Historienbilder im Schloß Kreisau

Die Historienbilder im Schloß Krzyzowa/Kreisau1

1. Einführung

Wer Krzyzowa/Kreisau seit dem Jahre 1900 besuchte oder künftig besuchen wird, kommt an den großen Wandbildern im Haupttreppenhaus des Schlosses nicht vorbei. Als es nach 1990 um Sanierung und Wiederaufbau in Krzyzowa /Kreisau ging, war es eine Frage, ob es richtig wäre, sie zu erhalten. Erschienen sie doch manchen als ein Teil der Geschichte des Ortes, den man besser vergessen sollte, weil er gar zu sehr an den preußischen Militarismus erinnert. Doch die Skrupel waren stärker auf deutscher als auf polnischer Seite, und so war es schließlich eine Selbstverständlichkeit, die Bilder wie das wenige andere originale Interieur zu restaurieren.

Damit haben wir sie, müssen sie interpretieren und uns mit ihnen auseinandersetzen. Hierbei kommen wir nicht um den Blick in die Geschichte herum, müssen auch sie darstellen. Wie alle Beschreibung der Geschichte kann auch diese nicht objektiv sein, denn eine objektive, einzig richtige, Darstellung der Geschichte gibt es nun einmal nicht. Wer vorgibt, sie zu präsentieren, täuscht sich und andere. Es gibt nur Sichtweisen, die zur geistigen Auseinandersetzung herausfordern. Und dies soll auch der Sinn dieses Referates sein.

2. Was sehen wir ?

Wenn wir die Treppe hinaufgehen, sehen wir eigenartiger Weise das zweite Bild als erstes genauer und das erste Bild, wenn wir zurückblicken. Allerdings ist dies auch die richtige Reihenfolge, wenn wir die Bilder zeitlich einordnen.

Bild 2 zeigt eine Szene mit dem Datum des 6. November 1806. Eine Stadt wird offenbar geplündert, nicht nur eine Straße, worauf uns das Feuer im Hintergrund hinweist. Das Straßenbild ist im Hintergrund durch gotische Backsteinbauwerke geprägt und im Vordergrund durch einfachere Gebäude des 18. Jahrhunderts. Die Backsteingotik deutet auf den niederländischnorddeutschmecklenburgischen Raum. Von der Familie Moltke wissen wir, daß es Lübeck sein soll, auch wenn für uns heute charakteristische Lübecker Gebäude wie das Holstentor, St.Petri oder die Marienkirche fehlen. Bei den Fußsoldaten handelt es sich zweifelsfrei um französische Linieninfanterie, auch die Offiziere zu Pferd mit den blauweiß-roten Uniformen gehören dazu. Bei den Berittenen mit den braunen Uniformen dürfte es sich um Husaren (Dolman) handeln. Die Uniformen sind eigentlich in gutem Zustand, das Schuhwerk weniger. Aber die Art, wie die Uniformen offen sind, zeigt Disziplinlosigkeit. Von Hund und Federvieh über Damenhut und Weinglas bis zum Hausrat schleppen die Soldaten in wildem Durcheinander alles heraus oder mit, was ihnen in den Sinn kommt. An den Rand gedrängt, hilflos, ängstlich sind die Zivilisten. Allenfalls ein Junge rechts am Rande muß zurückgehalten werden. Wir wissen, es soll der sechsjährige Helmuth von Moltke sein. Das Sujet des Bildes ist also die Plünderung Lübecks durch französische Truppen am 6.November 1806.

Bild 1 zeigt mit dem Datum 1.März 1871 eine ähnliche Komposition, nur eindeutiger. Im Hintergrund Häuser einer Großstadt, der Triumpfbogen weist auf Paris hin. Man befindet sich wohl auf freiem Feld davor. Den größten Teil des Vorder- und Mittelgrundes nehmen auch hier Soldaten ein. Hinter geordnet reitender Kavallerie zieht Artillerie zum Triumpfbogen. Es handelt sich um deutsche Truppen. Absoluter Mittelpunkt ist aber hoch zu Roß der alte Moltke in der Generalstabsuniform. Hinter ihm der Generalstab, ein Ulan macht Meldung, und vorüberziehende Infanteristen jubeln ihm zu. An den Rand gedrängt auch hier Zivilisten. Doch sie sind nicht verängstigt. Von Kürassieren müssen sie zurückgehalten werden. Geballte Fäuste werden den Feinden entgegengehalten. Links unten gibt es auch hier einen Jungen. Doch der ruft den preußischen Soldaten sicher keine Freundlichkeiten zu. Das Sujet des Bildes ist der Einzug deutscher Truppen in Paris am 1. März 1871.

