Das neue Kreisau

D A S   N E U E   K R E I S A U

 AUSGANGSPUNKTE - KREUZPUNKTE - TREFFPUNKTE

1998

 

Fünfzig Kilometer südwestlich von Breslau, wo das Eulengebirge in die Ebene ausläuft, liegt Kreisau. Vom Mühlenberg aus erscheint die Vor ­gebirgslandschaft wie in einem Bilderrahmen: im Nordosten der Zobten, im Südosten die ferne Silhouette des alten Städtchens Reichenbach, im Süden und Südwesten das Eulengebirge, im Westen die Ausläufer des Waldenbur ­ger Gebirges und im Nordwesten Schweidnitz mit dem weithin sichtba ­ren Turm der Pfarrkirche. Zu Füßen schlängelt sich das Flüßchen Peile in einer lieblichen Auenlandschaft Zunächst durch die Ebene und dann durch den kleinen Talkessel, in dem der Gutshof liegt. Im Mai lassen sich dann und wann kleine Gruppen von Störchen im leichten Ostwind von Süden her über das Land tragen, auf der Suche nach ihrem Nest. Im Busch hört man die Nachti ­gallen schlagen. Und an einem lauen Frühsom ­merabend fällt es schon schwer, nicht an den Schlesischen Beitrag zur deutschen Poesie zu denken. Wie könnte man denn diese Landschaft und die Stim ­mung schöner beschreiben als mit Jo ­sef von Eichendorffs ,,Mondnacht":

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande
Als flöge sie nach Haus.

Wundert es, daß sich zu allen Zeiten Alteingesessene und Besucher von die ­ser Landschaft angezogen fühlten und sie liebten?

Doch mag es im Novembernebel auch sein, daß ein geradezu unheimliches Rauschen am dunklen Himmel Unru ­he bereitet. Wildgänse. Und die kün ­den doch nach einem einst gerne ge ­sungenen Fahrtenlied davon, daß die Welt voller Morden ist. So ist auch Kreisau im Laufe der Jahrhunderte nicht von Kriegen und Unheil ver ­schont geblieben. Ja, daß es wieder Menschen aus aller Welt anzieht, hängt gerade auch mit dieser unheil ­vollen Geschichte zusammen. Haben doch Kreisau und das Land zwischen Waldenburg und Reichenbach im Laufe der letzten zweihundert Jahre einige Male den Blick der Menschen auf sich gelenkt. Was jetzt dort wieder erstanden ist, wäre nicht denkbar ohne jenen denk ­würdigen 12. November 1989. Damals feierten der polnische Ministerpräsi ­dent Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmuth Kohl hier die Versöhnungsmesse, um so den Neubeginn einer friedlichen und freundschaftlichen Nachbarschaft von Polen und Deutschen zu begehen. Und dies wieder war nicht denkbar ohne die Erinnerung daran, daß hier, auf dem Moltkeschen Gut, der Haus ­herr Helmuth James von Moltke vom 22. bis 25.Mai 1942, vom 16. bis 18.Oktober 1942 und vom 12. bis 14.Juni 1943 den Kreisauer Kreis zu drei wichtigen Tagungen zu Gast hat ­te. Von hier aus auch war der junge Moltke in den zwanziger Jahren auf die Not der Waldenburger Bergarbeiter aufmerksam geworden und hatte die schlesische Arbeitslagerbewegung mit ins Leben gerufen. Kreisau, das war von 1867 bis 1891 das Anwesen des al ­ten Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke, jenes populären preußi ­schen Militärs, der mit seiner Person und mit seinen militärischen Leistun ­gen für viele zugleich das Negative des preußischen Militarismus verkörperte und verkörpert. Und um Kreisau her ­um brach im Jahre 1844 der bekannte schlesische Weberaufstand aus, Glied in einer Kette ähnlicher Unruhen in ganz Deutschland und Vorbild für Gerhart Hauptmanns Drama ,,Die Weber".

Sich an diese, nicht immer bequemen, alten Geschichten zu erinnern und aus ihnen Verantwortungsbewußtsein für die Zukunft des ganzen Europa zu gewinnen, ist Aufgabe des neuen Kreisau; einer internationalen Ta ­gungsstätte in Polen und doch mit reicher deutscher Geschichte; eines Treffpunkts im Herzen Europas, ziem ­lich genau in der Mitte zwischen dem Ural und der portugiesischen Atlan ­tikküste; einer Sache, die ihren Platz schon im Herzen vieler Menschen hat und hoffentlich noch viele Herzen ge ­winnen wird.

 

WIE ALLES ENTSTAND

Im Schatten der politischen Großwetterlage

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Eigentum der Moltkes in einer Größe ­nordnung von knapp fünfhundert Hektar Land auf einen Staatlichen Landwirtschaftlichen Betrieb über und wurde mit anderen Ländereien verei ­nigt. Die Gebäude wurden weiter ge ­nutzt, aber vernachlässigt. So verfie ­len sie ab den siebziger Jahren mehr und mehr. Hin und wieder aber fan ­den Menschen Interesse an diesem Ge ­bäudekomplex. Zwei von ihnen seien besonders erwähnt. Der Breslauer Rechtshistoriker Professor Dr. Karol Jonca und der Amsterdamer Politologe Professor Dr. Ger van Roon. Jonca hatte sich seit den siebziger Jahren intensiv mit den Moltkes und dem Kreisauer Kreis beschäftigt und viele Veröffentli ­chungen hierzu herausgebracht. Dies geschah zu einer Zeit, da es in Polen alles andere als opportun war, sich mit dem deutschen Widerstand zu be ­fassen; und es brachte ihm auch be ­rufliche Nachteile. Zusammen mit Anna Morawska, die bereits im Jahre 1970 ihr Bonhoeffer-Buch „Ein Christ im Dritten Reich" veröffentlicht hatte, hat er auf seine beharrliche Weise viel dazu beigetragen, daß der deutsche Widerstand in Polen nach und nach bekannt wurde und daß ein neues Deutschland-Bild entstand. Verschie ­dene Versuche aber, wenigstens das Kreisauer Schloß zu retten oder mit einer Gedenktafel an den Kreisauer Kreis zu erinnern, schlugen fehl. Sie entsprachen nicht der politischen La ­ge. Van Roon andererseits hatte schon 1967 mit seinem grundlegenden Werk ,,Neuordnung im Widerstand" der Öf ­fentlichkeit eine Fülle von Material über den Kreisauer Kreis vorgelegt. Dem folgten weitere Veröffentlichun ­gen, mit denen van Roon zum Historiografen des Kreisauer Kreises wurde. Daß dies ein Niederländer wurde und nicht ein Deutscher, hängt auch mit dem Stellenwert zusammen, den der deutsche Widerstand damals in der deutschen Öffentlichkeit und in der deutschen Geschichtsschreibung fand. Es war ja nicht so, daß man den eige ­nen Widerstand gegen das Dritte Reich weithin würdigte und ehrte. Die Überlebenden und die Angehörigen der Widerstandskämpfer konnten und können von vielen negativen Erfah ­rungen berichten. So gelang es denn auch van Roon bei manchen Vorstößen in Deutschland nicht, konkrete Schritte zur Rettung Kreisaus oder zum Gedenken an diesem historischen Ort zu bewirken. Und dies, obwohl auch Bundestagsabgeordnete oder die Friedrich-Ebert-Stiftung im Laufe der Jahre Vorstöße unternommen haben, Kreisau nicht zu vergessen. Im Jahre 1970 wendete sich die Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste an den Staatssekretär G. F. Duckwitz mit einem ähnlichen Vorschlag. Die lapidare Antwort lautete, daß Kreisau nicht unter der Verfügungsgewalt der Bundesregierung stünde und ein Vorschlag deshalb von polnischer Seite kommen müsse. In den Jahren 1975 und 1979 machte Freya von Moltke über einen amerikanischen Rechtsprofessor mit guten Kontakten nach Polen und über Helmut Schmidt ähnliche Vorschläge, erhielt aber nie eine Antwort.

