Helmuth von Moltke
HELMUTH KARL BERNHARD VON MOLTKE
Kreisau, den 12.3.2007
Vermutlich säßen wir heute hier in dieser Runde nicht zusammen, wenn der preußische Offizier Helmuth von Moltke Kreisau nicht im Jahre 1867 erworben hätte und wenn nicht sein Urgroßneffe Helmuth James von Moltke zu den herausragenden Persönlichkeiten des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gehört hätte. Als heutige Gäste in Kreisau werden wir auch auf Schritt und Tritt an diese beiden Männer erinnert. Beide haben in unterschiedlichen Zeiten gelebt und sind ganz unterschiedliche Lebenswege gegangen. Beide haben, auf je andere Weise, eine wichtige Rolle in der deutschen Geschichte gespielt. Dabei steht uns der jüngere Moltke ungleich näher als der ältere. Das liegt nicht nur daran, daß seine Lebenszeit uns näher ist. Das liegt auch daran, daß die Zeit vor sechzig/siebzig Jahren so unermeßliches Unrecht und Unglück über Europa gebracht und der von Deutschland angezettelte Eroberungs- und Unterdrückungskrieg Folgen gezeitigt hat, die Deutschland und Europa für Jahrzehnte geteilt haben. Der jüngere Moltke erscheint uns da als ein Symbol für das bessere Deutschland. Deshalb kommen hier in Kreisau Menschen zusammen, die für eine bessere Zukunft Europas einstehen wollen. Da ist es nur verständlich, daß sich die meisten heutigen Deutschen nicht mehr bewußt sind, was für ein großer Schritt es war, daß unter dem Zutun des älteren Moltke vor einhundertvierzig Jahren ebenfalls eine deutsche Vereinigung herbeigeführt wurde, leider, so muß man heute sagen, um den Preis mehrerer Kriege.
Kommen wir also hier an den beiden Moltkes nicht vorbei, dann ist es vielleicht auch nicht vermessen, sich zu fragen, ob es nicht trotz der gravierenden Unterschiede auch Gemeinsamkeiten zwischen beiden gegeben haben könnte. Die Antwort ist natürlich schwierig. Wir haben beide nicht gekannt. Das Moltke-Archiv ist im Krieg verbrannt. In Bezug auf den älteren Moltke hat der Historiker Eberhard Kessel schon vor Jahrzehnten nachgewiesen, daß in Ausgaben der Briefe durch Kürzungen Sinnveränderungen vorgenommen wurden. Auch die „Briefe an Freya” sind nur eine Auswahl. Das ist verständlich, setzt aber auch Grenzen. Woran also wollen wir uns halten? Trotzdem. Die beiden Moltkes hatten nicht nur den Namen gemeinsam. Auch die äußere Gestalt? Der ältere Moltke war eine schlanke und für seine Zeit groß gewachsene Erscheinung. Wir finden das bei dem jüngeren und seinem Bruder Jowo ebenso wieder wie die ausgeprägte Kopfform. So waren beide Moltkes im wahrsten Sinne des Wortes hervorragende Gestalten. Beim älteren Moltke beeindrucken die selbst erworbene Bildung, die Beherrschung einer ganzen Reihe von Fremdsprachen, seine Weltläufigkeit - wenn man das damalige Europa als die Welt versteht - und der scharfe, analytische Blick; verbunden mit der Fähigkeit, Probleme radikal, also bis zur Wurzel, zu durchdenken und radikale Konsequenzen zu ziehen. Das machte ihn zum berühmten Feldherrn. Kann man nicht ein Gleiches für den jüngeren Moltke sagen? War der Ältere in seiner Zeit so weit gereist wie kaum ein anderer europäischer Offizier, so denken wir bei dem Jüngeren an die vielfältigen persönlichen Kontakte des schlesischen Gutsbesitzers in Deutschland, Europa und darüber hinaus; natürlich gefördert durch die Herkunft seiner Mutter. Der Ältere analysierte politische und militärische Konstellationen, militärische Möglichkeiten und Notwendigkeiten und entwarf Schlachtenpläne. Der jünger Moltke analysierte die geistige, die gesellschaftliche, die politische und die militärische Situation Deutschlands. Das machte ihn zum Gegner Hitlers und ließ ihn frühzeitig die Entwicklung des Krieges bis zur letzten Konsequenz, der Zerschlagung des Deutschen Reiches erkennen. Nicht emotionslos, aber ohne Rücksichtnahme auf die eigenen Befindlichkeiten oder mitmenschliche