befehl gab. Der Nase schrie: „jawohl” und wusste nicht, um was es geht. Da schaute ihn der Chef an und fragte: ” Verstehst du mich?” Nase sagte: „jawohl”, aber es war niemand da, der ihm helfen konnte. Nase stand stramm und wiederholte noch einmal: „jawohl.” Darauf sagte Hofmann: „Du bist ein Idiot.” Auch diesmal war die Antwort des Häftlings „jawohl.” Von da an ließ man ihn auch bei Gesprächen Hofmanns mit anderen SS-Männern anwesend sein. Nur verstand er immerhin so viel, dass er mitbekam, wovon die Rede war.
4.7. Falsch - Richtig
Der Häftling wusste nie, was falsch oder richtig ist. Denn das, was ein SS-Mann geduldet hatte, konnte für einen anderen unerträglich sein, und der reagierte dann sofort und hart. Außer dem, was auf dem Formular des Lagerbriefes gedruckt war, habe ich in Auschwitz, Groß Rosen oder Buchenwald keine andere „Lagerordnung” gesehen. Die SS-Männer, manche Blockältesten und Kapos haben die Häftlinge belehrt, und das hat meistens weh getan. Einfacher hatten es die SS-Männer, denn sie hatten ein Schulungsheft, in dem Zeichnungen erklärten, was falsch und was richtig war. Wie in einem Kindergarten lernten sie durch Zeichnungen, denn nicht jeder war der deutschen Sprache mächtig. Die Zeichnungen wurden von Häftlingen in Lithosteine eingeritzt und dann in der Lagerdruckerei gedruckt und gebunden.
4.8. Wegweiser
Man weiß nicht, wem es seinerzeit eingefallen ist, dass ein Wegweiser geschnitzt und gegenüber dem Block 24 aufgestellt wurde: Dalli-Dalli-Straße. Der Wegweiser stand jahrelang, nur die Häftlinge haben die Lagerstraße vom Tor zum Block 4 so nicht genannt. Eher wurde der Wegweiser als Erinnerung an den Tag der Einlieferung verstanden, und deswegen hat er manche auch geärgert. Die meisten Häftlinge wollten ihn nicht sehen, andere haben ihn wirklich nicht gesehen. Denn die Aufmerksamkeit der Häftlinge, die in Arbeitskolonnen durch das Tor ins Lager marschierten, war auf anderes gerichtet: den Schritt nicht verlieren, den Gleichschritt halten, stramm marschieren; kurz: aufpassen, dass man nicht auffällt, damit die kontrollierenden SS-Männer den Körper nicht nach geschmuggelter Ware abtasten.
Der Wegweiser war schön und fachmännisch aus Eichenholz geschnitzt. An einem Pfeil war ein Brett, auf dem einige Figuren standen. In das Brett war in gotischer Schrift „Dalli-Dalli-Straße” tief eingeschnitzt. Das bestätigen ehemalige Häftlinge. Aber schon der genaue Standort ist umstritten, ob mehr zum Tor hin oder mehr zu dem Platz hin, auf dem die Lagerkapelle spielte. Das größte Problem aber, das auch eine Rekonstruktion verhindert, ist die Zahl und Reihenfolge der Figuren. Unbestritten ist nur die Figur des Juden. Diese befindet sich auch noch in den Sammlungen der Gedenkstätte, denn man hat sie nach dem Kriege wiedergefunden. Unbestritten ist auch, dass es die Figur eines SS-Mannes gab, aber die Figur wird unterschiedlich beschrieben. Eine weitere Figur soll ein Bauer gewesen sein, einige meinen, mit einem Korb, in dem eine Gans war. Es soll auch ein Intelligenzler dabei gewesen sein, zu erkennen als Brillenträger. Umstritten ist auch, ob auf dem Wegweiser noch die Figur eines Geistlichen stand. Ganz wenige behaupten, dass von dem SS-Mann noch ein Jugendlicher in das Lager gejagt wurde. So ist das mit dem Erinnerungsvermögen des Menschen.
Hinter den Blöcken 1 - 11 lag die sogenannte „Birkenallee”. Wo die Dalli-Dalli-Straße an die Birkenallee stieß, befand sich ein zweiter Wegweiser, den wir im Lager als Kuriosum betrachtet haben. An der Birkenallee standen nämlich einige wenige Bänke, die die Häftlinge in der freien Zeit benutzen durften. An einer dieser Bänke gegenüber Block 4 gab es ein Schild, ebenfalls ein Brett mit Figuren. Sie zeigten zwei Häftlinge, die auf einer Bank saßen und sich geheimnisvoll unterhielten. Hinter ihnen stand ein Kapo, der sich nach vorne beugte und die Hand an sein Ohr hielt, um besser zu hören, was die Häftlinge sich erzählen. Also, zwei Häftlinge werden bespitzelt. Es war und ist mir bis heute unklar, warum solch ein warnendes Schild dort hingestellt werden durfte. Denn es ist schon passiert, dass Kapos - angeblich sogar der Rapportführer Palitzsch - sich Häftlingskleidung angezogen und sitzende oder spazierende Häftlinge bespitzelt haben. Die Verdächtigen bekamen eine Vorladung zur politischen Abteilung der Lagergestapo und wurden dann einzeln vernommen. Stimmten die Aussagen beider überein, endete das mit ein paar Ohrfeigen. Viel schlimmer war es, wenn jeder ein anderes Thema angegeben hatte. Der Kopf das Kapos wurde nach dem Kriege wiedergefunden. Auch dieses Schild wurde nach dem Kriege nicht rekonstruiert, weil man sich über Details uneinig war. So ist nicht einmal sicher, ob auf dem Brett „Birkenweg” oder „Birkenallee” zu lesen war.
4.9 Lagerfeuerwehr
Für dieses Kommando wurden ausgebildete, junge, kräftige Häftlinge ausgesucht. „Feuerwehrmann” musste jeder von ihnen sein. Die meisten aber waren polnische, politische Häftlinge wie die Mehrzahl der damaligen Insassen von Auschwitz I-Stammlager. Die Häftlinge der Lagerfeuerwehr durften nur im Lager arbeiten, denn auf jedes Signal mussten sie antreten und zur Verfügung stehen. Eine Gruppe hatte immer Bereitschaft und wartete darauf, dass es endlich brennt.
Jedem dieser Häftlinge war klar, dass Hilfe geleistet werden musste, vor allem, wenn Menschen in Gefahr waren. Ich sprach einmal mit einem Kameraden, der von der Zuteilung zu diesem Kommando träumte. Dabei fragte ich ihn, was er tun würde, wenn eine SS-Wohnung brennen würde und er erführe, dass der SS-Mann sich in der brennenden Wohnung befindet. Er antwortete: „ Beim Löschen des Brandes habe ich als Häftling nichts zu sagen. Hätte ich was zu sagen, so würde ich mit dem Wasser nicht sparen und den SS-Mann tüchtig begießen. Seine Wohnung könnte ruhig brennen. Das dürfte aber kein SS-Mann merken, dass ich die Wohnung nicht retten will. Der SS-Mann aber soll raus. Vielleicht überlegt er sich dann, was seine Kameraden oder er selbst mit anderen Menschen machen. Vielleicht bekommt so einer den Vorgeschmack eines Krematoriums ?”
Die Lagerfeuerwehr hatte einige Male „normalen” Einsatz im Bereich des Lagers, zum Beispiel als die Scheune in der SS-Landwirtschaft brandte oder beim Brand der Ölraffinerie in Trzebinia. Aber ich sah es auch, im Sommer 1942, dass die Feuerwehr beim Beseitigen der Spuren eines Transports eingesetzt wurde. Der Transport war auf dem Wege von der Judenrampe nach Birkenau. Wahrscheinlich haben die Juden erfahren, wohin sie gehen, denn sie haben Devisen zerrissen, Uhren auf dem Boden zerquetscht, Gläser mit Honig zerschlagen und verschiedene andere Sachen fortgeworfen. Die Straße schrie vom Schicksal dieser Menschen. Die Feuerwehr musste diese Spuren beseitigen. Es war Sonntag, ganz früh. Fünf Häftlinge, einer davon ich, wurden gerade von Birkenau in die Gärtnerei Rajsko geführt, um dort die Pflanzen zu gießen. So viele Sachen lagen auf der Straße, essbare, was für uns wichtig gewesen wäre, und wertvolle, die für unsere Posten interessant gewesen wären. Aber bei so vielen Zeugen konnte man nichts klauen. Schrecklich! Wahrscheinlich hat niemand daran gedacht, was mit den Menschen passiert war, die das alles weggeworfen hatten.
4.10 Fliegeralarm im Stammlager Auschwitz
Zuerst trat das Kommando „Lagerfeuerwehr” an und verließ im Laufschritt das Lager. Dann konnten die Häftlinge von Block 22 oder 23 sehen, wie von den Garagen der Kommandantur das Feuerwehrauto, Lastwagen und Menschen das Gebiet des Lagers in großer Eile verließen. Bald darauf heulte die Lagersirene und der Blockführer vom Dienst schrie zu den Häftlingen im Lager: „Fliegeralarm, Fliegeralarm!” Alle Häftlinge, die sich gerade auf der Lagerstraße befanden, wiederholten diesen Ruf. Die Kapos und Blockältesten fügten noch hinzu: „Lagersperre! ..... Los, los in die Blöcke ..... beeilt euch!” Inzwischen wurde das Lager vernebelt (ich nehme allerdings an, die SS hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Blöcke mit den Häftlingen bombardiert worden wären).
In meinem Block 3 A hing eine Zeichnung, die erläuterte, wie sich Häftlinge im Falle eines Brandes verhalten sollten; aber es gab keinen Brand. Nur Fliegeralarm ......... Ich habe mich mit vielen anderen Häftlingen im Waschraum zwischen die Waschblöcke gelegt; in der Hoffnung, daß diese uns schützen würden, wenn eine Bombe fällt. Einer der Kameraden sagte, man solle vor allem den Kopf schützen, sich also dicht an die Mauer legen. Ein anderer meinte, das Lager würde nicht bombardiert, aber die SS-Kasernen und die Fabriken bekämen etwas ab.
In diesem Moment überflogen alliierte Flugzeuge das Lager. Sie flogen so niedrig, daß es uns fast schien, sie wollten durch die Dächer fliegen. Jedes Mal, wenn ein Flugzeug über unseren Block flog, drückten wir uns an die Waschblöcke und lagen einer über dem anderen. Sobald die Flugzeuge abgeflogen waren, fingen wir wieder an zu atmen ..... es ist vorbei. Dann kamen weitere Flugzeuge und weitere, so daß mir schließlich der Atem fehlte.
Als dann endlich Ruhe herrschte, standen wir auf und schauten aus den Fenstern. Es war nichts zu sehen; doch die Lagersperre dauerte an. Man hörte noch die Flugzeugabwehrkanonen, es explodierten Bomben, aber ganz weit weg vom Lager. Uns war nichts passiert; aber viele hatten große Angst gehabt, einige weinten sogar. Doch es gab auch welche, die sich darüber freuten, daß „die” etwas abbekommen hatten ..... Schadenfreude. Einer sagte: „Im sloneczko wyzej, tym Sikorski blizej” (je höher die Sonne, desto näher Sikorski). Und ein Deutscher meinte, als die Sirene den Fliegeralarm beendet hatte: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Nach jedem Dezember kommt wieder ein Mai.” Dann wurde die Lagersperre beendet und wir konnten hinaus in das künstlich vernebelte Lager.
4.11 Beobachtungen
Die Häftlinge beobachteten die Herrenmenschen ständig. Aufgrund der Beobachtungen konnten manche Häftlinge vorhersagen, was in einigen Minuten im Lager passieren würde. Dicht beim Lager Auschwitz I lagen die Garagen für die Dienstfahrzeuge der Kommandantur und die Lagerfeuerwehr. So lag es nahe, daß die Lagerfeuerwehr die Garagen ständig beobachtete. Fuhren die Autos in großer Eile aus den Garagen und versteckten sie sich in der Gegend, wußten die Feuerwehrleute, daß bald die Sirenen ertönen und Fliegeralarm melden würden. Für die Feuerwehrleute wiederum bedeutete dies, daß gleich „Bereitschaft” befohlen würde. Also fanden sich die Häftlinge von der Lagerfeuerwehr zusammen und warteten auf die weiteren Befehle.
Gab es zwar Fliegeralarm, aber die Flugzeuge flogen weiter, so passierte nichts weiter. Wenn der Fliegeralarm aufgehoben wurde, wurden einige Häftlinge der Lagerfeuerwehr abgeholt und mußten die Fahrzeuge „schön sauber machen.” Jeder Fliegeralarm weckte bei den Häftlingen, sogar bei manchen Reichsdeutschen, viele Hoffnungen. Er bestärkte die Hoffnung, daß das Kriegsende immer näher rückte. Man hat sich also gefreut, aber auch Angst davor gehabt, daß das Lager bombardiert werden könnte. Immerhin konnte ja ein Irrtum passieren, wo das Lager doch immer sofort vernebelt wurde und dann von oben wie eine Kaserne oder ein Rüstungsbetrieb aussehen konnte.
4.12 Lachen oder weinen
Jeder kann machen, was er will, wenn er diese Karikatur sieht. „MK 1941”, die Signatur bedeutet Mieczyslaw Koscielniak und 1941. Damals war der Zeichner dieser Selbstkarikaturschon in Auschwitz. Dort hat er die Karikatur gezeichnet. Schau sie an: zerrissene Schuhe, ihm ist kalt, in der Schüssel ein wenig Suppe (aber er hat sogar einen Löffel), die kleine Mütze, die kleine Jacke mit dem Häftlingswinkel auf der Brust. Im Jahre 1941 war er auf dem direkten Wege, „Muselmann” (Körperschwacher) zu werden. Lachen oder weinen? Wenn man diese Karikatur sieht, darf man beides. Da wir wissen, dass der Autor lebt, es überstanden hat, dürfen wir auch freundlich lachen
4.13 Krähen- und Spatzenjagd
Aus dem polnischen Dorf Rajsko, drei Kilometer vom KL Auschwitz entfernt gelegen, wurde die Bevölkerung ausgesiedelt. Dieses Dorf und weitere Siedlungen waren nämlich in das Interessengebiet des Konzentrationslagers einbezogen worden. Als ich im Frühjahr 1942 im Kommando „Gärtnerei Rajsko” arbeitete, mußten wir die Scheunen auseinandernehmen. Bei dieser Arbeit ergab sich die Gelegenheit, in ein leeres Haus hineinzugehen. Wie ausgestorben sahen diese Häuser aus. Deshalb erschrak ich, als plötzlich eine halbwilde Katze herausgesprungen kam. Als die Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden, hatten sie das Vieh, die Fuhrwerke und die landwirtschaftlichen Maschinen zurücklassen müssen. Das alles hat man später für die SS-Landwirtschaft verwendet. Nur die Katze war allein zurückgeblieben und hatte für sich sorgen müssen. Vielleicht war es ihr manchmal gelungen, eine Maus, einen Spatz oder eine Krähe zu fangen.
Krähen und Spatzen wurden auch von Häftlingen gejagt. Das Tor der Scheune wurde aufgemacht und die Spatzen und Krähen flogen auf Futtersuche hinein in die Scheune. Schnell machten die Häftlinge das Tor wieder zu. Und dann begann die Jagd in der Scheune. Da die Scheunen nicht dicht waren, fanden die Vögel auch Löcher, einen Fluchtweg. Dabei gelang den Spatzen die Flucht natürlich leichter als den Krähen. Manchmal gelang es den Häftlingen, eine Krähe zu fangen und zu töten. Wie das Fleisch einer Krähe schmeckt, weiß ich nicht. Ich war neu in unserem Kommando, und der, der die Krähe gebraten hat, hatte zwei andere gute Kameraden, mit denen er das Fleisch teilte. Als ich sie fragte, wie so eine Krähe schmeckt, sagte einer von ihnen: „Es war nicht viel, aber es geht. In der Not frißt der Teufel Fliegen.”