An dieser Situation änderte sich erst gegen Ende der achtziger Jahre etwas. Seit dem Sommer 1987 befaßten sich am Ostberliner Sprachenkonvikt jun ­ge (evangelische) Theologen mit der Neuordnung Europas. Zwei von ihnen waren Stefan Steinlein und Wolfram Bürger. Unterstützt von Professor Wolfgang Ullmann lasen sie Eugen Rosenstock-Huessy und Schriften des Kreisauer Kreises. Dabei kamen sie auf die Idee, einen Ort der Begegnung und des Gedankenaustausches im östli ­chen Mitteleuropa zu suchen, und entwickelten ein Konzept für ein ,,pla ­netarisches Lehrhaus Helmuth James von Moltke" in Kreisau, in dem ein neues Europa gedacht werden könne. Veröffentlichen konnte man solche Gedanken damals nicht. Aber Kontak ­te konnte man knüpfen; nicht so ein ­fach wie heute, aber immerhin. Über Steinleins Freund André Sikojew in München wendete man sich an Franz von Hammerstein, den Vorsitzenden der Aktion Sühnezeichen West. Der nahm Verbindung zu Freya und Kon ­rad von Moltke in den USA auf und berichtete denen von den Plänen. Auch nutzte er seine Kontakte zur Ro ­senstock-Huessy-Gesell ­schaft, die das Erbe Ro ­senstock-Huessys und des Kreisauer Kreises leben ­dig erhalten wollte, unter anderem im Rosenstock- ­Huessy-Huis in Haar ­lem / Niederlande unter der Leitung von Wim Leenman. Tagungen in Ostberlin und in den USA aus Anlaß des 100. Ge ­burtstages von Eugen Rosenstock-Hu ­essy im Herbst 1988 waren dann Gele ­genheiten, bei denen sich Interessierte trafen. Dabei wurde der Jesuitenpater Adam Zak aus Krakau für die Idee ge ­wonnen. Auf der Suche nach polni ­schen Partnern stieß er wiederum auf junge, interessierte Mitglieder des Klubs der Katholischen Intelligenz in Breslau, unter ihnen Michal Czaplins ­ki. Der setzte sich mit seinem Ost-Ber ­liner Freund Ludwig Mehlhorn in Ver ­bindung, sie trafen sich mit Stefan Steinlein. Hieraus wurde ein Vortrag Steinleins vor dem Breslauer Klub im Februar 1989, bei dem Steinlein Karol Jonca kennen lernte. Im Juni 1989 ver ­anstaltete man nun gemeinsam in Breslau eine Tagung mit über einhun ­dert Teilnehmern (argwöhnisch von den Geheimdiensten beobachtet) zu dem unverfänglichen Thema ,,Chri ­stentum in der Gesellschaft". In Wirk ­lichkeit verhandelte man das gemeinsame Projekt und schickte am 4. Juni 1989 ein Schreiben an das Außenmi ­nisterium der Volksrepublik Polen. Mit diesem Brief bat man um Aufmerksamkeit für die Idee, in Kreisau eine internationale Begegnungsstätte für die junge Generation Europas und ein Museum des europäischen Widerstan ­des gegen Hitlerdeutschland zu schaf ­fen. Anfang November1989, als bekannt wurde, daß Mazowiecki und Kohl eine Versöhnungsmesse in Kreisau feiern wollten, machten Klaus Würmell und Jürgen Telschow mit einem Schreiben im Namen der „Evangelischen Initiative Zeichen der Hoffnung - Znaki nadziei” in Frankfurt a.M. den Bundeskanzler u.a. auf die Bestrebungen aufmerksam, in Kreisau eine internationale Begegnungsstätte zu schaffen.

Ein Besuch mit Folgen

Im November 1989 besucht der deut ­sche Bundeskanzler Helmuth Kohl Po ­len. Er verhandelt mit der seit Jahr ­zehnten ersten frei gewählten polni ­schen Regierung. Der Besuch soll ei ­nen Neubeginn in den Beziehungen beider Staaten bringen. Noch ist nur zu ahnen, daß der ganze Ostblock sehr schnell zusammenbrechen und Deutschland alsbald vereinigt sein wird. Doch zwei künftige Nachbarn - Bundeskanzler Kohl und Ministerprä ­sident Mazowiecki - feiern zum Ab ­schluß ihrer Verhandlungen am 12.November 1989 (drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer) eine ,,Versöh ­nungmesse" im ehemaligen Gutshof der Familie Moltke in Kreisau. Diese Gelegenheit nutzt der Breslauer Klub, dessen Mitglied übrigens Mazowiecki ist, um den Gästen das Projekt ,,Inter ­nationale Begegnungsstätte Kreisau" vorzustellen. In seiner Regierungser ­klärung am 16. November 1989 be ­richtet der Bundeskanzler dem Bun ­destag, daß er mit Polens Ministerprä ­sident mündlich vereinbart habe, ,,das frühere Gutshaus der Grafen von Moltke zu einer internationalen Ju ­gendbegegnungsstätte auszubauen, bei der die Chance besteht, daß die Ju ­gend Europas und vor allem die Ju ­gend Polens und Deutschlands zu ­sammenkommt".

Als Fortsetzung der 1. Kreisau-Konferenz vom Juni treffen sich vom 1.bis 3.Dezember 1989 etwa einhundertfün ­fzig Teilnehmer zur 2. Kreisau-Konferenz ,,Christentum in der Gesellschaft II". Es ist das Wochenende, an dem DDR-Bürger zum ersten Mal ohne die bisherigen Einschränkungen in den Westen fahren dürfen (wer damals mit dem Auto nach Breslau fuhr, erinnert sich noch der endlosen Trabi-Schlan ­ge). Mit der Übereinkunft der Regie ­rungschefs beider Staaten war die Grundlage für die weitere Arbeit am Projekt gelegt. Erste konzeptionelle Überlegungen werden angestellt. Der Klub in Breslau wird beauftragt, ,,die Trägerschaft für eine Stiftung des Pro ­jektes Krzyzowa/Kreisau zu überneh ­men", ein internationaler Beirat wird gewählt. In den folgenden Wochen gibt es intensive Gespräche über das Projekt, in die die polnische Regie ­rung, die Bundesregierung und die neue Regierung der DDR einbezogen sind. Die Regierung der DDR stellt 180.000,- DM Ost (etwa 20.000,- DM West) zur Verfügung, die Südpolnische Provinz der Jesuiten spendet 11.500 $.

Die ,,Berliner Erklärung"

Im Mai 1990 findet in Berlin die 3. Kreisau-Konferenz statt. Sie erarbei ­tet und verabschiedet eine ,,Berliner Erklärung". Die Erklärung geht von der Gründung einer ,,Stiftung für eu ­ropäische Verständigung” aus und sieht für diese vier Aufgaben:

- eine Begegnungsstätte mit internationalem Charakter
- eine Erinnerungsstätte
- ein ökologisches Landgut
- eine Kreisau-Gemeinschaft.

Der Geist, die Gedanken und die Pläne des Kreisauer Kreises und insbesonde ­re des Helmuth James von Moltke sol ­len den internationalen und europäi ­schen Charakter der Begegnungsstätte prägen. Als von besonderer Bedeutung für die neue Ordnung der Völkerge ­meinschaft in Europa sei die deutsch- ­polnische Verständigung zu sehen. Eine eng gefaßte Altersbegrenzung nur auf Jugendliche wird abgelehnt, weil sie die Bedeutung und das Gewicht des Gespräches zwischen den Generatio ­nen im Verständigungsprozeß verken ­ne.

Am Rande der Tagung gibt es mühsa ­me und nicht einfache Verhandlungen zwischen Vertretern der Bundesregie ­rung, der polnischen Regierung und Vertretern der Internationalen Arbeits ­gemeinschaft, die sich gebildet hat. In diesen Beratungen wird eine Stif ­tungssatzung erarbeitet, und es wer ­den juristische und finanzielle Randfragen geklärt. Dabei wird zum ersten Male deutlich, welche Schwierigkeiten ein den früheren Eisernen Vorhang überschreitendes Projekt damals be ­reitete, wenn man es partnerschaftlich verwirklichen wollte. Dies begann schon mit den unterschiedlichen Be ­griffen der jeweiligen Rechtssprache. Es setzte sich fort in den mangelnden Erfahrungen der polnischen Seite mit einem irgendwie gearteten Stiftungs ­recht; in Polen gab es zu dieser Zeit fast keine Stiftungen, und deren Rechtsverhältnisse waren auch nicht offen gelegt. Dann entwickelten die beteiligten deutschen Ministerien ei ­gene Konzepte für das Projekt, die sich durchaus nicht mit allen Vorstellun ­gen der Internationalen Arbeitsge ­meinschaft deckten. Es wurden Men ­talitäts- und Erfahrungsunterschiede deutlich. Und schließlich waren alle Beteiligten unerfahren im Aufbau ei ­nes solchen Vorhabens. Am Ende stand aber doch ein gemeinsamer Sat ­zungstext, der von der Tagung verabschiedet wurde und von dem ange ­nommen werden konnte, daß er auch von beiden Regierungen gebilligt wer ­den könnte. Die Tagung schloß mit der Wahl Michal Czaplinskis zum Stiftungsbeauftragten.

Nun gingen die weiteren Schritte recht schnell. Schon am 9. Juli1990 wurde in Bres ­lau die Stiftung durch den Klub der Katholischen Intelligenz errichtet, der in diesem Zusammenhang das Eigen ­tum am Hof samt Gebäuden und dem Berghaus erhielt und es als Stiftungs ­vermögen in die Stiftung einbrachte. Am 22. September 1990 fand dann die erste Sitzung des Stiftungsrates der neuen Stiftung statt. Er wählte Ewa Unger zur Vorsitzenden und berief in das Präsidium M. Czaplinski, W. Leen ­man, K. Loskot, G. v. Roon, St. Stein ­lein und J. Telschow. Jetzt konnte die Arbeit der Stiftung und der Wiederauf ­bau Kreisaus beginnen.

