Friedenskirchen in Schlesien

F r i e d e n s k i r c h e n

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung ”Friedenskirchen in Schlesien” am 13. Februar 2005 im Stiftssaal unter der Stiftskirche in Darmstadt

In diesen Wochen wird viel an die Zeit vor sechzig Jahren erinnert, die Zerstörung Dresdens, Flucht und Vertreibung und den Endkampf um Berlin. Wir Deutschen halten uns vor Augen, wie das war, als der Krieg in seinen schrecklichsten Formen über unser Land zog. Schließlich auch über unser eigenes Land, nachdem wir ihn vorher in viele andere Länder getragen hatten. Diese Erfahrungen führten viele Menschen zu der Erkenntnis, Krieg darf nicht mehr sein, „nie wieder Krieg!”. Etwas davon ist geblieben, wenn die deutsche Außenpolitik heute der Friedenspolitik den Vorrang vor kriegerischen Maßnahmen gibt; auch wenn Befreier von damals, unsere Lehrmeister in Demokratie und Friedfertigkeit, dies gar nicht so gerne sehen.

Zur Eröffnung der Ausstellung „Friedenskirchen in Schlesien” heute kann man deshalb nicht anders sprechen, als daß man einen Bogen spannt von Krieg und Frieden in einer fernen Vergangenheit zu heutiger Friedensarbeit. Das wiederum ist nur möglich wenn man sich beschränkt. Deshalb will ich Ihnen etwas von der Friedenskirche in Schweidnitz und der Internationalen Begegnungsstätte in Kreisau erzählen, also von einem kleinen Kulturraum in Niederschlesien. Es ist gut, daß mit Pfarrer Stawiak aus Jauer und der Bertold-Brecht-Schule noch andere präsent sind, nämlich die Friedenskirche in Jauer und Schülerbegegnungen in Darmstadt.

Doch kommen sie nun mit mir nach Niederschlesien und lassen sie uns auf der Fernverkehrsstraße 5 von Breslau in südwestlicher Richtung fahren. Als ferne Ziele, die wir nicht erreichen werden, sind Hirschberg und Waldenburg angezeigt. Wir verlassen die Stadt und fahren über flaches Land, das schnell wellig wird. In den kleinen Ortschaften sehen wir hie und da Storchennester auf den Dächern, und im Sommer, wenn gepflügt wird, stolzieren die Störche hinter dem Pflug auf der Suche nach Futter. Nach einiger Zeit taucht linker Hand ein Berg auf, der Zobten. Wie ein vom fernen Eulengebirge vorgeschobener Wellenbrecher erhebt er sich aus der Ebene, der alte heilige Berg Niederschlesiens. Wir fahren an ihm vorbei. Im Herbst, wenn es schon früher dunkel wird, hört man hier gegen Abend manchmal ein merkwürdiges Rauschen in der Luft; fast unheimlich ist es. „Wildgänse rauschen durch die Nacht”, sang man einst gerne, und die sind es auch. Und von der Welt, die voller Morden ist, sang man.

Ja, Kriege zogen oft über dieses Land. Mit den Mongolen 1241, mit Kaiserlichen und Schweden im Dreißigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648 und auch noch danach, mit Preußen und Österreichern in den drei schlesischen Kriegen zwischen 1740 und 1763, mit Franzosen unter Napoleon zwischen 1806 und 1813; hier sammelten sich die ersten preußischen Freikorps wie die Lützow ´schen Jäger zum Befreiungskrieg 1813 und hier marschierte die 1. Preußische Armee 1866 auf mit dem Ziel Königgrätz; auch der 2. Weltkrieg hinterließ seine Spuren. Kriegerische Spuren, das bedeutete damals wie heute in der Regel, daß mehr Zivilisten als Soldaten ihr Leben verloren und daß den Überlebenden weithin die Existenzgrundlage entzogen wurde. So war im Dreißigjährigen Krieg die Zahl der deutschen Todesopfer, gemessen an der Bevölkerungszahl sehr viel höher als im 2. Weltkrieg. Kollateralschaden nennen das die Militärs heute, einen lästigen aber hinnehmbaren Nebeneffekt, gemessen an dem großen Kriegsziel. Ich betrachte das als verharmlosende Formulierung für Verbrechen, die nur selten bestraft werden.