4.14 Krätze
Wenn es zwischen den Fingern juckt, wenn eitrige Pickel erscheinen, dann muß man Angst haben, daß es Krätze ist. Krätze ist ansteckend und besonders gefährlich, wenn man keine Seife und keine Salbe hat, sich also selbst helfen muß. Aber nicht einmal das konnte jeder Häftling. Als ich den Anfang dieser Krankheit an mir bemerkte, war ich glücklicherweise in der Gärtnerei Rajsko. Dort konnte ich mir eine Salbe bereiten und sie anwenden. Von den Maurern habe ich mir eine Handvoll Kalk geholt und ihn in Wasser aufgelöst. Mit dem so entstandenen Brei habe ich meine Finger eingerieben. Manche Pickel platzten auf, und das tat sehr weh. Ich spürte ein schmerzhaftes Brennen. Aber der Kalk hat, glaube ich, die Krankheitserreger bekämpft, wenn es auch sehr weh tat. Das konnte ich nur wenige Minuten aushalten. Dann ging ich auf die Suche nach etwas Fett. Die zwanzig Gramm Margarine, meine Portion von gestern, hatte ich schon längst aufgegessen. Also blieb nur Schmierfett übrig. An der Achse eines Fuhrwerks fand ich etwas und rieb damit die schmerzenden Stellen ein. Und siehe da, es half. Das Arbeitskommando Gärtnerei hatte aber auch einen weiteren Vorteil: wir hatten genug Wasser. So konnte ich die Hände auch waschen. Die „Salbe” half. Tagelang habe ich meine Hände beobachtet und dann festgestellt, daß die „Salbe” die Krätze bekämpft hatte.
4.15 Holländischer Leckerbissen
Meine beiden Kameraden Hans und Robert waren Holländer. Sie waren mit Belgiern und einem ehemaligen Polizisten aus Luxemburg befreundet. Hans und Robert erzählten uns viel von Holland, und fast jede Erzählung beendeten sie mit der Feststellung: ”Holland ist klein, aber fein.” Auf sehr einfache Weise haben sie auch mich überzeugt, daß Holland fein sein muß. Eines Tages sagte Hans geheimnisvoll „Komm mit!” und führte mich in einen Arbeitsraum zum Essen. Dort dampften Pellkartoffeln, die wir abpellten. Und daneben stand ein Topf mit Marmelade. Der Luxemburger oder einer der Belgier hatte dies für Hans organisiert. Damals, im Jahre 1944, waren wir schon „reich”. Jeder hatte einen eigenen Löffel, und meiner steckte in einer kleinen Tasche, die ich mir an die Innenseite meiner Jacke genäht hatte. Die weiteren Vorbereitungen gingen schnell. Die Kartoffeln wurden gut zerquetscht und mit der Marmelade verrührt. Zunächst wußte ich nicht, ob das schmecken würde. Aber der Hunger war groß, und der Appetit wuchs noch beim Essen. Und so hat es geschmeckt, obwohl ich bis dahin eine solche Mischung noch nie gegessen hatte. Am Schluß fragte Robert, ob es mir geschmeckt habe. Was sollte ich da sagen? Ich sagte: „Danke schön! Es war ein richtiger holländischer Leckerbissen.” Nach dem Kriege habe ich die beiden Brüder besucht. Aber ich habe vergessen, sie zu fragen, ob das wirklich ein holländischer Leckerbissen gewesen war.
4.16 Gestohlen - organisiert
In der Lagersprache bedeutete „stehlen”, einem Mithäftling etwas ohne dessen Wissen wegzunehmen. Das wurde von den Häftlingen streng bestraft. „Organisieren” war, wenn man heimlich etwas im SS-Magazin, in der Gärtnerei oder woanders wegnahm, ohne einem anderen Häftling zu schaden. Das durfte man aus der Sicht der Häftlinge, und manchmal haben andere dabei geholfen. So war die Moral der Häftlinge.
Für die SS war das, was die Häftlinge „organisieren” nannten, „stehlen”. Der „Frosch”, so wurde Lagerführer Aumeier wegen seiner Stimme genannt, pflegte Häftlinge, die schon längere Zeit im Lager waren, mit „Du Dieb” anzusprechen. Einmal wagte einer der so Angesprochenen zu antworten: " „Ich habe nichts gestohlen.” „Willst du nicht stehlen, willst du nicht leben”, war die Reaktion. Auf seine Weise hatte jeder von beiden recht. Der Häftling hat „organisiert” und mußte „organisieren”, um zu überleben. Für Aumeier war das kein „organisieren”; deshalb sprach er von Diebstahl.
4.17 Gute Berufe
Unzählige Male mußte ich in meinem Leben Lebensläufe schreiben. In den fünfziger Jahren mußte ich den Lebenslauf besonders oft schreiben, so daß ich ihn unverändert wiederholen konnte. Aber früher, schon vor dem Kriege, habe ich einmal einen Lebenslauf geschrieben, als ich den Paß für eine Auslandsreise bekommen wollte (das nächste Mal brauchte ich für meine „Auslandsreise” keinen Lebenslauf und keinen Paß; man hat mich sogar begleitet, denn ich wurde in „Schutzhaft” genommen, wurde „Schutzhäftling”). Nun ja, in allen Lebensläufen sollte man auch den Beruf angeben. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, daß es gute Berufe gibt und weniger gute.
Als ich in das KL Auschwitz eingeliefert wurde, brauchte ich keinen Lebenslauf zu schreiben. Von einem Mithäftling wurde nur ein Fragebogen ausgefüllt; als Beruf gab ich Zeichner an. Einige Tage später, als wir den Arbeitskommandos zugeteilt werden sollten, gab ich einen anderen Beruf an: Gärtnergehilfe. Denn ein älterer Freund, mit dem ich im selben Kommando arbeiten wollte, hatte Gärtner angegeben, obwohl er Mathematik-Professor war. Als schließlich Otto, Häftling Nr. 2, mit Genehmigung des SS-Arbeitsdienstführers sagte: „Also, ab heute seid ihr in der SS-Gärtnerei”, wußte ich, daß ich in einem guten Kommando war. Hier gab es einen Brunnen mit gutem Wasser zum Trinken und Waschen. Hier konnte man auch mal eine Zwiebel, eine Karotte, eine Tomate oder einige Kartoffeln „organisieren”.
Es gab weitere solcher guten Berufe und Kommandos: Landwirt und Tierpfleger, Koch und Fleischer. Solche Berufe konnten einem eben den Weg zu einem guten Kommando ebnen. Lehrer, Professoren, Rechtsanwälte oder Angestelle waren dagegen den verschiedensten Schikanen ausgesetzt, wenn sie einen solchen Beruf angegeben hatten. Die primitiven und ungebildeten SS-Männer und sogar manche Funktionshäftlinge gaben „Professoren” gerne die schwersten physischen Arbeiten und lachten sie aus oder schlugen sie gar, wenn sie bei der Arbeit ungeschickt waren. Mit etwas Glück konnten auch Tischler, Schlosser, Klempner, Glaser eine verhältnismäßig gute Arbeit bekommen. Häftlinge, die schon längere Zeit im Lager waren, versuchten immer wieder, die Pfarrer, Priester und Rabbiner zu warnen, sie sollten ja nicht ihren richtigen Beruf angeben. Polnische Offiziere mußte man dagegen nicht warnen. Sie haben jeden anderen, nur nicht den richtigen, Beruf angegeben. Trotzdem ist es leider passiert, daß die SS den richtigen Beruf erfuhr und einige erschossen oder auf andere Weise getötet hat.
Bei jeder Regel gibt es Ausnahmen. Zwei Juden, einer von beiden war sogar Rabbiner, hatten in Auschwitz Glück. Im sogenannten Lagermuseum, also unter einem festen Dach und in Wärme, mußten sie für den Lagerkommandanten den Talmud ins Deutsche übersetzen. Glück hatte auch ein Uhrmacher, der den SS-Männern Uhren und Schmuck reparierte. Manche Jungs wurden als Läufer eingesetzt oder waren „Pipel” bei einem Kapo. Sie waren dann private Diener dieser „Herren”; aber es war doch keine offizielle Stelle. Und ein schlimmes Los hatten jene, die von dem Kapo für homosexuelle Zwecke mißbraucht wurden. Das passierte allerdings nicht bei den „15. Mai-Häftlingen”, also denen, die als Homosexuelle in das Lager eingeliefert worden waren; eher schon bei Kriminellen, die mehrere Jahre in Haft waren. Ein guter Beruf war auch der des Apothekers, der als einziger Apotheker im Häftlings-Krankenbau eingesetzt war, oder der des Arztes, der sich als Pfleger um seine kranken Kameraden kümmern konnte. Aber diese beiden Berufe waren psychisch sehr belastend: der Apotheker, weil er zu wenig Medikamente hatte, und der Pfleger, wenn ein von ihm gepflegter und fast gesunder Kamerad von den SS-Ärzten in das Gas geschickt wurde.
Das Kommando Feuerwehr gehörte auch zu den guten Kommandos. Aber da mußte man sich beim Retten von Menschen und deren Vermögen einsetzen, die einem gar nicht freundlich gesinnt waren. Und dennoch! Alle Ärzte haben ja geschworen, daß sie jedem Kranken helfen wollen. Und das haben die Häftlings-Ärzte auch getan, als die Lagererweiterung bombardiert wurde. Da wurden SS-Männer und Häftlinge getötet und verletzt. Die Häftlings-Ärzte haben jedermann geholfen, was man von den SS-Ärzten nicht sagen kann. Und auch die Häftlinge von der Lagerfeuerwehr haben sowohl den Häftlingen als auch den SS-Männern geholfen.
4.18 Liebe trotzt allen Stacheldrahtzäunen
Ein holländischer Lagerkamerad war einmal dienstlich in der Gärtnerei Rajsko. An einem Gewächshaus sah er arbeitende weibliche Häftlinge. Eine schien ihm besonders interessant zu sein. Immer wieder suchte er die Gelegenheit, dienstlich in die Gärtnerei zu gehen, mal mit Elektrikern, mal mit Glasern oder Schlossern. Aber es fiel einem SS-Mann auf, dass der Holländer immer wieder mit der Jugoslawin sprach, und seine Warnung war ganz eindeutig: „Wenn ich dich noch einmal in der Gärtnerei sehe, dann erlebt ihr was.” Beide sind am Leben geblieben, und ich habe sie besucht, als ihre Kinder schon groß waren. Als sie uns in Polen besuchten, verliebte sich ihr Sohn in eine Polin. Seine Eltern mussten mit ihm zu dem bewussten Gewächshaus fahren. Doch seine Liebe hielt nicht. Lag es an der Sprache oder daran, dass den beiden jemand fehlte, der es verboten hätte? Schmeckt die verbotene Liebe besser ? Es gab nicht wenige Beispiele dafür und sogar im Lager gezeugte Kinder. Auch der Autor der schönen Radierung „Romeo und Julia” hat seine Gefühle zu seiner Braut Irene zum Ausdruck gebracht. Er hinter dem Stacheldrahtzaun, sie in der sogenannten freien Welt, wenn man im besetzten Polen von freier Welt sprechen kann. Auch er hat überlebt, wieder die große Liebe und eine glückliche Ehe. Aber nicht jeder hatte dieses Glück.
4.19 Die einzige Eheschließung eines Häftlings in Auschwitz
Rudi Friemel war ein österreichischer Sozialist und Spanienkämpfer. In Spanien hatte er Margarit Ferrer Rey geheiratet, und sie hatten einen gemeinsamen Sohn. Rudi wurde Häftling in Auschwitz mit der Nummer 25173. Er arbeitete in der Fahrbereitschaft, gehörte zum Widerstand und war Mitglied der „Kampfgruppe Auschwitz”.
Als seine Frau erfuhr, dass die in Spanien geschlossene Ehe im Deutschen Reich nicht anerkannt wurde, bemühte sie sich, die Ehe zum zweiten Mal zu schließen, was ihr nach langen Bemühungen gestattet wurde. Am 18.März 1944 geschah dies im Standesamt des Konzentrationslagers Auschwitz. Die Häftlinge konnten sehen, wie Rudi in Zivil mit Frau und Sohn in den Block 26 (auch Erkennungsdienst genannt) ging, wo man von ihnen Aufnahmen machte. Als sie durch das Lager gingen, spielte die Lagerkapelle, und manche haben ihm zugewinkt und Glückwünsche ausgesprochen. Das war bestimmt ein eigenartiges Erlebnis für die Häftlinge, die es sahen, und bestimmt freuten sich seine Kameraden.
Am 27.Dezember 1944 gab der damalige Standortverwalter und Lagerkommandant Richard Baer der SS bekannt, dass Rottenführer Johann Roth ein Dankschreiben und ein Bild des Chefs des WVHA Oswald Pohls mit Widmung dafür bekommen habe, dass er die Flucht von Häftlingen verhindert hat. Am 30.Dezember 1944 wurden die fünf Flüchtlinge vor den anderen Häftlingen öffentlich gehängt. Es waren die drei Österreicher Ernst Burger, Häftling Nr.23850, Rudolf Friemel, Häftling Nr. 25273 und Ludwig Vesely, Häftling Nr. 38169, sowie die zwei Polen Piotr Piaty, Häftling Nr. 130380, und Bernard Swierczyna, Häftling Nr. 1393. Das Standesamt Auschwitz II/Lagerstandesamt 0 hat diese Todesfälle mit gewöhnlicher Genauigkeit registriert, und das waren nur fünf von so vielen.
So endete die einzige Eheschließung eines Häftlings mit seinem Tod nach längerer Tätigkeit in der Kampfgruppe Auschwitz und im Zusammenhang mit der nicht gelungenen Flucht. Wer die Gedenkstätte besucht, kann an der Tafel die sich zu Ehren der Erhängten am Seiteneingang des Blocks 4 befindet, auch eine Blume niederlegen.
4.20 Ein Tropfen
Es regnet eigentlich nicht, es ist nur neblig und naß. Tage ohne Sonne. Auschwitz-Wetter. Auf dem kahl geschorenen Kopf bildet sich ein Tropfen. Langsam rinnt er über die Stirn auf die Nase ...kitzelt. Vor einigen Minuten hatte es das Kommando „Still gestanden!” gegeben. Wir stehen stramm in Reih und Glied. Einige tausend Häftlinge stehen zum Zählappell. Es ist kalt und naß. Der Tropfen erreicht die Nasenspitze, er ärgert; aber vor uns steht der Blockführer und schaut uns genau an. Die kleinste Bewegung könnte ihn ärgern. Und das darf man nicht, denn es lohnt sich nicht. Der Tropfen fällt runter. Entspannung. Doch der nächste Tropfen sammelt sich auf der Stirn, und alles könnte sich wiederholen bei diesem Wetter. Doch der Blockführer ist zufrieden; es hat lange genug gedauert, und keiner hat die kleinste Bewegung gewagt. Das plötzliche Kommando „Mützen auf!” gibt Gelegenheit, nicht nur die Mütze aufzusetzen, sondern mit ihr auch den nassen Kopf abzutrocknen. Der Blockführer schaut uns eine Weile an und dann kommandiert er „Wegtreten!” Wir sind glücklich. Der Appell ging ohne Ärger zu Ende. So wenig brauchten manchmal Häftlinge zum Glücklich -sein.
4.21. Gebetbücher
Eichenlaubträger und General der Waffen-SS Eicke sagte einmal: „Gebetbücher sind Dinge für Frauen, auch für solche, die Hosen tragen.” Er wollte nicht wissen, dass in Birkenau viele Frauen Hosen getragen haben. Nachdem nämlich fast alle sowjetischen Kriegsgefangenen in Auschwitz ermordet worden waren, bekamen die weiblichen Häftlinge ihre Uniformen, auch die Hosen. Manche von ihnen hätten gerne ein Gebetbuch gehabt, aber das war streng verboten. Wo sollte solch eine Frau ein Gebetbuch herbekommen ? Vom sogenannten Interessengebiet des Konzentrationslagers wurden die Polen vertrieben und ihre Häuser von den Abbruchkommandos auseinandergenommen. Manchmal fand man dabei ein Buch oder gar ein Gebetbuch. Obwohl es sehr gefährlich war, wurden manche Bücher in das Lager geschmuggelt und von Hand zu Hand zum Lesen weitergegeben. Wehe, wenn ein Gebetbuch bei einer Frau gefunden worden wäre!