Das gemeinsame Programm

Hierfür war nun von großer Bedeu ­tung eine Vereinbarung zwischen der deutschen und der polnischen Regie ­rung, die in Form eines Notenwechsels zwischen den beiden Außenministern vom 27.7. und 20.8.1990 verbindlich gemacht wurde. Unter Bezugnahme auf die zwischen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki am 12.November 1989 in Kreisau getroffe ­ne Vereinbarung und auf die von den Ministern am 14. November 1989 un ­terzeichnete Gemeinsame Erklärung sowie auf die am 23. und 24. Juli 1990 in Bonn zwischen Vertretern beider Regierungen geführten Verhandlun ­gen wurde unter anderem folgendes vereinbart:

- Beide Regierungen unterstützen die Schaffung und Tätigkeit der Internationalen Jugendbegeg ­nungsstätte in Kreisau.

- Die Internationale Jugendbe ­gegnungsstätte dient vor allem der Begegnung von deutschen und polnischen Jugendlichen. Sie hat europäischen Charakter und führt auch die Generationen zusammen.

- In diesem Sinne verwirklichen die Jugendbegegnungen die Ziele und Festlegungen des gemein ­samen Abkommens über den Jugendaustausch vom 10.November 1989.

- Die Stiftung Kreisau für Euro ­päische Verständigung errichtet die Jugendbegegnungsstätte und gründet zur Bewirtschaftung und Leitung eine Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit (die ,,Internationale Jugendbegegnungsstätte KreisauAG", inzwischen wieder aufgelöst wegen der sich aus dieser Konstruktion ergebenden erheblichen zusätzlichen Steuerbelastungen).

- Dem Aufsichtsorgan dieser Rechtspersönlichkeit gehört je ein Vertreter beider Regierungen an.

- Die Bundesrepublik Deutschland gründet für die Zusammenarbeit mit der Jugendbegegnungsstätte einen eigenen Rechtsträger (der ,,Förderverein für die Internationale Jugendbegeg ­nungsstätte e.V.”, inzwischen ebenfalls aufgelöst, da nach Wegfall der Gesamtkonstruktion nicht mehr sinnvoll), der ebenfalls einen Sitz im Aufsichtsorgan hat.

- Die Errichtung der Jugendbe ­gegnungsstätte wird vorrangig aus dem zur Rückzahlung des Finanzkredits von 1975 gebilde ­ten Zloty-Fonds (inzwischen ,,Stiftung für deutschpolnische Zusammenarbeit") finanziert.

- Die laufenden Unterhalts- und Betriebskosten der Jugendbegeg ­nungsstätte werden aus deren eigenen Einnahmen bestritten.

Diese Vereinbarung war die entschei ­dende Grundlage für die Wiederher ­stellung Kreisaus und damit für die Errichtung der Internationalen Ju ­gendbegegnungsstätte. Ohne die hier ­in vereinbarte Hilfe beider Regierun ­gen und die entsprechenden finanziel ­len Zuwendungen der Stiftung für deutschpolnische Zusammenarbeit würde Kreisau nicht so dastehen, wie es jetzt steht. Zugleich wurden hier aber auch Strukturen festgelegt, die Außenstehenden nicht immer ver ­ständlich waren und die die Arbeit nicht immer erleichterten. Auch war schon seinerzeit erkennbar, daß man mit Ju ­gendbegegnung die Unterhalts- und Betriebskosten einer solchen Einrich ­tung nicht erwirtschaften kann. Kreisau wird auch für die laufende Arbeit auf Unterstützung angewiesen sein, wie sie etwa das Deutsch-Polnische Jugend ­werk leistet. Soll Kreisau aber auch für Jugendliche aus dem weiteren Ost ­europa interessant sein, werden noch andere Zuschüsse notwendig sein.

Die Bauarbeiten

Als die Stiftung Kreisau im Sommer 1990 den Gutshof übernahm, wurde der Gebäudekomplex trotz seines teil ­weise sehr schlechten Zustandes noch landwirtschaftlich genutzt: im Kuh ­stall standen Kühe, in der Scheune be ­fanden sich eine Getreidetrocknungsan ­lage und ein Getreidelager; und etli ­che Haushalte hatten in verschiede ­nen Gebäuden ihre Wohnungen. Im Übernahmevertrag war deshalb gere ­gelt, daß hierfür zunächst Ersatzraum geschaffen werden mußte, bevor Bauarbeiten beginnen konnten. Deshalb wurden zunächst mit Sondermitteln der deutschen Botschaft in Warschau vor Ort ein Wohngrundstück erworben und durch Umbau Wohnungen für acht Haushalte geschaffen. Sodann wurde in Makowice, dem Sitz des landwirtschaftlichen Kombinats ein weiteres Wohnhaus für die anderen sechs Haushalte gebaut. Außerdem wurden drei Getreidesilos und ein neuer Kuhstall am gleichen Ort er ­richtet. Sodann war es erforderlich, ei ­ne gewisse Infrastruktur zu schaffen. Kreisau verfügte bis zum Jahre 1992 über keine Wasserleitung. Der Brun ­nen im Hof war nicht mehr ergiebig genug und die Wasserqualität zudem schlecht. Es mußte also eine Wasserleitung gelegt werden, die über sieben Kilometer Trinkwasser heranführt. Sie wurde so dimensioniert, daß sich nicht nur die Begegnungsstätte son ­dern auch der Ort Kreisau und eine Reihe benachbarter Orte anschließen konnten. Für die Region war schon dies eine bedeutsame Leistung. Auch fehlte es bis dahin an einem Klärsy ­stem. Es wurde also eine eigene Klär ­anlage gebaut, an die sich inzwischen auch Kreisau angeschlossen hat. Für zwei weitere Orte reicht die Kapazität noch. Große Probleme bereitete ein ausreichender Telefonanschluß. Die ganze Baustelle und der Tagungsbe ­trieb wurden in dieser Zeit über eine einzige Telefonleitung mit einem Anschluß abgewickelt. Was das in heutiger Zeit bedeutet, bedarf keiner Erläuterungen. Seit Januar 1998 war Kreisau endlich in ausrei ­chender Weise an das öffentliche Tele ­fonnetz angeschlossen.

Die eben beschriebenen Maßnahmen schufen die Voraussetzungen dafür, daß überhaupt mit der Errichtung der Begegnungsstätte begonnen werden konnte. Die Finanzierung übernahm die Stiftung für deutschpolnische Zu ­sammenarbeit. Aber es handelte sich eben um Vorlaufkosten, die bei der Be ­trachtung der Gesamtkosten nicht übersehen werden dürfen. Probleme bei der Bauplanung und hinsichtlich der Gesamtkosten brachten aber auch denkmalpflegerische Gesichtspunkte. Angesichts des teilweise sehr schlech ­ten Gebäudezustandes wären der kom ­plette Abriß und der komplette Neu ­bau sicher gerechtfertigt gewesen. Dem Vernehmen nach handelt es sich bei Kreisau jedoch um den einzigen, in Niederschlesien komplett erhalte ­nen deutschen Gutshof dieser Größe. Deshalb legte der Denkmalpfleger großen Wert auf die Erhaltung des hi ­storischen Erscheinungsbildes. Die Grundentscheidung, eine Gedenk- und Begegnungsstätte an diesem hi ­storischen Ort zu schaffen und Ge ­sichtspunkte der Denkmalpflege stel ­len sicher einen weiteren Kostenfaktor dar, den man in Rechnung stellen muß, wenn man fragt, was denn eine Jugendbegegnungsstätte mit dieser Kapazität kosten dürfe.

Der Stiftung Kreisau gehören inzwi ­schen die Hoffläche und die Gebäude des ehemaligen Gutes Kreisau sowie das Berghaus mit Grundstück, insge ­samt eine Fläche von etwa fünf Hek ­tar. Hinzu kommt ein Dauernutzungs ­recht am Kapellenberg. Außerdem konnte die Stiftung im Umfeld des Gutshofes fünfzehn Hektar Weideland und im Ort dreizehn Hektar Ackerland auf acht Jahre mit Vorkaufsrecht pachten. Der Gutshof wird vor allem der Jugendbegegnung dienen, das Berghaus und der Kapellenberg sind vor allem Bestandteile der Gedenkstät ­tenarbeit. Die Wiesen sollen den not ­wendigen Auslauf der Besucher Kreisaus ermöglichen und davor bewahrt werden, daß sich auf ihnen andere Nachbarn ansiedeln. Das Ackerland soll sicherstellen, daß zu einem geeig ­neten Zeitpunkt eine ökologische Landwirtschaft begründet werden kann.

