Im Spannungsfeld von Politik und Glauben - Frankfurter Pfarrer im Nationalsozialismus

Im Spannungsfeld von Politik und Glauben. Frankfurter Pfarrer im Nationalsozialismus

1. Einführung

Die Zeit zwischen 1933 und 1945 war eine der schwierigsten Phasen der deutschen Geschichte. Ihre Folgen spürt man heute noch. Die Frage, wie das alles geschehen konnte, ist bis heute nicht endgültig beantwortet. Ein besonderes Kapitel war dabei die Situation in der evangelischen Kirche. Viel, sehr viel ist dazu veröffentlicht wor-den; zum Beispiel die zwischen 1974 und 1996 erschienene neunbändige „Dokumenta-tion zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau”. So verdienstvoll diese Arbeit war, sie begegnet inzwischen Kritik. Die Herausgeber standen der Bekennenden Kirche nahe, und sie fanden vor allem Quellen aus der Bekennenden Kirche. So ist die Dokumen-tation schon seit längerem in Verruf geraten. Deshalb hat die Kirchenleitung im Jahre 2008 den Auftrag erteilt, die Dokumentation auszuwerten und durch Erhebung zu-sätzlicher Quellen vielleicht zu einer Neubewertung der Geschehnisse zu kommen. Hierzu gibt es zwei Arbeitsgruppen. Die eine versucht, das Thema regional zu behan-deln, die andere themenbezogen. Im Rahmen der ersten Arbeitsgruppe habe ich den Bereich Frankfurt übernommen und will jetzt etwas von meiner Arbeit berichten. Dazu muss ich aber bemerken, dass ich eine Fülle von Material zu den einzelnen Frankfurter Pfarrern jener Zeit zusammengetragen habe, das den Rahmen eines solchen Vortrages sprengt. Ich versuche jetzt also, etwas größere Zusammenhänge darzustellen.

Auch möchte ich Ihnen zunächst mit einem Blick auf die kirchliche Zersplitterung in Frankfurt zu Beginn des Jahres 1933 zeigen, um welches Gebiet es sich handelte und dass hier unterschiedliche Traditionen erst zusammenwachsen mussten. Sie sehen den großen Anteil nassauischer Gemeinden und haben vielleicht in Erinnerung, dass der Kirchenkreis Bockenheim erst 5 Jahre vorher zur Frankfurter Landeskirche ge-kommen war. Mit der Bildung der EKNH kamen die nassauischen Gemeinden und Vilbel mit Massenheim zur Propstei Frankfurt. Diese war also keine kontinuierlich gewachsene Einheit, sondern ein Produkt der Zeit.

Der Einladung zufolge interessiert uns heute das Spannungsfeld zwischen Politik und Glaube am Beispiel der evangelischen Pfarrer in Frankfurt während des Dritten Rei-ches. Politik, verstanden als die Tätigkeiten und Fragen, die das Gemeinwesen betref-fen, ist etwas Abstraktes. Uns geht es um die Politik im nationalsozialistischen Staat. Glaube als Hinwendung zu Gott interessiert uns in der spezifischen Form der reforma-torischen Kirchen mit der Besinnung auf das biblische Wort und die reformatorischen Bekenntnisse. Es geht also um NS-Staat und evangelische Kirche in Frankfurt.

Nun begleitet den Christen von Anfang an die Frage nach dem rechten Verhältnis zu seinem jeweiligen Staat. Wir erinnern uns an Jesu Wort Matth. 22, 21: Gebt dem Kai-ser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Oder an Römer 13. 1: Jedermann sei Untertan der Obrigkeit. Beides war manchmal schwer zu halten. Aber über viele Jahr-hunderte dachten die Christen in Deutschland in diesen Kategorien; im Mittelalter mit seiner großen Nähe von Staat und katholischer Kirche; nach der Reformation in den protestantischen Staaten, deren Fürsten häufig auch fromme Leute waren. Man richtete sich gut ein in diesen christlichen Staaten, die der Kirche manche Freiheit vorenthielten, in deren Schutz man sich aber sicher fühlte. Im Jahre 1918 hatte das auf einmal ein Ende. Die Monarchen waren hinweggefegt, man hatte eine Republik. Aber schlimmer: auf einmal bestimmten Menschen mit, die nichts von Kirche hielten, sie sogar bekämpften. Preußens erster Kultusminister, Adolph Hoffmann, beispiels-weise war energischer Vertreter der Kirchenaustrittsbewegung. Die atheistischen Kommunisten saßen in den Parlamenten. Die Regierung und das Staatsoberhaupt wählte man selbst. Konnte denn das noch Obrigkeit sein, die von Gott ist? Neben vielen anderen Gründen führte das auch die evangelische Pfarrerschaft zur Ableh-nung oder zumindest zu großer Distanz zur Weimarer Republik. Und dann tauchte mit Adolf Hitler ein Politiker auf, der nicht nur vorgab, alle Probleme von Staat und Gesellschaft zu lösen, sondern auch erklärte, er stünde auf dem Boden eines positiven Christentums. Viele Sympathien waren ihm damit gewiss. Doch schauen wir etwas genauer hin.

2. Die evangelische Kirche aus der Sicht des Nationalsozialismus

Herr Graf, eines haben das Christentum und wir Nationalsozialisten gemeinsam, und nur dies eine: wir verlangen den ganzen Menschen”, brüllte Roland Freisler in der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof Helmuth James von Moltke an1. In der ihm eigenen Brutalität definierte er damit das Verhältnis zwischen dem Nationalsozialis-mus und den Kirchen. Zwischen beiden gab es nur ein konsequentes entweder – oder. Da Moltke letztlich nichts vorgeworfen werden konnte, wurde er nach eigenem Ver-ständnis zum Tode verurteilt, weil er sich zu Christus bekannt hatte2. Denn der Nationalsozialismus verstand sich als Weltanschauung, die sich die Rechtsform einer politischen Partei gegeben hatte, aber keine politische Partei sein wollte. Der Staat war für sie die Hülle, in der sie handelte. Im „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat”3 hieß es, dass die NSDAP die Trägerin des Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden sei. So war der NS-Staat als „Weltanschauungs-staat” zu verstehen4.

Hoffnungsvoll gelesen und als Begründung für die Parteimitgliedschaft von Pfarrern herangezogen wurde Art. 24 Abs. 2 des Parteiprogramms der NSDAP: „Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums”.5 Das klang gut. Gemeint war aber ein Christentum, das sich mit der NS-Ideologie verbindet und eine positive Einstellung zum NS-Staat hat6. Auch die Regierungserklärungen des religiös indifferenten Hitler7 vom 1. Februar und 23. März 1933 klangen in vielen Ohren gut und beruhigend. Hieß es doch dort: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums.”8 Allerdings folgte dem: „Sie erwartet aber und hofft, dass die Arbeit an der nationalen und sittlichen Erhebung unseres Volkes, die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, umgekehrt die gleiche Würdigung erfährt.”9 Solche Erklärungen nährten die Hoffnungen, dass der Staat in den kirchlichen Auseinandersetzungen mit Atheismus und Marxismus und bei volksmissionarischen Aktivitäten wohlwollende Neutralität wahren werde10.