Gefühle, konnte der ältere Moltke so Armeen operieren lassen bis hin zum Sieg. Ebenfalls nicht emotionslos, aber ohne Rücksichtnahme auf eigenen Gefühle, kam der Jüngere zu der Erkenntnis, daß die Mehrheit der Deutschen sich allenfalls dann vom Nationalsozialismus abwenden würde, wenn sie selbst das Tal der Leiden durchschritten hätte. So sprach er sich lange gegen ein Attentat auf Hitler aus und scheute den Gedanken nicht, daß er der letzte deutsche Besitzer seiner schlesischen Güter sein würde. Und wo der Ältere den Krieg plante, da plante er für ein besseres und demokratisches Deutschland. Wofür das alles, fragt man sich. Für den preu-ßischdeutschen Staat, der ihm Heimat wurde, muß man für den Älteren antworten. Für mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit antwortet Freya von Moltke für ihren Mann. So wurden an Gemeinsamkeiten auch wichtige Unterschiede deutlich. Aber die Frage, wie jeder wohl in der Situation des anderen gedacht und gehandelt hätte, bleibt unbeantwortbar.
Wenden wir uns nun dem älteren Moltke zu. Gibt es außer dem zuvor Genannten noch andere Gründe, sich mit ihm zu beschäftigen? Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war Moltke eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Öffentlichkeit. Seinen Ruhm hatte er in den sogenannten Einigungskriegen erworben. Seit 1858 hatte der Preußische Generalstab unter seiner Leitung Kriegsplanungen erarbeitet, die zumindest 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich zu beeindruckenden Erfolgen führten; in einer Zeit, da Preußen keineswegs als große Militärmacht galt. Angefangen hatte es mit dem deutschdänischen Krieg 1864. Obwohl Moltke als Generalstabschef Preußens Vertreter in der Kriegskommission des Deutschen Bundes gewesen war und hier eine wichtige Rolle bei den Vorbereitungen des Krieges gespielt hatte, band ihn die politische und militärische Führung zunächst in den Feldzug nicht ein. Moltke durfte erst gegen Ende des Feldzuges unmittelbar mitarbeiten. Das hing sicher damit zusammen, daß man den Generalstab zu jener Zeit noch nicht besonders wichtig nahm. Es führte aber dazu, daß Moltke später immer wieder Reibereien mit Bismarck und der Generalität wegen der Rolle des Generalstabes hatte. Richtig zum Zuge kam er dann in den beiden anderen Kriegen. Hier ließ sich der Generalstab davon leiten, daß die Kämpfe möglichst auf gegnerischem Territorium stattfinden sollten, um das eigene zu schützen. Dies wieder hatte zur Voraussetzung, daß man seine Truppen schneller als der Gegner an der gewünschten Front hatte. Für damalige Zeit unheimlich präzise und das Eisenbahnwesen optimal nutzend konnten deshalb die Preußen vorgehen. So hatte z. B. für die verschiedenen Aufmarschvarianten jeder preußische Bahnhofsvorsteher im Panzerschrank ein verschlossenes, nummeriertes Briefcouvert. Das war auf Weisung von oben zu öffnen, und er hatte alle benötigten Anweisungen. 1866 bestimmte so Preußen den Ort der Entscheidungsschlacht bei Königgrätz und praktizierte den Grundsatz „getrennt marschieren, vereint schlagen” mit den drei Armeen, die an der Elbe, aus dem Raum Görlitz und aus dem Raum Schweidnitz, Reichenbach und Glatz in österreichisches Gebiet einmarschierten. Ähnlich war es 1870, als die preußischen Truppen drei Wochen früher als die Franzosen am gewünschten Ort standen und dann bei Sedan die Entscheidungsschlacht gewinnen konnten. Natürlich nahm Moltke auch in den weiteren Kämpfen Einfluß. Dafür gab es 1870/71 dann interessierte Beobachter. So saß in London Friedrich Engels, der sich sehr für Militärstrategie interessierte und den Spitznamen „der General” hatte, verfolgte das Kriegsgeschehen und überlegte, was Moltke wohl als nächstes tun würde. Das trug er regelmäßig Freunden zu und lag oft richtig. Aber Moltke hat auch ein abwechslungsreiches Leben geführt. Auch das ist zumindest unterhaltsam.
