Staat und Kirche im Warthegau

Staat und Kirche im Warthegaui

Am 8. Oktober 1939 wurde durch den Erlaß des Führers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete aus den Provinzen Danzig-Westpreußen und Posen der Reichsgau Wartheland gebildet und in das Deutsche Reich eingegliedert. Er umfasste ein Gebiet von 46.00 qkm mit 4,6 Mio. Einwohnern. Am 26. Oktober 1939 wurde Arthur Greiser, bis dahin Senatspräsident in Danzig und SS-Obergruppenführer, Gauleiter und Reichsstatthalter. Er war also Spitze der Partei und der Zivilverwaltung. Sein Stellvertreter wurde August Jäger, Kennern der Frankfurter und hessischen Kirchengeschichte bekannt, weil der Pfarrerssohn und Jurist 1933 von Wiesbaden aus die Machtübernahme der Deutschen Christen in Südhessen und Frankfurt a.M. organisiert hatte. Greiser und Jäger wurden nach dem Kriege zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Der Warthegau sollte zu einem nationalsozialistischen Modellgau werden. Hierzu stellten die Nationalsozialisten zunächst fest, daß man sich nach der Heimholung ins Reich in einem rechtsfreien Raum befände und deshalb die öffentliche Ordnung von Grund auf neu organisieren müsse. Man tat das dann nicht von der öffentlichen Verwaltung her, etwa über die Berliner Ministerien, sondern von der Partei her, also über die Münchener Parteizentrale (Parteikanzlei) der NSDAP. Dies alles galt auch für die Kirche. Vergeblich kämpfte selbst Reichskirchenminister Kerrl um seine Beteiligung und Einflussnahme an der und auf die Entwicklung.

Grundgedanken der Neuordnung waren nach einer Rede von Greiser im Oktober 1941: „(Ich hebe dies hervor), weil sich uns allen in diesem jungfräulichen Aufbaugebiet des deutschen Ostens zum ersten Mal die Möglichkeit bietet zu einer staatlichen Neuordnung, die dem nationalsozialistischen Prinzip in allen Zügen des öffentlichen Lebens entspricht, oder ihm zumindest möglichst nahe kommt. Infolgedessen haben wir das beglückende Gefühl, eine auf unseren Schultern lastende Aufbauarbeit zugunsten einer sich später einmal auswirkenden gesamten Reichsreform heute schon zum Ansatz zu bringen.” Das bedeutete, daß Polen und Juden vertrieben und Deutsche, vor allem aus Estland, Lettland und Litauen, aber auch aus dem Reichsgebiet, angesiedelt wurden. Die traditionelle Verwaltung als Ausführungsorgan von Regierungsbehörden wurde unmittelbar der Partei unterstellt.

Bezüglich der Kirchen hatte Martin Bormann als Leiter der Parteikanzlei bereits am 28.Januar 1939 an die Gauleiter geschrieben: „ Die Partei hat in den letzten Jahren wiederholt zu dem Plan einer Staatskirche oder einer in sonstiger Form durchzuführenden engeren Verbindung von Staat und Kirche Stellung nehmen müssen (Konzept der Deutschen Christen). Sie hat diese Pläne stets mit allem Nachdruck abgelehnt und zwar aus zwei Gründen. Erstens würde es nicht den weltanschaulichen Forderungen des Nationalsozialismus entsprechen, wenn sich der Staat mit den Kirchen, als der äu-ßeren Organisation von Glaubensgemeinschaften, verbindet, die nicht die Durchsetzung nationalsozialistischer Grundsätze auf allen Gebieten zum Ziele haben, und zweitens sprechen rein praktische politische Erwägungen gegen eine solche, äußerliche Verbindung.” Greiser schrieb am 6.5.1941 an die Reichskanzlei: „ In einem Gebiet aber, in dem kraft der geschichtlichen Neuordnung die alte Rechtsform für die Kirche verschwunden ist, wird man nicht den tatsächlichen Resten der Kirche eine Form geben, wie sie auf Grund unserer Rechtsbegriffe bereits überholt ist, sondern man wird die Weiterexistenz allenfalls in den Formen gestatten, die die nationalsozialistische Gemeinschaft und Staatsordnung für solche Gebilde für zulässig hält.”

In Umsetzung dieses Gedankengutes wurden am 10. Juli 1940 den Vertretern des Posener Konsistoriums „13 Punkte” eröffnet:

  1. Es gibt keine Kirchen mehr im staatlichen Sinne, sondern es gibt nur noch religiöse Kirchengesellschaften im Sinne von Vereinen.
  2. Die Leitung liegt nicht in den Händen von Behörden sondern von Vereinsvorständen.
  3. Deshalb gibt es auf diesem Gebiet keine Gesetze, Verordnungen und Erlasse mehr.
  4. Es bestehen keine Beziehungen mehr zu Gruppen außerhalb des Gaues.
  5. Mitglieder können nur Volljährige durch schriftliche Beitrittserklärung werden.
  6. Alle konfessionellen Untergruppen, Nebenorganisationen (Jugendgruppen) sind aufgehoben und verboten.
  7. Deutsche und Polen dürfen nicht mehr zusammen in einer Kirche sein.
  8. An den Schulen darf kein Religions- oder Konfirmandenunterricht mehr gegeben werden.
  9. Es dürfen außer dem Vereinsbeitrag keine finanziellen Zuschüsse mehr gegeben werden (keine Kollekten und Sammlungen).
  10. Die Vereine dürfen kein Eigentum wie Gebäude, Felder, Friedhöfe außer den Kulträumen besitzen.
  11. Die Vereine dürfen sich nicht in der Wohlfahrtspflege betätigen.
  12. Alle Stifte und Klöster werden aufgehoben, da diese der deutschen Sittlichkeit und der Bevölkerungspolitik nicht entsprechen.
  13. In den Vereinen dürfen sich die Geistlichen nur aus dem Warthegau betätigen. Dieselben sind nicht hauptamtlich Geistliche, sondern müssen einen Beruf haben.