4.22 Ein Lächeln
In unser Arbeitszimmer stürzte plötzlich der berühmte Boger von der Vernehmungsabteilung der Gestapo. „Achtung!” schrie der Kamerad, der ihn als erster gesehen hatte, und danach folgte die Meldung: „Häftlings-Aufnahme-Kommando, sechs Häftlinge, an der Arbeit.” „Weitermachen”, war Bogers Antwort, und dabei lächelte er ...sein berühmtes Lächeln. Er schaute auf unsere Arbeitstische und fand nichts Verdächtiges. Er lächelte weiter und schaute in den Schrank, dann hinter den Kachelofen - wieder ohne Erfolg und lächelte weiter. Dabei verriet sein Gesicht auch ohne Worte seine Hoffnung: ”Ich krieg euch noch ...” Er suchte noch weiter, fand aber nichts. Als er zur Tür ging, schrie der Häftling wieder: „Achtung”, und das war der Abschiedsgruß. Doch kaum war Boger draußen, wurde die Tür wieder aufgerissen. Boger stand da und beobachtete uns eine Weile. Da wir ruhig geblieben waren oder wussten, dass er wieder kommen könnte, sind wir nicht aufgefallen.
Ich habe es nicht erlebt, aber ich hörte mehrmals, dass der Unterscharführer Lachmann von der politischen Abteilung genau so lächelte wie der Boger. Bei der Vernehmung war er dem Häftling gegenüber am Anfang freundlich. Wenn er aber mit diesem Mittel nichts erreichte, lächelte er weiter und schlug. Vielleicht lag diese Lächeln in seiner Psyche, vielleicht hat ihn das befriedigt und er konnte weiter lächeln...
4.23 Ein Hundeleben
Letztens erschien angeblich das Buch eines bekannten Autors, der darin schreibt, dass die am Leben gebliebenen KZ-Häftlinge deshalb am Leben blieben, weil sie auf Kosten anderer Häftlinge gelebt hätten. Ohne Zweifel hat es so etwas auch gegeben. Aber auf wessen Kosten hat mancher im Lager noch gelebt ?
In Birkenau gab es eine Hundestaffel. Die Hunde wurden gepflegt und gefüttert von Tierpflegern, nämlich Häftlingen. Als Futter bekamen die Hunde nicht nur die Abfälle der SS-Küche, sondern auch verschiedene Vitamine. Von all dem verschwand ein Teil im Magen der Tierpfleger. Die sind am Leben geblieben, auf Kosten der Polizeihunde. Nebenbei gesagt, wussten die Hunde ja gar nicht, dass sie bestohlen wurden, und haben sich manchmal sogar mit den Pflegern angefreundet. Dann waren sie nicht mehr so scharf. Nach einer Kontrolle der Hundestaffel bekamen die Tierpfleger zivile Kleidung anstatt der gestreiften; und man versuchte, die Hunde darauf zu dressieren, dass sie die „Zebraanzüge” wieder scharf angreifen.
Im Lager Auschwitz I pflegte ein SS-Offizier seinen Hund in der Häftlingsküche zu füttern. Was er selbst und der Hund dort bekamen, war viel mehr und viel besser als die durchschnittliche Portion eines politischen Häftlings. Herr und Hund haben sich so daran gewöhnt, dass sich bald jeden Tag ein Grund ergab, den Arbeitsplatz zu verlassen und die Häftlingsküche aufzusuchen. Nun machte Herrchen Urlaub, und der Hund nicht. Mit einem Sprung gelang es dem Hund, in die Küche zu gelangen. Und er hatte Glück, denn der SS-Mann , der Küchenchef war, war anwesend und gab ihm etwas zu fressen. Am nächsten Tag sprang der Hund wieder in die Küche, aber der SS-Mann war nicht da. Doch die Häftlinge verjagten den Hund nicht etwa. Er wurde nur nie mehr gesehen. Er soll den Häftlingen gut geschmeckt haben, und es war eine kleine Rache, wo er doch so lange auf Kosten der Häftlinge gelebt hatte.
Doch auch von den Pferden ist zu reden. Im Lager gab es Pferde, die polnischen Bauern weggenommen worden waren, als sie aus der Umgebung des Lagers vertrieben wurden. Auch hier arbeiteten Häftlinge als Tierpfleger. Natürlich zweigten die Pfleger etwas vom Futter für sich ab, sei es Hafer, seien es Zuckerrübenschnitzel. Der Tierpfleger, der von der Herkunft der Pferde wusste, redete dabei jedes Mal mit ihnen: „Ich weiß, ihr seid polnische Pferde. Seid nicht böse, dass ich euch von eurem Futter etwas weggenommen habe, aber meine Kameraden haben Hunger, und ich versuche, diesen Hunger etwas zu stillen. Ich habe auch nicht genug zu essen. Es ist wohl nicht dasselbe, aber für das euch genommene Futter gebe ich euch etwas mehr Heu.” Dabei schmeichelte er den Pferden, und die machten so ein freundliches Gesicht, dass er es als Genehmigung verstand. Ja, dachte der Tierpfleger, die sind einverstanden mit der Teilung des Futters. Schwerer ist es, die Menschen zu überzeugen, dass die Vollgefressenen den Hungrigen ein bisschen Futter abgeben. Inzwischen hatte er den Riemen seiner Hose stark angezogen, zugeschnallt und darüber direkt auf seinem Körper zwei handvoll Futter unter seinem Hemd versteckt. Bei der Kontrolle am Tor sollte selbst der Rapportführer Kaduk nichts entdecken. So lebten der Tierpfleger und seine Kameraden teilweise auf Kosten der polnischen Pferde.
4.24 „Bitte, austreten zu dürfen....”
Die 10 bis 15.000 Häftlinge sind zum Appell angetreten. Sie werden gezählt. Jeder Blockälteste passt auf, dass sein Block und er nicht auffallen. „Unser” Blockführer hat drei statistische Tafeln unter dem Arm. Drei Blockälteste melden die Stärke, geben ihm eine kleine Tafel, und er stellt dann fest, dass die vom Blockältesten angegebene Zahl mit der Soll-Zahl der Häftlinge unseres Blocks übereinstimmt. Jetzt geht der Blockführer zum Pult des Rapportführers und macht Meldung. Er gibt an, in welchem Block wie viele Häftlinge stehen, und bei jedem Block sagt er zusätzlich: ”Die Stärke stimmt.” Das alles wird noch dauern, bis alle Blockführer gemeldet haben, bis der Rapportführer festgestellt hat, dass die Lagerstärke stimmt, bis er dem Lagerführer gemeldet hat, dass die Zahl der zum Appell Angetretenen stimmt. Erst dann kommt das Kommando „Wegtreten.” Für einige kommt es zu spät. Der Kranke steht zum Appell, aber der Magen hält es nicht aus. Die daneben stehenden Kameraden fragen zornig, welcher Muselmann hat die Hose voll - wer stinkt so? Mensch, kannst du die paar Minuten nicht aushalten? Nein! Er konnte nicht. Er konnte auch nicht aus den geordneten Reihen herauskommen und bitten: „Ich bin magenkrank, bitte austreten zu dürfen.” Er konnte nicht bitten, es hätte sich nicht gelohnt. Die Reaktion wäre normal gewesen, wie in Auschwitz. Es hätte sich nicht gelohnt.
4.25 Links... links, links und links...
Stundenlang marschieren die Häftlinge, und der Stubendienst schreit: „Links...Links...links und links..” Und kurz danach kommt der Befehl: „Ein Lied...” Die Häftlinge singen: „ Im Lager Auschwitz war ich zwar --- holla rija, holla ra ...” Die Neuzugänge werden auf diese Art gedrillt. Und wieder: links... und wieder ein Lied und wieder und wieder. Ich bin müde und nervös, weil es zu lange dauert, und es wird wahrscheinlich noch dauern. Man bewegt sich wie ein Automat, man singt, wiederholt, und die Stimmen hören sich schon wie von einer alten zerkratzten Schallplatte an. Und wieder: links, links... Da geht mir durch den Sinn, dass dieses links, links doch in ein Nazilager gar nicht passt. War es nicht immer schon so, dass die Unterdrückten, die Sklaven mehr nach links als nach rechts neigen?
4.26 Gesang
Hörst Du diesen Gesang? Siehst Du den Dirigenten dort im Hintergrund? Auf den Befehl „Ein Lied” musste man singen: „Im Lager Auschwitz war ich zwar ... usw.” Hörst Du diesen Gesang? Verstehst Du das? Na ja! Du bist nie Häftling gewesen.
4.27 Zwei Dutzend Eier ... Donnerwetter!
Der Häftling 20035 war mein guter Freund. Nicht deshalb, weil seine Nummer neben meiner lag, denn ich bin 20034. Wer die 20033 hatte, weiß ich nicht mehr. Und nicht deshalb, weil ich von 20035 im Sommer 1944 zwei Eier bekam, nenne ich ihn Freund. Ein Ei hatte ich roh geschluckt, ein himmlischer Geschmack. Das zweite hatte ich gekocht und am nächsten Tag zum Frühstück gegessen. Die Geschichte war folgende. Es war in Block 25, in der Schreibstube des Aufnahmekommandos. Der Kapo Podzinski hatte von der Häftlingspaketstelle ein offenes Paket gebracht. Er sagte nur: „Kommandoführer Leistner hat dein Paket kontrolliert und genehmigt, dass ich es dir übergebe,” und ging zu seiner Arbeit. Die Eier waren gut verpackt, keines war kaputt. Als der Kapo hinausgegangen war, ging die Tür auf, und unser Chef Hofer kam herein. Einer von uns schrie: „Achtung!” und meldete: „Kommando Aufnahme an der Arbeit.” Hofer antwortete: „Wohl nicht alle, hinsetzen, weitermachen.” Dann fragte er den 20035 : „ Und was ist das?” „Eben wurde mir von der Paketstelle ein Paket mit den Eiern gebracht.” „Wie viele das sind ”, staunte der Hofer und fragte weiter: „Sind sie Gutsbesitzer oder Landwirt?” „Nein. Das Paket hat mir meine Mutter aus Krakau geschickt.” „Menschenskind, ist das möglich? Ich kann fast sagen, welchen Stempel das Ei haben wird, das ich bald bekommen müsste und die Polen...! Woher hat ihre Familie so viele Eier? „Gekauft.” „Und das ist möglich in Krakau ? Zwei Dutzend Eier ... Donnerwetter!” Zwei davon erhielt ich. Es war aber auch das einzige Mal, wo ich ein so reiches Paket gesehen habe. Schon ein Stückchen Brot, ein paar Zwiebeln machten den Empfänger glücklich. Im Jahre 1944 durften arische Häftlinge Pakete erhalten, aber meistens waren die Familien nicht imstande, Pakete zu schicken. Und viele Polen hatten niemanden, der Pakete schicken konnte.
4.28 Pater Maximilian Kolbe
Zu was ist der Mensch tauglich? In extremen Situationen auch zum Opfern des eigenen Lebens. Nach einer gelungenen Flucht aus Auschwitz hat Lagerführer Fritzsch zehn Häftlinge aussortiert, die den Hungertod sterben sollten. Eine schreckliche und nur in Auschwitz mögliche Strafe. Häftling Gajowniczek, der unter den Selektierten war, aber wollte unbedingt leben und bat darum. Da meldete sich eine anderer, der Pater Kolbe, freiwillig und rettete ihm das Leben.
5. E v a k u i e r t
5.1 Wie aus dem 20 034 ein 77 236 wurde
Wirklich - so war es. Bestimmt war das der 28.Oktober 1944, mein Namenstag, den man im Konzentrationslager nicht feiern durfte. Soweit ich mich erinnern kann, hat es an diesem Tag in Auschwitz I-Stammlager eine Selektion gegeben. Eine Selektion der dümmsten Blockführer, weshalb sie in meinem Gedächtnis blieb. Vorher war bekannt geworden, dass die Ausgewählten in eine anderes Lager überstellt werden sollten und dass sie etwas mitnehmen dürften. Ich hatte mir mit Hilfe von Kameraden eine gute Decke und feste Arbeitsschuhe besorgt. Dann wurden viele ausgewählt, darunter ich.
Eine große Kolonne von Häftlingen wurde nun von Auschwitz I nach Auschwitz II in das Lager Birkenau geführt. Birkenau war groß und unterteilt. Als wir in einen Bereich hineingeführt wurden, wusste ich, dass es ein früheres Zigeunerlager war. Wir mussten in die Baracken hineingehen und dort bleiben. Danach kamen noch kleinere Gruppen dazu, aber an Platz hat es nicht gefehlt. Die normale Praxis war in so einer Situation, dass man sich sofort hinlegte. Kräfte sparen, ausruhen; wer weiß, was in einer Stunde kommt. Im gestreiften Zebra-Anzug habe ich mich auf eine Pritsche gelegt und mit meiner Decke warm zugedeckt. Kurz danach wurden wir geweckt. Aufstehen, los, antreten .. aber schnell! Immer schnell, aber warum so eilig ?
Im Zigeunerlager gab es keine Zigeuner mehr. Hier wohnten nur noch einige ehemalige Funktionshäftlinge dieses Lagers. Bohdan Komarnickij wurde im Zigeunerlager „Zigeunerkönig” genannt. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil ihn die SS-Männer als guten Organisator brauchten. Die Zigeuner durften, und niemand weiß warum, alle ihre Sachen mit ins Lager nehmen, Ringe, Ohrringe, Musikinstrumente, manchmal von großem Wert. In der Natur geht nichts verloren, es kann sich nur der Besitzer ändern. Dafür sorgte der Bohdan, und deswegen ging es ihm gut, und die SS war zufrieden. Ich hörte, dass manche Zigeunermädchen in ihn verliebt waren. Ein schöner, kräftiger Mann, der so schön die ukrainische „Dumka” singen konnte. Wer kann sich das vorstellen? Zigeuner, die früher in den Kaffeehäusern Berlins und Frankfurts musiziert hatten, spielen im Zigeunerlager in Auschwitz II und Bohdan singt ukrainische Volkslieder. Das war einmal. Es gab keine Zigeuner mehr. Nur wir standen in einer großen Menge vor den Baracken.
Man stellte sich auf, dann kommandierte jemand: „Vordermann, Seitenrichtung!” Sie hatten es so eilig beim Antreten, und jetzt standen wir hier, und es tat sich nichts. Ich stand in einer Kolonne von schätzungsweise 1000 bis 1500 Häftlingen. Trotz der Dunkelheit sah ich neben unserer Kolonne eine kleinere Gruppe, eine viel kleinere. Vielleicht waren es 100, höchstens 150 Häftlinge. Werden beide Gruppen in dasselbe Lager überstellt oder geht jede wo anders hin? Doch wohin es geht, weiß keiner von den Häftlingen. Warum hier so viele und dort so wenige? Ich wurde nervös, unruhig und bekam Angst. Aber man konnte nichts machen. Machtlos stand ich neben anderen. Ich wurde apathisch, psychisch kaputt und resigniert. Da fing jemand an, unsere Kolonne zu ordnen: „Abstand... zu fünfen” Einige Sekunden herrschte Unordnung, und in diesem Moment ist mir etwas Unverständliches passiert. Ich bückte mich, und langsam, wie auf Befehl, bin ich zur kleineren Gruppe gegangen. Auch dort wurde versucht, die Häftlinge zu ordnen, aber inzwischen wurde von einem SS-Mann befohlen: „Rechts um, im Gleichschritt marsch!” Ich war in der Mitte der kleinen Kolonne, und wir marschierten in Richtung Tor.