Helmuth von Moltke stammte aus mecklenburgischem Adel und wurde am 26.10.1800 in Parchim geboren. Die ohnehin nicht sehr begüterte Familie litt unter dem unsteten Vater, der als Offizier in dänischen Diensten stand, das Vermögen verwirtschaftete und meistens von der Familie getrennt lebte. So besuchte Helmuth mit seinem älteren Bruder Fritz von 1811 bis 1817 die Dänische Landkadetten-Akademie in Kopenhagen, wo er, privat untergebracht, eine karge Kindheit mit viel Hunger und viel Frieren in ungeheizten Räumen verbrachte. Nur der Kontakt mit der Familie des Generals von Hegermann-Lindencrone brachte Licht in das triste Leben. Die Soldatenlaufbahn wurde ihm also alternativlos vorgeschrieben, eine Wahl hatte er nicht gehabt. Später hat er geäußert, daß diese Jugend seine Persönlichkeit negativ geprägt habe. Nach einer Zeit als Page am Hof des Königs von Dänemark in den Jahren 1818 und 1819 wurde er 1819 Sekondelieutenant und trat 1822 in preußische Dienste. Auch jetzt und noch lange plagten ihn ständige Geldsorgen, da das Gehalt gering war und die Ausstattung, zum Beispiel die Pferde, viel kostete. So versuchte er immer wieder, mit Schriften und Übersetzungen Geld zu verdienen. Während des Besuches der Kriegsschule machte er 1825 eine Kur im niederschlesischen Bad Salzbrunn und dabei die Bekanntschaft einer Gräfin Reichenbach, die er wegen seines geringen Einkommens nicht glaubte heiraten zu können.
Von 1828-1831 diente er bei der topografischen Abteilung des Großen Generalstabs. Deren Aufgabe in diesen Jahren war es, erstmalig das eigene Land zu kartographieren, um für das Militär zuverlässige Landkarten zu erhalten. So hielt sich auch Moltke in den Sommern vor allem in Schlesien auf, um kartographische Aufnahmen zu machen. Er hatte einen Gehilfen, der ihm beim Landvermessen half, und war bei Großgrundbesitzern untergebracht, u.a. in Schloß Briese des Grafen Kospoth und bei einer Familie Obrocziewska in der Posener Gegend. 1831 verfaßte er auch eine Denkschrift über Polen; dabei fielen Äußerungen zum Verhältnis von Polen und Deutschen, die er später bedauerte. Ab 1833 diente er beim Großen Generalstab als Premierlieutenant und dann als Kapitän ( Hauptmann). So nahm er 1835 an einem Manöver bei Schweidnitz teil. Anschließend unternahm er eine Urlaubsreise nach Wien und auf den Balkan, der damals teilweise türkisch war. Es folgte 1836-39 ein offizieller Aufenthalt in der Türkei zur Instruktion und Organisation der dortigen Truppen. Hierbei fertigte er erstmals eine kartographische Aufnahme des Bosporus an und nahm an einem Feldzug zum Euphrat als militärischer Berater teil. Seine Berichte wurden zusammen gefaßt veröffentlicht und stellten die erste und für Jahrzehnte einzige türkische Landeskunde in deutscher Sprache dar.
