Frankfurt am Main und die EKHN (2014)

Frankfurt am Main in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Zum 75. Geburtstag von Oberkirchenrat Dr. Gotthard Scholz-Curtius1

Als Zentrum des Rhein-Main-Gebietes spielt Frankfurt am Main in Hessen eine besondere Rolle. Ähnliches gilt für das evangelische Frankfurt innerhalb der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Eine Großstadt steht vor besonderen Herausforderungen, beansprucht mehr Eigenständigkeit und steht so häufig in einem Spannungsverhältnis zur Zentralverwaltung. So ergaben sich vielfältige Anlässe für Beratungen zwischen dem Leiter der Kirchenverwaltung der Evangelische Kirche in Hes-sen und Nassau (EKHN) und dem Leiter der Verwaltung des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main. Nicht selten ging es dabei um die Lösung von Konflik-ten. Natürlich waren die Rollen meist klar verteilt: der Vertreter der Gesamtkirche suchte den Interessenausgleich, ohne das Gesamtinteresse aus den Augen zu verlieren, dem „Frankfurter“ ging es um die Berücksichtigung der Frankfurter Besonderheiten. Es ging also häufig um eine Ortsbestimmung in dem Miteinander von Frankfurt und der EKHN. Dass beide dabei Teil eines langen Prozesses waren, war ihnen bewusst. Dass konstruktive Lösungen in einem guten kollegialen Miteinander möglich wurden, dafür gilt dem Jubilar ein ganz besonderer Dank. Dieser soll mit einem Blick auf die Geschichte der Beziehungen zwischen Frankfurt und der EKHN verbunden werden.

Die alte Frankfurter Kirche

Umgeben von mächtigen Nachbarn wie Kurmainz, Nassau, Hessen-Darmstadt, Hanau oder Hessen-Kassel hatte sich das kleine Frankfurt über Jahrhunderte behauptet und bis zur Annexion durch Preußen im Jahre 1866 ein ganz eigenes Selbstbewusstsein entwickelt. Dann wurde es zwar politisch vereinnahmt und zur preußischen Provinzstadt degradiert, aber den Protestanten gelang es doch, mit der Kirchengemeinde- und Synodalordnung von 1899 und der eigenen Kirchenverfassung von 1923 eine eigene Provinzial- bzw. Landeskirche zu schaffen. Dass dies auf einem kleinen Territorium und mit verhältnismäßig wenigen Gemeindegliedern geschah, wurde schmerzlich bewusst, als die Stadt Frankfurt zu Beginn des 20. Jahrhunderts Dörfer und Städte in ihrem Umland eingemeindete. Nun befanden sich auf einmal auf Frankfurter Stadtgebiet drei evangelische Kirchen: die Frankfurter, die nassauische und die kurhessische Landeskirche. Mit der Übernahme des Kirchenkreises Bockenheim im Jahre 1928 von der kurhessischen Kirche wurde ein Teil des Problems gelöst. Trotzdem blieb die Erkenntnis, dass eine so kleine Kirche auf Dauer keine Existenzberechtigung hätte. Deshalb beteiligte sich Frankfurt in der Marburger Konferenz an den Beratungen zur Bildung einer südwestdeutschen Kirche. Die Pläne der Deutschen Christen, eine Evangelische Kirche in Nassau-Hessen zu schaffen, fielen so auf fruchtbaren Boden. Mit der Bildung der Propstei Frankfurt Ende 1933 kamen sogar die, ehemals nassauischen, westlichen Vororte kirchlich zu Frankfurt. Waren auch die dortigen Pfarrer zunächst noch auf Wiesbaden hin orientiert, so wuchs im „Kirchenkampf“ das Zusammengehörigkeitsgefühl der Frankfurter untereinander und mit den anderen Kirchen-gebieten.

