Lukas Cranach d. Ä. und die Reformation

Lukas Cranach d. Ä. und die Reformation

Vortrag vor dem Evangelisch-lutherischen Predigerministerium zu Frankfurt am Main am 19. November 2015

Wenn der Hofmaler Lucas Cranach der Ältere im Mittelpunkt unserer Betrach-tung stehen soll, dann muss man zu Beginn einen kurzen Blick auf das Kurfürs-tentum Sachsen werfen. Dessen politische Zentren waren in der für uns heute interessanten Zeit Torgau, Wittenberg und Weimar. Hier residierten die Kurfürs-ten Friedrich III. (17.1. 1463- 5.5. 1525), später genannt der Weise, von 1486 bis 1525, sodann dessen Bruder Johann (13.6.1468- 16.8.1532), später genannt der Beständige, von 1525 bis 1532 und schließlich Johann Friedrich I. (30.6.1503 – 3.3.1554), dessen Sohn, später genannt der Großmütige von 1532 bis 1547, der 1547. Letzterer verlor nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg die Kurwürde und war dann nur noch Herzog eines Teils des Kurfürstentums mit Sitz in Weimar.

  1. Lukas Cranach und die Wittenberger Reformatoren

Wer in Frankfurt dem Leben und Wirken Lukas Cranachs nachgeht, darf mit einem bedeutenden Dokument der Frankfurter Kirchengeschichte beginnen. Am 26. April 1521 verließ Luther enttäuscht den Reichstag in Worms. Hatte er doch dort nicht den gewünschten theologischen Disput führen können, sondern war lediglich befragt worden war, ob er der Verfasser bestimmter seiner Werke sei. Auf dem Rückweg kehrte er am 27. April wieder in Frankfurt ein. Hier verfasste er den bekannten Brief an seinen Freund Lucas Cranach:

Dem fursichtigen Meister Lucas Cranach, Maler zu Wittenberg, meinem lieben Gevattern und Freunde.

Jesus.

Meinen Dienst! Lieber Gevatter Lucas, ich segne und befehl Euch Gott. Ich laß mich eintun und verbergen, weiß selbst noch nicht wo, und wiewohl ich lieber hätte von den Tyrannen, sonderlich von des wütenden Herzog Georgen zu Sachsen Händen den Tod erlitten, muß ich doch guter Leute Rat nicht verachten, bis zu seiner Zeit. Man hat sich meiner Zukunft zu Worms nicht versehen, und wie mir das Geleit ist gehalten, wisset Ihr alle wohl aus dem Verbot, das mit entgegen kam. Ich meinet, Kais. Maj. sollte ein Doktor oder fünfzig haben versammelt und den Mönch redlich überwunden. So ist nichts mehr hie gehandelt denn so viel: Sind die Bücher dein? Ja! Willst du sie widerrufen oder nicht? Nein! So heb dich! O wir blinden Deutschen, wie kindisch handeln wir und lassen uns so jämmerlich die Romanisten äffen und narren!

Sagt meiner Gevattern, eurem, lieben Weib, meinen Gruß, und daß sie sich dieweil wohl gehabe. Es müßten die Jüden einmal singen: Jo, Jo. Der Ostertag wird uns auch kommen, so wöllen wir dann singen Alleluia. Es muß eine kleine Zeit geschwiegen und gelitten sein. Ein wenig, so sehet ihr mich nicht, und aber ein wenig, so sehet ihr mich, sprach Christus. Ich hoff, es soll jetzt auch so gehen. Doch Gottes Wille als der allerbeste geschehe hierin, wie im Himmel und Erden. Amen.

Grüßet mir Meister Christian und sein Weib! Wollet auch dem Rat meinen großen Dank sagen für die Fuhre. Ist Euch an Licentiat Feldkirch nicht genugsam, mügt Ihr Er Amsdorf zum Prediger ersuchen: er wird’s gerne tun. Ade! Hiemit allesamt Gott befohlen, der behüt euer aller Verstand und Glauben in Christo vor den römischen Wölfen und Drachen mit ihrem Anhang. Amen.

Zu Frankfurt am Main. Sonntags Cantate 1521. D. Martinus Luther.”1

Dieser Brief ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert. Indem Luther Cra-nach fursichtig nennt, spricht er ihn als Wittenberger Ratsherrn an. Indem er ihn Gevatter nennt, spricht er ihn privat als Teil seines Verwandten- und Freun-deskreises an. Bemerkenswert auch, weil hier Luthers Stimmung nach dem für ihn so wichtigen Reichstag erkennbar wird, und weil er gegenüber Cranach das Geheimnis seiner bevorstehenden Entführung ausplaudert. Uns interessiert das Zweite. Wird hier doch deutlich, ein wie enges Vertrauensverhältnis zwischen den beiden bestand.