Am Tor wurde unsere Gruppe von SS-Posten umstellt und in die große „Sauna” des Lagers Birkenau geführt. Auf diesem kurzen Weg wurde in mir zunächst Hoffnung geweckt und dann wieder Angst. Marschierten wir doch nachts in Richtung der Krematorien IV und V. Dann kam doch wieder Hoffnung auf, dass mein Sprung von der großen in die kleine Gruppe richtig gewesen war. Als wir in einen Raum kamen, an dem die Tafel „Schmutzige Seite” zu lesen war, wusste ich, dass wir hier desinfiziert werden. „Klamotten runter !” „Zum Friseur!” - Desinfektion des Körpers mit Lisol, nachdem die Haare vom ganzen Körper entfernt worden waren - Bad. Und dann „Saubere Seite”. Hier bekam man andere Kleidung. Die Unterhose, ein wenig zu klein. Das Hemd passend, Gott sei Dank. Die gestreifte Jacke, schlechter als meine alte. Die Hose, wahrscheinlich von einem Prominenten, mit tiefen Taschen, prima. Die Mütze zu klein, aber die kann man mit Kameraden tauschen. Gott sei Dank zum zweiten Mal, dass wir die Schuhe behalten dürfen. Wer Häftling oder Soldat war, versteht die Bedeutung guter und bequemer Schuhe. An das alles kann ich mich noch ganz gut erinnern. Aber fragt mich nicht, wie ich in den Zug kam, in welchem Wagen ich war, mit wem ich transportiert worden bin. Alles ist irgendwie ausgefallen .. ich sehe nichts von dem Weg ins Unbekannte.
Das nächste Bild, an das ich mich erinnere, ist der Appell in Breslau-Lissa, während dessen unsere Kleider von einem SS-Mann kontrolliert wurden. Ich weiß, dass er auch auf meine Häftlingsnummer schaute. Ja! Später wusste ich, dass ich eine neue hatte: 77236. Die war an der Jacke und an den Hosen angenäht; aber es dauerte, bis ich sie auswendig konnte. Aus Angst, nicht aus Eifer, habe ich sie auswendig gelernt: siebenundsiebzigzweihundertsechsunddreißig In Auschwitz war sie kürzer gewesen. Angehalten von einem SS-Mann, musste ich melden: „Häftling zwanzigtausendvierunddreißig meldet sich gehorsamst zur Stelle.” Hier in Breslau- Lissa, Nebenlager von Groß-Rosen, war ich 77236.
Und wieder ein Problem mit dem Gedächtnis. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann, wo und von wem ich die Häftlingsnummer in Auschwitz bekommen habe. Und ich habe keine Ahnung, wann, wo und von wem ich die Häftlingsnummer von Groß-Rosen bekommen habe. Manches Bild blieb ganz scharf und deutlich, manches Bild ist verloren gegangen. Ich kann es nicht verstehen, warum es solche Lücken gibt. Es ist wahr, dass ich aus Angst, meine Psyche könnte es nicht aushalten, manche Grausamkeiten zu vergessen suchte. Man ist doch Egoist - es ist mir gelungen, die Grausamkeiten zu vergessen, bei denen ich nicht gelitten habe. Es ist viel schwerer, eigenes Leiden zu vergessen. Ich habe gedacht, die guten Taten müsste man ständig erzählen. Und wie ist die Praxis? Es ist normal, dass die Verbrecher verfolgt wurden, denn es gibt Gesetze und vorgesehene Strafen. Es gibt wenige Gesetze, die Gutes belohnen. Ist das so, weil gute Taten als normal betrachtet werden sollen? Wäre es so!! Wie oft passierte es, dass wir uns Gedanken machten, warum war er so anständig, so hilfsbereit, warum hat er mir geholfen? Was steckte dahinter, was wollte er erreichen? Bei Gutem gibts so viel Verdacht, bei Bösem sagt man einfach: Gauner oder Verbrecher, und alles ist gerechtfertigt.
5.2 Schadenfreude
Als Polen am 1.September 1939 überfallen wurde, fing eine Völkerwanderung an. Aus Angst vor den Deutschen flohen die Polen nach Osten. Auf Fuhrwerken und Fahrrädern, die schwer beladen waren, schleppten sie das Nötigste mit sich. Nicht selten sah man einen Mann mit einer Kuh oder einer Ziege. Tausende dieser Flüchtlinge wurden Opfer der Bomben oder der Bordwaffen deutscher Flugzeuge. Man sah nicht nur Tote, sondern auch Verwundete. Das war für uns Polen ein Schock. Die Unordnung auf den Straßen war günstig für die angreifende Hitler-Armee. Sobald man die Wehrmachtseinheiten sah, versteckte man sich im Wald, der wieder von Flugzeugen im Tiefflug mit Bomben belegt wurde.
Evakuiert aus dem KL Auschwitz befand ich mich im Januar 1945 im Nebenlager „Breslau-Lissa” des Stammlagers Groß-Rosen. Da sich die Ostfront Breslau näherte, wurden wir auch von dort evakuiert. Die Evakuierung wurde in Eile angeordnet, und wir dann in einer Kolonne aus dem Lager geführt. Einige Kilometer ging es über öffentliche Straßen. Dann führten uns die SS-Posten durch die Felder entlang den Straßen. Schließlich kam der Befehl „Die Straßen frei machen!” Auf den Straßen sahen wir viele Wehrmachtautos und immer wieder Menschen, die wie wir 1939, aus der Stadt Breslau flohen. Wie wir später erfuhren, wurde die Stadt zur Festung erklärt und sollte bis zum letzten Schuß, eigentlich bis zum letzten Verteidiger, in deutschen Händen bleiben.
Wie im September 1939 konnten wir wieder bespannte Wagen, Menschen mit Fahrrädern oder Rucksäcken sehen. Kräftigere liefen neben den Fuhrwerken, Kinder und Alte saßen auf den Wagen. Alles mögliche haben die Menschen mitgenommen, auf Wagen transportiert oder mitgeschleppt. Manches lag schon im Straßengraben, weil es zu schwer geworden war. Alle hatten es sehr eilig. Wir waren damals bei schönem, warmem Wetter geflüchtet, die nun bei Frost und Schnee. Der Marsch durch die verschneiten Felder machte uns müde und hat uns geärgert. Selbst die SS-Bewachung war unzufrieden. Am meisten hat uns aber geärgert, daß manche der Flüchtlinge zu uns „Banditen” herüberschrien oder uns mit geballten Fäusten drohten, ohne unsere miserable Lage zu verstehen. Diese feindliche Haltung hat bei uns aber keine Angst mehr geweckt, sondern im Gegenteil Schadenfreude. Wir waren damals vor den Angreifern geflohen. Nun hörten wir, daß diese von der eigenen Regierung vertrieben wurden. Als wir schließlich wieder auf der Straße marschieren durften, wurde diese Art von Gesprächen unter den Häftlingen lauter. „Die verstehen noch immer nichts ..... Wohin wollen die? ..... Sehen sie noch nicht ein, daß der Krieg zu Ende geht, und daß sie ihn verlieren?”
5.3 Buchenwald
Ich weiß nicht mehr, wann wir von Groß Rosen nach Buchenwald überführt wurden. Aber es war ein langer Weg. Dann wurden wir durch ein Tor in ein Lager geführt, und da habe ich erst erfahren, dass ich in Buchenwald bin. Lange waren wir in einem Waschraum, wo es warm war, und wir konnten die ganze Nacht auf dem nassen Beton schlafen. Dann kamen Funktionshäftlinge und fragten, wer in Auschwitz Schreiber gewesen war. Ich habe mich gemeldet, denn ich war doch Schreiber im Aufnahmekommando gewesen. Alle anderen wurden gebadet und ins kleine Lager abgeführt. Ich blieb. Dann besuchten mich deutsche Häftlinge, schauten mich an und fragten mich etwas. Aber ich war nicht der richtige. Bis heute weiß ich nicht, wen sie suchten.
Ich wurde umgekleidet und in den Block 47 geführt. Zu einem Robert sagten sie, da hast du einen, er bleibt bei dir. Als ich ihn mit Herr Blockältester ansprach, lachte er und sagte zu mir, dass er der Stubendienst sei, kein Blockältester und auf keinen Fall Herr. Er sei Robert, ich solle bei ihm bleiben und ihm helfen. Da fragte ich ängstlich, welche Arbeit ich bekäme, und er antwortete, keine. „Ich mach auch nichts, und du wirst mir dabei helfen. Jetzt geh mal in die Ecke, leg dich hin und laß dich von keinem im Schlaf überraschen. Schlaf ruhig, ich bin da, ich werde aufpassen.” Der Robert wurde, wie ich später erfuhr, „schwarzer Robert” genannt, weil er einen schwarzen Winkel an der Jacke hatte, also ein Arbeitsscheuer, Asozialer war. Ich weiß nicht, wo die Häftlinge gerade waren. Als sie zurückkamen, habe ich gesehen, dass es viele Juden waren und einige Russen und Polen.. Der Robert hat sich um „seine” nicht gekümmert; er hatte einige, die für ihn alles machten. Er saß in seiner Ecke, hinter den Betten und zwei Schränken und pfiff. Das hat er oft gemacht. Auch am nächsten Tag, als ein SS-Mann in unseren Block kam und Robert rief. Robert erwiderte, was los sei und was er wieder wolle. Da erschrak ich, weil der Robert vielleicht nicht erkannt hatte, wer ihn rief. Der SS-Mann ging in Roberts Ecke, und ich hörte von meinem Versteck aus Robert sagen: „Mensch, die ist doch völlig kaputt. Solche Scheiße bringst du mir zur Reparatur. Schmeiß das in den Mülleimer und bringe etwas besseres. Oder besorge was zum Fressen, und dann bekommst du von mir eine prima Uhr.” „Mach doch, von wo soll ich wieder das Fressen haben?” „Organisiere es in der SS-Küche” Das freundliche Gespräch ging weiter. Dann ging der SS-Mann nach einigen Minuten, seine Uhr blieb beim Robert und der reparierte sie später für Zigaretten und „ein bisschen zum Fressen”.
Da mein Freund, der Pfadfinder Baca-Wasowicz im Kommando Arbeitsstatistik arbeitete, erfuhr er es, als ich nach Buchenwald eingeliefert wurde. Er fand mich und besuchte mich jeden Abend. Eines Tages sagte er: „Hier stinkts. Die Amerikaner sind nicht mehr weit, und man weiß nicht, was die SS mit uns macht, bevor die Amerikaner kommen.” Dann wurde über Lautsprecher angesagt, dass die Polen evakuiert werden sollen. Da fragte ich den Robert, was ich machen soll. „Mach, was du willst. Ich mache dir keinen Vorschlag. Ich könnte dich verstecken oder dir eine falsche Nummer geben. Aber hier kann es auch zu einem harten Kampf kommen. Vielleicht organisiert der Widerstand eine Verteidigung oder eine Selbstbefreiung, weil es die Amerikaner nicht eilig haben. Aber wo ist die deutsche Wehrmacht noch?” Dann fragte ich den Baca. Er meinte, dass im Lager Schlimmes passieren kann, denn es gebe Vorbereitungen einer Kampfgruppe. Dagegen könne außerhalb des Lagers die Flucht gelingen, könnte der Transport vielleicht von den Amerikanern befreit werden. Auch er meinte aber: ”Mach, was du willst, was kann ich dir raten?”. Nun, ich bin mit dem Transport nach Weimar geführt worden. Dort wurden wir in einen Zug geladen, der über Jena in Richtung Tschechoslowakei ging.
5.4 Fahrt in die Freiheit
Ich weiß nicht mehr, ob es in Jena oder Gera war. Unser Zug war stehengeblieben. In der Nähe heulten die Sirenen. Kurz danach hörte man die Motoren der Flugzeuge. Immer näher ..... immer näher ..... Plötzlich, in tiefer Nacht, war es heller als bei voller Sonne. Einige Kameraden haben die Initiative übernommen und schrien uns zu: "Nehmt was Weißes in die Hand und winkt zu den Flugzeugen! Macht breite Bewegungen mit der Hand, daß uns die Flieger sehen.” Die SS-Männer, alte „Onkel-Volksdeutsche”, haben sich in den Ecken der Waggons versteckt und deckten hinter sich die Gewehre zu. Die hatten nichts dagegen, daß die „Lausbuben” diesmal ganz dicht bei ihnen standen.
Ich hatte noch keine Angst, eher Schadenfreude, als ich sah, wie die Flugzeuge immer näher um den Bahnhof herumflogen. Kurz danach bekam ich schreckliche Angst. Jetzt möchte ich dazu sagen, ..... nach der andauernden Apathie, Gleichgültigkeit, endlich ein menschliches Gefühl, Angst, schreckliche Angst ..... Als die Flugzeuge über unseren Zug flogen, bin ich niedergekniet, als ob das etwas helfen könnte, wenn die Bombe in unserem Waggon gelandet wäre. Wie eine Schafherde haben wir uns in eine Hälfte des Waggons gedrängt. Jetzt gab es keine Herrenmenschen und keine „Mistbienen” ..... Fast alle waren ängstlich, und nur einige standen in der Mitte des Waggons und zeichneten über ihren Köpfen breite Kreise. Manche von ihnen hatten etwas Weißes in der Hand, manche hatten nur die eigene gestreifte Häftlingsmütze.
Aus Angst schien mir das alles komisch, ich hatte Angst, aber ich wollte lachen. Ich bin nicht sicher, ob ich nicht gelacht habe. Plötzlich sah das für mich so aus, als ob böse Wespen uns überfallen haben und manche von uns sie mit Lappen oder Mützen in der Hand wegjagen wollten. Und es ist gelungen. Sie sind abgeflogen, es ist kein Schuß, keine einzige Bombe auf unseren Zug gefallen, aber über dem beleuchteten Bahnhof, über dem Güterbahnhof, fingen die Flugzeuge an wie Hexen zu tanzen. Geräusch der Motoren und platzende Bomben und wieder entlang unseres Zuges und wieder ein Kreis über dem Bahnhof und wieder fielen Bomben. „Stalins Weihnachtsbäume” sind ausgegangen; es wurde dunkel, nur in der Weite brannten die Magazine, einzelne Waggons der Güterzüge.
In der Luft hatte es sich „beruhigt”, in unserem Zug, in vielen Waggons, fing es wieder an. Die Herrenmenschen fingen an, Ordnung zu machen: „Du dort ..... setz Dich hin, Du, geh €˜ rüber, laß den Platz frei.” Die Hälfte der Waggons wurde durch vier SS-Herren besetzt, und das Sklavenvolk (Polen, Tschechen, Franzosen, Russen) in der Zahl von etwa 80 „Stück” quetschten sich auf dem Rest der Oberfläche. Es herrschte wieder Ordnung; manche saßen und konnten trotz tiefer Nacht nicht schlafen, weil der hungrige Magen „Konzert” machte. Die Schwachen lagen wie ohnmächtig auf dem Boden und störten die anderen, weil sie soviel Platz wegnahmen. Der Zug bewegte sich sehr langsam, und ich saß gedankenlos, weil ich einschlafen wollte. Der Schlaf war das einzige Stärkungsmittel, was uns gegeben wurde. Ich weiß nicht, waren es bewußtlose Stunden oder ein Schlaf ..... jedenfalls die Zeit lief. Manchmal stand der Zug vor einem Bahnhof, vielleicht sogar stundenlang, aber es passierte nichts Interessantes. Manchmal pfiff die Lokomotive, manchmal stöhnte einer der Häftlinge.