Schon lange konnte man aber auch ganz anderes lesen. In „Mein Kampf” findet man zwar über das Inhaltsverzeichnis unter dem Stichwort „Kirchen” Aussagen zur Neu-tralität der NSDAP und zur konfessionellen Zwietracht. Im Kapitel Weltanschauung und Organisation wurde Hitler aber deutlicher:

Denn die Weltanschauung ist unduldsam und kann sich mit der Rolle einer ‚Partei neben anderen’ nicht begnügen, sondern fordert gebieterisch ihre eigene, ausschließ-liche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen. Sie kann also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustandes nicht dulden. Das gilt genau so auch für Religionen.”11 „Politische Parteien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. Politische Parteien rechnen selbst mit Gegenspielern, Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit.”12

Nur äußerte Hitler sich später aus taktischen Gründen in der Öffentlichkeit schwam-miger und zügelte auch seine Leute, wenn sie über die Partei die Auseinandersetzung mit den Kirchen führen wollten. So erklärte Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick 1934 in Wiesbaden, dass der Staat sich nicht in kirchliche Angelegenheiten einmi-schen wolle. Aber er wolle auch nicht zusehen, wie sich „unter dem Deckmantel christlicher Belange hier alle möglichen staatsfeindlichen und landesverräterischen Elemente sammeln.”13 Das schloss eine enge Zusammenarbeit von DC-Kirchenregime und Gestapo ein. Als im Jahre 1950 der Prozess gegen den ehemaligen Gestapo-Beamten und SS-Untersturmführer, Heinrich Baab stattfand, berichteten die „Frankfurter Allgemeine Zeitung” und die „Frankfurter neue Presse ausführlich. Baab habe ausgesagt, dass die meisten Anzeigen aus der evangelischen Landeskirche gekommen seien. Propst Alfred Trommershausen sei bei der Frankfurter Gestapo ein- und ausgegangen14. Für die Kirchenüberwachung hätten ihm, Baab, 25 regelmäßig tätige Spitzel zur Verfügung gestanden. Diese hätte Monatsentlohnungen von 25, - 50,- RM erhalten. Auch Entlohnung in Naturalien wie Tabak habe es gegeben15.

In der NSDAP wurden seit 1934 zwei Lösungen für die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche erwogen, nämlich entweder die strikte Trennung von Staat und Kirche oder eine Staatskirche16. Für die zweite Lösung traten Reichskirchenminister Hanns Kerrl und seine Anhänger ein17. Die Maßnahmen des Staates gegenüber der evangelischen Kirche ab 1935, vor allem in Nassau-Hessen, kann man als Umsetzung des Staatskirchenkonzepts sehen18. Für die strikte Trennung traten u. a. Rudolf Heß, Martin Bormann und Alfred Rosenberg ein19. Das Modell Warthegau war die Umset-zung des Trennungsmodells. Hier kann man erkennen, welche Ziele die Nationalso-zialisten im Hinblick auf die Kirchen letztlich verfolgten20: Es gibt keine Kirchen im staatlichen Sinne, sondern nur noch religiöse Kirchengesellschaften im Sinne von Vereinen. Die Leitung liegt nicht in den Händen von Behörden, sondern von Vereins-vorständen. Es bestehen keine Beziehungen zu Gruppen außerhalb des Gaues. Mit-glieder können nur Volljährige durch schriftliche Beitrittserklärung werden. Alle konfessionellen Untergruppen, Nebenorganisationen (Jugendgruppen) sind aufgeho-ben und verboten. An den Schulen darf kein Religions- oder Konfirmandenunterricht erteilt werden. Es dürfen außer dem Vereinsbeitrag keine finanziellen Zuschüsse ge-geben werden (keine Kollekten und Sammlungen). Die Vereine dürfen kein Eigentum wie Gebäude, Felder, Friedhöfe außer den Kulträumen besitzen. Die Vereine dürfen sich nicht in der Wohlfahrtspflege betätigen. In den Vereinen dürfen sich die Geistli-chen nur aus dem Warthegau betätigen. Dieselben sind nicht hauptamtlich Geistliche, sondern müssen einen Beruf haben. Offenbar hat der Landesbruderrat am 23. Juli 1940 Pläne des Staates mit der Kirche beraten, die in eine ähnliche Richtung gingen21.

3. Der Nationalsozialismus aus der Sicht der evangelischen Kirche

Für die Sicht der evangelischen Kirche auf den Nationalsozialismus muss ich zunächst noch einmal auf die biblischen Aussagen zurückkommen. Betrachtet man den ganzen Vers von Römer 13, 1 und nicht nur die üblicherweise zitierte Kurzform, dann wird deutlich, wie rigide die Aussage formuliert wurde: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.” Das wird noch ergänzt durch das Zitat aus dem Petrusbrief. Petrus 2, 13 u. 14: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herren willen, es sei dem Könige, als dem Obersten, oder den Hauptleuten, als die von ihm gesandt sind, zur Rache über die Übeltäter und zu Lobe der Frommen.” Die Wirkung kann kaum überschätzt werden, und unter ihr haben die Christen fast 2000 Jahre ihr Verhältnis zum Staat gesehen. So wundert es nicht, dass auch die Sicht auf den NS-Staat dadurch geprägt war.

Man muss allerdings auch feststellen, dass sich der Nationalsozialismus und weite Kreise des Protestantismus in der Bewertung der Gegenwart einig waren22. Beide sahen das Jahr 1933 als Zeitenwende, die das Zeitalter des bürgerlichen Liberalismus beendet. Dieser habe die überkommene Religiosität mit der Einbettung des Einzelnen in die Gemeinschaft durch die Vereinzelung des Menschen in selbst geschaffenen Ordungen abgelöst. Die Folge seien Rationalismus, Materialismus und Atheismus. Zugleich habe sich der weltanschauliche Liberalismus mit dem Demokratismus ver-bunden. An die Stelle sozialen Verhaltens und der Verantwortung für die Gemein-schaft seien ein Werteverfall und die Selbstverwirklichung getreten, der Staat wirke nicht mehr stabilisierend für die Gemeinschaft. Das Ergebnis seien Marxismus, Sozialismus, Kommunismus und Atheismus. Es drohe das Ende der christlichen Welt, und bei all´ dem seien Juden führend tätig23. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die nationalistische Einstellung. Die Idee des Nationalismus zielt ja daraufhin, die Haltung gegenüber dem Vaterland durch Gefühle zu manipulieren und appelliert nicht an den Verstand. So waren das „deutsch-nationale” Bürgertum und eben auch die evangelische Pfarrerschaft sehr empfänglich für die NS-Propaganda.