Cranach (1472-1553) war 1505 als Hofmaler am kursächsischen Hof nach Wit-tenberg gekommen. Mit Holzschnitten und Kupferstichen zu religiösen Themen hatte er sich ab 1506 beschäftigt. 1518/19 gab es ersten Titelumrahmungen von Schriften Luthers und 1520 einen Kupferstich „Luther als Augustinermönch”.

Luther (1483-1546) war 1511 als Augustinermönch und Theologieprofessor nach Wittenberg gekommen. Schon 1513 bis 1515 zogen seine Psalmenvorlesungen auch nichttheologische Zuhörer an. Davon wird gleich noch zu reden sein. Luther war also von Anfang an in der kleinen Stadt Wittenberg interessant. So entwik-kelte sich wohl in den nächsten Jahren nicht nur ein Vertrauensverhältnis son-dern eine Freundschaft zwischen Cranach und Luther. Auf diesem Hintergrund ist zu sehen, dass Katharina von Bora (1499- 1552) nach ihrer Flucht aus dem Kloster Marienthron in Nimbschen mit einigen ihrer Gefährtinnen im großen Hause Cranachs Unterkunft fand, dass Lukas Cranach am 15. Juni 1525 Trau-zeuge Luthers und der Katharina von Bora wurde und mit seiner Frau Barbara zu der kleinen Hochzeitsgesellschaft gehörte, dass Luther der Taufpate von Cranachs Tochter Anna war und Cranach der Taufpate von Luthers Sohn Hans.

Engere Familiäre Beziehungen hatte Cranach aber auch zu dem kursächsischen Kanzler Gregor Brück (1483-1557)2. Dessen Vater war Bürgermeister und Richter des kleinen Städtchens Brück und später in Wittenberg mit Grundbesitz ansäs-sig. Er hatte bereits 1513-1515 die erwähnten Vorlesungen Luthers gehört3. Sein Sohn Simon4 war ab 1513 Dekan der Artistenfakultät in Wittenberg, dann Stadt-pfarrer eben dort, der hin und wieder von Luther vertreten wurde, und hat dort frühzeitig das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt. Mit Luther verband ihn ein Vertrauensverhältnis. Gregor Brück hatte Rechtswissenschaften studiert und wurde 1520/21 von Kurfürst Friedrich dem Weisen zum kurfürstlichen Kanzler berufen. Bis Mitte der 1540er Jahre, war er einer der wichtigsten Politiker der protestantischen Reichsstände, entwarf die Protestation in Speyer 15295, wirkte an der Confessio Augustana mit, verfasste die Vorrede, trug sie vor und über-reichte deren lateinische Fassung dem Kaiser6 und war einer der Schmiede des Schmalkaldischen Bundes. Unter den Nachfolgern Friedrichs des Weisen war er ab 1525 der Verbindungsmann zwischen den Kurfürsten und Luther. Brücks Sohn Christian (1510-1567) heiratete Cranachs Tochter Barbara (1513?-1601) und Cranachs Sohn Lukas (1515-1586) heiratete Brücks Tochter Barbara (+1550). Brück pflegte mit Luther ein sehr vertrauensvolles Verhältnis.

Auch mit Philipp Melanchthon verband Lukas Cranach d. Ä. ein freundschaft-liches7 und verwandtschaftliches Verhältnis. Sein Sohn Lukas (d. J.) heiratete in zweiter Ehe Magdalena Schurff, eine Nichte von Philipp Melanchthon8. Der er-warb übrigens sein Haus in der Collegien-Straße (das heutige Melanchthonhaus) von Simon Brück.