Entsprechend einer Beauftragung durch den Landesbruderrat der Bekennenden Kirche (BK) vom Frühjahr 19442 wurde in Frankfurt nach dem Zusammenbruch des NS-Staates eine „Vorläufige Leitung der evangelischen Kirche in Frankfurt“ gebildet. So reaktivierte man zwar übergangsweise die alte Struktur; aber es gab keine Zweifel, dass Frankfurt in einer gemeinsamen Kirche bleiben würde. Man sprach deshalb von der „Evangelischen Kirche in Frankfurt am Main“, nicht von einer Landeskirche. In einer Plenarsitzung am 24. September 1945 beschloss die Frankfurter Vorläufige Leitung zusammen mit den anderen beiden Vorläufigen Leitungen von Hessen und Nassau, dass man sich einig sei, die Landeskirche zu erhalten. Man bestimmte einen Verbindungsausschuss, der u.a. die notwendigen Schritte zu einer endgültigen Ordnung, zur Vertretung der Landeskirche nach außen und zur Erledigung der Geschäfte der Landeskirche unternehmen sollte. Seine Beschlüsse sollten für die Vorläufigen Leitungen bindend sein. Ihm gehörten vier Vertreter aus Hessen, drei aus Nassau und zwei aus Frankfurt an. Am 5. November 1945 erließ der Verbindungsausschuss eine Notverordnung zur Bildung von Verwaltungsausschüssen und der Neuwahl der Kirchenvorstände. Diese Notverordnung wurde am 12. November durch weitere Notverordnungen betreffend Synodalwahlen und betreffend den Kirchentag ergänzt.

Auf dem Weg zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Angesichts der schwierigen Gesamtsituation war an größere Versammlungen mit Teilnehmern aus dem ganzen Kirchengebiet zunächst nicht zu denken. Erst im Frühjahr 1946 erlaubte es die Infrastruktur mit funktionierenden Verkehrs- und Informationsmöglichkeiten, dass sich Kirchenvertreter aus dem ganzen Kirchengebiet in Frankfurt zur VII. Ordentlichen Tagung der Bekenntnissynode der evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen treffen konnten.3 Gastgeber war die Frankfurter Paul-Gerhardt-Gemeinde. Zwischen 70 und 80 Personen, je zur Hälfte Pfarrer und Nichtpfarrer, nahmen an den Sitzungen teil. Als Hauptaufgabe wurden erste Schritte zum Neuaufbau der Kirche gesehen. Dazu wurde festgestellt, dass die Landeskirche Nassau-Hessen rechtlich fortbesteht, „ wie sie in Fortsetzung der vor 1933 geführten Vereinigungsverhandlungen durch allseitige übereinstimmende Übung seit 1933, sowie durch das Handeln der Bekennenden Kirche (Ausübung des Kirchenregiments für den gesamten Bereich der Landeskirche durch Synode und Landesbruderrat) begründet, vom Staat (im Rahmen seiner Zuständigkeit) durch die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt, durch die Maßnahmen der kirchlichen Verwaltung fortgesetzt und durch Einsetzung des Verbindungsausschusses erneut in Erscheinung getreten ist.“4 Sodann wurde der Landesbruderrat erneut mit der geistlichen Leitung der Landeskirche Nassau-Hessen beauftragt. Zum Vorsitzenden des Landesbruderrates wurde Pfarrer D. Martin Niemöller gewählt, zum geschäftsführenden Vorsitzenden Pfarrer Lic. Wilhelm Fresenius (Frankfurt). Aus Frankfurt gehörten ihm weiter an die Pfarrer Dr. Alfred Adam und Martin Schmidt sowie Justizrat Dr. Friedrich Schmidt-Knatz und Kaufmann Hans Scheffner, zudem Rechtsanwalt Dr. Hans Wilhelmi als Präses der Synode.5 Die Vertretung der Kirche in der Öffentlichkeit wurde Pfarrer Lic. Otto Fricke (Frankfurt) übertragen.6 Im Hinblick auf die Neuordnung schienen der Synode zwei Komplexe vordringlich: die Schaffung einer neuen Kirchenverfassung (Kirchenordnung) und die Frage von Schuld und Entnazifizierung. Zum ersten beauftragte man die BK-Mitglieder im Verbindungssausschuss und den Vorläufigen Leitungen, die Bildung einer verfassunggebenden Synode zu betreiben. Außerdem beriet man den Entwurf für eine Kirchenordnung, den das Theologische Amt und der Verfassungsausschuss der Bekennenden Kirche vorgelegt hatten, zur Vorbereitung der Beratungen einer verfassunggebenden Synode.7