Zunächst, über die Grenzen der protestantischen Lager hinweg, gab es deshalb Zu-stimmung zum NS-Staat, zu seiner Innen- und Außenpolitik und auch zu den Repres-salien gegenüber seinen Gegnern24. So nahm man gerne „Kollateralschäden” in Kauf: Von der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933, die mit der Außer-kraftsetzung aller Freiheitsrechte zum „permanenten Belagerungszustand”25 führte, über die Verbote politischer Parteien, die Gleichschaltung oder das Verbot gesell-schaftlicher Organisationen bis zu ersten Konzentrationslagern und ersten Diskrimi-nierungen der Juden.

Als Beispiele kann man für Frankfurt nennen: Die Predigt von Erich Meyer/dt.-ref. Gemeinde am 01. Mai1933, in der er u. a. sagte: „Wir stehen unter dem starken Eindruck, dass die Führer in der nationalen Arbeit am Wiederaufbau unseres Volkes ganz stark gebunden sind durch dies: ‚ich muß, wir müssen’. … Vor solch einem inneren Muß muß der Christ immer wieder Achtung und Ehrfurcht haben als vor dem Willen Gottes, der sich darinnen offenbart.”26 Paul Lange/matthäusgemeinde im Gemeindebrief seiner Gemeinde vom 30. Juli 1933 über Adolf Hitler: „Sein Werk wird nur vielfach noch nicht verstanden und von vielen erschwert. Aber er wird siegen, weil er keinen Machtdünkel hat. Seine Reden sind wie eine Erfrischung in vielen Schwie-rigkeiten, Nöten, Missverständnissen, Torheiten, die man als Seelsorger miterlebt.”27 Hierher gehört auch die am 18. Januar 1935 vom Landesbruderrat veröffentlichte Fürbitte für den 30. Januar: „Am heutigen Tage gedenken wir in besonderer Weise des Führers und Kanzlers unseres Reiches. Wir danken Dir, Herr, für alles, was Du in Deiner Gnade ihm in diesen zwei Jahren zum Wohle unseres Volkes hast gelingen lassen. Wir bitten Dich, Du wollest ihn leiten durch Deinen heiligen Geist, ihm weise Gedanken, ein festes Herz und einen starken Arm verleihen, daß er in Deiner Furcht unser Volk regiere und daß in allem Dein heiliger Wille geschehe.”28

4. Staatliche Maßnahmen auf dem Weg zur Staatskirche

4.1 Die Deutschen Christen

Bei seinem Vorgehen gegenüber der evangelischen Kirche konnte sich der NS-Staat auf die Deutschen Christen verlassen. Hierbei handelt es sich eigentlich um einen Sammelbegriff. Muss man doch zumindest zwei Gruppierungen unterscheiden: die „Kirchenbewegung Deutsche Christen” und die „Glaubensbewegung Deutsche Chri-sten”. Beiden gemeinsam sind als geistige Vorläufer protestantische Gruppen, die schon seit dem Kaiserreich nationalistisches, völkisches und rassistisches Gedanken-gut mit dem christlichen Glauben verbanden und eine Germanisierung des Christen-tums bewirken wollten.

Die 1928 gegründete „Kirchenbewegung Deutsche Christen - Nationalkirchliche Bewe-gung”, auch Thüringer Richtung genannt, war die radikalere der beiden Organisatio-nen. Sie wollte eine deutsche Nationalkirche von Protestanten und Katholiken, neben der biblischen Botschaft auch die großen Taten der nationalsozialistischen Revolution als Grundlage der Verkündigung, die Abschaffung des Alten Testaments und die „Ent-judung” des Gesangbuches. Die Bekenntnissynode der EKNH hat 1938 festgestellt, dass diese DC die Grundlage der DEK, das Evangelium von Jesus Christus nach der Heiligen Schrift und den reformatorischen Bekenntnissen, verlassen hat29. Vertreter dieser Richtung seien in Leitungsämtern untragbar. In Frankfurt gehörten ihr Kurt Davidson/Vilbel, Heinrich Falk/Markus, Karl Knab/Krankenhausseelsorge, Willi Redhardt/Weißfrauen, Berthold Schubert/St. Peter und Alfred Walesch/Niederursel an.

Die 1932 gegründete „Kampf- und Glaubensbewegung Deutsche Christen” nannte sich ab 16.01.1934 nur noch „Deutsche Christen.”30 In Ihren ersten Richtlinien vom 26.5.193231 wollten die DC auch keine kirchenpolitische Partei sein, weil sich der Parlamentarismus sowieso überlebt habe. Sie standen auf dem Boden des positiven Christentums32 (Ziff. 3). Und sie sahen in Rasse, Volkstum und Nation von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, weshalb der Rassevermischung entgegenzutreten sei (Ziff. 7). Auch wollten sie die „verderblichen Erscheinungen” wie Pazifismus, Internationale, Freimaurertum usw. überwinden (Ziff. 10). Bekannte ständige Mitglieder waren z. B. Wilhelm Meyer/Praunheim, GeorgProbst/Oberrad, Alfred Trommershausen/ Luther und Propst. Mitglieder, aber wieder ausgetreten waren Otto Fricke/Dreifaltigkeit, Reinhard Huth/Niederrad, Arnold Schumacher/Verein für Innere Mission, Georg Struckmeier/St. Pauls und Albert wagner/Friedens.

Die Deutschen Christen hatten großen Zulauf und Anfang 1933 eine Million Mitglieder. Schon ein Jahr später fielen sie nach der Sportpalastveranstaltung in Berlin auseinander. Es entwickelten sich Splittergruppen. Am 10.November 1936 schlossen sich die Hauptgruppen zur „Nationalkirchlichen Bewegung Deutsche Christen” („Nationalkirchliche Einung Deutsche Christen) wieder zusammen33.

4.2 Staatliche Maßnahmen

An der Geschichte der Frankfurter und dann der Evangelischen Landeskirche von Nassau und Hessen kann man sehr gut die einzelnen Schritte von der selbständigen Landeskirche zu einer Staatskirche im NS-Staat erkennen. Betrachtet man dies unter dem Gesichtspunkt der Leitungsstruktur, ergibt sich folgende Reihe von Schritten:

  1. Die zur Gründung der EKNH und ihrer Stabilisierung führende Machtübernah- me der Deutschen Christen, Frühjahr 1933 bis Februar 1934.