Die Hauptbotschaft ist eindeutig und klar: Als Sechsjähriger erlebt Moltke die Demütigung Deutschlands durch napoleonische Truppen, als Einundsiebzigjähriger ist er derjenige, der die deutschen Truppen zum Sieg über Frankreich führt. Der Kreis eines erfolgreichen Lebens schließt sich. Zugleich ist es aber auch der Weg Deutschlands aus der Niederlage zum Sieg. Früher wurde die Interpretation mitgeliefert. Die Inschriften lauteten „Die Schande” und „Die Vergeltung”.

3. Die Maler der Bilder

Das Lübeckbild wurde von Sigismund Lipinsky (1873-1940) gemalt.  Er entstammte einer polnischen Künstlerfamilie, sein Großvater war der Geiger und Komponist Karol Jósef Lipinsky, seine Großmutter eine Enkelin des Komponisten Giacomo Meyerbeeer. In Graudenz geboren, wuchs er ab 1887 in Berlin auf, wohin die Familie gezogen war. Nach dem Abitur   studierte er an der Königlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin und ließ sich 1904 in Rom nieder, wo er auch eine Mal- und Zeichenschule betrieb. Er hielt aber Kontakt zu "Münchener Sezession" und zur "Berliner Neuen Szession". Das läßt darauf schließen, daß die Historienmalerei zumindest später nicht seinem Kunstverständnis entsprochen hat. Wendeten sich doch die verschiedenen Szessionen gerade gegen die Historienmalerei als dominierende Stilrichtung. Lipinskys Entwürfe und ein Foto, das ihn bei der Arbeit am Entwurf zeigt, existieren ebenso noch viele andere Arbeiten. Das Parisbild wurde von Walter von Looz-Corswarem (1874-1946) gemalt. Er  entstammte einem Grafengeschlecht vom Niederrhein. Nach dem Besuch der geleichen Kunsthochschule lebte er als Maler in Berlin und Potsdam. Dort brannte sein Atelier im 2. Weltkrieg mit Werken und Unterlagen aus.Ihr Lehrer war unter anderen  Anton von Werner.