Das Nutzungskonzept

Das Nutzungskonzept, das den Reno ­vierungs- und Umbauarbeiten zu Grunde gelegt wurde, orientiert sich an den Bedürfnissen eines Tagungs ­- und Freizeitbetriebs für mindestens einhundertzwanzig Jugendliche. So werden nunmehr genutzt:

- das alte Verwalterhaus (Planungs ­kürzel Nr.1) und das anschließende Wohnhaus (Nr.2) für die Rezeption, Büroräume und Mitarbeiterwoh ­nungen - ,,Torhaus" genannt;

- ein altes Nebengebäude (Nr.3) als Werkstatt für kreative Tätigkeiten und mit einem Meditations- und Andachtsraum - ,,Waschhaus" ge ­nannt;

- der alte Wagenschuppen (Nr.4) als Tagesstätte für Dorfkinder und Gä ­stekinder und Mitarbeiterwohnun ­gen - „Remise" genannt;

- das alte Herrenhaus (Nr.5) mit ei ­ner ständigen historischen Ausstel ­lung nebst dazugehöriger Biblio ­thek und Werkstatt, Tagungs- und Begegnungsräumen sowie Freizeitmöglichkeiten - ,,Schloß" genannt;

- ein ehemaliges Wohnhaus (Nr.6) als Mitarbeiterwohnhaus - ,,Gärt ­nerhaus" genannt;

- ein ehemaliger Stall (Nr.7) als Ju ­gendherberge - ,,Pferdestall" ge ­nannt;

- der ehemalige Kuhstall (Nr.8) als Küche, Speisesaal, Cafeteria und Jugendherberge - ,,Kuhstall" ge ­nannt;

- das ehemalige Getreidelager (Nr.9) als Mehrzwecksaal und Sport ­halle - ,,Scheune" genannt;

- ein ehemaliges Lagerhaus als (Nr. 10)Gästehaus mit etwas komfor ­tableren Zimmern - ,,Speicher" ge ­nannt;

- ein ehemaliges Wohnhaus (Nr.11) als Wohnhaus mit Hausmeisterwerkstatt - ,,Werkstatt" genannt

Das Berghaus ist einerseits mit einem Gedenkraum dem Andenken an den Kreisauer Kreis gewidmet und soll an ­dererseits Möglichkeiten zum ruhigen, wissenschaftlichen Arbeiten bieten. Wohnraum für einen Hausvater und für Gäste auf Zeit ist vorhanden.

Die Verantwortung für die Durch ­führung der Baumaßnahme hatte der Stiftungsvorstand einer Baukommissi ­on übertragen. Diese hat aus Prof. Dr.Kazimierz Czaplinski (zeitweise), Michal Czaplinski (zeitweise), Wim Leenman (zeitweise), Krzvsztof Loskot (zeitweise), Walter Lorang und Jürgen Telschow bestanden. Beratend zur Sei ­te standen der Baukommission Profes ­sor Gerhard Müller-Menckens und sein Mitarbeiter Günther Mulitze aus Bremen. Ihre Mitarbeit wurde durch die finanzielle Förderung des Bundesverbandes der deutschen Bauindustrie möglich. Ewa Unger hat unermüd ­lich gedolmetscht. Die Baukommissi ­on hat die notwendigen Konzepte ent ­wickelt, die von den Architekten vor ­gelegten Planungen geprüft und opti ­miert sowie die Bauausführung kon ­trolliert; soweit letzteres möglich ist, wenn ein Teil der Beteiligten von weit her anreisen muß.

Was Geschichte kostet

Bei der Verwirklichung des Projekts sind die Verantwortlichen von Anfang an der Auffassung gewesen, daß ein Werk der internationalen Verständi ­gung mit der gleichberechtigten Part ­nerschaft untereinander beginnen muß. Beim Bauen und an manch an ­derer Stelle wäre es leichter gegangen, wenn entweder nur die Deutschen oder nur die Polen bestimmte Aufga ­ben übernommen hätten. Auch wollte man bei diesem Bau, daß die Bauaus ­führung, wo irgend möglich, bei Fir ­men aus Polen läge, um auch auf die ­sem Wege die dortige wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen. Man wollte also Gemeinsamkeit. Und so wurde im Kleinen all' das an Schö ­nem und Ärgerlichem durchlebt, was im Großen in Gesamteuropa zu beob ­achten war und ist. Vielleicht ist man ­ches umständlicher oder langsamer gelaufen als notwendig. Doch das Ziel ist erreicht. So zählen heute nur noch wenig: Sprachbarrieren; unterschied ­liche berufliche Erfahrungen der Be ­teiligten; mangelndes Fachwissen bei der Mehrzahl der polnischen Partner, die mit ihren durch das bisherige Ge ­sellschafts- und Wirtschaftssystem begrenzten Kenntnissen den Erwartun ­gen der Deutschen nur schwer gerecht werden konnten; mangelnde techni ­sche Möglichkeiten und geringe Mate ­rialauswahl bei der Bauausführung; unterschiedliche Einschätzung histo ­rischer baulicher Gegebenheiten; un ­terschiedliche Bewertung ökologischer Gesichtspunkte; unterschiedliches Denken in Fragen der Wirtschaftlich ­keit, unterschiedliche Begriffe von Qualität und so weiter, und so weiter. Dies hat auch die persönlichen Bezie ­hungen manchmal belastet. Daß trotzdem das herauskommen konnte, was jetzt dasteht, kann also nur als ein beachtlicher Erfolg partnerschaft ­licher internationaler Arbeit betrach ­tet werden. Nun wird mancher Besu ­cher heute gar nicht bemerken, wo Mängel zu finden sind. Andere Besu ­cher werden sich über vermeintliche Fehler bei der Restaurierung histori ­scher Substanz oder über Mängel der Bauausführung mokieren. Es sollte aber bedacht werden, daß hier in der Anfangsphase des Zusammenrückens Europas wirklich zwei Kulturen auf ­einander trafen. Da sind Probleme nur auf dem Kompromißwege zu lösen.

Die Gesamtkosten beliefen sich auf et ­wa dreißig Millionen DM. Trotz der langen Bauzeit konnten die Kostensteigerungen stets mit den inflationären Entwicklungen und den Preisveränderungen im Bau ­gewerbe begründet werden. Für die Fi ­nanzierung des Ganzen, abgesehen von dem Gästehaus, ist der Stiftung für deutschpolnische Zusammenarbeit zu danken. Auch in dem Verhält ­nis zwischen ihr und der Stiftung Kreisau ging es nicht ohne Spannun ­gen ab. Ob bei Planung oder Aus ­führung gab es auch hier immer wie ­der konzeptionelle Meinungsunter ­schiede. Nur ging es nie um die Frage, ob die zur Verfügung gestellten Gelder korrekt abgerechnet werden. So konn ­te dann wohl auch der Vorstand der Stiftung für deutschpolnische Zu ­sammenarbeit immer wieder den Vor ­stellungen der Kreisauer folgen.

   

DIE INTERNATIONATIONALE JUGEND ­BEGEGNUNGSSTÄTTE

Am Anfang standen Zelte

Zwölf Tage nach der Gründung der Stiftung Kreisau begann am 21. Juli 1990 in Kreisau die internationale Ju ­gendbegegnung. Zweiunddreißig Men ­schen aus Polen, Deutschland, den Niederlanden und Rumänien trafen sich an diesem Tage zu einem drei ­wöchigen Work-Camp. Die Leitung lag in den Händen von Wim Leenman, Lien Leenman und Asia Wieczorek. Es folgten Jahr für Jahr drei solcher Lager; deren Teilneh ­mer in Zelten vor dem Bergbaus und unter schwierigen sanitären Bedin ­gungen lebten. Das Interesse ließ ab 1996 infolge der Gründung der Inter ­nationalen Jugendbegegnungsstätte Kreisau AG und der Fertigstellung der ersten festen Quartiere nach.

In Anknüpfung an die Löwenberger Arbeitslager, die von der schlesischen Arbeitslagerbewegung in den späten zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts im schlesischen Löwenberg stattgefunden haben und an denen auch Helmuth James von Moltke Anteil gehabt hat, wurden hier junge und alte, jüngere und ältere Menschen zusammengeführt. Wie der Name es schon sagt, war ein wesentli ­cher Teil des Programms praktische Arbeit zum Nutzen des Kreisau-Pro ­jekts und der Gemeinde Kreisau. So wurden Aufräumarbeiten und Hilfsar ­beiten auf der Baustelle, Arbeiten auf dem Friedhof und auf dem sonstigen Gelände, Betreuung im Kindergarten und Erntehilfe geleistet. Daneben be ­schäftigte man sich mit der Geschich ­te Kreisaus, mit dem Kreisauer Kreis, den wirtschaftlichen, sozialen und ge ­sellschaftlichen Verhältnissen der Re ­gion und mit politischen und religiö ­sen Fragen. Schon bevor die Instituti ­on Kreisau zu laufen begann, war dies der Initiative einzelner zu danken.