Cranach, Brück, Luther und Melanchthon dienten also drei sächsischen Kurfürs-ten. Ein Holzfragment von 1532/39 zeigt Kurfürst Johann Friedrich im Kreise der Reformatoren. Die kursächsische Politik war lange auch deshalb so erfolg-reich, weil die Brüder Friedrich und Johann das Kurfürstentum gemeinsam regierten und sich politisch eng ab-stimmten und weil alle drei Kurfürsten im Gegensatz zu den meisten Herrschern jener Zeit ihre Räte für Ratschläge benutz-ten, denen sie meistens auch folgten. Kaum eine wichtige politische Entschei-dung wurde getroffen, ohne dass Brück mit seinen Juristen und/ oder Luther mit Melanchthon und seinen Kollegen um ein Gutachten gebeten wurden. Zur Rolle des Künstlers Cranach kommen wir noch. Für die Durchsetzung der Reformation nicht nur in Kursachsen, sondern in weiten Teilen Deutschlands, war dieses Beziehungsgeflecht also von erheblicher Bedeutung. Für Luther bedeutete es zudem zwei Kontaktmöglichkeiten zu seinen Kurfürsten, die sich zwar sehr für ihn interessierten aber kaum persönlichen Kontakt mit ihm pflegten. Und für Cranach waren diese Beziehungen durchaus auch geschäftlich interessant. Übri-gens hatten sich alle vier im Stil der Zeit „Künstlernamen” gegeben, unter denen sie be-kannt wurden. Der geborene Lucas Maler nannte sich nach seiner Heimatstadt Kronach Cranach. Der geborene Goris Heintze nannte sich nach seiner Heimat-stadt Brück Gregor Brück, latinisiert Pontanus. Der geborene Mar-tin Luder nannte sich Luther nach dem griechischen Eleutherios (der Freie), als er meinte, den theologischen Durchbruch gefunden zu haben. Philipp Schwarzert schließlich nannte sich Melanchthon, die griechische Übersetzung von schwarzer Erde.

  1. Lukas Cranach

2.a Der Renaissance-Mensch

Lukas Cranach muss ein kluger, kontaktfreudiger, umtriebiger und geschäfts-tüchtiger Künstler gewesen sein. Die Anstellung bei Hofe war mit einem Gehalt von 100 Gulden im Jahr dotiert, etwa so viel wie Martin Luther als Professor ver-diente. Aber Cranach bekam alle künstlerischen Leistungen extra honoriert. Was hieß das? Der Hofmaler hatte zunächst dem Hof mit Bildern der fürstlichen Fa-milie, vom Hofleben wie Jagden und Turnieren, bei der Dekoration von Räumen und für Feste oder auch beim Entwurf von Uniformen oder anderen Gewändern zu dienen. Daneben entwickelte sich Cranach zum Maler der sächsischen und norddeutschen Fürstenhäuser. Diese Arbeiten waren von einer Person nicht zu bewältigen. Deshalb baute er eine langfristige Werkstatt mit bis zu 11 Mitarbei-tern auf, dazu Gehilfen bei der Farbreiberei, der Bildtafel- und Rahmenfertigung und durchschnittlich zwei Lehrlingen9. Einzelne dieser Gehilfen entwickelten durchaus ein eigenes Profil. Aber letztlich lieferte die Werkstatt Cranach. Auch als Cranachs Sohn Lukas in das Geschäft eintrat, legte der Vater Wert darauf, dass nicht zwischen seinen eigenen und den Arbeiten des Sohnes oder denen der Mitarbeiter unterschieden wird. Natürlich blieb es nicht aus, dass immer wieder dieselben Motive angefordert wurden, z. B. nach dem Tode Friedrich des Weisen ein Dutzend Portraits. So verwendete man Schablonen, nach denen bestimmte Personen und Gegenstände dann von Gehilfen gestaltet werden konnten. Be-schäftigt man sich mit Cranachs Bildern, dann meint man bald, Unterschiede zwischen künstlerisch hochwertigen Arbeiten und Massenware entdecken zu kön-nen. Cranach und seine Werkstatt wurden berühmt. Ungefähr 5.000 Gemälde sollen die Werkstatt verlassen haben, von denen noch etwa 1.000 existieren. Die Zahl der Grafiken, Holzschnitte und Kupferstiche ist unbekannt10. So fühlten sich auch seine Gehilfen als etwas Besonderes. Ohne dass Cranach etwas dagegen tat, gewöhnten sie es sich an, einen Degen zu tragen, was neben dem Adel nur die, Studenten durften. Es gab Auseinandersetzungen zwischen den Studenten und Cranachs Gesellen, die die Universität nicht beenden konnte, so dass Kanzler Brück eingeschaltet wurde, der von nun an eine Art Kuratorenrolle an der Wit-tenberger Universität einnahm.

In Cranach begegnet uns also nicht der Künstler als einsames Genie, wie man früher Künstler gerne gesehen hat. Vielmehr erscheint er modern als eine Per-sönlichkeit, die vielfältige Techniken und Medien nutzt, der seine eigene Autor-schaft zu Gunsten einer Marke zurücktreten lässt, die Arbeit mehr im Team als in der Form von Meister und Geselle praktiziert und das mit Engagement mitten in der Gesellschaft verbindet. Dazu kommt seine Geschäftstüchtigkeit.