Dann taucht in der Ferne wie eine Nadelspitze im Dunst der Turm der Pfarrkirche von Schweidnitz auf. Nein, es ist nicht die gesuchte Friedenskirche, sondern die katholische Pfarrkirche. Schließlich sind wir in Schweidnitz. Etwas abseits der Altstadt eine kleine Straße, Vorstadthäuser, renovierungsbedürftig; und eine kleine platzartige Erweiterung mit einer Tordurchfahrt. Wir steigen aus, treten durch das Tor. Ein weiter Kirchhof öffnet sich, links und rechts ein- und zweigeschossige Nebengebäude. Etwas abseits ein holzverschalter kleiner Turm, der Glockenträger. Geradezu, unter alten Bäumen verborgen, ein mächtiger Fachwerkbau mit kapellenartigen Anbauten. Und der hat die letzten der genannten Kriege unbeschadet überstanden, hat Beschießungen, Feuersbrünste und Plünderungen überdauert? Ein kleines Wunder!

Wir treten von Osten durch eine kleine Tür ein, der südliche Eingang ist nicht größer. Ein geräumiger Vorraum, altes Gebälk, kaum ausreichend beleuchtet; links kann man an einem großen Büchertisch die Eintrittskarte, Informationsmaterial und Reiseandenken erstehen. Rechts das kunstvoll ummantelte Taufbecken, altes Mobiliar und Ausstattungsgegenstände, fast ein kleines Museum. Geradezu betreten wir durch eine schmale Tür unmittelbar neben dem Altar den Kirchenraum, und sind überwältigt. 44 Meter lang das Hauptschiff und 20 Meter breit, 30 Meter lang das Querschiff; die Höhe reicht aus, um in zwei Etagen große Emporen aufzunehmen. 3.000 Sitzplätze und 4.500 Stehplätze stehen zur Verfü-gung. An der Westfront befindet sich die Orgelempore mit der großen Orgel, in unserm Rücken an der Ostfront der Altar, über ihm auf einer weiteren Empore die kleine originale Barockorgel. Ein überwältigender Raumeindruck. Und dann die Ausgestaltung. Das Holzwerk intensiv bemalt mit Bildern. Reich geschmückte Logen des Adels. Ein prächtiger Barockaltar.

A propos Kunst. Die Bilder an Decken, Wänden und Brüstungen folgen dem lutherischen Verständnis von Kunst in der Kirche. Es geht nicht um Darstellungen, die den Charakter eigener Heiligkeit haben und auch so verehrt werden, wie etwa die Schwarze Madonna von Tschenstochau. Auch setzen sie sich über das streng gehandhabte Bilderverbot der Reformierten hinweg. Nein, die Darstellung biblischer Geschichten, allegorische Darstellungen oder auch die Verwendung von Emblemen dienen ausschließlich der Erzählung der Heilsgeschichte, der Verkündigung der guten Botschaft und als Hilfe zur Katechese. Sie sind Bilderbibel, Andachtsbuch und Religionsbuch zugleich. So standen denn auch für die Schöpfer dieser Werke nicht hoher künstlerischer Anspruch oder besondere Individualität im Vordergrund. Um die Darstellung der Sache ging es, und dazu wurden auch Vorlagen verwendet. Was uns in Schweidnitz und Jauer begegnet, ist aber eben auch nicht nur Ausgestaltung einer Kirche mit einigen Emporenbildern, sondern ist Ausschmückung des ganzen Kirchenraums in der ganzen überschwänglichen Fülle des Barock. Schlesischer Barock, protestantischer Barock, nicht nur räumlich zwischen dem weltlichen Barock der Breslauer Aula Leopoldina und dem geistlichen der Klosterkirche in Grüssau angesiedelt.