Jugendbegegnung kostet Geld

Dann ging die Verantwortung, wie es die Regierungen gewollt hatten, auf eine Betriebsgesell ­schaft über, der Internationalen Jugendbe ­gegnungstätte Kreisau AG. Mehrheits ­gesellschafter war die Stiftung Kreisau, zweitgrößter Gesellschafter war der Förderverein für die Internationale Ju ­gendbegegnungsstätte. Beteiligt waren außerdem die südpolnische und die oberdeutsche Provinz der Jesuiten und der Wojwode von Waldenburg. Ent ­sprechend dem bereits erwähnten Notenwechsel saßen außerdem im Auf ­sichtsrat Vertreter der deutschen und der polnischen Regierung. Diese Akti ­engesellschaft - in anderen Ländern hätte man eine gemeinnützige GmbH gewählt, in Polen diente hierzu die AG - war der eigentliche Träger der inter ­nationalen Jugendbegegnung. Auf sie ging deshalb auch die Trägerschaft der Work-Camps über. In der Jugend ­begegnung waren nun hauptamtliche pädagogische Kräfte tätig, zwei polni ­sche Pädagoginnen sowie je ein deut ­scher und ein polnischer Pädagoge. Mit deren Hilfe konnte die Jugendbe ­gegnungsstätte nach der Aufnahme ihrer Tätigkeit im Juli 1994 beachtli ­che Teilnehmerzahlen verbuchen. Ob ­wohl die Begegnungsarbeit in jeder Hinsicht unter den schwierigen Kom ­munikationsmöglichkeiten (Telefon) und darunter litt, daß sie auf einer Großbaustelle erfolgte, gab es im Jahr 1994 6.000 Übernachtungen, in den Jahren 1995 und 1996 je 10.000 und im Jahr 1997 fast 11.000. Dies war nicht zuletzt den vielfältigen Unter ­stützungen, auch bei den Personalkosten, der Kreisau-Initiative Berlin zu verdanken. Auch der Förderverein hatte die Finanzierung einer Stelle vermit ­telt.

Trotzdem mußten die Belegungs ­zahlen nach der Fertigstellung der Gesamtanlage im Jahr 1998 mehr als verdoppelt werden, wenn die Internationale Ju ­gendbegegnungsstätte wirtschaftlich Be ­stand haben sollte. Eine schwierige Auf ­gabe. Sie wurde erschwert durch die von vornherein unrealistische Erwartung der Regierungen, daß die Jugendbegegnungsstätte die laufenden Kosten selbst erwirtschaften solle, und die (offenbar nicht bedachten) steuerlichen Folgen der Gründung einer Betriebsgesellschaft. Da jeglicher Leistungsaustausch zwischen Stiftung und Betriebsgesellschaft wie eine steuerpflichtiger Warenaustausch zwischen zwei Fremden behandelt wurde, entstanden Stiftung und AG gemeinsam zusätzliche jährliche Kosten von mehreren hunderttausend Zloty. Die Stiftung als Hauptgesellschafter war nicht in der Lage, diese Kosten zu tragen, und die Regierungen, die die Konstruktion veranlaßt hatten, eben so wenig. Deshalb beschlossen Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung im Jahre 1999 die Auflösung der Aktiengesellschaft gegen die Stimmen der Vertreter der deutschen Regierung. Heute, im Jahr 2004, verzeichnet die Stiftung in Kreisau insgesamt etwa 25. 000 Teilnehmertage jährlich. Das bedeutet, daß der laufende Betrieb ohne Abschreibungen und Bauunterhaltung sich aus den eigenen Einnahmen trägt. Etwa 10 % der Einnahmen stammen aus öffentlichen Kassen.

Versöhnung?

Der Arbeit liegt ein Konzept zu Grun ­de, das der Stiftungsrat der Stiftung Kreisau im Jahre 1993 verabschiedet hat. Es atmet noch den Geist der er ­sten Nachwendejahre. Heute, da wir genauer sehen, was seit damals in Eu ­ropa, in Deutschland und in Polen noch nicht geschafft worden ist, be ­kommt auch das wieder Aktualität, was von dem Konzept noch nicht um ­gesetzt worden ist. A. Szczypiorski sagt: ,,Versöhnen konnten sich die Alten, die Kinder konnten sich erinnern, und für die Enkel wird es Archäologie". Warum und wie sollen die Enkel, Jugendliche aus Berlin, Wroclaw, Prag, Barcelona, Lemberg, Minsk oder Rotterdam hin ­ter den Gutshofmauern des polni ­schen Straßendorfes Krzyzowa die Spuren einer schwierigen europäi ­schen Geschichte sehen und Grundla ­gen für die Gestaltung der Zukunft finden können? Wirkt doch die Tei ­lung Europas fort in den wechselseiti ­gen Erfahrungen und verschütteten Erinnerungen. Junge Leute aus der ehemaligen DDR, aus Polen und den anderen Ländern Mittel- und Osteuropas ka ­men aus der Erfahrung verordneter Völkerfreundschaft. Die Geschichts ­kenntnisse junger Deutscher waren häufig mangelhaft. Immer deutlicher wird bei allen inzwischen auch eine ganz andere Interessenslage. Die deutsche Geschichte Schlesiens wird von den heutigen Schlesiern immer mehr als die Geschichte ihrer Hei ­mat verstanden. Und vielen Deutschen ist immer weniger bewußt, daß Kreisau seit 1945 in Polen liegt und heute Krzyzowa heißt. So rücken Begegnung und Freundschaft stärker in den Vordergrund, und der Umgang mit der Geschichte wird für Pädagogen und Besucher auf andere Weise schwieriger.

Kreisauer Erfahrungen

Da ist es nicht unerheblich, nach den Erfahrungen der Kreisauer in ihrer Bedeutung für die Jugendbegegnung zu fragen. Viele Beteiligte am Kreisau ­er Kreis hatten sich bereits in den zwanziger Jahren in den ,,schlesischen Arbeitslagern" der ,,Löwenberger Arbeitsgemeinschaft" kennen gelernt. Diese Arbeitslager führten Industriear ­beiter, Bauern, Studenten, Professoren unter ungewöhnlichen Umständen zusammen. Hier hatten sie im gemeinsamen Handeln und Engagement gegen Armut und Unwissenheit Ver ­trauen und Freundschaft aufgebaut. Die Gedanken Helmuth James von Moltkes über die Bedeutung der klei ­nen Gemeinschaften haben hier ihren ersten Ort: ,,Gegenüber der großen Ge ­meinschaft, dem Staat, oder etwaiger größerer Gemeinschaften, wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleinen Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verant ­wortung mitträgt..." Noch in seinem Abschiedsbrief aus dem Gefängnis hat er die schlesischen Arbeitslager aus ­drücklich erwähnt und damit ihre Be ­deutung für den Kreisauer Kreis ge ­würdigt.

Im Kreisauer Kreis war die Bildung ei ­ner gemeinschaftlichen, an keine große Institution gebundenen, freien Gruppe zu erkennen, in der es auf je ­den einzelnen ankam, um Freiheit und Gerechtigkeit zu gewinnen. Ein anderes Kennzeichen der Arbeit der Kreisauer waren die Integration und der Stil des Dialogs: das bewußte Zu ­sammenbringen von Menschen unter ­schiedlicher Weltanschauungen und Erfahrungen, von Älteren und Jünge ­ren. Integration hieß dabei nie Frei ­heit von Konflikten, sondern gemein ­sames Ringen um Wahrheit und um notwendige Kompromisse. Auch waren sich die Kreisauer über die Herausfor ­derungen des Umbruchklimas ihrer Zeit bis zur letzten Konsequenz im klaren. Das hing nicht zuletzt mit der Einsicht in die Folgen der lang andau ­ernden Wirtschaftskrise zusammen, die ebenso zu großen sozialen und po ­litischen Spannungen führte wie zu einer tiefen Krise der Menschen und ihrer Wertorientierungen. Umbruch und Krise bedeuten große Chancen und große Gefahren: Nationalismus im Exzeß und wirtschaftliche Kata ­strophen werden sichtbar. Der Kreisauer Kreis wollte da die berechtigten Interessen aller möglichst ge ­recht unmittelbar in wirtschaftlichen und staatlichen Organen verankern. Ein anderes zentrales Motiv der Kreisauer war ihr Kampf um die Wür ­de des Menschen und um die Men ­schenrechte. Von den Menschenrech ­ten ausgehend sahen sie nicht mehr die Grenzen der Nationalstaaten als Bezugsrahmen, sondern den weltwei ­ten Horizont und verbanden damit ei ­ne Begrenzung der nationalen Sou ­verä-nität und ein Europa auf föderali ­stischer Basis.

Was fordert uns heute heraus?

Die Herausforderungen der Umbruch ­situation unserer Tage sind nicht ge ­ringer, sie sind andere und stellen sich anders, als notwendige Aufgabe für die Zukunft, vor allem der heute jungen Generation. Die Wohlstandsgrenze zwischen Ost und West, Nord und Süd kann nicht überwunden wer ­den, wenn alle weiterhin am Wohl ­stand als höchstem Lebensziel, sei es am Erreichen des westlichen Wohl ­stands oder am Festhalten des erreich ­ten Wohlstandes, orientiert bleiben. Das Lebens- und Wirtschaftsmodell der tonangebenden Industrienationen kann nicht übertragen werden als beste aller Lösungen: es führt zu schwe ­ren Belastungen der Lebensgrundla ­gen, von Boden, Luft, Wasser; zur Er ­schöpfung vieler nicht erneuerbarer Ressourcen und zu schwerwiegenden Störungen der Regenerationsfähigkeit der Naturhaushalte und damit zu weltweiten Bedrohungen, wie z.B. durch die unabsehbaren wirtschaftli ­chen und gesellschaftlichen Folge ­schäden einer Klimaänderung. Geteilt ist Europa auch noch durch die unter ­schiedlichen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsstadien in Ost und West. Die Ungleichzeitigkeit einer gefährlichen Entpolitisierung im Westen und der notwendigen Poli ­tisierung im Osten muß voneinander erst begriffen werden und spielt eine wichtige Rolle im Ost-West-Dialog.