Betrachtet man das Werk Cranachs, so fällt auf, wie einerseits traditionelle The-men und Formen und anderseits Neues und Modernes nebeneinander her gehen. Cranach liefert herkömmliche Altäre und Bilder zu biblischen Themen, selbst an den Kurfürsten Albrecht von Mainz. Ein Beispiel hierfür ist das Bild der Hlg. Katharina von 1505, die fünfzig heidnische Philosophen bekehrt haben und deshalb gerädert werden soll. Aber ein Engel des Herrn vernichtet das Folterinstrument und tötet viertausend Heiden.

2.b Der Portraitmaler

Cranach, der Modernisierer wurde gelobt, weil er die Natur in seinen Bildern

nicht nur als Kulisse behandelte, sondern ihr einen eigenen Wert beimaß. Er gehörte aber auch zu den ersten Malern in Deutschland, die viele Portraits malten und den Portraitierten lebensnahe Züge verliehen. Er fertigte nicht nur repräsentative Bilder von hochgestellten Persönlichkeiten, sondern auch ganz normale Portraits.

Hier gehört fast auch ein Bild von 1515/20 her, das Christus und Maria Magda-lena wie Menschen von nebenan zeigt. Durch die Überschneidung der Oberkörper und den zur Seite geneigten Kopf strahlt das Bild fast eine erotische Nähe aus. Eine Nähe beider, die ja heute in der Literatur durchaus vermutet wird.

Von besonderer Ausdruckskraft ist aber das Doppelbild von Martin Luthers El-tern aus dem Jahr 1527. Diese Bilder waren nicht zur Verbreitung gedacht, son-dern waren persönliche Erinnerungsbilder. Hans Luther erscheint als durchset-zungsfähiger, ein wenig verschmitzter und zufriedener Mensch. Seine Frau Mar-garetha ist von den Strapazen des Lebens und einer neunfachen Mutterschaft ge-zeichnet, erscheint aber gelassen und in sich ruhend.

2.c Der Aktmaler

Einen guten Markt gab es offenbar auch für Aktbilder, den Cranach mit Frau-enge-talten aus der antiken Mythologie oder in Allegorien, nur mit einem durch-sichtigen Schleier oder ganz unbekleidet, bediente. Hier sehen wir die Justitia von 1537.

2.d Der Holzschneider und Kupferstecher

Bei all dem denkt man an Gemälde, an Tafelbilder. Cranach nutzte aber auch die neue Technik des Bilderdrucks. Unzählige Holzschnitte sind von ihm erhalten, die der Illustration von Büchern, Druckschriften und Flugblättern dienten. Auch hier traf er sich mit Luther und Brück. Luther wusste früh, den Buchdruck für sich zu nutzen. So konnte er für seine Ziele eine Öffentlichkeit herstellen, der Kaiser und Papst zunächst wenig entgegensetzen konnten, bevor sie sich später derselben Methoden bedienten. Die Reformation wurde der erste Medienkrieg, den Luther mit seinen gedruckten Schriften und Cranach mit gedruckten Bil-dern führten11. Öffentlichkeit für Luther herzustellen, war auch das Ziel der von Brück geprägten kursächsischen Politik. Luthers Gegner waren der Papst und der Kaiser. Deren Waffen waren die im Geheimen erfolgende Verurteilung als Ketzer und die Reichsacht. Luther und der sächsische Hof hatten da kaum Mög-lichkeiten, dem zu wehren. Also verhandelte Brück im Auftrag seines Kurfürsten monatelang mit päpstlichen und kaiserlichen Diplomaten, um zu erreichen, dass Luther auf dem Reichstag in Worms seine Sache vertreten kann. Vor dem Reich und der Öffentlichkeit sollte in der causa Luther verhandelt werden. Die Fahrt Luthers nach Worms war eine Triumphfahrt. Viele Menschen nahmen wahr, was dort passierte, und brachten ihre Sympathie für Luther zum Ausdruck. Dass Luther sich dann doch nicht, wie gedacht, verteidigen konnte und die Acht trotzdem ausgesprochen wurde, nutzte letztlich Luther und seinen Anhängern mehr als dem Papst und dem Kaiser.