  2. Das DC-Kirchenregime unter Landesbischof Ernst-Ludwig Dietrich, 6. Februar 1934 bis 14. Januar1936.

  3. Die Ära des Landeskirchenausschusses, von 15. Januar 1936 bis 28. Juli 1937.

  4. Das Regime des Leiters der Kirchenverwaltung, Paul Kipper, ab 29.07.1937.

Eine detailliertere Auskunft geben die folgenden rechtlichenSchritte:

  1. Die Forderung der Deutschen Christen, an der Kirchenregierung beteiligt zu werden, im Vorfeld der Landeskirchenversammlung vom 27. Februar 1933, in der sie nicht vertreten waren.

  2. Die Inszenierung des Tages von Potsdam am 21. März 1933, mit dem die Einbettung des Nationalsozialismus in die preußisch-deutsche Geschichte vermittelt werden sollte.

  3. Die Ernennung von August Jäger zum Staatskommissar für den Bereich aller preußischen Kirchen mit der Vollmacht zu allen erforderlichen Maßnahmen, um die vorhandene Verwirrung zu beseitigen.

  4. Die unter staatlichem Druck zustande gekommene und durch Reichsgesetz vom 11.07.193334 genehmigte Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche.

  5. Die durch Art. 5 eben dieses Reichsgesetzes und unter Abkürzung der Fristen verordneten Kirchenwahlen am 23.07.1933. In diesen verschafften die Deutschen Christen sich eindeutige Mehrheiten, weil nur eine Einheitsliste vorlag und es keinen Widerstand gab.

  6. Die unter staatlichem Druck herbeigeführten Beschlüsse zur Vereinigung der drei hessischen Kirchen zur Evangelischen Kirche von Nassau-Hessen am 12.9.1933.

  7. Das Kirchengesetz der DEK über die Dienstverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten mit dem Arierparagrafen am 10.2.193435.

  8. Das Kirchengesetz der DEK zur Übertragung der Befugnisse von Landeskirchenrat und Landessynode auf die DEK vom 27.4.193436, das die Eingliederung der EKNH in die DEK brachte.

  9. Das Kirchengesetz der DEK vom 7.5.193437 zur Übernahme der Leitung der Landeskirche durch die DEK.

  10. Die Errichtung von „Finanzabteilung” genannten staatlichen Behörden bei den Landeskirchen am 11.03.193538, denen zunächst die Hoheitsrechte über die Vermögensverwaltung der Kirche und mit der 1. DVO vom 11. April 193539 die gesamte Finanz- und Vermögensverwaltung der Landeskirche übertragen wurden.

  11. Die Schaffung der „Beschlussstelle” in Rechtsangelegenheiten der DEK mit Reichsgesetz vom 26.06.1935, so dass Prozesse in kirchlichen Angelegenheiten nicht mehr vor ordentlichen Gerichten geführt werden konnten40.

  12. Die Entziehung des kirchlichen Gesetzgebungsrechts mit dem staatlichen „Gesetz zur Sicherung der DEK vom 24.09.193541.

  13. Die Einsetzung von Reichskirchenaussschuss und Landeskirchenausschüssen am 03.10.1935 auf der Grundlage diesesGesetzes42 zur Leitung der Kirche.

  14. Die Aufhebung der Eingliederung mit der 2. VO zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens v. 7.5.193643.

  15. Die Beauftragung Kippers, der damit praktisch Staatskommissar wurde, mit der Führung der laufenden Geschäfte des Landeskirchenausschusses durch Erlass des Reichskirchenministers vom 29.07.193744,

5. Stellungnahmen der Pfarrerschaft hierzu

Wie die Frankfurter Pfarrerschaft hierauf reagierte, sehen wir an folgenden Beispielen:

1. Einen Tag vor der Tagung der Landeskirchenversammlung im Februar 1933 wurde eine Erklärung der Frankfurt Pfarrerschaft veröffentlicht45. Darin hieß es u. a., dass die Kirche ihren Dienst an Volk und Nation nur in der unbedingten Bindung an das Evangelium erfüllen könne und dass sie das nur tun könne unabhängig von Parteien und Weltanschauungen. Dann wurden Volkstum, Rasse und Staat gottgesetzte Ord-nungen genannt, die die Kirche zu erhalten berufen sei. Aber diese Ordnungen hätten keine ausschließliche Gültigkeit. Alle Erneuerung, die für das Volk sehnlich erhofft werde, könne nur durch den Geist Gottes gewirkt werden. Die Verfasser lehnten es ab, eine vollkommene irdische Welt zu versprechen, weil alles Leben auf Erden unter dem Kreuz stehe. Sie riefen zum Festhalten am Bekenntnis auf.

2. Aus Anlass des Tages von Potsdam veranstaltete die Landeskirche in der Frankfur-ter Paulskirche, die die Besucher nicht fassen konnte, einen Gottesdienst. In seiner Predigt über Matth. 7, 24 („Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, den verglei-che ich einem klugen Mann, der sein Haus auf einen Felsen baut”) äußerte Karl Veidt/ St. Paulsgemeinde: „Es war nicht nur ein Verbrechen, sondern auch eine offenkundige Torheit, dass in der Revolution des Jahres 1918 und beim Staatsneubau 1919 bewusst der Bruch mit den nationalen, geistigen, sittlichen und religiösen Kräften, die unser Volk gestaltet und groß gemacht haben, vollzogen wurde .... Wir sehen in der nationalen Bewegung den Willen, der Torheit, die Gott im Leben des Volkes den Abschied geben wollte, ein Ende zu machen ... Die nationale Revolution ist da. Jetzt muss die Revolution der Herzen, der Willen, der Geister kommen ... und ihre Kraft da holen, wo Gott sie uns schenkt: bei Christus und seinem Evangelium.”46

3. In Frankfurt veröffentlichten am Wahltag im Juli 1933 30 Pfarrer eine „Erklärung zum Wahlsonntag”47, von denen 15 später zur Bekennenden Kirche gehörten . In die-ser Erklärung äußerten sie zwar vielfältige Bedenken gegen die ganze Entwicklung, rieten aber letztlich doch von Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen ab. Sie bekannten „sich mit der Führung des Staates und der Kirche zu der ‚einen evan-gelischen Kirche’, fürchteten, dass ein Wahlkampf zu Spaltungen führen würde, woll-ten keine Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen, die ‚selbst noch auf's schwerste um ihre innere Klärung ringt’, nahmen deshalb unter schwersten Bedenken die Einheitsliste an und baten die Gemeinden, dem zu folgen.

4. In der Gründungsversammlung der EKNH im September 1933 erklärte Veidt für eine kleine (9 Personen), nicht zu den Deutschen Christen gehörende, Gruppe, dass man sich dem nationalen Staate und der Kirche verbunden fühle und für vieles dankbar sei, das der nationale Staat erreicht habe. Kraftvoll solle die Kirche die kirchliche und völkische Einheit mitgestalten. Wegen vieler Bedenken gegen die vorgelegten Gesetzesentwürfe und den Verfassungsentwurf wolle man sich aber der Stimme enthalten.