Nach den entsprechenden Wahlen trat der „Kirchentag der Evangelischen Landeskirche in Hessen, der Evangelischen Kirche in Nassau und der Evangelischen Kirche in Frankfurt a. M.“ am 30. September und 1. Oktober 1947 in der Burgkirche in Friedberg zusammen.8 Die Versammlung wählte Rechtsanwalt Dr. Hans Wilhelmi aus Frankfurt a. M. zum Vorsitzenden und Pfarrer Martin Niemöller zum Kirchenpräsidenten. Am Anfang der Beratungen standen zunächst Berichte der Vorläufigen Kirchenregierung in Darmstadt und der Vorläufigen Leitungen in Wiesbaden und Frankfurt. Für Frankfurt berichtete Karl Goebels9 und beschrieb zunächst die „tiefgreifende äußere und innere Zerstörung der Kirche“. 27 Kirchen und 15 Gemeindehäuser seien zerstört oder unbenutzbar, die Gemeinden der Innenstadt weithin zerstreut und entvölkert, von 58 Pfarrern 29 außerhalb Frankfurts. Ein großer Teil der Gemeinden sei durch den Kirchenkampf nicht berührt worden „und den uns in diesem Ringen geschenkten Erkenntnissen kirchlicher Erneuerung noch verschlossen“. Die unter kirchenfremden Gesichtspunkten gebildeten Kirchenvorstände seien nicht funktionsfähig. Über 50% der Pfarrer hätten den Deutschen Christen (DC) oder der NSDAP angehört.10 Immerhin wohnten nach der Rückkehr vieler Evakuierter wieder 244.000 Evangelische in Frankfurt. Die Vorläufige Leitung habe geordnete finanzielle Verhältnisse übernommen. Da während der Kriegsjahre bauliche Maßnahmen hätten zurückgestellt werden müssen, hätte man Rücklagen vorgefunden, die inzwischen den Gemeinden für die Wiederherstellung ihrer Gebäude zur Verfügung gestellt werden konnten. Für den Wiederaufbau des kirchlichen Lebens sei es notwendig, die großstädtischen Massengemeinden aufzugliedern. Noch bevor das Hilfswerk der Kirchen tätig geworden sei, habe die Kirchenleitung zur „Evangelischen Volkshilfe“ aufgerufen. Durch Beiträge seien so 384.349,- und durch Kollekten 175.416,- Reichsmark zusammengekommen. Die Steuerung habe das diakonische Werk der Frankfurter Kirche gehabt, der Evangelische Volksdienst, der dann mit dem Hilfswerk eng zusammen gearbeitet habe.

Die wichtigste weitere Frage war die nach dem Fortbestand der „Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen“ (EKNH). Für Frankfurt stellte sich die Situation so dar: Im Juli 1933 waren die Kirchenwahlen unter Außerkraftsetzung des geltenden Wahlrechts anberaumt worden. Zur Wahl hatten die Deutschen Christen für Einheitslisten gesorgt, insbesondere für eine Einheitsliste zur Wahl der Landeskirchenversammlung. Gegen beides hatte es keinen Widerspruch gegeben. Nicht den DC angehörende Pfarrer hatten in einem Wahlaufruf zwar Bedenken geäußert, aber zur Wahl der Einheitsliste aufgerufen. Als es dann um den Beschluss der Landeskirchenversammlung zur Bildung der Evangelischen Kirche Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen (EKNH) ging, hatte eine Gruppe von Mitgliedern der Versammlung um Karl Veidt auch hier Bedenken geäußert, aber ebenfalls für die Bildung der EKNH gestimmt. Auf diesem Hintergrund hatte dann Friedrich Schmidt- Knatz 1935 in einem Rechtsgut-achten11 für die BK von Frankfurt her keinerlei rechtliche Mängel bei der Bildung der EKNH festgestellt, sondern vor allem mit den Ereignissen in Hessen argumentiert. In der Verfassunggebenden Synode plädierte nun der Frankfurter Rechtsanwalt Wilhelm Lueken12 für den Fortbestand der 1933 gegründeten Kirche und argumentierte damit, dass seinerzeit keine rechtlichen Bedenken erhoben worden seien und dass sich durch die zwischenzeitliche Praxis ein Gewohnheitsrecht gebildet habe. Ganz in diesem Sinne beschloss der Kirchentag: „Der Kirchentag der Evangelischen Kirche in Hessen, Nassau und Frankfurt bestätigt den Zusammenschluß der evangelischen Kirche im Gebiet der früheren Landeskirche Nassau-Hessen kirchlich und rechtlich. Die Kirche trägt den Namen. „Evangelische Kirche in Hessen und Nassau“. Der Kirchentag tritt als verfassunggebende Synode zusammen….“13 Die 2. Tagung der verfassunggebenden Synode fand vom 22. bis 24. November 1948 im Gemeindehaus der Paul-Gerhardtgemeinde in Frankfurt am Main-Niederrad statt. Ihr folgten die 3. Tagung vom 14. bis 18. März und 9. bis 11. Mai 1949 sowie die 4. Tagung vom 6. bis 7. Dezember 1949 jeweils in Frankfurt, Vereinshaus Westend.