Die drei Herren lagen bequem und haben gut geschlafen, und einer saß und hat aufgepaßt. Wieder ein Pfiff - es geht weiter und wieder rollt der Zug auf einen Güterbahnhof, auf ein Nebengleis. Vor einem Gebäude des Bahnhofs stehen Zivilisten und einige Eisenbahner und schauen unseren Zug an. Ein Eisenbahner geht entlang unseres Zuges und prüft die Bremsen ..... ein Schlag des Hammers, und das Eisen klingt, und wieder und wieder dasselbe, ein Schlag, ein Klang ..... ein anderer Eisenbahner nähert sich dem Zug, zieht sein Frühstück aus der Tasche, schmeißt es in einen Waggon, danach geht er schnell und ängstlich ins Gebäude zurück. Kein SS-Mann hat es gemerkt. „Schrecklich”, ein Herrenmensch in Uniform hat Angst vor einem zweiten in Uniform, aber auch mit dem Gewehr! Oder war der erste kein Herrenmensch, nur einfach Mensch?
Unser ältester Posten war ausgestiegen und ging in den ersten Waggon des Zuges. Nach etwa einer Stunde umstellten Jugendliche und alte Opas in Zivil, aber mit Gewehr in der Hand, unseren Zug. „Unsere” SS-Männer befahlen, daß man von jedem Waggon die Leichen auf den Bahnsteig werfen soll, durch die Luken des Waggons. Wer das gehört hat, der vergißt nie den Klang, wenn die Schädel auf den Boden schlagen. Die „Unseren” haben dann angekündigt, daß wir mehr Platz haben würden, denn sie gingen in die Stadt. Wir sollen auf dem Boden sitzen. Wer den Kopf über der Seitenwand des Waggons hinausstreckt, der kann was erleben; auf ihn wird scharf geschossen. Die jugendlichen Wächter waren eifrig. Einige Male wurde geschossen. Endlich hatten die Hitlerjungen die Chance, einen Feind zu erschießen. Einen Feind mitten im eigenen Land zu erschießen, ... um den kämpferischen Geist zu beweisen oder die Statistik des Munitionsverbrauchs zu bessern oder aus Angst angesichts der Leichen, die sie gesehen hatten ?
Da es keine SS-Männer mehr im Waggon gab, hörte man Gespräche. „Die Herren sind schlafen gegangen, vollgefressen liegen sie im Bett, in Kasernen und wir?” „Bleib ruhig, schlaf auch. Die Scheiße geht doch bald zu Ende, nur aushalten .....” Der Bahnhof wurde bombardiert, wo war die Flak, wo waren Görings Jäger? „Vielleicht bringen die uns etwas zum Fressen, ein Stück Brot mit Marmelade oder Pellkartoffeln. Warme Kartoffeln, wenn auch nur eine .....” „Hör €˜ auf, vom Fressen zu reden ..... ich hab €˜ Hunger, ich halt ´s nicht mehr aus!.” Hältst ´s nicht aus und was dann?” „Schweig doch!”
Heute weiß ich es nicht mehr genau, aber etwa zwei Tage nach der Abfahrt von Buchenwald (in Weimar waren wir auf Kohlewaggons verladen worden) bekamen wir ein bißchen Suppe und später wieder ein Stück Brot, es waren etwa 120 Gramm. Ja! Hunger, und dazu war es nachts sehr kalt. In dem Gedränge wärmte einer den anderen, aber wirklich warm war es keinem. Ich glaube, es war am vierten Tag unserer Reise vom KL Buchenwald ins Unbekannte, als unser Zug langsam durch einen schönen Wald fuhr. In der Luft konnte man den kommenden Frühling riechen. Die freien Vögel sangen im Gebüsch. Die Sonne schien und hat uns im offenen Waggon erwärmt, als unser Zug mitten im Wald an einem kleinen Bahnhof stehen geblieben ist. „Fliegeralarm!” schrieen die SS-Männer aus den ersten Waggons. Dann sprangen die SS-Männer aus den Waggons und suchten Deckung entlang des Waldes. Die ängstlich Flüchtenden machten mir Freude ..... die sind auch ängstlich.
Als die Flugzeuge über unseren Zug flogen, haben alle, die noch Kräfte hatten, über dem Kopf große Kreise gezeichnet. Sie überflogen uns, es ist kein Schuß gefallen ..... aber die Flugzeuge kehrten zurück, und aus den Bordwaffen fielen Schüsse in den Wald, wo unsere „Herren” versteckt waren. Vor unserer Lokomotive fielen Bomben! Zwei, drei, fünf zählte ein Häftling. Die SS kam zurück, keinem war etwas passiert. Es war alles in Ordnung, nur wir konnten nicht weiterfahren. Wir konnten nicht vorwärts fahren, aber nach etwa 2 Stunden schob uns die Lokomotive zurück durch den Wald, durch Wiesen und Felder bis an ein Sägewerk, dicht neben einer kleinen Eisenbahnstation. Jemand sagte, es wäre Klentsch. Wo das liegt, hat niemand gewußt. Die SS-Männer sind aus dem Zug geklettert und haben sich neben den Zug gesetzt. Wer noch Zigaretten hatte, hat geraucht, aber keiner schien zufrieden, alle waren eher böse. Die Häftlinge waren zufriedener, weil sie mehr Platz hatten und vom Waggon aus die kleine Stadt, das Sägewerk und die Straße beobachten konnten.
Es dauerte nicht lange, bis sich durch die Wiese Menschen unserem Zug näherten. Die tapferen SS-Onkels haben die Menschen mit schußbereitem Gewehr ferngehalten. Es kam der Transportleiter vom ersten Waggon (Personenwagen) und es wurde lebhaft diskutiert. Volle Körbe mit Essen wurden in den ersten Waggon der SS übergeben und leere wurden den Zivilisten zurückgegeben. Die Zivilisten standen ziemlich lange und beobachteten, ob das Essen in die Häftlingswaggons übergeben wurde. Die Häftlinge in den ersten Waggons riefen: „Gebt das Essen nicht in die ersten Waggons, wir bekommen sonst nichts. Lieber gebt es niemandem, wenn nicht erlaubt wird, uns das Essen zu übergeben.” Die Zivilisten blieben weiter stehen, obwohl die SS ihnen befahl, nach Hause zu gehen. Sie schrieen den Häftlingen zu: ”Jeste prijdou lide! Prineson jidlo, dustanete taky.” (Es werden noch Menschen kommen, sie bringen das Essen und auch ihr bekommt es). Als ich das hörte, war ich überzeugt, daß unser Transport eine Grenze überschritten hatte. Vielleicht eine staatliche Grenze, aber bestimmt die Grenze der Angst. Diese Menschen hatten keine Angst, sie standen und warteten. Wir warteten auch - was kommt. Es kamen neue Menschen mit Essen, aber sie warteten ab. Sie übergaben das Essen nicht der SS. Sie verlangten, daß man ihnen die Möglichkeit gibt, das Essen den Häftlingen zu übergeben. Der Transportführer, früher Rapportführer des KL Auschwitz , Stiebitz, sah die ernste Situation und fühlte sich gezwungen, etwas zu unternehmen. Vom Lager Auschwitz kannte er einige Häftlinge, die im Kommando Lagerfeuerwehr gewesen waren und sich jetzt in „seinem Transport” befanden. Etwa 10 Häftlinge, gesunde und noch kräftige, sollten am Zug Dienst tun. Die SS sollte den Zug bewachen, die ausgewählten Häftlinge sollten von den Tschechen das Essen übernehmen und an die Häftlinge verteilen. Ungeduldig warteten wir, aber unser Waggon war am Schluß des Zuges. Die Häftlinge vom Dienst haben schnell gearbeitet, und langsam ging das gebrachte Essen zu Ende. Die Tschechen standen weiter da und warteten, bis alles in die Waggons gegeben war.
Leszek Palasinski, Häftling aus Krakow, früher Mitglied der Lagerfeuerwehr im KL Auschwitz, war nahe bei der Gruppe der Zivilisten. Die Tschechen umkreisten ihn, einer setzte ihm einen Hut auf den Kopf, ein anderer legte ihm einen langen zivilen Mantel über die Arme, und die ganze Gruppe machte langsam „kehrt”, und zusammen mit dem Zdzislaw gingen sie in Richtung der kleinen Stadt. Die SS hat nichts gemerkt. Als ich das sah, bekam ich fast Fieber. Mir sind die Beine geschwollen, dass ich mich nicht bewegen konnte. Also jetzt, oder niemals, dachte ich. Aber jetzt war es nicht möglich. Die Tschechen waren nach Haus gegangen, hatten aber doch gesehen, daß wir kein Essen bekommen haben. Vielleicht kommen sie morgen wieder. Am nächsten Tag sind die Tschechen gekommen. Ich sah sie weit hinter dem Sägewerk. Ich sagte zu dem alten SS-Mann von unserem Waggon: „Chef! Wir haben gestern nichts bekommen. Gehen Sie zu den Tschechen und bringen sie etwas auch für uns.” Der Alte sprang auf, zeigte auf drei Häftlinge, sie sollen ihm folgen und sprang aus dem Waggon. Die Häftlinge machten dasselbe, und plötzlich war ich draußen als vierter! Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich die Möglichkeit zur Flucht festgestellt habe. Die SS-Männer, die den Zug bewacht haben, waren überzeugt, daß vier mit ihm gehen sollten, und so lief ich schnell nach vorne zum Essen. Ich folgte dem SS-Mann und den Kameraden bis zu einem Schuppen. Blitzschnell war ich in dem Schuppen und versteckte mich zwischen einem Stapel von Brettern. In diesem Moment hörte ich am Zug ein Geschrei: „Einsteigen! Abfahrt! Los! Schneller in den Zug! Abfahrt! Gleichzeitig aber ging die Tür des Schuppens auf, und da stand der alte SS-Mann mit schußbereitem Gewehr. Die Sekunden, in denen er in der Tür stand, dauerten für mich stundenlang. Ich konnte ihn sehen, er mich nicht. Er mußte zum Zug. Das Tor ging zu, ich war naß vor Schweiß nach der Nervenanspannung. Ich wurde fast ohnmächtig und schwitzte wie eine Maus in der Sauna! „Los! Abfahrt” die Lokomotive pfiff und der Zug verschwand kurz danach in den Wald.
Durch die Löcher der Bretterwand des Schuppens schaute ich, ob kein SS-Mann zurückgeblieben war. Ich sah nur auf der Wiese zwei Frauen bei der Arbeit. Ich ging zu diesen Frauen und sagte: „Ich bin ein Flüchtling von diesem Transport, ich will nach Polen, wo bin ich jetzt?” „Sie sind weit weg von Polen. An der früheren Grenze zwischen CSSR und Deutschland. Gehen Sie ins Gebüsch und verstecken Sie sich, ich gehe in die Stadt und hole einen Jungen, der sich um solche Menschen kümmert.” Es dauerte nicht lange, bis die Frau von der Stadt zurückkam. Eine Weile später kam ein junger Mann und richtete seinen Blick auf das Gebüsch, wo ich versteckt war. „Ja jsem Honsa” - ich bin Honsa, hörte ich ihn sagen. Honsa und ich verabredeten, daß wir uns am Abend an der Mühle treffen, aber erst dann, wenn ich die von ihm gepfiffene Melodie höre. Abends ging ich von meinem Gebüsch bis zur Mühle, wo ich mich wieder versteckte. Honsa kam und brachte mir einen Rucksack mit Essen, eine alte Decke und eine Flasche Kaffee. Er überließ mir auch die Entscheidung, ob ich im Wald, im Gebüsch oder höher im Gebirge, in den Felsen, Deckung nehmen wollte. Es war mir noch nicht klar, ob ich bis Kriegsende hier bleiben würde oder ob ich versuchen würde, nach Polen zu gehen. Im Versteck fehlte mir die Arbeit nicht: es war fast ständig „Läuseappell”. Nach dem bißchen Essen bekam ich Magenschmerzen. Trotz des Hungers durfte ich nicht weiter essen. Nur ein Schluck Kaffee in zwei Stunden. Langsam gewöhnte sich der Magen ans Essen. Am dritten Tag hatte ich keinen Kaffee mehr und nur noch ein kleines Stückchen Semmel. Mein „Bett” war weich, und die Decke schützte vor Kälte. Fantastisch gut und ohne Träume habe ich im Wald geschlafen. Die Vögel machten tagsüber ein richtiges Konzert.
Am vierten Tag, gegen Abend, hörte ich im Wald jemanden rufen: „Hallo, hallo!” - Es wurde jemand gesucht, bestimmt nicht ich. Aber es hat sich niemand gezeigt und das „Hallo” wiederholte sich immer und immer wieder. Ich ging in die Richtung, aus der das „Hallo” zu hören war. Ich sagte auch „Hallo” und kurz danach traf ich die Frau, mit welcher ich zuerst nach meiner Flucht gesprochen hatte. „Heute kommt Honsa und holt Sie ab”, sagte sie. „In der Stadt finden Sie mehr Ruhe, dort wird es bequemer sein.” In der Scheune haben mich Honsa und seine Frau begrüßt. „Dort oben auf dem Heu haben Sie etwas zum Essen, eine Decke und anderes. Ich kann Sie nicht in die Wohnung nehmen, weil dort deutsche Soldaten sind, sie haben bei uns Quartier.” Versteckt im Heu, ganz oben unter dem Dach, fühlte ich mich wohl. Jede mit Haaren bewachsene Oberfläche meines Körpers habe ich mit Petroleum eingeschmiert und dann mit heißem Wasser abgewaschen. Ich hatte keine Läuse mehr, genug zum Essen, saubere Wäsche, ein Heft und einen Bleistift. Auf dem Hof des Nachbarn sah ich Wehrmachtssoldaten, ihre Motorräder, Fahrräder und Maschinenpistolen. Plötzlich verschwanden alle im Haus und in der Scheune des Nachbarn. Über Klenci erschien ein Beobachtungsflugzeug. Kurz danach kamen andere Flugzeuge. Durch Beschuß wurde das Haus des Pfarrers und das zweite Nachbarhaus in Brand gesteckt. Sorglos schaute ich auf das Feuer nebenan und habe nicht gemerkt, daß die Scheune, in der ich mich befand, auch brennt. In einer Sekunde war ich draußen. Auf einem Platz stand ein Brunnen, an dem sich viele Frauen, aber auch Männer, sammelten und weinten; ein großer Jammer über die brennenden Häuser. Ich nahm einen Eimer mit Wasser und habe das Treppenhaus und danach das Dach mit Wasser begossen. Die jungen Tschechen folgten mir. Das Haus war gerettet, und es war das einzige unbeschädigte in diesem Stadtteil. Die Menschen haben mich gesehen und man fragte, wer ich bin. Das war gefährlich. Ich wurde also in den Keller gesteckt und dort blieb ich bis zum 1. Mai 1945, bis zu dem Tag, an dem die ersten Soldaten der VIII. amerikanischen Armee in Klenci einmarschiert sind.
Alle freuten sich. Die Jugend ist in das Amt des Bürgermeisters eingedrungen und kurz danach flogen durch das Fenster: das Portrait Hitlers im goldenen Rahmen, Ordner und Akten und sogar ein Telefonapparat. Mein Wirt, Herr Frantisek Hausner, wurde darauf aufmerksam gemacht und hat reagiert: „Chlapci, sakra! Co lo delaté?” „Ostavtelo”. In dem Moment platzte vor dem Gebäude eine Granate und ein junger Mann wurde verletzt oder sogar getötet. Von dem Stadtrand, von welchem die Granate gekommen war, hörte man einen kurzen, heftigen Kampf - das war der letzte Kampf der Deutschen um Klenci.
Zwei Tage später wollte ich auf einem geborgten Fahrrad das Nachbardorf erreichen. Als ich an einem Gebüsch vorbeifuhr, hörte ich einen Schuß und einen Pfiff neben meinen Ohren. Im Bruchteil einer Sekunde lag ich im Graben und hatte Angst weiterzufahren. Ein paar Minuten später erschienen drei Zivilisten mit einem Gewehr und Pistolen und fragten, wer hier geschossen hat. Das wollte ich auch wissen. Erst nach zwei Tagen habe ich erfahren, daß ein vollständig bewaffneter SS-Mann in dieser Gegend festgenommen worden war. Ob er mich hatte liquidieren wollen?