5. Bei einer Großveranstaltung der Deutschen Christen mit etwa 20.000 Teilnehmern am 13. November im Berliner Sportpalast forderte der Gauobmann der Deutschen Christen für Groß-Berlin, ein Dr. Krause, nicht nur den Arierparagraphen für Kirchenmitglieder sondern auch die Entfernung des Alten Testament und der „Minderwertigkeitstheologie” des Paulus aus der Bibel, die Zurücknahme der Betonung der Kreuzestheologie und eine arische Jesusgestalt. Hierauf äußerte Johannes Kübel/Weißfrauen in seiner Bußtagspredigt: „Wir schämen uns für unsere evangelische Kirche!”48 Am 27. November schickten führende DC- Mitglieder ein Telegramm an den Reichsbischof, in dem sie sich geschlossen hinter diesen als Schirmherrn der Deutschen Christen stellten. „Um des Zusammenhaltens der großen Bewegung willen” lösten sie sich von der Reichsleitung und forderten deren Umgestaltung.

Im Frankfurter Kirchenkalender für das Jahr 1934 veröffentlichte man die Kritik an der im Sportpalast vertretenen Theologie in Form eines Gedichts des 85jährigen Pfar-rers Hermann Dechent, des Seniors der Frankfurter Pfarrerschaft.49

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6. Von Ende Februar 1934 ist das gedruckte Formular einer „Evangelischen Verpflichtung” erhalten, die zu unterschreiben war, wenn man der „Frankfurter evang. Be-kenntnisfront” beitreten wollte50. In der Präambel wurde diese zunächst als Zusam-menschluss „aller treuen und mutigen Bekenner des evangelischen Glaubens” aus allen Frankfurter Gemeinden beschrieben. Sie enthielt aber auch den bemerkenswer-ten Satz: „ Als bewußte evang. Christen stehen wir dabei mit ganzer Verantwortung auf dem Boden des Dritten Reiches und als Nationalsozialisten in treuer Gefolgschaft hinter unserem Führer Adolf Hitler (von Angehörigen der Bewegung bitte zu unter-streichen).” Es folgt dann die Beitrittserklärung und die Versicherung, dass man sich allein an die heilige Schrift und die Bekenntnisse gebunden weiß, sich zu rückhalt-losem Protest gegen die Verletzung dieses Bekenntnisstandes verpflichtet weiß, in Gebet und Bekennen eintreten will für die Erneuerung der Kirche allein aus dem Worte und Geiste Gottes und schließlich die Arbeit der Bekenntnisfront unterstützen will.

Auch für die Folgejahre lassen sich weitere solche Beispiele finden. Spätestens hier stellt sich die Frage, wie denn die in Abschnitt 3 und soeben zitierten Sympathiebe-kundungen und Loyalitätserklärungen zu verstehen sind. Gerne wurde und wird gesagt, dass es sich um Äußerungen handelte, die notwendig waren, wenn man Kri-tisches äußern und sich nicht in Gefahr bringen wollte. Und die Situation von damals könne man heute schwer nachvollziehen. Lassen wir Zeitzeugen zu Worte kommen. Karl Veidt und René Wallau haben seinerzeit klar gesagt, dass die evangelische Kirche als Volkskirche im Dritten Reich nur eine Überlebenschance habe, wenn sie sich mit dem NS-Staat arrangiere. Marlies Flesch-Thebesius berichtet, man habe damals ge-sagt, die Verpflichtungserklärung sei so formuliert worden, dass auch Parteimitglieder in die Bekennende Kirche eintreten könnten. Das sind immerhin zwei nicht unplau-sible Standpunkte. Johannes Kübel schrieb 1937, an die BK-Führer, die vorher Deut-sche Christen gewesen waren, gerichtet: Irrtum entehrt nicht. Aber führen kann nur, wer mit der Glut des Gefühls auch die Klarheit der Gedanken und die Nüchternheit des Urteils verbindet. Und Albert Krebs, Kirchenvorsteher in Dreikönig und einer der großen Reformer des Strafvollzugs vor 1933 und nach 1945, schrieb, dass solche For-mulierungen gelegentlich als Tarnung benutzt worden seien, aber kritische Gemein-deglieder bedrückt hätten. Ich füge nun hinzu, dass, von wenigen Ausnahmen abge-sehen, kein Pfarrer verpflichtet war, solche Äußerungen zu tun. Und ich sehe hier eine besondere Verantwortung der Pfarrer. Insbesondere nach dem damaligen Selbstver-ständnis als Hirten ihrer Herde und ihrer gesellschaftlichen Position galt für sie auch die besondere Verantwortung derer, die führen wollen. Deshalb ist die Mehrzahl dieser Äußerungen für mich auch ein deutliches Zeichen für ideologische Nähe zum NS-Staat.

5. Reaktionen der Pfarrerschaft

Als Reaktion auf die Einführung des Arierparagrafen durch die altpreußische Gene-ralsynode am 5. September 1933 gründeten am 11. September Pfarrer in Berlin den Pfarrernotbund. Ende 1933 etablierte er sich auch in Frankfurt. Im Jahre 1934 nahm die Unterstützung des Pfarrernotbundes durch die Gemeinden zu. Langsam begann sich die „Bekennende Kirche” zu formieren. Die Ulmer Erklärung (22. April 1934), die erste Bekenntnissynode in Barmen (29. bis 31. Mai 1934)51 und die zweite Bekennt-nissynode in Berlin-Dahlem (19. bis 20. Oktober 1934) verliehen dem Ausdruck. Als roten Faden kann man also sehen: die Gründung des Pfarrernotbundes, weil mit der Einführung des Arierparagrafen das Bekenntnis verletzt sei; die Gründung der Be-kenntnisgemeinschaft, um die Laien einzubinden; die Barmer Erklärung als theologi-sche Aussage gegen die ausserkirchliche Einflussnahme auf innerkirchliche Angele--genheiten und gegen die Verbindlichkeit der NS-Weltanschauung; die Dahlemer Sy-node, auf der sich die Bekenntnisgemeinschaft als die wahre evangelische Kirche konstituierte und sich von der Einzelgemeinde bis zum Reich organisieren wollte, was dann auch den Namen „Bekennende Kirche” rechtfertigte.

Die „Barmer Erklärung”52 formulierte also ein Bekenntnis der „Bekennenden Kirche”: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerken-nen”.(1.) „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus sondern anderen Herren zu eigen wären…” (2.) Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschau-lichen und politischen Überzeugungen überlassen” (3.) „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen” (4.).