Eine große Gefahr ist in diesem Zu ­sammenhang das Erlahmen des indi ­viduellen Einsatzes für das Gemein ­wohl, sei es aus Überdruß an einer nicht mehr handlungsfähigen Politik oder aus Resignation gegenüber einer noch nicht funktionierenden demo ­kratischen Ordnung. Die Herstellung der gemeinsamen politischen Hand ­lungsfähigkeit ist nicht zuletzt Vor ­aussetzung dafür, daß die Länder Eu ­ropas ihren Teil der Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in der Welt wahrneh ­men. Dabei lassen die Anforderungen der modernen Zivilisation, die norma ­tive Rationalität ihrer Lebens- und Ar ­beitsbedingungen, der Konsumstreß im Westen und der Nachholstreß im Osten den Menschen nur wenig Zeit und Ruhe, ihre eigene Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zu ­kunft zu verstehen. Statt das Unbeha ­gen bei der eigenen Wurzel zu packen, steigt die Bereitschaft zur Entrüstung über andere und schließlich zur Ge ­walt gegen alles Fremde. So trägt die Notwendigkeit des Widerstands, des Widerstehens, heute ein anderes Gesicht. Widerstand in Europa ist heute weithin nicht mehr der Kampf gegen die laute, personifizierte Tyrannei, sondern Zivilcourage im alltäglichen Handeln gegen die stummen, entper ­sonifizierten Kräfte und Sachzwänge. Aufzustehen gegen den Mehrheit ­strend der Meinungen und Gewohn ­heiten an den richtigen Stellen und zur richtigen Zeit, verlangt große An ­strengungen grenzüberschreitenden Denkens, einen wachen Gerechtig ­keitssinn und letztlich Zivilcourage.

Will man dies alles den jungen Besu ­chern von Kreisau vermitteln, muß man sich vor falschen Übertragungen von historischen Situationen hüten. Man darf nicht enttäuscht sein, wenn Jugendliche bei historischen Stoffen nicht die gleichen Stellen der Berührung haben wie die Erwachse ­nen. Jugendlichen muß ein Prozeß des eigenen Lernens angeboten wer ­den. Das kann gelingen, wenn die Pädagogik der Internationalen Ju ­gendbegegnungsstätte aus der Eigen ­art der Offenheit und Verständigungs ­fähigkeit der Kreisauer wächst und damit aus der Bereitschaft, auch heu ­te offen und kreativ die Fähigkeiten und Fragestellungen junger Menschen an diesem Ort aufzunehmen und auf ihre Zukunft hin weiterzuentwickeln. Stichworte hierfür sind: Gemeinschaft; Gemeinschaft und Individualität; Eigentätigkeit, keine passive Konsum-Pädagogik; Künstlerisches Arbeiten; multinationale Treffen; Ökumenisches Lernen; Offenheit für den Dialog mit den anderen Konfessionen und Reli ­gionen; Ökologisches Lernen; Ge ­schichtswerkstätten; Begegnung der Generationen. Zugleich vermittelt sich mit diesem Konzept ein Baustein der Philosophie des heutigen Kreisau.

   

DIE GEDENKSTÄTTE

Der Ort

Die Gedenkstätte befindet sich im Berghaus, einem Tagungsort des Kreisauer Kreises. Zur Gedenkstätte gehören darüber hinaus im Schloß und auf dem Hofgelände Ausstellungs ­möglichkeiten, Räume für Einzelund Gruppenarbeit, eine Mediothek sowie eine Lernwerkstatt. Während das Schloß und der Hof als Ort der Ju ­gendbegegnung für aktive Arbeitsfor ­men vorgesehen sind, soll das Berghaus von einer ruhigen Studienatmos ­phäre geprägt sein. Die Gedenkstätte betreut außerdem den Kapellenberg und berücksichtigt in ihrer Arbeit hi ­storische Stätten der näheren Umge ­bung wie das ehemalige Konzentrati ­onslager Groß-Rosen.

Die Aufgabe

Die Gedenkstätte in Kreisau macht es sich zur Aufgabe, den Widerstand ge ­gen den Nationalsozialismus in Deutschland und die Demokratiebe ­wegung in Mittel- und Osteuropa als zwei Manifestationen einer gesamteu ­ropäischen Widerstandstradition auf ­einander zu beziehen und die bleiben ­de Bedeutung dieser Tradition für die politische und gesellschaftliche Zu ­kunftsgestaltung herauszuarbeiten. Die Verbindung beider Traditionen im Kreisau-Projekt entspringt nicht ir ­gendeiner vorausgesetzten geschichts ­philosophischen Konstruktion (Totali ­tarismustheorie oder Ähnliches), son ­dern sie ist zunächst ein historisches Faktum. Oppositionelle aus Polen und der früheren DDR fanden im Kreisau ­er Kreis einen gemeinsamen Bezugs ­punkt. Dabei waren die Beweggründe im einzelnen unterschiedlich. Für Po ­len stand die Beschäftigung mit Kreisau im Zusammenhang mit der Entdeckung und Aneignung der lange verschwiegenen deutschen Vergangen ­heit Schlesiens und anderer ehemals deutscher Gebiete (Jan Josef Lipski). Im Kreisauer Denken entdeckte man darüber hinaus Parallelen zum ,,Ethos der Solidarität". In der DDR war die oppositionelle Anknüpfung an den Widerstand ein Angriff auf den ,,Ursprungsmythos der DDR" als Erbe des besseren Deutschland. Polen und Deutschen war gemeinsam, daß sie im Denken und Handeln der Kreisauer ei ­ne Spiegelung ihres eigenen Strebens sahen, die Zukunftsgestaltung in eige ­ne Hände zu nehmen und über Kreisau Beziehungen nach Westeuro ­pa anzuknüpfen.

Kommunismus und Nationalsozialis ­mus sind historische Phänomene, die sich allein schon aus ihrer zeitlichen Erstreckung (zwölf Jahre gegenüber dreiundsiebzig Jahren im Falle der So ­wjetunion) deutlich unterscheiden. Einig sind sie sich allerdings in dem Ziel, einen neuen Menschen heran zu ­ bilden und zu diesem Zweck nicht nur den Einzelmenschen seiner individu ­ellen Würde zu berauben, sondern auch alle traditionellen Institutionen (Familie, Kirche, Wirtschaftsunter ­nehmen, Staat) zu zerstören bezie ­hungsweise auf eine neue Grundlage zu stellen. Widerstand ist zunächst al ­les, was sich diesem prometheischen Unterfangen entgegenstellt und die Würde des Einzelnen betont. Die Be ­wahrung beziehungsweise Wiederent ­deckung des geschichtlichen Erbes ge ­genüber den mythischen Geschichts ­bildern der Diktaturen hat viele Men ­schen gegen das Gift der Ideologie im ­munisiert. Es reicht aber allein nicht aus, um den Vergleich von Widerstand und Opposition gegen Kommunismus und Nationalsozialismus zu ermögli ­chen. Neben dem Vergangenheits- ist ein Zukunftsbezug konstitutiv. Die Einzelnen, geprägt von ihrer Vergan ­genheit und konfrontiert mit dem An ­spruch der Ideologie, werden zu Wi ­derständlern dort, wo sie ihre Verantwortung für die Zu ­kunft erkennen und sich ihre Ge ­staltung nicht mehr von anderen abnehmen lassen. Menschen, die so handeln, weisen ei ­ne Gemeinsamkeit auf, die eine verglei ­chende Darstellung ihrer Taten erlaubt. In diesem Sinne läßt sich von einer gesamteuropäi ­schen Widerstandstradition reden. Wi ­derstand leistet auch, wer angesichts der systematischen Verzerrung der Wirklichkeit in der Diktatur am Wert der Überlieferung festhält, wer seine Verantwortung für die Zukunft er ­kennt und sich dafür einsetzt, daß al ­len Menschen die Möglichkeit gege ­ben wird, Vergangenheit und Zukunft in ihrer Existenz schöpferisch aufein ­ander zu beziehen. Eine so verstande ­ne Widerstandstradition hat auch in einem demokratischen Gemeinwesen ihren Platz.

Das Berghaus

Das Berghaus in Kreisau wurde durch Helmuth von Moltke Ende im Jahr 1873 er ­worben. Im Zusammenhang mit dem Tode seines jüngeren, 1871 gestorbenen, Bruders Adolf wollte er dort für seine Schwägerin Auguste geb. von Krohn einen Witwensitz errichten. Im Jahre 1928 zog die Familie Helmuth Adolf von Moltkes, des Vaters von Helmuth Ja ­mes von Moltke aus wirtschaftlichen Gründen vom Schloß hierher um. Ab 1931 lebte dann Helmuth James von Moltke mit seiner Familie im Berghaus. Dort fanden schließlich in den Jahren 1942 und 1943 die drei großen Treffen des Kreisauer Kreises statt. Nachdem Freya von Moltke Kreisau im Herbst 1945 verlassen hatte, lebten hier bis zum November 1992 mehrere polnische Familien.