Diskussionen um den Sitz der Kirchenleitung

Schwierig gestaltete sich zunächst die organisatorische Zusammenführung der drei ehemaligen Landeskirchen. Zum einen war das kirchliche Recht zu vereinheitlichen. Zum anderen musste eine Zentralverwaltung aufgebaut werden. In Darmstadt und Frankfurt waren die Verwaltungsgebäude zerstört. Das Verwaltungsgebäude in Wiesbaden war zu klein. Deshalb arbeiteten Kirchenleitung und Leitendes Geistliches Amt (LGA) zunächst in Wiesbaden, es waren aber weiter drei Verwaltungsstellen tätig. Erst zum 1. Oktober 1951 konnten diese in Darmstadt zusammengeführt werden. Doch tagten Kirchenleitung und LGA weiter in Wiesbaden, bis in Darmstadt auch ein Sitzungsraum zur Verfügung stand. Dabei gab es eine zähe Diskussion um den künftigen Sitz der Kirchenleitung und damit auch der Kirchenverwaltung.14 In Ihrer 4. Ta-gung befasste sich die Verfassunggebende Synode am 6. Dezember 1949 hiermit. In Betracht kamen die drei Städte, in denen bisher eine Landeskirche ihren Sitz gehabt hatte: Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden. Für Darmstadt argumentierte vor allem Oberbürgermeister Ludwig Metzger, der auch Synodaler war. Er konnte darauf verweisen, dass in Darmstadt ein kirchliches Gebäude im Bau sei und mit wenig zusätzlichem Finanzbedarf für gesamtkirchliche Zwecke hergerichtet werden könne. Auch führte er ins Feld, dass die frühere, für Künste und Wissenschaften offene, Residenzstadt ein Umfeld biete, in dem die Zentrale der EKHN besser zur Geltung komme als in der umtriebigen Großstadt Frankfurt. Für Frankfurt sprach Karl Goebels, der mit der zentralen Lage der Stadt und ihrer Bedeutung im Kirchenkampf argumentierte, aber keine konkrete Aussagen zur räumlichen Unterbringung machen konnte, weil erst Vorgespräche mit der Stadt im Gange waren. Für Wiesbaden wurde die Nähe zur Militäradministration genannt. Von den 94 anwesenden Synodalen stimmten 49 für Darmstadt, 42 für Frankfurt, 1 für Wiesbaden und 2 enthielten sich der Stimme. Metzger hatte eben für Darmstadt gekämpft, und die Frankfurter waren schlechter vorbereitet gewesen. Mit einem Zusatzantrag von Rechtsanwalt Lueken konnten die Frankfurter die Tür wenigstens etwas offen halten; denn die Synode beschloss auch die Einsetzung einer Kommission zur Prüfung der in Frage kommenden Objekte, die dem Finanzausschuss bis 15. Februar 1950 berichten sollte. Ergäben sich aus der Prüfung des Finanzausschusses schwerwiegende Bedenken gegen die Entscheidung für Darmstadt, sollte dieser die Angelegenheit der Synode in ihrer nächsten Sitzung zur endgültigen Entscheidung vorlegen. Bis zum 15. Februar 1950 lagen der Kommission keine weiteren konkreten Objekte vor, so dass diese unter großem Zeitdruck den Darmstädter Vorschlag prüfte und seine Realisierung grundsätzlich für möglich hielt. Allerdings äußerten einige Mitglieder auch Bedenken, die aber aus Zeitmangel keinen Eingang in den Abschlussbericht fanden. Der Finanzausschuss sah dann auf der Frühjahrssynode von einem Bericht ab, weil der Vorsitzende der Kommission krank war. Hierauf setzte der Synodalvorstand den Bericht des Finanzausschusses auf die Tagesordnung der 1. außerordentlichen Tagung der Synode am 28./29. November 1950 in Frankfurt. Hier entwickelte sich in drei Teilen eine mehrstündige, teils hitzige, Debatte über die Frage der Zulässigkeit einer erneuten Befassung mit der Angelegenheit durch die Synode. Da schließlich die Synode nicht mehr beschlussfähig war, gab es weder formal noch materiell eine abschließende Entscheidung.15