Aus dem Jahr 1841 wissen wir, daß ihn die ersten Eisenbahnen sehr interessierten. Er sah in ihnen ein sehr großes und gemeinnütziges Unternehmen, war aber auch einer der ersten, die dieses Transportmittel konsequent militärisch nutzten (zum Beispiel bei den Siegen von Königgrätz 1866 über die Österreicher und im deutschfranzösischen Krieg 1870/71). 1844 erwarb er Eisenbahn-Aktien und ging in den Verwaltungsrat der Hamburg-Berliner Eisenbahn-Gesellschaft, um sicher zu sein, daß mit dem Geld ordentlich gewirtschaftet wird. Ziel dieser Gesellschaft war eine durchgehende Eisenbahnlinie Kiel-Hamburg-Berlin-Frankfurt/O.-Breslau-Brünn-Wien-Triest-Venedig-Mailand. Man sieht sofort, daß es auch hier nicht nur um gesellschaftliche und wirtschaftliche sondern auch um militärische Überlegungen ging. Hamburg mußte allerdings zunächst ausgespart werden, weil es mitten in dänischem Territorium lag und Dänemark nicht mitmachte.
1842 heiratete er die Stieftochter seiner Lieblingsschwester, die sehr viel jüngere Marie Burt (* 1826 + 24.12.1868). Diese Ehe war vor allem der Vermittlung seiner Schwester zu verdanken, wurde aber sehr glücklich. Im Jahr 1845 wurde er als persönlicher Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen, der seit 30 Jahren in Rom lebte, nach Rom geschickt. Da er viel Zeit hatte, ließ er sich sein Meßbesteck schicken und begann, Rom zu vermessen. Das Ergebnis war der erste exakte Stadtplan von Rom. Nach dem Tod des Prinzen fuhr Moltke in sieben Tagen, unterbrochen nur durch einen Schneesturm auf dem Brenner, von Rom nach Potsdam, um Meldung zu machen. Dann ging es wieder zurück. Nach längerer Wartezeit sollte er dann den Leichnam mit der zu diesem Zweck nach Ostia gekommenen Korvette „Amazone" nach Potsdam bringen (20.9.1846). Die stürmische Fahrt durch das Mittelmeer mißfiel ihm allerdings. Deshalb verließ er das Schiff in Spanien und reiste zu Lande, erreichte am 27.10.46 Hamburg, wo die Korvette am 4.11.46 ankam. Wieder per Schiff ging es weiter nach Potsdam. Die Beisetzung erfolgte in der Gruft des alten Berliner Doms. Dabei mußte er als Adjutant salutierend mit dem Sarg im Fahrstuhl in die Krypta fahren, wobei er ohnmächtig wurde.
Im Jahr 1855 wurde er, nun Oberst, l. Adjutant des Kronprinzen, Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, weil ihn die Umgebung des Kronprinzen für fortschrittlich hielt. Er besuchte mit diesem viele europäische Höfe. In London saß er Queen Victoria gegenüber, die ihn für höchst intelligent hielt, aber seine Perücke billig fand. In Paris hatte er eine Audienz bei Kaiserin Eugenie, die ihn für klug aber gefährlich hielt, „sein Kopf sei unbezahlbar”. Da er immer viel gelesen, sich mit vielen Dingen befaßt hatte und weit gereist war, war er bald einer der gebildetsten und informiertesten Offiziere weit und breit. Ab Januar 1857 war er mit dem Kronprinzen zur Wintersaison in Breslau; Bälle im Theater und in der Börse, Treibjagden am Fuße des Zobten gehörten zum Programm. Er besuchte Schweidnitz. Am 17.8.1857 fuhr er, um das Land kennen zu lernen, mit der Extrapost über Land; sein Fazit: die Fahrt ist traurig, nur Sand und Kiefernwald, alles spricht polnisch. Auch Reichenbach und Langenbielau suchte er auf. Dabei besuchte er in Langenbielau den Grafen Sandretzki; Moltke war erstaunt über die Ärmlichkeit im Schloß und beeindruckt von dem reichhaltigen Weinkeller, auf dem die Majoratsverpflichtung lag, jederzeit 4000 Flaschen Wein im Keller zu haben.