Nachdem wir uns gewundert hatten, daß dieses Gebäude die Stürme der Zeit überstanden hat, erscheint es uns nun als ein Wunder, daß Protestanten hier eine solche Kirche errichten konnten. Wie kam es denn dazu? In den ersten Jahrzehnten nach der Reformation hatte sich ja in vielen Ländern Mittel- und Nordeuropas der Protestantismus durchgesetzt. Die Bevölkerung waren mehrheitlich evangelisch geworden. Im alten Deutschen Reich hatten die Religionskriege 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden einen gewissen Abschluß gefunden. Als Übergangsregelung gedacht, enthielt er eine Klausel, die jedoch für Jahrhunderte die konfessionelle Problematik bestimmte. Cuius regio, eius religio, hieß es. Der Landesherr bestimmt die Konfession und hat das Recht, diese Religion auf seinem Territorium durchzusetzen. Unter dem Schutz dieser Regelung bauten die protestantischen Fürsten ihr Position aus, in katholischen Ländern wurde die Gegenreformation erfolgreich. Letzteres führte zu einer gewissen Rekatholisierung. Brachialmittel wurden eingesetzt, das führte z.B. zur Auswanderung der Salzburger. Mancher Landesherr konnte aber seine Konfession auch nicht durchsetzen, so z.B. die Kurfürsten von Brandenburg, die reformiert wurden; ihre Untertanen blieben lutherisch. In den habsburgischen Ländern gab es starke Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber den Protestanten: Gottesdienst- und Versammlungsverbot, Bauverbot und Diskriminierung bei der Besetzung von öffentlichen Ämtern. Trotzdem hielten sich im habsburgischen Schlesien starke evangelische Bevölkerungsanteile. Im Süden, in den Beskiden werden einem noch heute die tief in den Bergwäldern liegenden Stätten für heimliche Gottesdienste gezeigt. Auch in Niederschlesien gab es noch viele Protestanten. Diese profitierten nach dem auch hier zerstörerischen Dreißigjährigen Krieg vom sogenannten Westfälischen Frieden. Der Friedensvertrag von 1648 enthielt nämlich auch manche religionspolitische Klausel. So wurde etwa die cuius- regio - Regelung erneut betätigt. Aber der schwedische König trotzte dem Kaiser auch den Bau dreier evangelischer Kirchen ab: in Jauer, Glogau und Schweidnitz, außerhalb der Stadtmauern, ohne Verwendung von Metall, nur aus Holz und Stein, ohne Turm und in kurzer Zeit zu errichten. Nur aus Spenden wurde so in mehreren Etappen die Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit in Schweidnitz errichtet, auch als Demonstration des protestantischen Selbstbehauptungswillens. Das Ergebnis können wir noch heute sehen. Ähnliches gilt für Jauer, die Kirche in Glogau brannte bereits 1758 ab. Übrigens drückte Schweden im Friedensvertrag von Altranstädt im Jahre 1706, wichtigstes Ergebnis war der Verzicht August des Starken auf die polnische Krone, Österreich noch einmal den Bau von evangelischen Kirchen auf ´s Auge. Gegen Zahlung der beträchtlichen Summe von 300 Thalern hatte der Kaiser den Lutheranern den Bau weiterer Kirchen zu gestatten: in Sagan, Freistatt, Hirschberg, Landeshut, Militsch und Teschen. Das Geld zahlten die Teschener Lutheraner. „Reich und stark wie die Teschener Lutheraner”, sagte man damals. Die ersten drei Kirchen verdankten ihre Existenz dem Westfälischen Frieden. Friedenskirchen werden sie deshalb bis heute genannt. Die anderen Kirchen wurden auf Grund eines kaiserlichen Gnaden-Patents gebaut. Gnadenkirchen werden sie deshalb bis heute genannt.

Von Kriegen war die Rede, von Friedensverträgen. Krieg hat seine Zeit, Frieden hat seine Zeit. Nur haben Friedensverträge selten befriedenden Wirkung. Häufig enthalten sie schon wieder den Konfliktstoff für neue Kriege. Das sehen wir bis heute. Frieden hat also nicht nur auf dem Papier zu stehen, sondern muß in den Köpfen und Herzen stattfinden. So haben auch die genannten Friedensverträge einer Ungerechtigkeit, einer Not abgeholfen. Dem wirklichen Frieden haben sie nur bedingt gedient. Die konfessionellen Streitigkeiten hörten nicht auf, nur wurden sie seltener mit dem Schwert oder der Flinte ausgetragen. Als Preußen Schlesien erobert hatte, erwarteten nunmehr Protestanten, daß die Katholiken ähnlich in ihren Rechten eingeschränkt würden wie seither sie. Friedrich II. ließ sich darauf nicht ein. Es hätte nicht seinem Bild von einem funktionierenden Staat entsprochen. Wie schwer ökumenisches Denken und Handelns bis heute ist, wissen wir aus dem eigenen Lande und können es auch im heutigen Schlesien studieren. So sehen wir heute, daß die eigentliche Aufgabe, Frieden zu schließen, schon während eines Krieges und erst recht danach die größere ist und nicht den Herrschern oder Politikern überlassen werden kann. Das ist unser aller Sache (wie schön wär ´s, wenn auch die Kriegseröffnung unser aller Sache wäre). Deshalb sollte man in Niederschlesien zum Thema Frieden auch anderes in den Blick nehmen.