In Frankfurt hatte Karl Goebels mit der Stadtverwaltung wegen eines Gebäudes für die EKHN verhandelt und den ehemaligen Saalhof vorgeschlagen. Das lehnte die Stadt ab. Heute steht hier das Historische Museum. Sie bot aber das Dominikanerkloster an. In einem Vermerk hierzu stellte Oberbaurat Ernst Görcke, der damalige Leiter der Bauabteilung des Gemeindeverbandes, am 15. Februar 1950 fest: „eignet sich bestens für ein kirchliches Dienstgebäude… liegt im Norden an der breiten und verkehrsreichen Battonnstraße, mit Ostflügel als Eingangsseite an der ruhigen Wollgrabenstraße … zweckmäßig und übersichtlich ... der würdige, vom modernen Bürostil freie Rahmen für eine kirchliche Zentrale.“16 Und als am 22. Februar 1950 Goebels und Görcke im Vorstand des Gemeindeverbandes berichteten, beschloss dieser: „Der Vorstand ist einmütig der Auffassung, dass die Angelegenheit weiter verfolgt werden muss, da Frankfurt als der gegebene Ort für den Sitz der Kirchenleitung anzusehen ist.“17 Allerdings wurde diese Intention offenbar nicht in der geeigneten Weise weiterverfolgt. Jedenfalls nahm der Finanzausschuss der Kirchensynode auf der 1. ordentlichen Tagung vom 11.-15. April 1950 in Mainz im Rahmen der Haushaltsberatungen nur kurz Stellung: Da keine anderen Objekte vorhanden seien, die einen Vergleich er-möglichen könnten, habe er keine Bedenken gegen den Sitz der Kirchenleitung in Darmstadt.18 Als sich die Kirchensynode auf ihrer 2. ordentlichen Tagung vom 28. bis 31. Mai 1951 in Frankfurt mit der Zusammenlegung der drei Regionalverwaltungen befasste, gab es erneut lange Diskussionen19. Dabei verwies Kirchenpräsident Martin Niemöller darauf, dass es u. a. aus Frankfurt kein konkretes Angebot gebe20. Schließlich entschied die Synode, dass die drei Verwaltungen in Darmstadt zusammengeführt werden sollen. Da schon früher beschlossen worden war, Kirchenleitung und Kirchenverwaltung an einem Ort anzusiedeln, war somit die Entscheidung zu Gunsten von Darmstadt endgültig gefallen. Vor allem wegen eines fehlenden Sitzungsraumes blieb die Kirchenleitung aber noch einige Zeit in Wiesbaden

Der Wiederaufbau des ehemaligen Dominikanerklosters

Obwohl das Frankfurter Dominikanerkloster nicht Sitz der Kirchenleitung werden sollte, spielten sein Wiederaufbau und die künftige Nutzung eine wichtige Rolle im Verhältnis Frankfurts zur EKHN. Der Gemeindeverband griff das Angebot der Stadt auf und brachte es in die Dotationsverhandlungen bezüglich Paulskirche und Weißfrauenkirche ein. Im Tausch gegen diese beiden Kirchen wurden das Dominikanerkloster und die ehemalige Dominikanerkirche (dann Heiliggeistkirche) in die Frankfurter Dotation aufgenommen. Die Stadt Frankfurt war so zum Wiederaufbau verpflichtet. Der Kostenvoranschlag von 1953 sah Baukosten von 3,3 Mio. DM vor. Allein die vielfältigen Wiederaufbauprojekte ließen es nicht zu, dass sofort Geld für das Dominikanerkloster zur Verfügung stand. Um den Wiederaufbau zu beschleunigen, bot der Verband an, den Bau über einen Kredit zu finanzieren, dessen Schuldendienst die Stadt übernehmen sollte. Die Rechnung war aber ohne die EKHN gemacht. Da der Verband auch den Wiederaufbau noch anderer kirchlicher Gebäude über Kredit finanzierte, wurde ihm untersagt, weitere Kredite aufzunehmen21. Vor der Kirchensynode und der Gesamtvertretung thematisierte dies der Vorsitzende, Pfarrer Arthur Zick-mann. Er kritisierte, dass die Gesamtkirche mit 2,1 Mio. DM im Haushalt viel zu wenig Mittel für Baumaßnahmen veranschlage, dass sie sich selbst wegen des Wiederaufbaus überhaupt nicht verschulde und dass sie von Frankfurt sogar noch 2,4 Mio. DM Kirchensteuermittel abschöpfe. So trage Frankfurt zur Finanzierung kirchlicher Arbeit im übrigen Kirchengebiet bei und müsse für eigene Notwendigkeiten Kredite aufnehmen. Nun, schließlich gab die Gesamtkirche nach.