Im Jahr 1858 wurde er Chef des Generalstabes der Armee. 1863 war er Mitglied der in Frankfurt a. M. tagenden Militärkommission, die die Maßnahmen zur Bundesexekution in Holstein beraten sollte. 1864 führte er zeitweise die Geschäfte des Stabes der alliierten Armee. 1866 wurde er, nun General der Infanterie, der Stratege des preußisch-österreichischen Krieges. Im Krieg 1870/71 war er dann Chef des Generalstabes der Armee im Großen Hauptquartier des Königs. Auch hier war die Aufmarschplanung, dank der die deutschen Truppen viel früher als die französischen die deutschfranzösische Grenze erreichten, der Garant für den späteren Sieg. Er wurde als Vater des Sieges über Frankreich gefeiert und sehr populär. Im Jahre 1870 wurde er in den Grafenstand erhoben und 1871 zum General-Feldmarschall ernannt. Seine Popularität führte ihn sogar als Reichstagsabgeordneten in den Reichstag. Ein kontinuierlicher Aufstieg mit Stationen am Hof und in Stabstätigkeiten führte ihn also erst in einem Alter, da andere an die Pension denken, auf den Gipfel des Erfolges. Als er 1881 meinte, nun sei es genug, seinen Abschied einreichte und ihn u.a. damit begründete, daß er nicht mehr aufs Pferd käme, wurde sein Abschiedsgesuch vom Kaiser wegen seiner viel zu großen Verdienste abgelehnt.
Im Jahre 1867 hatte er mit einer Dotation des preußischen Landtags das Gut Kreisau mit Wierischau und Niedergräditz erworben. Eigentlich hatte er ja ein Gut in Norddeutschland erwerben wollen. Aber dort waren solche Güter zu teuer. So ließ er sich in dem ihm wohlbekannten Schlesien nieder. Damit erfüllte er sich auch einen alten Herzenswunsch. Es gab wieder ein Stück Land, das die Familie als ihre Heimat betrachten konnte. Leider starb seine Frau ein Jahr später. Auch hatte er keine Kinder. Aber Kreisau war für ihn nun ein Zufluchtsort, an dem die Familie seines Bruders Adolf das Haus führte und für den alten Herrn sorgte. Am 24.April 1891 ist er in Berlin verstorben.
Moltke erfuhr viele hohe Auszeichnungen und Ehrungen, darunter allein fünfzehn Ehrenbürgerschaften; war er doch ab 1871 eine der Gallionsfiguren des Deutschen Reiches. Auch war er außerordentlich beliebt in der Bevölkerung und wurde so in der Umfrage einer großen deutschen Zeitung zum größten deutschen Denker gewählt. Sein Bild in der Öffentlichkeit war das des Schweigers, des Anspruchslosen, des Sparsamen, des Gutsherrn auf Kreisau und des überlegenen Strategen. Krockow hat einmal geschrieben, daß die auch in den Uniformen „schmetterlingshaft” gekleidete Hofgesellschaft als Gegenüber den schwarz gekleideten Bürger gehabt habe. Schwarz habe für arbeitsam und kreditwürdig gestanden. Moltke wurde fast immer in der schlichten Uniform des Generalstäblers gezeigt. Vielleicht drückte sich darin und auch als Gegenüber die Persönlichkeit Moltkes aus. Viele Anekdoten über ihn kursierten. Was ihn auszeichnete, waren sein klares und konsequentes Denken und seine Aufgeschlossenheit für neue Techniken. So wurde er als Soldat erfolgreich, wenn auch erst in einem Alter, wo der normale Offizier schon a. D. war. So wurde er General, ohne je ein Truppenkommando gehabt zu haben.
Genau da muß aber auch die Kritik an ihm ansetzen. An der Kriegsschule gehörte zu den Lehrern der berühmte Carl von Clausewitz, der mit seinem Buch „Vom Kriege” und der These ,,Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" auch heute noch bekannt ist. Clausewitz sagte dazu, daß Politik den ganzen kriegerischen Akt durchzöge. Ganz in diesem Sinne stand Bismarck stets auf dem Standpunkt, daß der führende Politiker der entscheidende Berater des Königs als des Regenten und Oberbefehlshabers zu sein habe, daß also auch im Krieg die Politik das letzte Wort habe. Moltke, für den im Krieg die militärische Effektivität im Vordergrund stand, kämpfte dagegen im preußisch-österreichischen wie im deutschfranzösischen Krieg darum, als General-Stabschef im Krieg der unmittelbare und alleinige Berater des Königs zu sein. Moltke konnte sich aber letztlich nicht gegen Bismarck und den König durchsetzen. Moltke war Preußen /Deutschland mit Leib und Seele ergeben, aber auch eine wesentliche Stütze des preußischdeutschen Militarismus mit seinen Gefahren.