Das Berghaus hat für die Stiftung Kreisau einen hohen ideellen Wert. Das Haus ist ein Symbol für die Fähig ­keit einzelner Menschen, unter be ­stimmten Voraussetzungen totalitären Regimen zu widerstehen. Heute ist das Berghaus außerdem ein Zeichen dafür, daß es in einem polnischen Ort in Schlesien möglich ist, an das Wirken einer bedeutenden deutschen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus anzuknüpfen. Im Berghaus befindet sich die Gedenkstätte Krzyzowa. Die vier Wohnräume im Erdgeschoß und die Veranda stellen den besonders zu würdigenden historischen Kern dar, da hier vor allem die Treffen des Kreisauer Kreises stattgefunden haben. Diese Räume werden öffentlich genutzt, haben aber keinen musealen Charakter. Jeder Raum ist so gestaltet, daß sich Men ­schen hier begegnen oder auch allein sein können. So ist auch der eigentli ­che Gedenkraum, das ehemalige Eß ­zimmer der Familie Moltke, konzi ­piert. Dort, wo in der Mitte der runde Tisch für das Zusammensein stehen soll, ist ein leerer Platz - Symbol des abgebrochenen Gespräches. In den Ecken stehen die vier Teile, die den runden Tisch ergeben können, samt den dazu gehörigen Stühlen. Wer den Raum nutzen will, muß diese Ele ­mente erst in der Mitte zusammensetzen, bevor sich die Tischrunde zusammensetzen kann. Die anderen Räume des Erdgeschosses sind Mehrzweckräume beziehungsweise Bibliotheksräume. Im Obergeschoß gibt es den Arbeitsraum der Referenten, eine kleine Wohnung und zwei einfache Appartments für Dauergäste.

Die Ausstellung

Die Dauerausstellung zeigt die Ideen und das Wirken des Kreisauer Kreises und dessen Verbindungen zu anderen Widerstandsgruppen gegen den Natio ­nalsozialismus in Deutschland sowie ausgewählte Beispiele gesellschaftli ­cher und politischer Gruppen und Be ­wegungen in den Ländern des ehema ­ligen Ostblocks, die sich gegen den Kommunismus richteten. Wegen des beschränkten Platzes kann hier nur Exemplarisches gezeigt werden. Die Ausstellung besteht aus sechs Teilen, die jeweils durch ein kurzes Stichwort aufgerufen werden und einen be ­stimmten Aspekt der Wirklichkeit des jeweiligen Systems zeigen.

Dem Plan der Ausstellung liegt die folgende Gliederung zu Grunde, wobei Beispiele aus dem deutschen Widerstand in diesem Beitrag nicht mehr erwähnt werden, um Doppelungen zu vermeiden:

Das totalitäre System als Lüge über die Wirklichkeit - Erkenntnis der Wahrheit

ï‚· Zbigniew Herbert: ,,Macht des Geschmacks"

ï‚· Vaclav Havel: ,,Macht der Machtlosen"

ï‚· Alexander Solschenizyn: ,,Mit dem Kopf gegen die Mauer"

Unterdrückung der Freiheit des Einzelnen - individuelle Verweigerung

ï‚· Piotr Hryhorenko (geb.1907), sowjetischer Generalmajor; Sy ­stemkritiker Psychiatrische Zwangsbehandlung, aktiv in der ukrainischen Helsinkigruppe

ï‚· Wasyl Stus (geb.1938), Mitglied der ukrainischen Helsinki-Gruppe, wegen seiner Gedichte festgenommen, Lagerhaft, in der er 1985 starb, Verbrennung seiner Werke

ï‚· Natascha Gorbaniewska, protestiert 1968 gegen die so ­wjetische Intervention in der Tschechoslowakei

ï‚· Jacek Kurons Weg vom Kommu ­nismus in die demokratische Opposition

ï‚· Ryszard Siwiec, Selbstverbren ­nung 1968 vor 100.000 Zu ­schauern im Warschauer Stadion

ï‚· Wiktor Petkus, litauischer Men ­schenrechtler

Atomisierung der Gesellschaft - Schaffung Alternativer Milieus

ï‚· Helsinki-Gruppen

ï‚· ,,Tygodnik Powszechny" als alternatives Milieu im Stalinis ­mus

ï‚· KOR als Reaktion auf die Streiks von Radom im Jahre 1976

ï‚· Die ,,Fliegenden Universitä ­ten" als Durchbrechung des staatlichen Bildungsmonopols

ï‚· Gesellschaft für wissenschaftli ­che Kurse TKN in Polen und Ladislav Hejdaneks philosophisches Patocka-Seminar in Prag

ï‚· ,,Freie Gewerkschaften" als Vorgeschichte der ,,Solidarnosc"

Unrechtsstaat -Verteidigung der Menschen - und Bürgerrechte

ï‚· Die ,,Chronik der laufenden Ereignisse" des Helsinki-Kom ­mitees

ï‚· KOR (Polen) und Charta 77 (CSSR)

ï‚· Die Gruppe ,,Freiheit und Frie ­den" in Polen

Chauvinismus des Systems - Verständigung zwischen den Völkern

ï‚· Die Botschaft des polnischen Episkopats an die deutschen Bischöfe (,,Wir vergeben und bitten um Vergebung")

ï‚· „Karta der Ostseeländer" und ,,Baltisches Forum"

ï‚· Polnisch-Tschechoslowa ­kische Solidarnosc

ï‚· Jan Josef Lipski: ,,Zwei Vaterländer - zwei Patriotismen"

Streben nach Weltherrschaft - Nachdenken über ein befreites Europa

ï‚· PPN - Verständigung zur Un ­abhängigkeit Polens

ï‚· ,,Prager Appell” der Charta 77

ï‚· Rußland und Europa - Der Streit zwischen Siniawski und Solschenizyn

Eine heikle Seite dieser Ausstellung besteht darin, daß sie zwei großen Hi ­storiengemälden im Treppenhaus des Schlosses unmittelbar benachbart ist. Diese Gemälde wurden zehn Jah ­re nach dem Tode Helmuth von Molt ­kes hier angebracht. Gemalt haben sie zwei Schüler des bekannten Historien- und Jugendstilmalers Anton von Wer ­ner, S. Lipinsky und W. von Looz-Cors ­warem. Das eine Gemälde zeigt die Plünderung Lübecks durch Französi ­sche Truppen am 6. November 1806; als kleiner Junge schaut Helmuth von Moltke rechts unten zu (was aber hi ­storisch nicht stimmt). Das an ­dere zeigt den Einzug preußischer Truppen am l. März 1871 in Paris; Helmuth von Moltke in der Mitte hoch zu Roß (auch hier wird die Wahrheit etwas verbogen, denn es gab keinen großen Einzug preußischer Truppen und keine Beteiligung Moltkes). An diesem Beispiel wird deutlich, welch große Spanne zwischen den ver ­schiedenen historischen Erinnerungen in Kreisau überbrückt werden muß: vom preußischen Militarismus und der deutschfranzösischen ,,Erbfeindschaft" über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die Un ­abhängigkeitsbewegung im kommu ­nistischen Europa bis in die Gegen ­wart.

Der Kapellenberg

Ein Ort anderen Gedenkens ist der Ka ­pellenberg. Die Stiftung Kreisau hat mit der Altkönigschule in Kronberg ei ­nen Vertrag geschlossen, in dem ver ­einbart ist, daß die Schule die Paten ­schaft für diesen Teil der Gesamtanla ­ge übernimmt. Die Schule hat, zu ­sammen mit den Schülern ihrer Part ­nerschulen in verschiedenen Ländern Europas, zunächst Säuberungs- und Gartenarbeiten durchgeführt und dann eine detaillierte Bestandsauf ­nahme vorgenommen. Stiftung und Schule waren sich einig, daß es keine umfassende Wiederherstellung geben soll. Vielmehr sollten die Grabkapelle und einzelne Gräber gesichert und so repariert werden, daß sie überhaupt erhalten bleiben. Ansonsten soll das naturbelassene Areal an die Vergäng ­lichkeit des Menschen mahnen, die im Tod nicht mehr unterscheidet zwi ­schen jung und alt, adlig oder bäuer ­lich oder nach der Nationalität. Denn es haben Menschen unterschiedlich ­ster Herkunft und mit unterschiedli ­chem Schicksal hier ihre letzte Ruhe gefunden.

Der Kapellenberg hat seinen Namen von der einst weithin sichtbaren Grabkapelle, die Helmuth von Moltke nach eigenen Plänen im Jahre 1869 errich ­ten ließ als Ruhestätte für seine kurz zuvor verstorbene Frau. Später wurden auch der Sarkophag seiner Schwester Auguste und sein eigener Sarkophag dort aufgestellt. Im Jahre 1945 hat man versucht, den Sarg Helmuth von Moltkes zu sichern. Sein Verbleib ist unbekannt. Die Kapelle wurde geplün ­dert.