Die Dahlemer Synode schuf mit ihrer Erklärung und den dazu gehörigen Ausfüh-rungsbestimmungen die Organisationsstruktur der Bekennenden Kirche. Dazu stellte sie fest, dass das DC-Kirchenregime die Verfassung der DEK zerschlagen habe und deren rechtmäßige Organe nicht mehr bestünden. Deshalb schaffe man auf Grund des kirchlichen Notrechts neue Leitungsorgane und beschreibe deren Kompetenzen. Die BK verstand sich nun als die wahre evangelische Kirche53, die sich von Gemeindebru-derräten über Kreissynoden mit Kreisbruderräten, Landessynoden mit Landesbru-derräten bis zur Reichssynode mit dem Reichsbruderrat aufbaute. Bedenkt man, dass das DC-Regime immerhin durch Wahlen zustande kam, deren Rechtmäßigkeit von den späteren BK-Mitgliedern nicht angezweifelt worden war, und dass die Bekennende Kirche nie auch nur die Hälfte der Gemeinden gewinnen konnte, dann erscheint diese Konstruktion eher eine Fiktion gewesen zu sein. Auch wird hieraus wird deutlich, dass es der Bekennenden Kirche zunächst nicht um eine politische Auseinanderset-zung ging54. Diese wollte man nicht, sondern eine Auseinandersetzung um das Wesen der Kirche.

In der Folge standen also zwei Werteordnungen und drei Organisationsstrukturen im Widerstreit. Hier die NS-Ideologie und in ihrem Gefolge die DC-Theologie – dort Barmen als theologische Grundlage der Bekennenden Kirche. Hier die DC-Kirche und der NS-Staat – dort die Bekennende Kirche. Indem die BK versuchte, ihren eigenen theologischen und kirchenpolitischen Machtanspruch durchzusetzen, kam es zum eigentlichen Kirchenkampf. Dessen eine Ebene war die theologische Auseinanderset-zung in Predigten, Ansprachen und vielfältigen Veröffentlichungen. Die andere Ebene war der kirchenregimentliche Anspruch bzw. die Ablehnung des DC-Kirchenregi-ments. In die rein theologischen Auseinandersetzungen griffen i. d. R. weder Landes-bischof noch Gestapo ein. Wurde die Grenze hin zum Kirchenpolitischen überschritten, etwa mit Kritik am Reichsbischof, konnte dies von der Gestapo leicht als Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesehen werden. Auch die Anmaßung kirchenregiment-licher Befugnisse, etwa durch Tätigkeit im Landesbruderrat, konnte dazu gehören. Dann drohten Aufenthaltsverbote oder Redeverbote für bestimmte Regionen, in schwe-reren Fällen auch Strafverfahren. Rechtsgrundlage war in der Regel die „Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung” vom 21. März 1933. Etwas anders sah es im gemeindlichen Alltag aus. Hier ging es um die Nutzung von Räumen, die Abführung von Kollekten aber auch um die Genehmi-gung von Urlaub des Pfarrers oder die Befolgung von Zwangsversetzungen. Dies waren kircheninterne Angelegenheiten, bei denen die Frage nach der rechten Kirchenleitung eine Rolle spielte. Da wirkte die Kirchenleitung auf die Betroffenen ein, eröffnete Disziplinarverfahren, verhängte Geldstrafen oder Gehaltskürzungen oder sprach Versetzungen aus, in Einzelfällen auch Entlassung aus dem Dienst. 36 von 60 BK-Pfarrern in Frankfurt waren in solche Konflikte involviert und wurden in der skizzierten Weise bestraft. 24 Mitglieder exponierten sich nicht so sehr.

Zur Illustration möchte ich Ihnen einige Beispiele nennen. Erich Klein/Griesheim wurde verhaftet, weil er eine Abkündigung zum Prozess gegen Martin Niemöller verlesen hatte. Bernhard Lueken/dt.-ref. Gemeinde mußte 400,-Reichsmark Geldstrafe zahlen, weil er Kandidaten der Theologie geschult und geprüft hatte. Samuel Schrenk erhielt eine Ordnungsstrafe von 100,- RM, weil er eine Kollekte nicht an die Landes-kirche sondern an die BK geliefert hatte. Kurt Waldeck/Melanchthon wurde ausge-wiesen, weil er sich der Befriedung in seiner Gemeinde widersetzt hatte. Und Ernst Ide/Höchst wurde in den Ruhestand versetzt, weil er in der umkämpften Gemeinde das Fähnlein der BK hoch gehalten hatte.

Aus der Vielzahl der BK-Mitglieder möchte ich besonders erwähnen: Wilhelm Fresenius/St. Katharinen, Otto Fricke/Dreifaltigkeit, Karl Veidt/St. Pauls und René Wallau (St. Peter, die auch über Frankfurt hinaus aktiv waren. Ernst Friedrich/ Friedens wurde wegen Wehrdienstverweigerung aus der BK ausgeschlossen, und Arnold Schumacher/Verein für Innere Mission sowie Heinz Welke/Dreifaltigkeit haben sich besonders mit Hilfen für verfolgte Juden verdient gemacht

Mich stimmt jedoch nachdenklich, dass die Last des Kirchenkampfes zu einem erheblichen Teil bei den BK-Vikaren lag, die in Gemeinden mit DC-Pfarrern geschickt wurden. So stellt sich die BK auch als eine Organisation dar, die sich für die einzig wahre Kirche ausgab und eine Eigenorganisation aufbaute, allerdings innerhalb der nicht anerkannten Landeskirche. Ihre Pfarrermitglieder, soweit sie auf Pfarrstellen saßen, nahmen gerne ihr Gehalt von der nicht anerkannten Kirche an, während sie vom Theologennachwuchs erwarteten, dass er seine Examina bei der BK ablegte und damit seine Chancen, in den offiziellen Pfarrdienst aufgenommen zu werden, minimierte. Die Verhandlungen, dies doch zu erreichen oder Vikare in anderen Landeskirchen unterzubringen, waren da vielleicht mehr Ausdruck des schlechten Gewissens als eine Infragestellung der eigenen Position.