Über den Menschen Moltke erfahren wir etwas mehr, wenn wir nachlesen, was seine Gesprächspartner aus Gesprächen mit ihm über ihn berichteten, oder seine Briefe lesen. Ein Journalist besuchte ihn und schrieb dann: „ Der erste Eindruck, den die Erscheinung des Freiherrn von Moltke macht, ist der einer äußerst ernsten Persönlichkeit: seine hohe, kerzengrade Gestalt scheint wie zum Befehlen geboren, der Ausdruck seiner Züge ist eisern fest, man möchte meinen, daß die Jahre die Falten seines Gesichts in einen Marmorblock eingemeißelt hätten.” Dieses Bild wurde der Öffentlichkeit vermittelt. Moltke war standesbewußt. Macht, Glanz und Stellung des englischen Adels imponierten ihm. In den Wirren um Schleswig Holstein empfand er für die Schleswig-Holsteiner große Sympathien; aber nicht wegen der sich dort regenden deutschnationalen Kräfte sondern, weil sich aristokratische Kräfte gegen das demokratischere Dänemark auflehnten. Aber er stand seinem Stand auch kritisch gegenüber und meinte, daß die Privilegien des Adels nicht mehr zeitgemäß seien. Ebenso so wird von einer gewissen Sympathie für die starke Katholische Kirche berichtet. Allerdings muß man bei solchen Urteilen auch vorsichtig sein. Eberhard Kessel hat darauf hingewiesen, daß in den alten Ausgaben seiner Briefe starke Kürzungen vorgenommen worden sind und insbesondere kritische Äußerungen über Adlige und die katholische Kirche nicht veröffentlicht wurden. Auch formulierte Moltke in jüngeren Jahren in seinen Briefen durchaus humorvoll und witzig.1848 erwog er, wegen der revolutionären Unruhen auszuwandern. 1869 wünschte er sich Glück dazu, bejahrt zu sein, so daß er die nächsten Jahrzehnte nicht mehr erleben werde. Er fürchtete einen Sieg des Sozialismus und infolgedessen eine allgemeine Verarmung und Verwilderung. Nach einer ersten Teilung der Beute in Form von Glücksgütern und nachdem die einen ihren Anteil durch Fleiß und Sparsamkeit gemehrt, die anderen aber den ihrigen vergeudet haben würden, würde wieder geteilt usw. usw. Andererseits war ihm eine große persönliche Bescheidenheit eigen. Um 1860/ 1861 war er als Außenminister im Gespräch, reagierte aber auf eine diesbezügliche Frage mit: „Gott soll mich bewahren”, denn er war der Meinung, er sei dem persönlichen Verkehr mit den fremden Gesandten nicht gewachsen. In der Tat war er eher wortkarg, hatte aber die Fähigkeit, kurz und schlagfertig in vielen Situationen zu reagieren. Kurz vor der Schlacht bei Königgrätz hielt Moltke Vortrag beim König. Des Königs Generaladjutant von Alvensleben äußerte Bedenken gegen die Moltkeschen Pläne und sagte: „Ein Angriff, bei welchem ein Fluß wie die Elbe zwischen den Armeen liegt, ist gefährlich!” „ Ja”, sagte Moltke, „der Krieg ist überhaupt eine gefährliche Sache.” Beim gewohnten, täglichen Ausritt im Tiergarten sprach ihn einmal ein Unbekannter an und fragte: „Nun wie steht es, Exzellenz?” „Nun gut!” „ So, also Exzellenz meinen ..” „ Das heißt, ich meine die Sommersaat. Mit den Kartoffeln bin ich auch zufrieden, aber das Winterkorn steht nicht besonders.” 1871 jubelten ihm bei einer Kutschfahrt in Berlin überall in den Straßen die Leute mit Hurrarufen zu. Zu seinem Neffen flüsterte er da: „Hätte ich nur eine Schlacht verloren, so würden sie jetzt sagen: Da fährt der alte Esel”. 1874 machte er in Bad Ragaz eine Kur, zu der seiner Gewohnheit nach lange Spaziergänge gehörten. Im Dorfe Pfäfers kehrte er ein, um etwas zu trinken. Dabei entwickelte sich folgendes Gespräch mit dem Wirt. „Wohl Kurgast in Ragaz?” „Ja.” „Der Moltke soll ja da sein?” „Ja.” „Wie schaut er denn aus?” „Nun wie soll er denn aussehen? Wie einer von uns beiden.” Heute scheint er uns fern und fremd, so wie die Zeit, in der er lebte. Und doch war er ein bemerkenswerter Mensch. Sich in Kreisau mit ihm zu beschäftigen, öffnet uns deshalb nicht nur den Blick in die Kreisauer Geschichte sondern auch in jene Zeit und auf einen besonderen Lebensweg.