Von dem Schulhof wollte ich Ziegelsteine bringen, die beim Wiederaufbau der verbrannten Scheune nötig waren. Zwischen den Ziegelsteinen fand ich eine versteckte Pistole und Munition. Nachdem ich die gefundenen Sachen der Miliz abgegeben hatte, hat man festgestellt, daß die kranken deutschen Kriegsgefangenen, für die in der Schule ein Krankenhaus eingerichtet war, mehrere Waffen in der Nähe des Krankenhauses versteckt hatten. Nachdem das festgestellt wurde, wurden die Kriegsgefangenen woanders untergebracht, und die Schule stand wieder für Schüler zur Verfügung. Zufällig habe ich dabei geholfen, daß die Kriegsgefangenen von der Schule an einen anderen Ort überstellt wurden, was die Amerikaner nicht wollten. Klenci aber konnte die Kinder wieder in die Schule schicken.
Es war ein Zufall, daß ich entfliehen konnte und Zufall war auch, daß die Kugel des versteckten SS-Mannes mich nicht getroffen hat. Zufall ist auch, daß ich vierzig Jahre nach meiner Flucht von dem Todestransport diese Worte schreiben kann. Einen Tag vor mir war der Zdzislaw Palasinski entflohen, oder genauer gesagt, wurde er von den Tschechen auf geschickte Art „entführt”. Als ich im befreiten Klenci lebte, war Zdzislaw nicht mehr in dieser Stadt. Ich erfuhr, daß er bei den Bauern versteckt war, und sofort nach der Befreiung Klenci verließ. Es hat lange gedauert, bis ich die Adresse von Zdzislaw fand. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn nach zwei Wochen besuchen will. Zwei Wochen später sah ich schwarz gekleidete Kameraden. Was seid ihr so festlich gekleidet? Traurige Angelegenheit. Und wohin gehst du? Zum Zdzislaw ...Zu wem? Zu Zdzislaw „Schornsteinfeger” Hast du nicht erfahren? Eben kommen wir von seinem Begräbnis. Unmöglich! Mit ihm war ich heute verabredet!Schweigend nahm ich Abschied, nicht nur von dem zufällig getroffenen Kameraden, sondern auch vom Zdzislaw.
5.5 Flucht
Dieses oder ein ähnliches Bild habe ich einmal gesehen. Wann, das weiß ich nicht mehr. Aber es war im Stammlager Auschwitz. Ein auf der Flucht ergriffener Häftling war zuerst verprügelt worden. Danach hatte man ihn wie einen Zirkusclown angemalt und verkleidet. Dann hatte er eine Trommel bekommen, musste die Lagerstraße hinuntergehen und schreien: „Hurra, ich bin wieder da.” Wegen der Prügel schrie er undeutlich und bekam deshalb noch die Tafel. Das sollte die anderen Häftlinge abschrecken, eine Flucht zu planen. Mancher wurde abgehalten. Andere planten um so sorgfältiger, und vielen, wenn auch nicht allen, gelang die Flucht. Daran musste ich denken als nun meine Flucht gelungen war.
6. D a s L e b e n d a n a c h
6.1 Opfer
Es fing damit an, dass jüdische Einwohner von Oswiecim beim Saubermachen der ehemaligen polnischen Militärkasernen eingesetzt wurden. Damals gab es dort noch kein Konzentrationslager. Diese Juden waren noch keine Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz. Am 20.Mai 1940 kamen dann 30 deutsche kriminelle Häftlinge von Sachsenhausen und sollten die Ordnung des Lagers Sachsenhausen im Lager Auschwitz einführen. Am 14.Juni 1940 kam der erste Transport polnischer politischer Häftlinge, und so war der Anfang des berüchtigten Auschwitz gemacht. Es wuchs immer mehr, und es kamen dorthin vor allem polnische Häftlinge. In den ersten Transporten hat es fast keine Juden gegeben. Die wenigen waren auch polnischer Herkunft. Dieses Lager Auschwitz wurde später Auschwitz I oder auch Stammlager genannt. Dazu kamen Auschwitz II - Birkenau und Auschwitz III - Buna Monowitz, sowie fast 40 Außenlager. Ich behaupte, dass es in den Jahren 1940/41 im Stammlager fast keine Juden gegeben hat, und auch später waren sie dort eine Minderheit. Anders war es in Auschwitz II, wo das Theresienstadtlager, das Quarantänelager oder das sogenannte Ungarische Lager fast nur mit Juden belegt waren. Genauso sah es in manchen Nebenlagern aus.
Hörst du „Auschwitz”, da siehst du Grausames vor deinen Augen. Hörst du „Holocaust”, da siehst du Grausames vor deinen Augen. Hörst du „Shoa”, da kommen dieselben Bilder. Und doch bedeuten Auschwitz, Holocaust, Shoa nicht genau dasselbe. Es scheint mir, dass Auschwitz zum Symbol viel breiterer Probleme wurde als Holocaust und Shoa. Dabei geht es mir nicht darum, einen Streit zu verursachen, der die Aufmerksamkeit der Menschen von den Nazi-Verbrechen ablenkt. Es geht mir auch nicht darum, einen neuen Historikerstreit zu verursachen. Wenn ich das Wort Holocaust oder Shoa ausspreche, dann sehe ich viele grauenhafte Szenen, aber in keiner kommen die Sinti und Roma, die internationalen Bibelforscher, die Erziehungshäftlinge, die sowjetischen Kriegsgefangenen, die von der Wehrmacht der SS übergeben worden waren, und manche andere Gruppe, die nicht aus rassischen Gründen inhaftiert wurde, vor. Deshalb geht es mir darum, dass man die Dokumentation all der anderen Verbrechen über Holocaust und Shoa nicht vergisst und diese anderen Dokumente, wenn sie bei der Holocaustforschung anfallen, der Gedenkstätte Auschwitz oder ähnlichen Stellen zur Verfügung stellt. Leider sehe ich immer wieder, dass wir nicht an demselben Strick ziehen und daß deshalb die Erfolge beim Dokumentieren und Präsentieren der Nazi-Verbrechen kleiner sind als nötig und die Lehre aus der Geschichte nicht eindeutig.
6.2 Mein Freund Florian
„Servus! Wie geht es dir?” Es könnte besser sein, aber ich habe keinen Grund zum Klagen. Wenn es so bleibt, bin ich zufrieden.” „Du sagst, es geht dir gut, aber wie geht es dem Florian?” „Ich denke, genauso, wie mir. Aber warum fragst du?” „Ein Nachbar sah ihn, als er im Müllkasten suchte und sich etwas herausholte. Der Nachbar hat das mehrmals gesehen und macht sich deshalb Gedanken.” „ Unglaublich! Ihm muß es doch ziemlich gut gehen. Er hat eine Rente, eine kleine, aber gut eingerichtete Wohnung mit WC, Bad und Fernheizung.”
Dieses Gespräch hat mich beunruhigt. Eines Abends ging ich zum Florian. Zufällig traf ich ihn auf dem Weg nach Hause. In der Hand hatte er eine Tüte. Seine Einladung, bei ihm einen Tee zu trinken, nahm ich gerne an. Florian stellte die Tüte ab, kochte Wasser, und bald war der Tee auf dem Tisch. Meine Fragen beantwortete er kurz: „Gesundheitlich, finanziell geht es mir gut. Ich lebe einsam. Nicht immer reichen mir Radio, Bücher und Zeitungen, dann gehe ich spazieren. Aber ich dränge in kein Haus, weil ich weiß, dass die Menschen wie ich Ruhe brauchen. Man besucht mich auch selten, nur manchmal kommt ein Kamerad, wie du ein ehemaliger Häftling. An die Zeit meiner Verhaftung will ich nicht zu oft erinnert werden.”
„Also hast du keinen Grund, dich zu ärgern?” „Manchmal doch. Du weißt, wie anders wir manche Probleme einschätzen.” Dabei nimmt er seine volle Tüte in die Hand und schüttet den Inhalt auf eine alte Zeitung. „Schau, das wird von Menschen, die behaupten, es ginge ihnen materiell schlecht, in den Müllkasten geworfen: Brötchen, Brotkanten, ein halbes Brot, ein Stück Käse, nur weil es nicht mehr frisch ist.” „Du holst das aus dem Müllkasten?” „Ja, das kann ich doch nicht dulden. Die haben keine Ahnung, was ein Stück Brot wert ist. Sie hatten nie Hunger, sie waren nie Häftlinge. Das müsstest du als ehemaliger Häftling doch auch so sehen .” Florian geht zum Fenster, macht es auf und zeigt mir einen Futterkasten. „Ich bin Rentner, ich habe Zeit. Dieses Brot schneide ich, und du solltest sehen, wie sich meine Freunde, die Vögel, darauf freuen. Komm morgen früh und du wirst es sehen. Es gibt sogar freche Spatzen, die in mein Zimmer kommen, wenn im Kasten nichts ist. Ich füttere die Vögel mit Brotabfällen und Kartoffelresten, aber ich suche nichts für mich im Müllkasten. Was gehen mich die Menschen an. Sie sollen denken, was sie wollen. Was ich denke, habe ich ihnen zu sagen versucht. Sie sind faul und verstehen wenig. Sie haben nie gehungert, ihnen fehlte es nie an Brot. Und glaubst du, in dem Müllkasten deines Blocks findest du kein Brot?”
Ich habe es gefunden. Dabei erinnerte ich mich an die Erzählung einer Frau, die vom befreiten Auschwitz ein Waisenkind geholt hatte. Ihr etwa fünfjähriger Adoptivsohn versteckte die Brotreste vom Frühstück unter dem Sofa. Als die Mutter ihn fragte, was er da mache, sagte er: „Ja, heute haben wir Brot bekommen, aber bekommen wir morgen auch eine Portion?” Und solch eine Antwort einige Monate, nachdem der Kleine aus dem Lager geholt worden war. Etwas Gemeinsames haben doch die ehemaligen Häftlinge.
6.3 Schluß mit der Freundschaft
Er war kein Pole, er war kein Deutscher; es ist auch egal, welcher Nationalität dieser Mensch war. Bei dieser Erzählung geht es nicht um die Nationalität sondern um die Einstellung. In der Zeit, wo ich schon einige „Auschwitzer Kinder”, nämlich Kinderhäftlinge, kennen gelernt hatte, traf ich ehemalige Lagerkameraden, denen dieses Thema interessant erschien. Manchen Kindern wollte ich bei der Suche nach ihren Familien behilflich sein, denn sie wussten nicht, von wo sie nach Auschwitz oder in ein anderes Lager gebracht worden waren. Sie wussten nichts und lebten in Kinderheimen oder bei Adoptiveltern. Manche meiner Kameraden konnten auch nicht verstehen, warum ich mich „privat” mit diesen Problemen beschäftigte. Man machte mir sogar Vorwürfe, aber ich habe es weiter gemacht.
Einmal kam zu mir, wieder „privat”, dieser ausländische Kamerad, der von mir einige Geschichten dieser „Auschwitzer Kinder” gehört hatte, und machte mir nach längerem Gespräch einen Vorschlag. Ich sollte ihm die Adressen einiger solcher Kinder geben, und er wollte sehen, dass in seinem Land reiche Leute, auch ehemalige Häftlinge, den Kindern etwas schicken und eine Freude machen könnten. Nach einem Jahr besuchte er mich wieder. Ich fragte ihn, ob er etwas erreicht hätte und ob Liebesgeschenke abgesandt worden seien. Die Antwort war. „Ja, das wollte ich dir sagen. Ich fand Menschen, die bereit gewesen wären, Pakete zu senden, aber an Kinder unserer Nationalität.” Ich wurde grob: „Verstehst du mich? Ihr teilt wieder die Menschen, wie damals Hitler und Goebbels, bist du verrückt? Viele von diesen Kindern wissen doch gar nicht, woher sie kommen. Ist das nicht genug, um ihnen ein Zeichen der Freundschaft zu geben? Laß mich in Ruhe, du hörst von mir kein Wort mehr über die Geschichte auch nur eines dieser Kinder. Schluß mit unserer Freundschaft.”
Das waren meine letzten Worte, aber dann habe ich mir Gedanken gemacht. War ich berechtigt, ihn im Namen der Auschwitzer Kinder so grob zu behandeln? Vielleicht hätte doch jemand einigen dieser Kinder geholfen. Und dabei ging es doch gar nicht um den materiellen Wert dieser Geschenke. Diese Kinder brauchten auch und vor allem ein Zeichen der Freundschaft, sogar der Liebe, die sie wie die Familien finden wollten. Heute, nach vielen Jahren, weiß ich, dass Reiche im Stande sind, Geschenke zu machen. Von Bedeutung aber ist das, warum sie es tun und was sie dafür erwarten. Geben, ohne etwas zu erwarten, ist eine Kunst und kein Geschäft, ist menschlich. Aber das muß man wissen.
6.4 Ein Vorschlag, keine Werbung
Griechenland ist schön, vor allem bei gutem Wetter. Wir waren dort Ende Oktober. Und es gab fast einen griechischen Winter. Es hat geregnet und war kalt, aber mit dem Winter in Polen kann man diesen Winter nicht vergleichen. Bei schönem Wetter würde man sich bemühen, das Dorf Kalavrits zu besuchen oder Menschen zu treffen, die vom Schicksal der verfolgten griechischen Juden berichten können. Wenn man in Athen die Spuren der altgriechischen Kultur gesehen hat und in Thessaloniki dasselbe, wenn man fotografiert hat, dann kann man die Filme im Fotogeschäft Cougno an der Venizelostrasse 15 entwickeln lassen. Aber es geht mir nicht um die Werbung. Man kann auch so hingehen und sich mit der Dame an der Kasse unterhalten. Man muß sich aber beeilen, denn sie ist schon 80 und kommt noch jeden Tag zu dieser Arbeit.
Wer das ist? Das ist Hella Cougno, liebevolle alte Dame, „freche Jüdin.” Ja, als sie mit Mann, Tochter und Sohn auf der Rampe in Birkenau ankam, wurden die Menschen aus den Viehwagons gejagt. Die SS-Männer fingen an, die Juden zur Selektion aufzustellen. Als Hella erfuhr, dass man Mann und Sohn von ihr trennen wollte, schrie sie, dass die ganze Familie zusammen bleiben muß. „Ich wurde ganz laut und frech. Ja, deutsch und laut habe ich” wie sie es sagt, „ meine Meinung gesagt.” Da fragte ein SS-Offizier, was hier los sei. Sie wiederholte laut, dass die Familie zusammenbleiben müsse, und der Offizier fragte weiter, woher sie so gut deutsch könne. Sie erklärte ihm, dass sie und ihr Mann und ihre Kinder nicht nur deutsch könnten, denn Sprachkenntnisse charakterisierten doch gebildete Menschen. Und sie müssten zusammenbleiben. Sie kämpfte um ihre Familie und sie hatte Erfolg. Es war wohl das einzige Mal, daß Frechheit gegenüber einem SS-Mann siegte. Hella erkämpfte sich ihre Familie, und alle haben den Krieg überlebt.