2.e Der Geschäftsmann

Kommen wir zurück zu Cranach. Bücher illustrieren ist ja gut, aber warum nicht gleich eine Druckerei betreiben. Also gründete er eine Druckerei. Bücher illus-trieren und drucken ist gut, aber warum sie nicht auch verkaufen? Also eröffnete Cranach eine Buchhandlung und wurde als Verleger tätig. Zum Drucken braucht man Farben und Chemikalien, die man nur in einer Apotheke bekommt. Warum nicht eine Apotheke betreiben? Also erwarb Cranach die Apothekenlizenz für Wittenberg. Zur Apothekenlizenz gehörte die Erlaubnis zum Weinausschank. Wa-rum dann nicht gleich eine Schenke betreiben? Also eröffnete Cranach eine Schenke. Cranach wurde zu einem der reichsten oder gar dem reichsten Mann von Wittenberg. Wer so erfolgreich ist, will auch dem Gemeinwohl dienen oder Einfluss auf die Politik nehmen, je nachdem, wie man das sieht. 1519 findet man Cranach im Rat, in den Jahren 1522/23, 1525/26, 1531/32 und 1534/35 ist er mehrmals Stadtkämmerer und 1537/38, 1540/41 sowie 1543/44 ist er Bürgermeis-ter. Seine beiden Wohnhäuser in Wittenberg, heute spricht man von den Cra-nachhöfen, beeindrucken immer noch durch ihre Größe.

Hier war ein großer Haushalt zu bewältigen und das auch, obwohl Cranach häufig abwesend war. Da-zu braucht man eine tüchtige Frau. Die war Barbara, die Tochter des Gothaer Bürgermeisters Jobst Brengebier. Sie führte, wie Katharina von Bora das Haus Luther, das große Haus Cranach, in dem es zeitweise bis zu 40 Personen zu versorgen und zu dirigieren galt. Nur sprach Cranach nie von seinem Herrn Barbara. Ja, er portraitierte sie nicht einmal. Auf einigen wenigen Bildern, so scheint es, hat er sie wie sich selbst untergebracht. Gut unterrichtete oder böse Zungen haben behauptet, er habe sie nie im Bild der Öffentlichkeit gezeigt, weil sie ihm bei seinen Aktbildern Modell gestanden hätte oder weil sie so hässlich gewesen sei. Wer weiß. Jedenfalls haben die beiden zwei Söhne und drei Töchter gehabt. Die Nachkommenschaft Lukas Cranach des Älteren und seiner Frau Barbara zählt zu den größten in Deutschland. Zu ihr gehören neben anderen deutschen Größen auch Johann Wolfgang Goethe und König Alexander der Niederlande, aber auch die Philosophen und Schriftsteller August Wilhelm und Friedrich von Schlegel sowie der „rote Baron” Manfred von Richthofen.

  1. Lukas Cranach, der Maler der Reformation

Kommen wir nun zu Cranachs Wirken für die Reformation. Ich möchte dem ger-ne unter drei Fragestellungen nachgehen und mich darauf beschränken. So steht im Mittelpunkt auch nicht Cranachs sonstiges Wirken für Luther, das sich u. a. darin zeigt, dass bei jüngeren Untersuchungen des Teils des Augustinerklosters, der an Studenten vermietet war, keramische Wassergefäße gefunden wurden, die in Reliefs nach Cranach-Darstellungen die Visualisierung von theologischen Grundsätzen Luthers aufweisen12. Also: 1. Wie hat Cranach den Menschen Luther der Öffentlichkeit bekannt gemacht? 2. Wie hat Cranach sich am Medienkrieg um die Reformation beteiligt? 3. Wie hat Cranach die lutherische Theologie verbildlicht? Dabei gilt es die enge Zusammenarbeit Cranachs mit Luther und Melanchthon zu berücksichtigen. Nicht nur bei der Illustration der Lutherbibel oder bei großen Altarbidern berieten diese beiden Cranach über die theologischen Zusammenhänge oder legten gar Details der Darstellung fest13.

3a. Wie Cranach den Menschen Luther der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat

Ich gehe davon aus, dass jeder von Ihnen das Bild Luthers vor dem inneren Auge hat. Im Zweifel handelt es sich um ein Cranach-Bild. Dass es so ist, war anfangs nicht selbstverständlich. Portraitbilder waren vor der Reformationszeit i. d. R. die Sache der Herrschenden. Die wurden als verehrungswürdige Führerpersönlich-keiten den Menschen vermittelt. Nur wenige andere konnten sich ein Portrait leisten, im finanziellen wie im übertragenen Sinne. Nun hatte Cranach schon in Wien Humanisten portraitiert und später immer wieder Portraits angefertigt; und er war dann mit Luther eng befreundet. Aber ein Lutherportrait von ihm gibt es zunächst nicht. Erst im Vorfeld des Reichstags von Worms wurde es wohl wichtig, der Allgemeinheit ein authentisches Bild von Luther zu vermitteln. Das hätte man auf Flugschriften oder im Vorspann von Veröffentlichungen Luthers unter die Leute bringen können. Zugleich bedeutete das aber, dass Luther insze-niert werden musste. Via Bild konnte man ein ganz bestimmtes Lutherbild in die Öffentlichkeit bringen. Und so geschah es. Im Jahr 1520 übersandte Albrecht Dü-rer dem kursächsischen Hof (Spalatin) drei Abzüge eines Kupferstichs, der den Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg zeigte, und äußerte den Wunsch Luther zu konterfeien. Offensichtlich erhielt Cranach einen Abzug. Jedenfalls fer-tigte er nun nach Dürers Vorbild ebenfalls ein Portrait Albrechts an, gab ihm aber andere, weniger schmeichelhafte, Züge14. Sodann machte er sich an ein Lu-therportrait. Ob das nun im Auftrag des Hofes geschah, ist umstritten. Kunst-historiker sind davon ausgegangen, weil ein solches Portrait zur psychologischen Vorbereitung und Begleitung des Wormser Reichstages geeignet sein konnte15. Heinz Schilling hat in seiner jüngsten Lutherbiographie darauf hingewiesen, dass es keinen Beleg für die Einflussnahme des Hofes gibt16. Trotzdem ist der Vorgang erleuchtend.

Am 8. Dezember 1519 beschrieb der mit Luther befreundete Petrus Mosellanus in einem Brief Luther so: „Martinus ist von mittelgroßer Gestalt. Sein Körper ist hager, durch Sorgen ebenso wie vom Studieren so erschöpft, dass man fast alle Knochen unter der Haut zählen kann. Aber er steht im frischen Man-nesalter. Seine Stimme ist scharf und klar. Er ist voller Gelehrsamkeit und besitzt eine bewundernswerte Kenntnis der Bibel, so daß er fast alles gegen-wärtig hat. Griechisch und hebräisch versteht er so weit, daß er über den Wert von Übersetzungen urteilen kann.17

Cranach fertigte also 1520 einen Kupferstich an, den der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer so beschrieb: „Das Bild des von Nachtwachen erschöpften Augustiner-mönchs… Unter den mächtigen Stirnwulsten liegen, wie kranke Tiere in tiefen Höhlen, die Augen mit dem verschleierten scheuen Blick, in dem heimlich noch die Asche schmerzlicher Verzückung glüht.18” Der Kunsthistoriker Martin Warnke spricht auch von einem Dickkopf. Jedenfalls, so Warnkes Interpretation, hätte ein solches Bild die Refor-mation zu sehr auf die eine Person ausgerichtet, so dass das Bild nicht veröffent-licht wurde19. Cranach fertigte also ein anderes Portrait an. Jetzt war Luther in eine Nische gesetzt, wie es seither für Heiligenfiguren üblich war. Die Züge Luthers waren nicht mehr so markant. Die Bibel in der einen Hand, die andere mit dem Gestus des Redners zeigten Luther als Lehrer und Gelehrten. Warnke spricht vom sanften, gesprächsbereiten Luther, „wie ihn der Hof wohl für Worms brauchte.20” Dieser Stich nun fand sofort eine weite Verbreitung. Ganz gleich aber, ob die Stiche eine Auftragsarbeit waren, oder ob Cranach in künstlerischer Freiheit so unterschiedliche Darstellungen wählte, ob das eine Bild aus politi-schen Kalkül nicht unter die Leute gebracht wurde, oder ob die Marktlage ent-schied: wir sehen, wie solche Bilder sehr unterschiedlichen Zwecken und Interes-sen dienen können.

Doch blicken wir noch auf die Bildunterschrift.

AETHERNA IPSE SUAE MENTI SIMVLACHRA LUTHERUS

EXPRIMIT AT VVLTUS CERA LUCAE OCCIDUUS

M.D.X.X.

Die ewigen Abbilder seines Geistes drückt Luther selbst aus, das vergängliche Gesicht das Wachs des Lucas.” Bemerkenswert ist die Trennung von Geist und Gestalt, eine dualistische Sicht auf den Menschen, und wie der selbstbewusste Künstler sich hier auch „ins Bild setzt.”

Von 1521/22 und 1525 gibt es zwei Lutherbilder, die einen frischen und lebens-nahen Eindruck vermitteln und noch nicht so formelhaft erstarrt sind wie später die gängigen Bilder. Das erste Bild zeigt Luther als Junker Jörg mit der Hand am Schwertknauf und der entsprechenden Kleidung. Der Gesichtsausdruck ist ener-gisch und kämpferisch. Das zweite Bild zeigt Luther eher ruhig und distanziert.