Ist das für uns heute noch von Bedeutung? Ich denke, ja, denn man kann sich z. B. folgendes vor Augen zu halten:
Wie nah haben doch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch Europas Länder bei einander gelegen. Was haben Nationalismus und Rassismus angerichtet. Wie lang war der Weg zur heutigen Europäischen Union. Einen wie langen Weg müssen wohl die Länder der Erde noch gehen bis zu einem friedlichen Miteinander. Wie wichtig ist es, daran zu arbeiten.
Wie viel Kraft haben die Menschen dagegen in die Entwicklung von immer perfekteren Waffen gesteckt. Moltke war mit dem Einsatz von Zündnadelgewehr und Eisenbahn modern, heute sind es Atomwaffen und ferngesteuerte Waffen. Ist die Erde damit friedlicher geworden? Sind es nicht immer noch die Zivilisten, die am meisten Opfer bringen müssen, was man so schön Kollateralschaden nennt.
Wie ist das denn mit dem Verhältnis zwischen politischer und militärischer Macht? Wer hat denn das Sagen? Wie sah das aus in der Monarchie zu Moltkes Zeit, wie im Ersten Weltkrieg, wie im Zweiten Weltkrieg, wie etwa heute in des USA oder Rußland?
Ich will damit zum Ende kommen. So ist das mit der Geschichte. Auch wenn man sich versteckt oder vor ihr wegläuft, man entkommt ihr nicht. Und das ist gut so. So haben wir wenigsten die Chance, aus der Vergangenheit zu lernen, auch wenn die Menschheit in dieser Hinsicht wenig lernfähig ist.
W e i t e r f ü h r e n d e L i t e r a t u r
A r n d t, Jürgen. Moltke und Polen. In: Moltke Almanach Bd. II, München 1990.
V e n o h r, Wolfgang. Helmuth von Moltke. In: Haffner, Sebastian / Venohr, Wolfgang. Preußische Profile, Berlin 1982, S. 131 ff.
H e r r e, Franz. Moltke, Der Mann und sein Jahrhundert. Stuttgart 1984.
K e s s e l, Eberhard (Hrsg.): Helmuth von Moltke, Briefe 1825-1891. Stuttgart 2. Aufl. 1960.
Kessel, Eberhard. Moltke. Stuttgart 1957.
K e s s e l, Eberhard. Moltke Gespräche. Hamburg 1940.
Krockow, Christian von. Kaiser Wilhelm II. und seine Zeit. 2. Aufl. Berlin 2002.
K r o l l, Frank-Lothar. Moltke als politischer Denker. In: Das geistige Preußen, Zur Ideengeschichte eines Staates, Paderborn 2001, S. 183 ff.
M o l t k e, Helmuth von. Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten. 8 Bde. Berlin 1892 ff.
N a s o, Eckart von. Moltke, Mensch und Feldherr. Berlin 1937 (immer noch lesenswert).