Um die Bilder zu verstehen, muß man mehr von Werner wissen. Anton von Werner war der wilhelminische Historienmaler schlechthin. Zwar ist er auch bekannt geworden durch Bildillustrationen und Jugendstilmalerei. Und neben ihm wirkte der andere große preußische Historienmaler, der gebürtige Breslauer Adolf Menzel. Dessen Themen waren Ereignisse der preußischen Geschichte, die Personen glorifizierten und politisch belehren sollten. Dabei waren seine Darstellungen nah am wirklichen Leben, am Leiden der verletzten oder sterbenden Soldaten, oder an der harten Lebenswirklichkeit der Arbeiter in seinem berühmten Gemälde „Das Eisenwalz-Werk” (Chorzow/Königshütte in Oberschlesien). Man kann ihn auf jeden Fall mit seinem Spätwerk den Impressionisten zurechnen. Anders Anton von Werner. Dessen Themen waren überwiegend der Gegenwart entnommen und Auftragsarbeiten des Hofes. Was heute das Fernsehen, die Illustrierten und die Boulevardpresse mit ihren Bildern sind, das war er nach 1871 mit seinen Bildern. Mit populären, vor allem großformatigen, Gemälden formte er das Bild der preußischdeutschen Geschichte in den Köpfen der Menschen. Mit einer bestechenden Detailgenauigkeit erweckte er den Eindruck von Exaktheit der Bild-Berichterstattung und Richtigkeit des präsentierten Sujets. Die Gesichter der handelnden Personen waren wie fotografiert, jeder Uniformknopf saß richtig, alles stimmte, so schien es. Aber ganz so war es nicht immer. Nicht wenige seiner Bilder zeigen Szenen, die es so gar nicht gegeben hatte, die nur nach seiner Vorstellung oder der des Hofes so gewesen sein sollten. Eines seiner berühmtesten Bilder stellt einen Kriegsrat am 6.12.1870 in Versailles dar: König Wilhelm, Kronprinz Friedrich, Bismarck, Moltke, Roon (der Kriegsminister). Die Konstellation war in dem ganzen Krieg öfter die, daß sich Bismarck und Roon auf der einen Seite und Moltke auf der anderen Seite mit unterschiedlichen Auffassungen gegenüber standen. Der König tendierte zu Moltke, der Kronprinz wollte und sollte vermitteln. Ein runder Tisch wäre manchmal gut gewesen, aber er kam nicht zustande. Trotzdem wurde dem Volk die Einigkeit dieser hohen Herren per Bild vorgeführt. Aber nicht nur das war der Problemfall Anton von Werner. Werner erfreute sich später allergrößter Zuneigung und Förderung Wilhelms II. Das führte nicht nur dazu, dass Werner auch so etwas wie ein Hofzeremonienmeister war. Wenn er von festlichen Anlässen ein Bild malen sollte, z.B. von der Gratulationscour zu Moltkes 90. Geburtstag, dann bestimmte er unter Umständen nicht nur, wer wo zu stehen hatte, sondern auch, wer welche Uniform zu tragen hatte - alles, damit die Komposition des Bildes nachher stimmte. Werner wurde schließlich auch Prä-sident der Akademie der Künste in Berlin. Das war Ausdruck der Auffassung Wilhelms, daß andere Malerei als die Historienmalerei Werners „Kunst für die Gosse” sei. Die anderen, das waren so berühmte Impressionisten wie Max Liebermann, die dann in Form einer Sezession, am öffentlich geförderten Kunstbetrieb vorbei, ihre Bilder und solche ausländischer Impressionisten wie Edvard Munch ausstellen mußten und dafür geschmäht wurden. Werner tat das seine dazu in der Akademie.

Was sagt uns das im Hinblick auf unsere Bilder. Nun wir dürfen die Schüler Werners, die hier gearbeitet haben, nicht für die Taten ihres Lehrers haftbar machen. Vielleicht ist ja auch ihre Darstellungsweise mit etwas weniger Perfektion im Detail, sozusagen das bißchen impressionistischer Einschlag, das Versöhnliche. Und doch ist diese Schule nicht zu leugnen, denn die Geschichten, die uns hier erzählt werden, stimmen so nicht. Sicher war die Plünderung Lübecks eine traurige Erinnerung Moltkes aus seinen Kindertagen. Auch hatten die Moltkes damals tatsächlich ein Haus in Lübeck, das auch geplündert wurde. Aber während der Schreckenstage hielt sich die Familie auf Gut Augustenhof auf, das ihr seit 1805 gehörte. Der kleine Helmuth hat also der Plünderung in Lübeck nicht zugeschaut. Auch bei dem anderen Bild spricht einiges dagegen, daß dies den Realitäten entspricht. Am 1. März 1871 um 11.00 Uhr nahm Kaiser Wilhelm I. eine Truppenparade auf dem Longchamp, also westlich des Bois de Boulogne ab. Genralstabschef Moltke war sicher in seinem Gefolge. Um acht Uhr waren bereits die Quartiermacher mit Begleitschutz, aber ohne Artillerie, in die Stadt eingezogen. Daß Moltke persönlich daran in irgendeiner Weise beteiligt war, ist nicht anzunehmen. Um 13.00 Uhr marschierten dann knapp 30.000 Mann ein, begleitet von einigen Fürsten und Generälen als Touristen. Da es sich aus psychologischen Gründen nur um eine symbolische Besetzung eines eng begrenzten Teils von Paris und mit begrenzten Truppen handelte, dürfte auch hier der Generalstabschef persönlich nicht beteiligt gewesen sein. Erwähnt wird er auch nicht. Die ganze Besetzung dauerte dann nur bis zum 3.März, und während dieser Zeit ist Moltke in der Stadt gewesen. So fehlt es auch beim zweiten Bild an Authentizität.