Im Jahr 1525 heirateten Martin Luther und Katharina von Bora. Im folgenden Jahr fertigte Cranach ein Doppelportrait von beiden an. Im Gegensatz zu folgen-den zeigt auch dies noch keine schematisierte Darstellung sondern individuelle Züge. Für die Öffentlichkeit war es wichtig, Luther nun auch als Ehemann und künftigen Familienvater zu zeigen.

3 b. Wie Cranach sich am Medienkrieg als Polemiker beteiligt hat

Martin Luther hatte am 10. Dezember 1520 die Bannbulle vor dem Wittenberger Stadttor öffentlich verbrannt und war dann im April 1521 in Worms gewesen. Da-zwischen entstand in Cranachs Werkstatt das „Passional Christi und Antichristi” mit 13 paarweise zusammen gehörenden Holzschnitten. Mit diesen Holzschnitten wurde eine kurz vorher erschienene Schrift Luthers „Offinbarung des Endchrists aus dem Propheten Daniel wydder Catharinum” in Bilder umgesetzt. Hierin hatte Luther gegen Ambrosius Catharinus zu beweisen versucht, dass das Papsttum in Wirklichkeit das in der Bibel beschriebene Reich des Antichrist sei. Ambrosius Catharinus Politus, 1484-1553, war ein streitbarer Dominikaner und Professor in Siena. Das Konzept dieser Bilder hatten Luther, Melanchthon und Cranach gemeinsam erarbeitet. Die jeweils zitierten Bibelstellen hatte Luther auch in seinem Buch verwendet. Luther selbst bezeichnete das Buch in einem Brief vom 7. März als ein auch für Laien gutes Buch. Und in der Tat fand es auch eine weite Verbreitung.

1523 veröffentlichten Luther und Melanchthon die Flugschrift „Deuttung der zwo grewlichen Figuren Bapstesels zu Rom und Munchkalbs zu Freyberg jn Meissen funden” mit zwei Holzschnitten von Cranach. Die Autoren nahmen darin Bezug auf zwei Gerüchte, die im Umlauf waren. Angeblich war im Tiber ein missgestal-teter Esel gefunden worden, und die Runde machte auch die Geschichte von ei-nem missgestalteten Kalb, das in Meissen geboren worden war. Luther und Me-lanchthon nahmen sie für bare Münze und deuteten sie dann im antirömischen Sinn allegorisch aus. Der Eselskopf stellt den Papst dar, der menschliche Körper die Kirche. Die zwei Hände symbolisieren die Nichteinhaltung der Tren-nung von staatlichem und kirchlichem Regiment durch den Papst. Ochsenfuß und Greifen-klaue stehen für die Geistlichkeit und die scholastischen Theologen. Der weib-liche Bauch und die Brüste stehen für die wollüstige Lebensweise des Papstes und des Klerus. Des alte Gesicht am Hintern verkündet das Ende des Papsttums und der Drachenschwanz wehrt sich mit zornigen Bullen und lasterhaften Schrif-ten dagegen. Das Kalb mit Flecken, die wie eine Mönchskutte und eine Tonsur aussehen sollen, interpretiert Luther so: dass die Mönche erkennen mögen, wer sie für Gott sind und was man im Himmel von ihnen hält.Die Kutte umhülle nicht den Heiligen Geist sondern ein Kalb, wie das goldenen Kalb, das das Volk Israel angebetet hat. Bild

3c. Wie Cranach die lutherische Theologie verbildlicht hat: Gesetz und Gnade

Lukas Cranach hat mehrfach versucht, die neue Theologie Luthers in die Bild-sprache umzusetzen. Ich will mit einem einfachen Beispiel beginnen. In der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul, der Herderkirche, der Grablege der Herzöge von Sachsen-Weimar steht, steht quasi als Epitaph ein Cranach-Altar. Von diesem Altar wurde lange Zeit angenommen, dass er von Lucas Cranach Va-ter begonnen und von Lucas Cranach Sohn vollendet worden sei. Heute nimmt man eher an, dass er vom Sohn stammt. Die beiden Seitenflügel zeigen groß die Familie Johann Friedrichs von Sachsen, in der Mitte sieht man eine Kreuzi-gungsszene. Links sieht man Christus, der Tod und Teufel überwunden hat. Rechts steht vorne Martin Luther, der auf die Schrift zeigt, die mit dem Bild ausgelegt wird. Neben ihm steht Cranach der Ältere, der als Beispiel für den sündigen Menschen von dem aus Christi Wunde kommenden gnadenbringenden Blutstrahl getroffen wird. Dahinter Johannes der Täufer, der auf den Gekreu-zigten und das Lamm unter dem Kreuz zeigt. Das Bild predigt also von der Er-lösung des Menschen allein durch die Gnade des gekreuzigten und auferstan-denen Christus. Bemerkenswert ist die Rolle, die Lucas Cranach zufällt. Mitten im Fürstenaltar der Maler der Reformation – eine Hommage des Sohnes an seinen Vater, der Hinweis darauf, dass Lucas Cranach dem neuen Glauben an-hing, aber auch die Demonstration der Bedeutung, die Lucas Cranach für die Reformation gehabt hat.