Sohn Heinz, Auschwitz-Häftling 109 565 hat 1982 ein Buch darüber veröffentlicht. Der Bildteil hat mich angesprochen, den griechischen Text konnte ich leider nicht verstehen. Aber ich bin überzeugt davon, dass man daraus vieles über das Schicksal der griechischen Juden und der Bürokratie in Auschwitz erfahren kann. Hella und Tochter Erika, sie lebt auch in Thessaloniki, haben im sogenannten Himmelskommando gearbeitet. So nannten es die weiblichen Häftlinge, die in der Politischen Abteilung des Lagers Schreiberinnen waren. „Sekretärinnen des Todes” nannte sie Lore Shelley in ihrem gleichnamigen Buch. Aus diesem Buch erfährt man auch mehr über Mutter und Tochter Cougno. Hella war die Nummer
38 911, Erika 38 910. Die Registratur der Politischen Abteilung lag im Gebäude der Kommandantur, außerhalb des Stacheldrahtzaunes. Heinz Cougno und sein Vater arbeiteten in der Häftlingsschneiderei in Block 1, der sich gegenüber der Kommandantur innerhalb des Stacheldrahtzaunes befand. Auf die Entfernung von 10 höchsten 15 Metern konnte die Mutter durch den Stacheldrahtzaun ins Lager schauen und dort ihren Mann und ihren Sohn sehen. Manchmal konnten sogar Mutter und Tochter gemeinsam hinüberschauen und bedauerten dabei, dass sie die Taubstummensprache nicht beherrschten. Denn rufen durfte man nicht, auch nicht zu lange am Fenster stehen. Mann und Sohn konnten ebenfalls nur kurz ans Fenster treten, von Zeit zu Zeit zur Kommandantur schauen, manchmal winken und lächeln. Sie mussten gute Schauspieler sein. Selten war es möglich, dass die Männer am offenen Fenster stehen und sich laut unterhalten konnten. Dabei konnten sie dann auch den Frauen Informationen zukommen lassen.
Später wurde das besser organisiert, und das war der Erfolg der Hella. In der Politischen Abteilung haben neben den Jüdinnen auch polnische Männer gearbeitet. Es ergaben sich Kontakte, und diese Polen waren dann die Vermittler zwischen den weiblichen und den männlichen Mitgliedern der Familie Cougno. Es wurden keine Briefe überbracht, andere Sachen aber doch geschmuggelt. Denn ein Brief war gefährlicher als ein Stück Seife. Trotzdem mussten sich die Männer weiterhin ans Fenster stellen, und Hella kontrollierte ihren Zustand. Die Polen Feliks, Willibald und Roman sorgten dafür, dass die fürsorgliche Mutter viel erfuhr und sah. Ungefährlich war das nicht. Gab es doch auch unter den Häftlingen Spitzel. Sie wirkten vertrauenserweckend und waren doch ganz gefährlich, die Dorosiewicz, Kaul usw.
Hella, Erika und die anderen vom Himmelskommando lebten unter besonderem Streß. Sie erfuhren viel, und sie wussten auch, was die SS mit solchen Geheimnisträgern macht, wenn sie sie nicht mehr brauchte. Vielleicht hat diese Jüdinnen und Polen aber auch der Glaube der SS-Männer an die „Wunderwaffe”, den „Endsieg” gerettet. Vielleicht glaubte die SS, dass sie nach dem Sieg diese Häftlinge brauchte, denn sie waren in die Lagerbürokratie eingearbeitet. Jeder Herrenmensch von der Politischen Abteilung hat seine Rolle beim Erhalten der Sicherheit unterstrichen. Und die Wichtigtuerei der einzelnen SS-Männer gab den Häftlingen die Gelegenheit, noch mehr Statistiken, neue Formulare und Berichte vorzuschlagen. Damit wuchs die Wichtigkeit des Chefs und die Hoffnung der Häftlinge, dass sie unersetzbar seien. So versuchten SS-Männer und Häftlinge, immer den Eindruck zu vermitteln, dass sie die Hände voll Arbeit haben .... und wie wichtiger Arbeit! Für die Häftlinge war das die Chance, am Leben zu bleiben, und für die SS-Männer, sich vor der Ostfront zu drücken. Rapportführer Gerhardt Palitzsch soll sogar gesagt haben, daß er so viele Feinde, wie er in Auschwitz erschossen habe, unter keinen Umständen an der Ostfront hätte töten können. Ich habe dies nicht selbst gehört. Aber ich sah ihn, als er nach einer Exekution vom Todesblock 11 pfeifend zurückkam, mit dem Kleinkalibergewehr unter dem Arm. Er hätte es gesagt haben können. Am 29.August 1942 stand auch ein SS-Mann auf dem Hof und pfiff. Es war einer der Assistenten bei der Selektion, die ich gerade überstanden hatte. Was sollte das Pfeifen? Nun ja, die Familie Cougno hat auch überlebt.
6.5 Mengeles Portraits
Nach dem Tod seiner Schwester holte sich der junge Pole Stanislaus ein Kind aus dem eben befreiten Lager Birkenau. Das kleine Mädchen sollte ihm und seiner Mutter die Verstorbene ersetzen. Dabei erhielt er von einem erwachsenen Häftling, dem er erzählt hatte, warum er die Kleine holt, ein rotes Papier. Der Häftling schärfte ihm ein, dass dieses Papier besonders wertvoll sei, und noch manches andere, was der Stanislaus fast vergaß. Nach 18 Jahren wollte die Eva, das Kind vom Lager, wissen, wer sie ist, von wo sie stammt und wer mit ihr zusammen nach Birkenau gebracht worden war. Das konnte sie als damals zweijähriges Kind nicht wissen. Jetzt aber wollte sie alles erfahren.
Die ihr eintätowierte Häftlingsnummer A-5116 erlaubte festzustellen, dass sie von Ungarn nach Birkenau gebracht worden war. Deshalb suchte man dort nach Eltern und Verwandten. Unter vielen möglichen Eltern gab es aber nicht die richtigen. Davon erzählt der ungarische Film „Eva A-5116”. Auch das rote Papier konnte nicht helfen. Der Stanislaus konnte sich nur noch erinnern, dass man ihm gesagt hatte, diese Rolle sei wertvoll. Es war eine Rolle mit Portraits. Die Portraits seien im Zigeunerlager im Ärztezimmer des Dr.Mengele gewesen. Jetzt waren diese Portraits Eigentum seiner Schwester Eva, und sie war bereit, diese 7 Zigeunerportraits der Gedenkstätte Auschwitz zur Verfügung zustellen. Dort nahm man auch die Aussage des Stanislaus zur Kenntnis, aber es fehlte jeder Beweis. Ja, sie wurden für Dr.Mengele gemalt, manche wurden auch unterschrieben, „Dinah” oder „Zigeunermischling aus Deutschland”. Aber wer war diese Dinah? Leider hat die SS versucht, jede Dokumentation der Verbrechen zu vernichten, und trotzdem versuchten Häftlinge, alles mögliche zu retten. In den geretteten Lagerdokumenten gab es nichts, was beim Feststellen der Autorin der Zigeunerportraits helfen konnte.
Doch ein Zufall half. In der Tschechoslowakei hatten die ehemaligen Häftlinge Ota Kraus und Erich Schön bereits im Jahr 1946 das Buch „Tovarna na smrt (Todesfabrik) herausgebracht. Ich hatte es schon 1947 erhalten, aber damals nichts von den Zigeunerportraits gewusst. Zufällig nahm ich nun das Buch wieder in die Hand und fand auf der 12. Illustration, einer Zeichnung „Essensausgabe”, die Unterschrift „Dinah 1945”. Die Rückfrage bei einem der Autoren ergab, dass Dinah (Dinah Gottliebowa) in Prag wohnte; weitere Rückfragen bei Kameradinnen ergaben, dass sie inzwischen in Hollywood als Grafikerin arbeitete, und ich erhielt sogar die Anschrift. Ich schrieb, aber Monate vergingen, und ich erhielt keine Antwort, auch nicht auf weitere Briefe. Schließlich gab ich die Hoffnung auf. Aber eines Tages klopfte es an meine Tür, die Tür ging auf und jemand sagte: „ Ja jsem Gottliebowa” (Ich bin Gottliebowa). Die Dinah hat sich gefreut, dass die Portraits gerettet worden waren, hat ihre Arbeit genau angeschaut und erzählt, dass sie nicht nur 7 sondern mehr Portraits für Mengele gemalt hat. Er zeigte ihr jeweils die Zigeuner, die er portraitiert haben wollte, weil er sie als Versuchskaninchen betrachtete. Sie hatte auch im Lager die Wände der Kinderbaracke mit Märchenbildern geschmückt. Als ich aber mehr über Mengele wissen wollte, ließ sie mich das Tonbandgerät ausschalten. Sie traute mir nicht. Ich bat sie auch, mir die Angaben zu ihrer Person zu unterschreiben. Auch das wollte sie nicht tun und fragte mich, wofür ich das brauche. Dieses Misstrauen oder die Angst, fing an mich zu ärgern, und ich sagte: „Wissen sie nicht, für wen ich das brauche? Für die Gestapo.” Da lachten wir beide und das Gespräch konnte weiterlaufen. Dinah erzählte, dass sie mit Mutter und Bruder ins Lager Birkenau eingeliefert worden war. Mutter und Bruder lebten nicht mehr, und sie hatte ihnen nicht helfen können. Sie interessierte sich auch dafür, was man in einer solchen Gedenkstätte macht und warum man es macht. Ich habe es ihr erklärt und vorgeschlagen, sie solle gehen und sich selbst davon zu überzeugen. Dabei begleitete sie dann eine Mitarbeiterin, weil ich ihre Zurückhaltung mir gegenüber sah. Weil ich viel wissen wollte und viele Fragen gestellt hatte, hatte sie vielleicht gedacht, dass ich ein Geheimdienstler sei. Es dauerte nicht lange, da kam Dinah mit der Mitarbeiterin zurück, war schockiert und weinte. „Wissen sie, was ich dort gefunden habe? Dort in einem Block, in der Ausstellung liegt der Koffer meines Bruders, Peter Gottlieb steht darauf.”
Also habe ich gedacht, zwei wichtige Ergebnisse; ich weiß mehr, aber nicht alles, über die Zigeunerportraits und ein Koffer wurde identifiziert; wir wissen, wer sein Eigentümer war. Mehrere Tage hat mich das beschäftigt. Ich versuchte, aus der Tonbandaufnahme und aus unserem Gespräch einen Bericht zu schreiben. Dabei war es wichtig festzuhalten, dass die Autorin der Bilder gefunden worden war, dass sie Häftling gewesen und als Kunstmalerin von Mengele zum Malen der Portraits von Opfern pseudomedizinischer Versuche eingesetzt worden war. Jedes Portrait sollte nicht nur die Gestalt des Kopfes sondern auch die Hautfarbe darstellen. Die Portraits sollten in einem medizinischen Buch zur Rassenforschung dann reproduziert werden. Ich notierte auch, dass Dinah zufällig den Koffer ihres Bruders gefunden hatte und daß sie für die Kinder gemalt hatte. Aber ich habe nicht erwähnt, was sie mir gesagt hatte, als das Tonband gerät ausgeschaltet war. Keine Aussagen waren über Mengele enthalten, nichts, was ihn belastet hätte. Ich schickte ihr den Bericht zu und hoffte, dass sie ihn mir unterschrieben zurücksenden würde. Dass ist nicht passiert, leider nicht! Schade, dass sie solche Angst hatte, nach Polen zu fahren, dass sie so wenig erzählte, dass sie nichts unterschrieben hat. Ich bin sicher, dass es für Dinah ein tiefes Erlebnis war. Es bleibt für mich aber unverständlich, warum sie, ehemaliger Häftling, Jüdin, keinen Mut fand, mehr von Mengele zu erzählen.
Für mich ist wichtig, dass die Portraits da sind, dass wir mehr wissen und daß die Portraits beweisen und anklagen; nicht so sehr den Mengele, denn der lebt nicht mehr. Sie klagen das ganze System an, die alten Nazis, die diesem System dienten, und die Neonazis, die es gerne wiederholen möchten.
6.6 Wortschatz
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Wortschatz vieler Sprachen vergrößert. Das Wort „Völkermord” brauchten die Juristen. „Dalli, dalli!” (von polnisch: Dalej, dalej - weiter, weiter) war in den Lagern gebraucht worden. Und noch immer hört man diese und ähnliche „Wortschätze”.
Den Begriff „Politischer Häftling” möchte ich aus den Wörterbüchern streichen. Muß jemand Häftling sein, weil er politisch anders denkt und handelt? Das Wort „Führer” erinnert mich an Lagerführer, Rapportführer, Einsatzführer, und deshalb möchte ich es auch streichen. Doch wodurch kann es ersetzt werden, wenn es bei manchen so tief in das Herz eingedrungen ist? Gibt es ein Ersatzwort für den Museumsführer in der deutschen Sprache? Das Wort „Einsatzgruppe” erinnert mich an die Untaten der „Einsatzgruppen” hinter der Ostfront. Warum wird dieser Begriff zum Beispiel heute noch bei der Polizei verwendet?
Nein! Nehmt das nicht ganz ernst ...... Das sind fromme Wünsche, die mir die Erinnerung an meine Erlebnisse in den Kriegsjahren eingegeben hat. Ich möchte vielmehr das alte römische Sprichwort verändern. Nach den Hoffnungen des Jahres 1987 möchte ich aus „Si vis pacem, para bellum” das bessere „Sie vis pacem, para pacem” machen. Je mehr Menschen dies praktizieren, desto größer können die Hoffnungen auf das Gelingen sein.
6.7 Ich hoffe...
Sie saß am Tisch, und ich hörte, wie sie deutsche Grammatik lernte: die Bank, der Bank, der Bank, die Bank. Dabei fragte ich mich, warum sie dieses Wort benutzt. Will sie reich werden? Es war nur eine Grammatikübung. Kurz danach hörte ich: ich hoffe, du hoffst, er sie es hofft. Na ja, kam mir der Gedanke, jeder Mensch wartet und hofft. Man wartet von der Geburt bis zum Tod auf etwas, und das ganze Leben hofft man.
Nach dem 2.Weltkrieg gab es so viele Hoffnungen, und inzwischen sieht man, dass nur wenige erfüllt werden konnten. In Auschwitz waren unter den 180 befreiten Kinder-Häftlingen viele, die nicht wussten, wie sie heißen, wie alt sie sind und wo sie herkommen. Dann fanden sich Menschen und Organisationen, die ihnen helfen wollten. Manchen konnte man helfen. Auf Grund der eintätowierten Häftlingsnummern und von Lagerdokumenten konnten die Eltern gefunden werden. Nur wenige waren es, aber bei vielen Müttern, die auf die Rückkehr ihrer Kinder warteten, haben die wenigen Glücksfälle viel Hoffnung geweckt. Wenn man die Eltern von Kola, Hanka und Luda finden konnte, dann darf ich doch auch Hoffnung haben, dass mir geholfen wird. Doch was blieb den Eltern verschleppter Kinder, die die Kinder nicht gefunden haben? Die Hoffnung bis zum Lebensende.
Im Jahre 1987 wurden bei allen Menschen Hoffnungen geweckt, dass die Welt anders aussehen könnte. Verschieden sind aber die Vorstellungen dieser Veränderungen bei den einzelnen Menschen und Völkern. Alle warten. Die einen sitzen vor dem Fernseher und warten, andere haben schon vor 1987 versucht, in Menschen Hoffnungen zu wecken. Man musste schon ein großer Optimist sein, um nach dem schrecklichen 2.Weltkrieg eine Organisation zu gründen, die wieder große Hoffnungen weckte. Es gab verschiedene solcher Initiativen; sie waren mehr oder weniger erfolgreich. Zu denen, die, obwohl nicht ohne Schwierigkeiten, Erfolg hatten, gehört die „Aktion Sühnezeichen”, die ihren Namen später noch um „Friedensdienste” ergänzte. Als ich vor vielen Jahren als ehemaliger Häftling von dieser Organisation hörte, hat das in mir die Hoffnung geweckt, dass zwischen Deutschen und Polen, aber auch anderen, etwas Neues und Positives passieren könnte. Der Name „Sühnzeichen” hat manchem Deutschen nicht gefallen. Sühne? fragten sie. Aber meiner Meinung nach ist das doch ein Weg der Verständigung. Einige Jahre später traf ich in Frankfurt a.M. die Mitglieder von „Zeichen der Hoffnung” - Znaki Nadziei”. Dieser Name hat mich überzeugt, denn was wäre das Leben wert ohne Hoffnung? Zeichen der Sühne und Zeichen der Hoffnung. Fast wäre ich der Meinung, es sollte zu einer Vereinigung dieser Organisationen kommen; denn grundsätzlich wollen die beiden dasselbe. Und ich könnte noch mehr „Freundeskreise” oder Gesellschaften nennen, die eigene Wege gehen, sich gegenseitig gut verstehen und sogar unterstützen ... alle wecken sie Hoffnung. Ja! Zeichen der Hoffnung, obwohl es so extremistische Erscheinungen wie wieder auflebenden Haß gegen Fremde, Vorurteile und Herrenmenschengefühle wieder gibt. Trotz allem bleibt die Hoffnung und mein Dank allen, die Hoffnung wecken wollen.