Schließlich ist noch von Bedeutung, daß die Bilder von der Bielschen Stiftung zur Hebung der Freskomalerei des mecklenburgischen Adeligen Thomson von Biel (1827-1905) finanziert wurden. Dieser wollte mittels der Freskomalerei Kunst zum Gemeingut für alle machen und jungen Künstlern die Möglichkeit geben, eine Aufgabe monumentaler Kunst zu lösen. So animierte er die die fünf bekanntesten deutschen Kunstakademien in Düsseldorf, Karlsruhe, Dresden, München und Berlin, reihum junge Künstler zu Wettbewerben aufzurufen. Die Stiftung trug die Kosten für die Bilder, die Hochschulen suchten Bewerbungen von Künstlern und Auftrggebern. Für das Jahr 1900 wurde Wilhelm von Moltke von der Berliner Kunsthochschule als Auftraggeber ausgewählt. Den Auftrag erhielten Lipinsky und van Looz-Corswarem. Werner war dann von Lipinskys Arbeit so angetan, daß er ihn an den Entwürfen für die Mosaiken in der Kuppel des neuen Berliner Domes beteiligte.

4. Der historische Hintergrund

Das Jahr 1806 gilt in der preußischen Geschichtsschreibung als der absolute Tiefpunkt der preußischen Geschichte. Die von der friderizianischen Tradition lebende und immer noch hoch gelobte preußische Armee hatte am 14. Oktober bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage erlebt. Aber schlimmer noch war das, was dann kam. Die Armee floh und löste sich auf. Festungen wurden kampflos übergeben. Die königliche Familie floh in das entfernteste Ostpreußen. Preußen wurde von Napoleons Truppen besetzt. General Blüchers Truppen besetzten auf der Flucht das neutrale Lübeck und erklärten es zur Festung, die von den Franzosen aber schnell genommen wurde. Der 6. November ist so nicht nur ein Schreckensdatum in Moltkes Jugend, sondern das Jahr 1806 war ein Symbol für den Untergang des alten Preußen.

Was in Preußen folgte, waren beispielhafte Reformen: Bauernbefreiung, Gleichberechtigung der Konfessionen, Aufhebung der Zunftordnung und eine Bildungsreform. Dies schuf die Voraussetzungen für die gemeinsam mit Österreich und Rußland geführten Befreiungskriege. Bei dieser Erhebung spielten übrigens Breslau und Niederschlesien eine besondere Rolle. In Breslau hielt König Friedrich Wilhelm III. am 17.März 1813 den „Aufruf an mein Volk”. Am Zobten sammelte sich das Freikorps der Lützow ´schen Jäger. Preußen siegte schließlich über Napoleon und wurde in den folgenden Jahrzehnten wieder zu einer europäischen Macht.

Daß es militärisch 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich bestehen konnte, verdankte es allerdings nicht nur den Planungen des Generalstabs unter Moltke seit 1857. Wichtig war auch eine Heeresreform, die Ministerpräsident Bismarck 1862 gegen den Willen des Landtags und damit verfassungswidrig durchgesetzt hatte. Mehrere Jahre wirtschaftete er ohne genehmigten Haushalt und bekam erst nachträglich nach dem Sieg von Königgrätz die Genehmigung. Moltke hat seine Rolle dabei immer als die des Planers und Vorbereiters von Kriegen und Schlachten gesehen. Dazu gehörte vor allem, die Truppen früher als der Gegner dort hinzubringen, wo sie erfolgreich kämpfen konnten. Der Kampf selber sei dann die Sache der Armeeführer. Doch hielt er sich auch hier nicht zurück. Auch war er der Auffassung, daß er als Generalstabschef im Kriege der einzige militärische Berater des Königs als obersten Kriegherrn zu sein habe. Sein Widersacher Bismarck hingegen vertrat die Auffassung, daß auch im Kriege die Politik zu führen habe und nicht nur das Militär. Beide hätten sich vielleicht stützen können auf die Formel des berühmten Clausewitz: „Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln”. Mit Sicherheit hätte aber Bismarck Clausewitz richtig interpretiert. Zum Eklat kamen die Rangeleien zwischen Bismarck und Moltke dann 1871 vor Paris. Bismarck wollte einen politischen Frieden. Moltke wollte den Krieg konsequent bis zum Ende führen und den Gegner ein für alle Mal unterwerfen. Bismarck wollte Paris beschießen, Moltke es aushungern. Bismarck setzte sich durch und Moltke wurde vom König in einem deutlichen Schreiben in die Schranken verwiesen. Das hat ihn tief getroffen. Ihn angesichts dieser Situation, wie auf unserem Bild, zum Helden der Eroberung von Paris hoch zu stilisieren, dürfte deshalb historisch nicht korrekt sein.