Im Jahre 1941 wurden vier religiöse Vereinigungen als juristische Personen des privaten Rechts anerkannt:

  1. Die Posener evangelische Kirche deutscher Nationalität im Wartheland.
  2. Die Litzmannstädter evangelische Kirche deutscher Nationalität im Wartheland.
  3. Die evangelischlutherische Kirche deutscher Nationalität im Wartheland.
  4. Die römischkatholische Kirche deutscher Nationalität im Reichsgau Wartheland.

Für die Polen gab es keine Kirche mehr.

Die evangelische Kirche mit Generalsuperintendent Blau an der Spitze war erschüttert. Nach den Jahren der Diskriminierung im polnischen Staatsverband hatte sie nach dem gewonnenen Krieg ihre ganze Hoffnung auf die Eingliederung ins Deutsche Reich gesetzt und darauf, daß dann das deutsche Staatskirchenrecht gelten würde. Mündliche und schriftliche Vorstellungen bewirkten nichts. Die staatlichen Behörden waren sogar angewiesen, alle Beschwerden an die Parteikanzlei in München weiterzuleiten. Von dort wurden sie beantwortet oder auch nicht. Als Blau sich am 30.4.1940 direkt an Hitler wendete, nahm Bormann Stellung und schloß lakonisch „.. dazu ist lediglich zu bemerken, daß unsere nationalsozialistischen Grundsätze über die Trennung von Kirche und Staat nicht dieselben sind, als die der Demokratie.” Auch die Proteste des Vatikans prallten an den Parteifunktionären ab.

Es ist leicht, sich vorzustellen, was das alles im kirchlichen Alltag bedeutete. Deshalb sei nur auf zwei Sachverhalte hingewiesen. Alle deutschen Regierungsbeamten, die in den Warthegau versetzt worden waren und nicht von dort stammten, sollten eine Erklärung unterschreiben, daß sie beabsichtigen aus der Kirche auszutreten. Im Januar 1942 wurden alle Lehrer automatisch für aus den Kirchen ausgeschlossen erklärt. Im Mai des gleichen Jahres wurde diese Regelung auf alle Mitglieder der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen ausgedehnt. Außerdem sollten sie sich verpflichten, bei der Rückkehr ins Altreich, nicht wieder in die Kirche einzutreten. Auf Grund vieler Proteste wurde diese Regelung dann im Jahre 1944 wieder aufgehoben.

Für die katholische Kirche, die ja noch stärker als die evangelische betroffen war, gilt für den 1.Oktober 1941, daß von den 681 Welt- und 147 Ordenspriestern allein der Diözese Posen 451 in Gefängnissen oder Konzentrationslagern waren, 120 in das Generalgouvernement „evakuiert” waren, 74 erschossen oder in Konzentrationslagern umgekommen waren, 32 ihr Amt nicht ausüben durften, 24 ins Ausland geflohen waren und 12 vermißt wurden. Von 828 Priestern konnten 34 den polnischen und 17 den deutschen Gemeinden dienen. Übrigens waren 1942 nicht weniger als 1773 polnische Priester in Dachau, die größte Einzelgruppe von Gefangenen.

Abschließend kann man feststellen, daß am Beispiel Warthegau zu sehen ist, welches Schicksal den Kirchen und den Christen auch in Deutschland beschieden gewesen wäre, wenn Deutschland den 2. Weltkrieg gewonnen hätte. Halten wir noch einmal fest:

-Neuordnung nicht durch Gesetzgebung sondern durch Verwaltungshandeln ohne Beteiligung der Betroffenen.

- Verdrängung der Kirche aus dem öffentlichen Leben und ihre Gefangensetzung in einem eng begrenzten und vom Staat ständig kontrollierten Raum.

- Neuordnung als Konsequenz des Totalitätsanspruchs des Weltanschauungsstaates.

- Eine Neuordnung, die erneut den Kampf zwischen Staat und Kirche, zwischen den Herrschenden und den an Christus Glaubenden provoziert.

So könnte man sagen , daß hier deutlich wird, wie weit   der Nationalsozialismus von dem entfernt war, was man gemeinhin das christliche Abendland nennt. Nicht sehr viele hatten das damals klar erkannt. Zu ihnen gehörten die Mitglieder des Kreisauer Kreises und insbesondere Helmuth James von Moltke. Im Abschiedsbrief an seine Söhne schrieb er: „ Ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz und des absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, daß dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzeß, Rassenverfolgung, Glaubenslosigkeit, Materialismus überwunden werde. Insoweit und von ihrem Standpunkt aus haben die Nationalsozialisten recht, daß sie mich umbringen..”

i Nach: Paul Gürtler. Nationalsozialismus und evangelische Kirchen im Warthegau. Göttingen 1958.

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