Schweidnitz liegt am Rande des Berglandes. Waldenburger Gebirge und Eulengebirge liegen sozusagen vor der Haustür. Nach Südosten aber eröffnet sich ein kleiner Kulturraum von eigener Bedeutung. Begrenzt durch die Silhouette von Schweidnitz im Nordosten, das Eulengebirge im Süden, die Silhouette der alten Stadt Reichenbach im Südosten und den Zobten im Norden. Eine große Mulde im Vorgebirgsland mit einem Ausmaß von etwa 20 mal 20 Kilometern. Eine alte Handelsstraße führt hindurch, Weg von Kriegsleuten (wir hörten davon) und von Kaufleuten. Die einen brachten Tod und Verwüstung, die anderen Einkommen und kulturelle Anregungen. Mehr im Südosten liegen die alten Weberdörfer, in denen sich im Jahre 1844 der Weberaufstand abspielte, der Gerhart Hauptmann zu seinem bekannten naturalistischen Drama „Die Weber” anregte.

Mehr nordöstlich liegt der kleine Ort Kreisau. Schon im Jahr 1250 urkundlich erwähnt, über Jahrhunderte nicht mehr als ein Gut mit einer kleinen Ansiedlung und mit ständig wechselnden Besitzern. Im Jahre 1867 erwarb es der preußische General Helmuth von Moltke. Der große militärische Planer Deutschlands. Eine Gallionsfigur Preußen-Deutschlands im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Einer der beliebtesten Deutschen jener Zeit. Aber nicht zu Unrecht auch als Exponent des deutschen Militarismus verstanden. Hatte er doch in den sogenannten deutschen Einigungskriegen stets den Primat des Militärs gegenüber der Politik im Kriege gefordert. Sein Gegenspieler Bismarck dagegen hatte die Position vertreten, daß auch im Krieg der Regierungschef der erste Berater des Königs sei, und sich damit beim König durchgesetzt. Übrigens ein Konflikt, den man auch in der Führung der USA während des Irak-Krieges beobachten konnte. Irgendwann war Moltke dann nicht nur „der große Schweiger” und „der große Denker” sondern auch „der Alte von Kreisau”. Kreisau wurde über ihn in Deutschland bekannt.

Fünfzig Jahre später hieß der Gutsherr von Kreisau Helmuth James von Moltke. Er war der Urgroßneffe des Alten. Vor allem von der südafrikanischen Mutter weltoffen und liberal erzogen, stand er dem aufkommenden Nationalsozialismus von Anfang an kritisch gegenüber. Er sah die großen Gefahren, die mit ihm für Deutschland und die Welt heraufzogen, so wie er schon 1942 erwartete, daß Deutschland den Krieg und seine östlichen Provinzen verlieren würde. Seit 1939 sammelte er zusammen mit seinem Freund Peter Yorck von Wartenburg einen Kreis von Menschen um sich, mit denen er ein Konzept für ein Deutschland nach dem verlorenen Kriege erarbeitete: Adlige und Bürgerliche, Konservative und Sozialisten, Protestanten und Katholiken, evangelische Theologen und Jesuiten, eine recht heterogene Gruppe Und jung waren sie im Vergleich zu anderen Widerstandsgruppen, so daß sie eine völlige Neuordnung und nicht nur die Wiederherstellung Weimarer Verhältnisse anstrebten. Übrigens war Moltke auch gegen ein Attentat auf Hitler, weil er fürchtete, daß dieses Hitler zum Märtyrer machen könnte; weil er überzeugt war, daß Gewalt nur neue Gewalt gebärt; weil er meinte, daß sich die Deutschen nur nach einer totalen Niederlage von diesem Irrweg verabschieden würden. In den Untersuchungen der Gestapo zu dieser Widerstandsgruppe erhielt sie den Namen „Kreisauer Kreis”. Immerhin hatten sie sich dreimal in Kreisau getroffen. Moltke und andere Mitglieder des Kreisauer Kreises wurden vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und ermordet. Andere überlebten und haben beim Aufbau der Bundesrepublik eine Rolle gespielt.