Schließlich sei aber noch an etwas anderes erinnert. Deutschland fühlte sich im ganzen 19. Jahrhundert von Frankreich bedroht. Da war zunächst die Erinnerung noch wach an: Die hugenottischen Flüchtlinge aus Frankreich nach 1598; die französischen Truppen auf deutschem Boden im dreißigjährigen Krieg; die französischen Eroberungskriege gegen Spanien (1667-1668), gegen Holland (1672-1678) und den Krieg gegen die Pfalz (1688-1697) mit der Verwüstung der Pfalz; die französischen Truppen in Deutschland während der friderizianischen Kriege zwischen 1740 und 1763; und schließlich die französischen Truppen, die nach 1789 in verschiedenen Kriegzügen Deutschland heimsuchten. Aber auch im 19. Jahrhundert sah man politisch Frankreich als Unruheherd an. Immer wieder gab es kleinere und größere Revolutionen, die dann auch nach Deutschland überschwappten, so z.B. 1848. Und noch in den achtziger Jahren fürchtete man von Frankreich her Unruhen, was den greisen Feldmarschall veranlasste, einen Präventivkrieg für notwendig zu halten.

Von all dem schwingt etwas mit in den Bildern, die im Jahre 1900 angebracht wurden. Militär in der Form revolutionärer Horden auf der einen und mit preußischer Disziplin auf der andern Seite wird gezeigt. Frankreich war nicht nur der „Erbfeind”, sondern Symbol für Unruhe und Agression. Man selbst war inzwischen in Europa auch wer, durch Disziplin, Ordnung und ein starkes Heer. Nur sollte der heutige Betrachter dabei nicht vergessen, daß Soldaten nach längerem Einsatz stets nicht mehr ordentlich aussehen und daß Plünderung noch in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts ganz legal war. Zwei Beispiele dafür auf preußischer Seite. In der Neujahrsnacht 1813/14 setzten preußische Truppen unter Blücher bei Kaub und Koblenz über den Rhein. Tagelang hatten sie vorher im nahen Hinterland warten müssen. Chroniken beschreiben ihren Zustand als heruntergekommen: ungewaschen und unrasiert, die Uniformen zerrissen, dass Schuhwerk kaputt. Sie hatten kein Holz, um ein Feuer zu machen und sich zu wärmen, und keine Verpflegung. Also fielen sie wie die Heuschrecken in die Ortschaften und ließen der armen Bevölkerung dort nichts, keine Lebensmittel, keine Kleidung und Wä-sche, keine Möbel, Haustüren etc. Preußische Truppen in Deutschland. Und im Jahre 1866 widerfuhr Frankfurt am Main folgendes: in der Bundesversammlung hatte Frankfurt mit Österreich gegen Preußen gestimmt, als es darum ging, die Kriegserklärung Preußens gegenüber Österreich als Bruch der Bundesakte festzustellen (völlig zu Recht). Nach dem Sieg bei Königgrätz über Österreich eroberten preußische Truppen das Rhein-Main-Gebiet und Frankfurt. Nach geltendem Völkerrecht völlig legal, wurde Frankfurt eine Kontribution auferlegt, d.h. es sollte eine immense Summe zahlen, andernfalls die Stadt zur Plünderung freigegeben würde. Die reichen Frankfurter zahlten. Deshalb könnte man, wenn die Bilder nicht im Jahre 1900 in Deutschland gemalt worden wären, sie auch als Beispiel dafür interpretieren, wie sich Sieger verhalten, im Siegesrauch und bei der späteren Parade.