Auf halber Höhe befindet sich der Fa ­milienfriedhof der Moltkes. Hier findet man unter anderen die Gräber von Adolf von Moltke (Helmuths jüngerem Bruder, an dessen Familie Kreisau fiel), Wilhelm von Moltke (der Kreisau nach dem Tod Helmuths erb ­te) und dessen Sohn Helmuth Adolf (des Vaters von Helmuth James). Hel ­muth James hat keine letzte Ruhestät ­te gefunden. Seine Asche wurde 1945 von den Machthabern verstreut, um ein Andenken unmöglich zu machen oder wenigstens zu erschweren. Ein Stein hier erinnert an ihn.

Am Fuße des Kapellenberges befindet sich der alte evangelische Gemeinde-Friedhof von Kreisau. Hier sind noch achtundsiebzig Gräber in unterschied ­lichem Erhaltungszustand zu finden. Die mehr als fünfzig Jahre seit dem Kriegsende haben ihre Spuren hinter ­lassen. In der Nähe der Nord-Ostecke des Friedhofs, aber wohl außerhalb, befinden sich Gräber russischer Kriegsgefangener, die in Kreisau gear ­beitet hatten und dort verstorben wa ­ren. Gegen den Willlen der NS-Behör ­den veranlaßte Helmuth James von Moltke eine heimliche Beisetzung. Der genaue Ort ist nicht mehr feststellbar. Außerdem liegen derzeit an der Südostecke zwei Steinquader, Teile des Kriegerdenkmals aus dem Ersten Welt ­krieg, die bis zur Fertigstellung der Begegnungsstätte unten an der Straße umgestürzt gelegen haben.

So eignet sich dieser Ort dafür, über das, was Menschen im Leben trennt, hinweg, ihrer aller zu gedenken.

   

DIE EUROPÄISCHE AKADEMIE

Äußere Voraussetzungen

Es wurde bereits dargelegt, daß die beiden Regierungen ihre Förderung des Kreisau-Projekts auf die Jugendbe ­gegnung, und mit ihr verbunden eine gewisse Gedenkstättenarbeit, konzen ­triert haben. Für die Freunde des Pro ­jekts war dies von Anfang an nicht ausreichend. Wie könnte man denn auf Dauer Jugendbegegnung an einem solchen Ort organisieren, ohne daß es zur Bereicherung der Jugendbegeg ­nung auch Begegnung und Mei ­nungsaustausch Erwachsener hier ge ­be? Sei nicht dieser gerade auch eine Vorbedingung, wenn man nicht die Jugendbegegnung im eigenen Saft schmoren lassen wolle? Und bietet sich nicht Kreisau geradezu an, auch Erwachsene in Form einer Akademiearbeit zum Besuch zu gewinnen? So haben sich in Deutschland und in den USA Menschen zusammengefunden, um die Akademiearbeit in Kreisau zu fördern. In Deutschland ist daraus der ,,Verein der Freunde und Förderer der Europäischen Akademie Kreisau e.V" geworden.

Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, mit Privatspenden das ehemalige Speichergebäude zu einem Gästehaus umzubauen, das neben den Jugend ­herbergsbetten der Jugendbegeg ­nungsstätte achtunddreißig Über ­nachtungsmöglichkeiten in Einzel- und Doppelzimmern mit Naßzelle enthält. Damit sollte ein Übernach ­tungsangebot geschaffen werden, das für Gäste der Akademiearbeit sonst fehlen würde. Der Verein hat dieses Gebäude nach Fertigstellung der Bauarbeiten der Stiftung zur Verfügung zur Verfügung gestellt. Er verband damit zum einen die Vor ­stellung, daß die Stiftung sich künftig intensiver der Akademiearbeit an ­nimmt. Andererseits wollte er damit der Stiftung aber auch eine dauerhafte Einnahmequelle verschaffen.

Die Akademiearbeit kann ja aus verschiede ­nen Gründen nur eine sehr begrenzte Anzahl von Tagungen jährlich durch ­führen. Deshalb besteht die Vorstellung, daß die Stiftung in der übrigen Zeit fremde Tagungen und auch Touristen aufnimmt, um so dringend benötigte Einnahmen zu er ­zielen. Dies geschieht auch. Leider gelang es dem Verein bisher nicht, Spenden in voller Höhe der Baukosten einzuwerben. Deshalb kann der zweite Zweck im Augenblick noch nicht erfüllt werden. Ein Kredit ist noch abzutragen.

Vergangenheit und Gegen ­wartsprobleme

Für die Akademiearbeit gibt es ein im Jahre 1992 beschlossenes und gründlich überarbeitetes Konzept. Dieses Konzept geht davon aus, daß die totalitären Dikta ­turen des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa eine Kluft hinterlassen haben, deren Überwindung noch lange Zeit in Anspruch nehmen wird - zu groß sind die Verwüstungen in den Köpfen und Herzen der Menschen, in den Organi ­sationen des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens und im Bereich der Umwelt. Europa steht vor einer Fülle von Herausforderungen. Nur in geduldiger, langfristig angeleg ­ter Aufbauarbeit, durch offenes Reden und aufmerksames Hören kann es ge ­lingen, die verschiedenen Erfahrungs ­welten in Ost und West für einander zu öffnen. Verlauf und Ergebnis des Transformationsprozesses werden ent ­scheidend davon abhängen, inwieweit es gelingt, einen die verschiedenen ge ­sellschaftlichen Gruppen umspannenden Grundkonsens über den Weg und das Ziel der Umgestaltung zu finden. Unabhängige Bildungsstätten können hier eine wichtige Rolle übernehmen Dies haben die alljährlich im Mai in Kreisau stattfinden Jahrestreffen er ­wiesen. Themen wie ,,Leben im Schatten ­... Erfahrungen von Minderheiten in der Mitte Europas" haben dies ge ­zeigt. Sie haben aber auch bewiesen, daß es zu kurz gegriffen wäre, Kreisau für deutschpolnische Fragen zu re ­servieren. Teilnehmer aus Litauen, Weißrußland, der Ukraine oder aus Tschechien haben deutlich gemacht, wie wichtig für die Zukunft Europas dieser Gedankenaustausch für das ganze östliche Mitteleuropa ist. Die Europäische Akademie Kreisau soll sich auf zwei Arbeitsschwerpunkte konzentrieren, die Mitarbeit bei der Entwicklung der Region und den Dia ­log von unterschiedlichen gesell ­schaftlichen Gruppen.

Das nur dreißig Kilometer von Kreisau gelegene Waldenburger Industriege ­biet gehört zu den am härtesten vom wirtschaftlichen Umbruch betroffenen Gebieten ganz Polens. Die Integration Polens und des nahegelegenen tsche ­chischen Staates in den europäischen Binnenmarkt stellt für diese Länder eine immense wirtschaftliche Heraus ­forderung dar und erfordert schmerzhafte Anpassungspro ­zesse. Die Akademie Kreisau soll zu ei ­nem Ort werden, wo man über den künftigen Platz dieser Region in Eu ­ropa nachdenkt und ihre Chancen herausarbeitet. Bei der Suche nach so ­zialverträglichen Lösungen für die notwendige Umstrukturierung der ge ­samten Region, einzelner Gebiete oder bestimmter Städte, Dörfer und Ge ­meinden könnte sie örtliche Initiati ­ven fördern. Es können Seminare zu Fragen der Industrie- und Sozialpolitik, der Umgestaltung der Landwirt ­schaft, der Entwicklung des Touris ­mus oder zu ökologischen Problemen veranstaltet werden. Auch können Ausbildungs-, Fortbildungs- und Um ­schulungsmaßnahmen in Kreisau durchgeführt werden. In diesen Semi ­naren oder Workshops müssen neben nationalen und internationalen Fach ­leuten auch die Bewohner der betrof ­fenen Gebiete mit ihren Problemen, Wünschen und Vorstellungen zu Wort kommen können.

Die Stiftung Kreisau ist aus dem Auf ­bruch der Völker Mittel- und Osteuro ­pas hervor gegangen. Ihr Ziel ist es, ,,Aktivitäten zu initiieren und zu för ­dern, die auf ein friedliches und von gegenseitiger Toleranz geprägtes Zusammenleben der Völker, Gesellschaftsgruppen und einzelner Menschen zielen. Auf diese Weise soll das Gedankengut des Kreisauer Kreises tradiert werden." De ­m entsprechend will die Akademie mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Förde ­rung eines sachlichen, problembezo ­genen Dialogs zwischen Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen innerhalb Polens und mit den europäischen Nachbarn leisten. Neben der Behandlung der durch den Umbruchprozeß aufgeworfenen Fra ­gen gilt ihr besonderes Augenmerk der Geschichte des europäischen Wider ­stands, der Geschichte Schlesiens, der deutschpolnischen Verständigung und dem interreligiösen Dialog. Dabei soll die Akademie eng mit der Jugend ­begegnungsstätte zusammenarbeiten. In ihrer Arbeit wird ein weiterer Bau ­stein der Philosophie des neuen Kreisau deutlich.

Anmerkung: Bei der Darstellung konzeptioneller Fragen wurden die inhaltlichen Konzepte für die Arbeit der verschiedenen Arbeitsbereiche benutzt.

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