Im Jahre 1989, noch vor der Wende, fanden sich in Breslau Deutsche aus Ost und West, US-Amerikaner und Niederländer mit Polen zusammen, um eine gemeinsame Begegnungsstätte zu schaffen. Diese sollte in Kreisau entstehen und an Helmuth James von Moltke und seine Mitstreiter anknüpfen. Unter ihnen waren jene, die sich schon seit den sechziger Jahren vergeblich darum bemüht hatten, daß in Kreisau an den deutschen Widerstand erinnert wird. Es befanden sich unter ihnen junge Polen, die im Gegensatz zur offiziellen polnischen Politik auch die deutsche Geschichte Schlesiens als die Geschichte ihrer jetzigen Heimat verstehen wollten. Und es waren nicht wenige, die sich schon seit vielen Jahren für die Verständigung zwischen Polen und Deutschen eingesetzt hatten. Im November 1989 besuchte dann Bundeskanzler Helmuth Kohl als erster Deutscher Bundeskanzler das freie Polen. Zusammen mit dem ersten seit dem 2. Weltkrieg frei gewählten polnischen Premierminister Tadeusz Mazowiecki betrachtete er dies als einen neuen Schritt zur Verständigung zwischen beiden Ländern, der eine tiefer gehenden Akzentuierung erfahren sollte. So feierten beide in Kreisau eine Versöhnungsmesse. Hier wurde auf die Ideen der internationalen Gemeinschaft hingewiesen, und die Regierungschefs vereinbarten, den Wiederaufbau des Gutshofes zu einer Jugendbegegnungsstätte zu finanzieren. Auf dieser Grundlage konnte die internationale Gemeinschaft eine Stiftung gründen, die den Wiederaufbau betrieb und heute in Kreisau eine internationale Begegnungsstätte unterhält.

Wer heute dort hinfährt ist überrascht von der weiträumigen Anlage. Um einen Hof mit den Ausmaßen von etwa 80 mal 100 Metern gruppieren sich die 12 alten Gutsgebäude. Das Schloß beherbergt Veranstaltungsräume. Im ehemaligen Pferdestall und im ehemaligen Kuhstall befinden sich 120 Betten als Quartiere für Jugendliche. Im Kuhstall gibt es auch den Speisesaal und eine Café . In der alten Scheune sind der Festsaal und eine Sporthalle; in dem alten Kutschstall ein Kindergarten für die Kinder des Dorfes. Ein altes Speichergebäude ist schließlich ein Gästehaus mit 40 Betten von gutem Hotelstandard geworden. Auch fehlt ein Sportplatz mit Kunststoffbelag nicht. Beste Voraussetzungen also, vor allem für Jugendbegegnungen. Der Hof grenzt an das kleine Dorf an. Hinter ihm öffnet sich die Auenlandschaft der Peile. Auf der gegenüber liegenden Anhöhe liegt das Berghaus, das Wohnhaus der Familie des Widerstandskämpfers und der Treffpunkt des Kreisauer Kreises.

Seit 1990 finden hier internationale Jugendbegegnungen statt. Sie werden organisiert aus der Überzeugung, daß die europäischen Nachbarn nur einer friedlichen Zukunft entgegen gehen werden, wenn schon die Jugend sich kennen lernt. Wenn junge Menschen erfahren, daß die anderen nicht anders als sie selbst sind. Wenn sie sich über Vorurteile austauschen. Wenn sie von der Geschichte erfahren, mit ihren negativen und positiven Phasen. Und das alles verbunden mit Spiel und Sport, mit künstlerischen Aktivitäten in jeder Richtung, aber auch mit gemeinsamer Arbeit und gemeinsamem Feiern. Das pädagogische Team des Hauses hilft dabei. Kreisau bietet dafür nicht nur die guten äußeren Voraussetzungen, zu denen auch die Nähe des Berglandes, der Stadt Breslau oder des ehemaligen Konzentrationslagers Groß-Rosen gehören. Kreisau verführt auch dazu, sich mit vielen Themen aus einander zusetzen. Man wird konfrontiert mit preußischer Tradition, deutschem Widerstand und den viel stärkeren polnischen Traditionen des Widerstand-Leistens unter verschiedenen Fremdherrschaften, mit der Vertreibung der alten Bevölkerung und Ansiedlung der neuen, ebenfalls aus ihrer alten Heimat vertriebenen, mit deutscher Vergangenheit und polnischer Gegenwart. Da kann man sich dem Nachdenken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überhaupt nicht entziehen. Wo also kann man sich besser treffen, wenn man ein friedliche Zukunft Europas und der ganzen Welt will?

Friedensschlüsse früher - was einmal war - Friedensarbeit - wir heute - was wird werden? Die Ausstellung, die wir hier sehen, reiht sich ein in solche Fragestellungen und solche Aktivitäten. Möge sie viele Menschen anregen, sich mit ihnen zu befassen, und vielleicht einige, sich ebenfalls zu engagieren. Denn der gerade gewonnene Frieden in Mitteleuropa und der europäische Einigungsprozeß sind zu kostbare Güter, als daß man sie noch einmal gefährden dürfte. Und wünschen wir nicht den Menschen in vielen anderen Ländern auf unserer Erde ein Gleiches?

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