Etwas komplizierter ist die von Vater Cranach in mehreren Varianten versuchte Umsetzung des Themas Gesetz und Gnade, hier in einer Darstellung von 1529. Antithetisch sehen wir links die Logik des alttestamentlichen Gesetzes und rechts das Evangelium, wie es Luther verstanden hat.

Betrachten wir die linke Hälfte: Links oben der Sündenfall (1. Mose 3), rechts davon aber etwas höher die Offenbarung des Gottessohnes (Jes. 7, 14). Rechts unten Moses mit den Gesetzestafeln (2. Mose 20 ff.) und die Propheten, vor allem Jesaja (Jes. 7, 14 u.a.). Mitte und unten links treiben Tod und Teufel den Men-schen ins Höllenfeuer.

Und nun die rechte Hälfte: Während links in der Mitte Tod und Teufel stehen, befindet sich rechts der Gekreuzigte in der Mitte. Links davor Johannes der Täufer, der auf Christus zeigt (Mark 1, 1 ff.). Neben ihm der Sünder, der vom Blutstrahl der Gnade getroffen wird, auf dem die Taube des Heiligen Geistes fliegt. Unter dem Kreuz das Opferlamm. Rechts unten besiegt der Auferstandene Tod und Teufel. Im Hintergrund links vom Kreuz die Hirten auf dem Felde (Luk. 2, 8 f.)und dahinter das Volk Israel und die eherne Schlange (4. Mose 21, 4-9). Rechts oben Mariä Empfängnis ( Matth. 1, 18) und die Füße des zum Himmel Fahrenden (Apg. 1).

  1. Schluss

Ich bin damit am Ende angekommen. Wenn ich nun zusammenfasse, was ich zeigen wollte, dann ging es um um eine Renaissance-Persönlichkeit, die viel mehr war als ein bedeutender Künstler, die mitten im kursächsischen Reformationsge-schehen stand, die auf ihre Weise einen wichtigen Beitrag dazu leistete, dass Martin Luthers neue Theologie unter den Menschen Verbreitung fand und die nicht zuletzt damit ein erfolgreiches Geschäftsmann wurde.

1Luthers Werke. Weimarer Ausgabe. Abt. Briefe. Bd. 2, S. 305. 1931.

2 Brück, Ulrich von: Im Dienste der Reformation. Ein Lebensbild des kursächsischen Kanzlers Gregor Brück. Berlin 1985.

3 Brück, S. 12.

4 Brück, S. 11, 12.

5 Brück, S. 33.

6 Brück, S. 36-51.

7 Girshausen, Theo Ludwig: „Cranach, Lucas d. Ä.” in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957) S. 295-398. , http://de.wikipedia.org./wiki/Lucas_Cranach_der_ Ältere, S.2.

9Claus Grimm/Johannes Erichsen/Evamaria Brockhoff: Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken, Augsburg 1994, s. 220.

10 http://schmidt-radefeldt.de/fam_cranach.htm.

11 Hierzu Schilling, Heinz: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. München 2012, S. 241-244, ohne diesen Begriff zu verwenden.

12Schilling, S. 338.

13Schilling,Heinz: Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2013, S. 273, 527 ff.

14 Plöse/Vogler, Reformation, S. 184 f. Unter Berufung auf Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Dokumenta oder umständliche vorstellung des evangelsichen Reformations-Wercks mit einrückung des darzu dienlichen Theils noch nie gedruckter Nachrichten … Leipzig 1729, S. 247-249.Warnke, Martin: Cranachs Luther. Entwürfe für ein Image, Frankfurt a. M. , 8.-9. Tausend Febr. 1994, S. 14-17.

15 Warnke, S. 23-29.

16 Schilling, S. 242.

17 Zitiert nach: Schuchardt, Günther (Hrsg.): Cranach, Luther und die Bildnisse. Katalog zzur Sonderausstellung auf der Wartburg 2. April – 19. Juli 2015, Regensburg 2015, S. 60.

18 Worringer, Wilhelm: Lukas Cranach, München 1908, S. 117, nach Warnke, S. 24.

19 Warnke, S. 26 f.

20 Warnke,S. 27.

Kommentare sind deaktiviert.