5. Helmuth von Moltke

Bilder, die eine Person verherrlichen, werfen natürlich Fragen nach dieser Person auf. Wer war das? Da ist es zunächst wichtig, daß der Feldmarschall nicht der Auftraggeber war, sondern, daß die Bilder zu seinem hundertsten Geburtstag gemalt wurden. Hausherr war damals Helmuths Neffe Wilhelm von Moltke. Trotzdem möchte ich mich nicht der Auffassung anschließen, die ich hier schon gehört habe, daß der bescheidene Feldmarschall sie sicher nicht gebilligt hätte. Helmuth von Moltke wird als ein korrekter, absolut loyaler und schweigsamer Mann beschrieben, der mehrere Sprachen beherrschte, außerordentlich gebildet war, großes Interesse an der Vergangenheit hatte und allem Neuen aufgeschlossen gegenüber stand. Hätte die elterliche Familie nicht in finanzieller Not gelebt, wäre er kaum Soldat geworden, eher Wissenschaftler; seiner Neigung entsprechend vielleicht Althistoriker und Archäologe, seinen Fähigkeiten nach vielleicht auch Naturwissenschaftler. So aber wurde er mit elf Jahren Soldat Und blieb es bis zu seinem achtundachtzigsten Lebensjahr. Das prägt. Allerdings war Soldat sein damals keine den ganzen Tag ausfüllende Tätigkeit. Moltke hatte ausreichend Zeit, sich der Literatur und der Musik zu widmen. Er schrieb selbst und übersetzte aus fremden Sprachen. Er unternahm Reisen. Und er pflegte Kontakte, vor allem zum Hof. So war er mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten bald eine Rarität unter den preußischen Offizieren. Nie hat er ein Truppenkommando gehabt (was von den Offizierskollegen mißtrauisch beäugt wurde). Stattdessen war er nach der Kriegsschule (1823-26) Lehrer, Mitarbeiter in der topografischen Abteilung des Generalstabs, Mitarbeiter des Generalstabs, von 1836-1839 Instrukteur in der Türkei, 1845 persönlicher Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen in Rom, wieder beim Generalstab, ab 1848 Chef des Stabes beim IV. Armee - Korps, 1855-1857 erster persönlicher Adjutant des Kronprinzen und ab 1857 Chef des Generalstabes. Etwas flapsig könnte man von einem Schreibtisch- und Salon-Offizier sprechen. Nicht erst nach seinen Erfolgen war er also ein Offizier, der bei Hofe bekannt und geschätzt war und sich zu Hofe im In- und Ausland auskannte. Nach 1866 und dem Erfolg bei Königgrätz wurde er dann richtig prominent, wurde neben dem König und Kaiser und Bismarck zu einer der drei Gallionsfiguren des Zweiten Deutschen Reiches. Ob das sein Traum gewesen ist, mag bezweifelt werden; daß er an seiner Karriere zielstrebig gearbeitet hat, kann kaum bestritten werden; auch wenn der Erfolg erst spät kam. Fortan führte er ein öffentliches Leben, die Zurückgezogenheit in Kreisau war Urlauben vorbehalten. Das bedeutete auch ständige Präsenz in den Medien. In dem dicken Katalog der großen Antonvon-Werner-Ausstellung von 1993 taucht sein Name nach den Namen von Wilhelm I. und Wilhelm II. am häufigsten auf. Er war eine beliebte Figur der Historienmalerei. Doch das bedeutete auch Modellsitzen und vieles andere. Es scheint, als hätte der ungeduldige alte Herr lieber weniger Zeit hierfür geopfert. Werner versuchte ihm das zu erleichtern. So wirkt eine Fotografie mit dem alten Moltke auf einem Holzbock in der Haltung eines Reiters als Vorlage für ein Gemälde schon kurios. Kurz gesagt, Moltke war ein sehr erfolgreicher Mann seiner Zeit. Die Begleiterscheinungen waren ihm manchmal lästig. Aber dafür, daß er seinen Ruhm nicht genossen habe und daß er nicht gerne im Rampenlicht gestanden hätte, gibt es kaum Anzeichen.

6. Schluß

So erschließen uns die Bilder im Schloß von Krzyzowa/Kreisau ein Stück Geschichte. Sie erzählen von einem einstmals bekannten Mann und von Wohl und Wehe in vergangenen Zeiten. Sie geben auch Anlaß zum kritischen Nachfragen und Nachdenken. Eins sollten sie aber nicht sein: Anlaß zu undifferenzierten Vereinfachungen.

1 Zu Anton von Werner: Dominik Bartmann Hrsg. Anton von Werner, Geschichte in Bildern.2. Aufl. München 1997.

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