Am 1. April 1957 wurde das Dominikanerkloster vom Gemeindeverband übernommen und am 13. Januar 1958 offiziell eingeweiht. Berührend war das Grußwort von Kirchenpräsident Martin Niemöller. Er bedankte sich u. a. bei Frankfurts Oberbürgermeister Walter Kolb und erinnerte sich an seine erste Begegnung mit ihm. Nach seiner Freilassung aus jahrelanger Nazi-Haft habe man ihn zunächst nach Paris gebracht. Von dort sei er zum Flugplatz Eschborn geflogen worden, wo ihn Kolb begrüßt habe, als erster Deutscher, dem er nach der Haft wieder begegnet sei. Es ist erwähnenswert, dass sich der Oberbürgermeister in den ersten Nachkriegsjahren sehr da-rum bemüht hat, Emigranten, die einen Bezug zu Frankfurt hatten, zu einer Rückkehr und zur Hilfe beim Wiederaufbau Deutschlands zu bewegen. Anlässlich der Einführung von Pröpstin Gabriele Scherle im Oktober 2006 sprach Präses Karl Heinrich Schäfer von der Heiliggeistkirche als der Synodalkirche. In der Tat, in Kirche und Saal ist die Kirchensynode der EKHN zu Hause. Der Saal war, an den Bedürfnissen der Synode orientiert, ausgebaut worden.

Frankfurt in der EKHN

Doch die ehemalige Frankfurter Kirche war nun einmal die mit Abstand kleinste der drei Gründerkirchen der EKHN. Dies schlug sich in der Verteilung der Synodalsitze nieder, aber auch darin, dass die neue Kirche mehr den Strukturgrundsätzen der der hesssischen und der Nassauer Kirche folgte als denen der alten Frankfurter Kirche. Irgendwie lag die Großstadtkirche damals - und später häufig auch – quer in der EKHN als einer Flächenkirche. Die Frankfurter Kirche der Zwischenkriegszeit war eine Kirche mit echter kollegialer Leitung gewesen, denn es hatte kein Theologisches Leitungsamt gegeben, vielmehr den Landeskirchenrat als Spitzenorgan. Nicht nur mit demokratischen Prinzipien, sondern auch mit dem Priestertum aller Gläubigen war hier ernst gemacht worden. Das entsprach dem Selbstbewusstsein der Frankfurter Kirche und unterschied sich deutlich von der hierarchischen Struktur der hessischen und der nassauischen Kirche. Das Dekanat als Zwischenebene war den Frankfurtern von den Deutschen Christen gebracht worden. Im Dritten Reich war es der Wirkungsbereich des Dekans, ohne wirksame Dekanatssynode oder Pfarrkonferenz. Funktioniert hat es dann in Frankfurt eher für den strukturellen Aufbau der EKHN (Wahl der Kirchensynodalen, Wahrnehmung der Dienstaufsicht über die Pfarrer durch den Dekan im Auftrag der Kirchenleitung). Denn der frühere Gemeinde- und spätere Regionalverband sorgte für die Gemeinden in vielen Belangen und war deshalb für diese viel interessanter. Auch die Tatsache, dass dieser Verband die Diakonie der alten Landeskirche mit dem Volksdienst übernommen hatte, also als verfasste Kirche Diakonie-träger war, passte nicht in das Schema der Trennung von Kirche und Diakonie. Ebenfalls ungewöhnlich war die Vielfalt gesamtstädtischer Arbeit, deren Träger der Verband war. Die für die Zuweisungen an Gemeinden und Dekanate vorgesehenen gesamtkirchlichen Ausgleichsstöcke I bis III trugen der Existenz eines Gemeindeverbandes, und dann auch noch mit solchen Aufgaben, keinerlei Rechnung. Die Diakoniemittel der Landeskirche standen dem Diakonischen Werk der EKHN zur Verfügung. Der Ausgleichsstock III (Zuweisungen an Dekanate) war lange viel zu gering ausgestattet, um Zuweisungen für gesamtstädtische Arbeit zu ermöglichen. Bei einem Teil der gesamtstädtischen Arbeit gab es auch Pfarrstellen. Die Stelleninhaber waren dienstrechtlich der Kirchenleitung und in deren Auftrag den Dekanen unterstellt, die Fachaufsicht lag aber teilweise beim Verband.