6.8 So wenige Schuster...
„Jedem das seine” und „Arbeit macht frei”, aber wie nennt man die Menschen, die in Fabriken Schuhe produzieren? Doch nicht Schuster; denn ein Schuster kann nicht nur Schuhe herstellen, sondern auch reparieren und flicken. Deswegen behaupte ich, dass es jetzt an Schustern fehlt. Braucht doch unser Leben auch Flicken auf den Löchern, muß repariert werden. Das versuchen die Politiker zu machen, könnte jemand sagen. Ich aber möchte einfachere Menschen um Hilfe bitten, Lebensschuster. Es gibt solche Menschen, die Lücken in der Geschichtsschreibung zunähen möchten, und auch solche , die diese Löcher noch weiter aufreißen möchten. Letztere machen es oft beruflich, denn sie glauben, Arbeit macht frei. Frei von Gedanken, die die Vergangenheit verursacht? Frei von der Verantwortung für die Erziehung der zweiten und dritten Generation?
Vor einiger Zeit habe ich mich mit einer Gruppe junger Deutscher unterhalten. Mir, dem ehemaligen Häftling von drei Konzentrationslagern, wurden Fragen gestellt. Ich sah, dass die Jugendlichen aufmerksam zuhörten. Ich konnte es gut feststellen, denn die Gruppe war klein, und es gab keine Unruhe oder am Rande gemachte Bemerkungen. Einige Minuten nach dem Treffen kam ein Mädchen zurück und sagt zu mir:” Während ihrer Erzählung wäre ich fast eingeschlafen. Nicht nur ich, auch viele andere. Uns geht das nichts an.” Dann zog sie weiter vom Leder, ganz aufgeregt: „Alle Türken müssen raus aus Deutschland, das ist nicht nur meine Meinung.” Der Organisator des Treffens und ich fragten das Mädchen: „Warum
denn ?” „Die sollen zurück in die Türkei.” „Aber manche sind doch in Deutschland geboren!” „Alle müssen raus; die haben so viele Kinder, dass sie uns bald die Arbeit wegnehmen; die sind so schmutzig und haben eine so fremde Lebensart, was ärgerlich ist.” „Aber außer den Türken gibt es doch in Deutschland auch noch andere Ausländer, Italiener oder Polen wie mich? „Gegen die Polen habe ich nichts (ich dankte ihr im Stillen), aber die Türken müssen raus. Schon jetzt gibt es viele Arbeitslose, und die Fremden besetzen unsere Arbeitsplätze.” Der Organisator des Treffens sagte: ”Aber wir haben die Türken doch als Arbeitskräfte hergeholt.” „Damals gab es eben noch nicht so viele Arbeitslose, und die Türken holen auch noch das Arbeitslosengeld vom Staat.” „Weißt du nicht, dass das Geld nicht vom Staat kommt, sondern dass jeder Beschäftigte Geld eingezahlt hat?” „Das geht mich nichts an. Früher hat es auch viel Arbeitslose gegeben, und erst Hitler hat ihnen Arbeit gegeben.” „Was meinst du?” „Auch die Autobahnen” „Weißt du nicht, dass die schon für den Krieg vorgesehen waren, als strategische Straßen ?” Und dann kam es wieder, von den Türken usw. usw. Als ich wegfahren musste, habe ich dem Mädchen für so viel Offenheit
gedankt. Meine Hand, die ich ihr geben wollte, hat sie nicht angenommen. Zornig ist sie weggegangen, fast weggelaufen.
Noch lange habe ich an dieses Gespräch gedacht. Niemand, auch sie nicht, war während des Treffens eingeschlafen, sonst hätte sie nicht so reagiert. Es war gut, dass sie zurückkam und sich äußerte. Sie hat mir Löcher gezeigt, die ich als Pole nicht flicken kann. Politiker und Erzieher haben es offenbar auch nicht geschafft. Vielleicht finden sich „Schuster”, die solchen jungen Menschen helfen können. Nach der Reaktion des Mädchens sehe ich aber auch, dass solche Treffen und Gespräche sehr notwendig sind.
6.9 Schuldig geboren?
Adam und Eva hat der verbotene Apfel gut geschmeckt. Sie wurden aus dem Paradies gejagt, und ihre Kinder tragen bis zum heutigen Tag die Schuld der bösen Tat. Aber die Taufe des Kindes soll die Schuld der Ureltern löschen. Wie viele dürfen sich nach der Geburt als schuldig geboren fühlen? Mit großem Interesse habe ich das Buch „Schuldig geboren - Kinder aus Nazifamilien” von Peter Sichrovsky gelesen. Andere Gefühle hat das Buch des Sohnes des „polnischen Königs”, wie sich Generalgouverneur Hans Frank nannte, geweckt. Gibt es auch für diese eine „Taufe”, die die Schuld der Eltern löschen möchte und sie nicht auf weitere Generationen überträgt ?
Ich kannte jemand, der sich wohl nicht als schuldig geboren gefühlt hat, der aber wusste, dass seine Eltern schuldig waren. Sein ganzes Leben, seine Gedichte hat er der Versöhnung zwischen den Deutschen und den von den Nazis verfolgten Völkern gewidmet. Sein Dienst und ganzes Leben könnte ein gutes Beispiel für alle sein, die sich schuldig geboren fühlen. Ich meine Volker von Törne, meinen Freund. Ich glaube das war seine „Taufe”.
Es wäre traurig wenn die, die sich schuldig geboren fühlen, keine Hoffnung sehen würden. Hoffnung muß man haben, Zeichen der Hoffnung gibt es. Wir müssen versuchen, uns gegenseitig zu helfen.
6.10 Der durstige Spatz
Die Spatzen zwitscherten heute so laut, dass sie mich aufgeweckt haben. Trotz des Februars gibt es bei uns Frühlingswetter, und das war wohl der Grund, warum die Spatzen sich freuten. Vom Fenster meines Schlafzimmers habe ich den direkten Blick auf den Stacheldrahtzaun des ehemaligen Konzentrationslagers. Als ich heute morgen aus dem Fenster schaute, sah ich einen Spatz auf dem Stacheldraht sitzen und Wasser vom Isolator trinken. Zu diesem durstigen Spatz sagte ich: „Jetzt kannst du da deinen Durst stillen, aber damals, als im Draht Strom war, habe ich keinen einzigen Spatz auf dem Draht gesehen.” Sehr selten erinnert mich der Ausblick aus dem Fenster an die Zeit, als ich nicht außerhalb sondern innerhalb des Zauns als Häftling „gewohnt” habe. Der Durstige hat die Erinnerungen wieder geweckt. Damals im Lager haben wir keine Spatzen gesehen. Manchmal nur konnte man schwarze Krähen krächzend über das Lagergelände fliegen sehen. Warum flogen sie schreiend und ängstlich? Wußten oder spürten sie mehr als manche jetzigen Menschen, was im Lager passierte?
6.11 Ich habe vielen zu danken....
Vor allem meinen Lagerkameraden, die mich nach dem Krieg besucht oder in brieflichem Kontakt mit mir gestanden haben; so vielen einzelnen Menschen, die ich in verschiedenen Ländern kennen gelernt habe und die mich zu meiner Arbeit ermutigt und mir dadurch geholfen haben. Ich müsste einigen Organisationen danken; insgesamt wäre das eine lange Liste. So danke ich heute namentlich nur den Damen des Deutschen Roten Kreuzes aus Frankfurt, die mir als einem Zuschauer und meinen Kameraden, die im berühmten Auschwitz-Prozeß Zeugen waren, geholfen haben, die Zeit der unfreundlichen Fragen von Seiten der Verteidiger und anderer zu überstehen. Ein freundliches Gespräch, eine Tasse Kaffee und die erwiesene Fürsorge waren Balsam für die Seele. Ich danke auch der Deutschen Ärztegemeinschaft in West-Berlin für die Medikamente, die sie meinen Lagerkameraden und mir so reichlich umsonst zur Verfügung gestellt haben. Die Medikamente haben dem Körper geholfen, und für die Psyche war das eine „Salbe, die langsam die alten Narben zu heilen versuchte.” Noch vielen wäre zu danken für solche und ähnliche Hilfsbereitschaft.
Anhang: Wörterbuch der Herrenmenschen
Auschwitz I
Hauptlager oder Stammlager. Konzentrationslager. 20.5.1940 - 27.1.1945. Häftlinge waren tagsüber im Hygieneinstitut der Waffen-SS in Rajsko zur Arbeit in der Tier- und Pflanzenzuchtanstalt, im Labor und in der meteorologischen Station eingesetzt. 36 Außenkommandos in verschiedensten Orten mit Tätigkeiten u.a. für Siemens, den oberschlesischen Bergbau, Holzmann, Grün und Bilfinger, Borsig-Koks-Werke, Wayss und Freytag.
Auschwitz II
Birkenau. Konzentrations- und Vernichtungslager für russische Kriegsgefangene, Juden, Sinti, Roma und andere. 8.10.1941 - 27.1.1945.
Auschwitz III
Monowitz. Konzentrations- und Arbeitslager. 31.5.1942 - 27.1.1945. Die Häftlinge arbeiteten für die IG Farben AG (Buna).
Blockältester
Vom Lagerältesten vorgeschlagener und von der Lagerführung bestätigter „Funktions-Häftling”. War dem Blockführer für alles, was im Block geschah, verantwortlich.
Blockführer
SS-Mann. Dem Rapportführer unterstellt und den einzelnen Häftlingsblocks vorgeordnet.
Buchenwald
Konzentrationslager. 15.7.1937 - 11.4.1945. 122 Außenkommandos an verschiedenen Orten. Die Häftlinge arbeiteten u.a. für BMW, Bergbau und Hüttenwerke im Ruhrgebiet, Ford, Ruhrstahl, IG Farben AG.
FHA
SS-Führungshauptamt.
Frank, Hans
1900-1946, am 16.Oktober 1946 in Nürnberg hingerichtet; Dr. iur.; Reichsrechtsführer und Generalgouverneur des Generalgouvernements, betrachtete die Polen als Sklaven des Deutschen Reiches; Tötung der polnischen Intelligenz; Plünderung der Kunstschätze des Landes; Vernichtung der Juden.
Generalgouvernement
Umfasste die von deutschen Truppen besetzten und nicht dem Deutschen Reich eingegliederten polnischen Gebiete. Eingegliedert waren Danzig, Westpreußen und das Wartheland. Es war besetztes Gebiet unter fremder Verwaltung. An seiner Spitze stand der Generalgouverneur, der dem Führer direkt unterstand.
Gestapo
Geheime Staatspolizei = politische Polizei.
Groß-Rosen
Konzentrationslager. 1.5.1941 - Februar 1945. 77 Außenkommandos an verschiedenen Orten, u.a. Breslau- Deutsch Lissa. Dort arbeiteten die Häftlinge für die SS im Kasernenbau und für die Firma Paul Urbanski im Straßenbau. Allgemein arbeiteten die Häftlinge des KZ u.a. für Borsig, Rheinmetall, Firma Schindler, Dynamit Nobel, IG Farben AG, VDM, Krupp, Holzmann, Henkel, Hagenuck, Telefunken, AEG.
Heinrich Himmler
1900-1945, Selbstmord; Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei, Reichsinnenminister 1943-1945, Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums; stand über dem WVHA, dem FHA und der Gestapo (Geheime Staatpolizei) mit dem SD (Sicherheitsdienst).
Höß, Rudolf
1900-1947, am 16.April 1947 in Auschwitz vor seinem ehemaligen Wohnhaus gehenkt; in Dachau, Sachsenhausen und Auschwitz tätig, dort als SS-Hauptsturmführer (vergleichbar mit Hauptmann) von 1940 bis 1943 Kommandant; dann Leiter der Abteilung I der Arbeitsgruppe D des WVHA; 1944 Organisator der Massenvernichtung der ungarischen Juden.
Kapo
Vom Italienischen „il capo” = das Haupt, der Vorstand. Häftling, der den Befehl über ein Arbeitskommando hatte und dem Kommandoführer verantwortlich war.
Kommandoführer
SS-Mann. Aufseher über ein Arbeitskommando, den Blockführern gleichgestellt.
Lagerältester
Von der SS bestimmter Häftling. Vertreter des Lagers gegenüber der SS im Sinne von „Selbstverwaltung”.
Lagerführer
Bis zu drei in einem Lager wegen des Schichtdienstes. Leitete das eigentliche Häftlingslager unter der Kontrolle der Kommandantur.
Lagerkommandant
Stand an der Spitze eines Lagers und hatte die volle Verfügungsgewalt im Rahmen der Richtlinien des WHVA. Ihm unterstand die Lager-SS.
Mengele, Josef
1911 - 1979?, 1959 Staatsbürger von Paraguay; Dr.med.; 1943 Chefarzt in Auschwitz; Zwillingsforschung und Rassenkunde; pseudomedizinische Versuche in Auschwitz.
Pohl, Oswald
1892-1951; SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, Leiter des WVHA ab 1942, 1947 von einem amerikanischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt, am 8.Juni 1951 gehenkt.
Politische Abteilung
Vertretung der Gestapo im Lager, von der Lagerführung unabhängig.
Protektorat
Reichsprotektorat Böhmen und Mähren. Besetztes Gebiet, das formal autonom war mit eigenem Oberhaupt und eigener Verwaltung. Die Reichsinteressen wahrte der Reichsprotektor, der in Wirklichkeit die Macht hatte. Der Name soll den Schein einer Schutzherrschaft erwecken.
Rapportführer
Meist zwei. Verbindungsglied zwischen Lagerführer und dem Lager. Über ihn wurden alle Angelegenheiten der Häftlinge dem Lagerführer zugeleitet.
Schreibstube
Entsprach im Sinne der „Selbstverwaltung” dem Rapportführer auf Lagerseite. Von großer Bedeutung für das Schicksal vieler Häftlinge und die Dokumentation.
SS
Schutzstaffel; zunächst kleine Eliteeinheit innerhalb der SA, später mächtige Organisation als „Staat im Staate” des NS-Reiches; als Elite des neuen Deutschland geplant; Totenkopf- und Waffen-SS; vor allem die Totenkopf-SS war in den Konzentrationslagern tätig.
Die Lager-SS war grundsätzlich eingeteilt in die Abteilung I: Kommandantur, die Abteilung II: Kommandanturstab (Verwaltung) und die Abteilung III: Lagerführung. Hinzu kam die vom Kommandanten unabhängige Politische Abteilung.
Für Auschwitz spricht man von Abteilung I: Kommandantur, Abteilung II: Politische Abteilung, Abteilung III: Lagerführung, Abteilung IV: Verwaltung, Abteilung V: SS-Standortarzt und Abteilung VI: Truppenbetreuung.
Stubendienst
Vom Blockältesten ausgewählter und vom Lagerältesten bestätigter Häftling zur Unterstützung des Blockältesten.
WVHA
Das SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt lenkte die gesamten Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten der SS, während Personalfragen, Stellenbesetzung, Ausbildung, Sanitätswesen, Rassenbiologie usw. dem SS-Führungshauptamt (SS-FHA) zugeordnet waren.
Innerhalb des WVHA verfügte die „Amtsgruppe D” über die Konzentrationslager, ein Indiz dafür, wie sehr die SS auch ein großes Wirtschaftsunternehmen war und die Konzentrationslager unter diesem Aspekt betrachtete.