6. Vermittlungsversuche: Der Block für Einheit und Freiheit

In die Frontstellung Bekenntnisgemeinschaft gegen DC-Landeskirche und Staat kam eine gewisse Bewegung, als sich am 23. Juni 1935 einige Pfarrer und Dekane aus Frankfurt zusammen fanden, um „einen gemeinsamen Weg zur Überwindung der gegenwärtigen kirchlichen Schwierigkeiten zu finden.” Im März 1937 riefen 17 Frankfurter Pfarrer zur Sammlung in einem „Einheitsblock für Christus und seine Kirche” auf55. Ihnen zufolge ging es darum, ob das Evangelium von Jesus Christus unantastbare Grundlage der Kirche bleiben solle, ob sie weiter Volkskirche bleiben und ob sie einig werden und sich nicht in Gruppen auflösen wolle. Sie seien sich einig, dass die Heilige Schrift Alten und neuen Testaments die Grundlage sei, dass politische Weltanschauung und christlicher Glaube nicht vermengt werden dürften, dass der antichristlichen Propaganda begegnet werden und ein gutes Einvernehmen zwischen Staat und Kirche hergestellt werden müsse. Im April trat die „Reichsarbeitsgemeinschaft Deutsche evangelische Volkskirche” (Landesgruppe Nassau-Hessen) eben-falls an die Öffentlichkeit56. Sie bezog sich auf die Verfassung der DEK (Art. 1) von 1933, kämpfte für eine einheitliche und geschlossene deutsche Kirche als Volkskirche, wollte eine Kirche, die aus den Grundsätzen der Reformation eine positive Stellung zum Staat bezieht und eine freie und unabhängige Kirche ohne Politisierung. Ange-sichts dieser Situation versuchten die beiden Pröpste Knodt und Dr. Müller, beide Gruppen zusammen zu bringen, ohne dass eine dominiert57. Am 29.06.1937 sind dann beide zusammen geschlossen worden58, ohne dass das neue schon einen Namen bekam. Man sprach aber von einem kirchlichen Einigungswerk59. In einem Vertrau-ensrat waren beide Gruppen mit je zwei Personen vertreten (Berck/Ober-Ramstadt und Erich Meyer/dt.-ref. Gemeinde, sowie Gerhard Lütgert/Luther und Ernst Nell/ Johannis). Dazu kamen die drei Pröpste Knodt, Müller und Peter60. Das Einigungs-werk nannte sich später „Bund für Einheit und Freiheit der Kirche”. Aus Frankfurt waren neben Lütgert, Meyer und Nell Ludwig Deitenbeck/Sossenheim und Arthur Zickmann/Luther besonders aktiv.

Ein letzter Versuch war ein bemerkenswerter Pfarrertag am 25. Januar 1939 in der Matthäuskirche61. Man sprach auch da vom kirchlichen Einigungswerk62. Eingeladen hatten Oberkirchenrat Propst Dr. Friedrich Müller/Darmstadt für den Bund für Einheit und Freiheit, Pfarrer Karl Veidt für die Bekennende Kirche und der entmachtete Landesbischof Lic. Dr. Ernst-Ludwig Dietrich, der inzwischen umgeschwenkt war, für den Landeskirchlichen Block. Sie wollten die verschiedenen kirchlichen Lager zusammen führen und für eine geistliche Leitung in der EKNH sorgen. Entsprechende Beschlüsse wurden aber vom Reichskirchenminister zurückgewiesen.

7. Die Frankfurter Pfarrerschaft

Es ist gängige Praxis, drei kirchenpolitische Lager zu nennen: Bekennende Kirche, Deutsche Christen und die Mitte. Ich meine jedoch, dass man stärker differenzieren muss, wenn man der Wirklichkeit näher kommen will. Deshalb möchte ich mit Ihnen zunächst einen Blick auf die Altersstatistik der Pfarrerschaft werfen.

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Hier sehen wir einerseits, dass die BK mehr Rückhalt in den verschiedenen Alters-stufen der Pfarrerschaft hatte als die DC. Andererseits wird aber auch deutlich, wie stark die jungen Jahrgänge bei der Bekennenden Kirche vertreten waren. Sodann scheint es aber auch so, dass die Älteren Jahrgänge sich doch eher aus den Streitigkeiten heraus hielten.

Von 130 Pfarrern und Vikaren waren 28 Mitglieder der DC, also rund 20%. Im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland war das wenig. Aber nur 12 waren Mitglieder auf Dauer, und 16 traten wieder aus, weil sie ihren Irrtum erkannt hatten.

Wenn man als Mitte die bezeichnet, die weder Deutsche Christen noch Bekennende Kirche waren, verzerrt auch das den Blick. Hatten sich doch 21 im Bund für Einheit und Freiheit organisiert und 27 waren ungebunden. Im Block für Einheit und Freiheit finden wir jedoch 6 der 16 ehemaligen DC-Mitglieder und 6 Parteimitglieder (davon drei Partei und Ex-DC). Unter den anderen Mitgliedern finden wir Unabhängige, die vermitteln wollten genauso wie Wanderer zwischen den Welten. Und unter den Sonstigen gab es Leute, die besonders scharf für das DC-Kirchenregime eingetreten sind.

Auch die Bekennende Kirche stellte sich nach 1945 gern als einheitlichen Block dar. Doch auch hier muss man differenzieren. Da sollte man unterscheiden zwischen denen, die konsequent die Linie der Dahlemer Synode und damit kompromisslos gegen jeden Kompromiss mit dem Kirchenregime waren. Das war die Linie des Landebruderrates. Daneben gab es in Frankfurt aber wichtige BK-Vertreter, die immer wieder Kompromisslösungen etwa mit dem Landeskirchenausschuss suchten und auch mit kompromissbereiten DC-Vertretern zusammen arbeiten wollten, sich aber nicht durchsetzen konnten.

8. Die Bilanz 1945

Am 8. Mai 1945 konstituierte sich eine Vorläufige Leitung der Evangelischen Kirche in Frankfurt, der Otto Fricke, Karl Goebels, Ernst Nell und Arthur Zickmann angehör-ten. Schon am 16. Mai setzte diese Leitung einen Untersuchungsausschuss ein, der alle Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter hinsichtlich einer Belastung durch ihre Rolle im Dritten Reich überprüfen sollte. Als Ergebnis der Arbeit des Ausschusses wurden Karl Knab/Krankenhaus, Fritz Petermann/Neue St. Nicolai und Maximilian Schulz/ Bonames in den Ruhestand sowie Heinrich Falk/Markus in den einstweiligen Ruhe-stand versetzt. Karl Irle/St. Pauls und Willi Redhardt/Weißfrauen mussten Frankfurt ins übrige Kirchengebiet der EKHN verlassen. Georg Probst konnte nicht zurück-kehren, weil der Kirchenvorstand in Oberrad sich dagegen stellte. Alfred Trommers-hausen und Wilhelm Meyer waren schon vorher verstorben.

Andererseits stand die (vorübergehende) Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen früher oder später der Übernahme von Leitungsämtern durch Reinhard Huth (Evan-gelischer Volksdienst), Berthold Schubert (Pfarrerverein und Dekan) und Albert Wag-ner (Dekan) ebenso wenig im Wege wie die NSDAP-Mitgliedschaft bei Hermann Peter-sen (Dekan) und Arthur Zickmann (Vorsitzender des Evangelischen Gemeindeverban-des). Und auch Ludwig Deitenbeck blieb Dekan. Von den BK-Mitgliedern wurden Karl Goebels und Felix Rau Pröpste, Wilhelm Bremer, Erich Klein, Martin Schmidt und Heinz Welke früher oder später Dekane und Otto Fricke Beauftragter für das Evange-lische Hilfswerk.

Es ist also festzustellen, dass die Bekennende Kirche in Frankfurt nach dem Kriege mit den früheren Gegnern nicht besonders rigide umgegangen ist und dass die Mit-gliedschaft bei Deutschen Christen oder NSDAP die Übernahme von Leitungsämtern der mittleren Ebene nicht verhinderte. Ausschlaggebendes Kriterium war, ob jemand seiner Gemeinde Schaden zugefügt hatte und nicht die formale Zugehörigkeit zu einer Organisation.

9. Schluß

Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass es viele Erklärungen für das Verhalten der Menschen in jener Zeit gibt. Die Frage, wie alles möglich war, bleibt aber unbeant-wortet. Will man den Menschen annähernd gerecht werden, muss man differenzieren.

Dann aber stößt man auf ein breites Spektrum von Positionen, Denk- und Verhaltens-weisen. Und man sieht Gemeinsamkeiten, die man vielleicht nicht erwartet hatte, sowie Differenzen, die weniger bekannt sind.

Auch beim genaueren Hinsehen fällt es schwer, die Positionen der Deutschen Christen zu verstehen. Jedoch spürt man einen gewissen Respekt gegenüber denen, die ihren Irrtum einsahen und die Konsequenzen daraus gezogen haben. Hochachtung gebieten die mutigen Mitglieder der Bekennenden Kirche. Mit der Barmer Erklärung haben sie den Nationalsozialismus im Kern getroffen, indem sie seinen Allmachtsanspruch bestritten. In den Auseinandersetzungen mit DC-Kirche und NS-Staat wirkt aller-dings der besonnene Flügel überzeugender als die Hardliner.

Heute wissen wir mehr als die damals, vor allem, was die wirklichen Ziele der Nationalsozialisten anbelangt. Wir dürfen dankbar sein, dass Deutschland vom Nationalsozialismus befreit wurde. Denn sonst hätte sich herausgestellt, dass die verschiedenen kirchenpolitischen Lager sich mit dem Kirchenkampf davon abhalten ließen, gegen den wirklichen Gegner, den NS-Weltanschauungsstaat zu kämpfen.

1 Moltke, Briefe an Freya,, S. 609.

2 Ebd., S. 610.

3 RGBBL. 1933, S. 1016 vom 1.12.1933. KKD I, S 155 f.

4 Gürtler, Nationalsozialismus und evangelische Kirchen im Warthegau, S. 17 f..

5 Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus und Kirchen, S. 40.

6Hildebrandt, Positives Christentum, S. 15 ff.

7Zipfel, Kirchenkampf in Deutschland 1933-1945. S. 5; s. hierzu auch Kaiser, Glaube an

Deutschland ? S. 16, der Hitler nicht für einen Nihilisten hält.

8Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus, S. 65.

9Ebd.

10Zipfel, Kirchenkampf, S. 25.

11 Hitler, Mein Kampf, S. 506.

12 Ebd., S. 507. Die in der Kirchenkampf-Dokumentation abgedruckten Hitler- Zitate ( KKD I, S. 29 f.) müssen dagegen inzwischen als von Historikern widerlegt angesehen werden. Rauschning hat sie mit großer Wahrscheinlichkeit konstruiert.

13Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage. Band 3, S.29.

14Fresenius, Frankfurt/Main, S. 327.

15 Ebd. S. 328.

16 Scholder, Die evangelische Kirche in der Sicht der nationalsozialistischen Führung, S. 25.

17Ebd., S. 30.

18 Ebd., S. 27.

19Scholder, Die evangelische Kirche, S. 30.

20 Ebd., S. 43-51.

21 KKD VII, S. 612 f.

22 Brakelmann, Hitler und Luther 1933; Gailus, Protestantisches Milieu und Nationalsozialismus.

23Brakelmann, Hitler und Luther 1933, S. 16 ff. Beispiele dafür sind Putz, Völkische Religiosität und christlicher Gottesglaube, S. 6ff. oder Kupisch, Der Jude im Sperrfeuer.

24Brakelmann, Hitler und Luther 1933, S. 14 ff.

25Zipfel, Kirchenkampf in Deutschland 1933-1945, S. 138.

26Meyer, Frohe Botschaft, S.54.

27 Die Matthäusgemeinde 14, 1933 (30. Juli).

28 KKD III, S. 294.

29 Tagung vom 16.03.1938; KKD VI, S. 483-495, hier 489 ff.

30 Niemöller, Die evangelische Kirche im Dritten Reich, S. 90.

31 Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 135 f.; Hossenfelder, Die Richtlinien der deutschen Christen,mit Flugblättern und Wahlaufrufen.

32 S. hierzu Hildebrandt, Positives Christentum.

33Niemöller a. a. O. S. 92.

34 RGBl. I, S. 471.

35 GVBl. N-H Nr.2 v. 14.2.1934.

36 GVBl N-H Nr.9 v. 2.5.1934

37 GBl. DEK v. 7.5.1934.

38Gesetz der Preußischen Staatsregierung, Preuß. Gesetzessammlung 1935, S. 39.

39 Preuß. Gesetz. Samml. 1935, S. 57f.

40 RGBl. 1935, I, S. 774.

41 RGBL. 1935, I, S. 1178.

42 1. DVO RGBl. I, S. 1221.

43 GVBl. N-H S. 69.

44 GuVBl. ELKN-H v. 2.8.1937, S. 149.

45 KKD I, S. 370.

46KKD I, S. 375 f.

47Benad/Telschow, Alles für Deutschland, S. 41; KKD I, S. 389; der Text differiert in beiden Veröffentlichungen.

48 KKD I, S. 412 ff.

49Frankfurter Kirchenkalender 1934, S. 45.

50 KKD II, S. 212 f.

51 Pausch, Präludium einer Theologie der Freiheit.

52 Schmidt, Bekenntnisse 1934, S. 92 ff.

53S. hierzu: Luther, Das kirchliche Notrecht; Till, Der Einfluss des Kirchenkampfes auf die Grundlagenproblematik Lueken: Kampf, Behauptung.

54Dibelius, Die große Wendung im Kirchenkampf, S. 7 f.

55Benad/Telschow, Alles für Deutschland , S. 103 f.; KKD VI, S. 204 f.

56 KKD VI, S. 205 ff.

57 KKD VI, S. 308 f.

58 KKD VI, S. 310

59 Ebd.

60 Ebd.

61KKD VII, S. 252 f.; s. Kapitel ….

62KKD VII, S. 225.

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