Auch war der Frankfurter Gemeinde- und spätere Regionalverband durchaus innovativ. Auf den Vorsitzenden Pfarrer Arthur Zickmann folgte 1964 der Frankfurter Öffentlichkeitspfarrer Helmuth Hild. Als er 1969 für das Amt des Kirchenpräsidenten kandidierte, setzten seiner Gegner den Spruch in die Welt: „Mach's mild, nimm Hild“. Das zeigte sicher eine große Unterschätzung dieses Mannes. Hild war offen für gesellschaftliche Fragen und Veränderungen. Das bedeutete z. B., dass er schnell an eine Umorganisation des Gemeindeverbandes mit Hilfe einer Unternehmensberatung gegangen war. So etwas hatte bis dahin nur der Gemeindeverband in Dortmund getan. Hild erkannte früh die Bedeutung der Elektronischen Datenverarbeitung, warb dafür in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und gewann den Präsidenten der Kirchkanzlei der EKD, Walter Hammer. In die erste Arbeitsgruppe, die die Einführung der Datenverarbeitung in der EKD vorbereiten sollte, wurde ein Vertreter aus Frankfurt entsandt. Hier hatte die Leitung ein starkes Interesse am Einsatz dieser Technik, die Kirchenverwaltung begleitete das eher zögerlich. Jedenfalls stellte Frankfurt Anfang der 70er Jahre das Melde-, das Personal- und das Finanzwesen auf Elektronische Datenverarbeitung um. Eine Folge dessen war auch der konsequent funktionengegliederte Haushaltsplan, der eine große Verständlichkeit und Transparenz für die Gremien und - manchmal zum Nachteil der Frankfurter – für die Gesamtkirche brachte. Das verschaffte Frankfurt in Finanzverhandlungen mit der Kirche einen Informationsvorteil, hatte aber auch den Nachteil der gläsernen Taschen. Hild stieß die Untersuchung „Wie stabil ist die Kirche“ an, deren Mitträger die EKHN und der Frankfurter Gemeindeverband (später Evangelischer Regionalverband) waren, vertreten durch Pfarrer Dr. Roman Rößler und den Verfasser. Auch gehörte der Verband dann unter dem Vorstandsvorsitzenden Pfarrer Ernst Schäfer zu den ersten außerhalb der kurhessischen Kirche, die sich an der Evangelischen Kreditgenossenschaft Kassel beteiligten.

Der aktive und leistungsfähige Verband hatte nicht nur mit seiner starken Bauverwaltung den kirchlichen Wiederaufbau bewältigt, eine Aufgabe, die im Rahmen der gesamtkirchlichen Ordnungen und der dort üblichen Verfahrensweisen nicht möglich gewesen wäre. Er hatte diesen Wiederaufbau auch durch eigene Kreditaufnahmen beschleunigt. Nun war er auch in der Lage, in anderer Weise der Landeskirche Verantwortung abzunehmen. Beispiele dafür waren die Zentralstelle für Beratungsarbeit, mit deren Trägerschaft Landeskirche und Diakonisches Werk (DW) überfordert waren und die dann unter der Federführung des ERV und mit einem Beirat, in dem Landeskirche und DW vertreten waren, unter Leitung von Dr. Wolfram Lüders wieder auf die Beine kam. Ein anderes Beispiel waren später Flughafensozialdienst und Flughafenseelsorge. Übrigens trat der Gemeindeverband auch ein, als er im Dienste der EKHN und mit deren Mitteln Anfang der siebziger Jahre der Gemeinnützigen Gesellschaft für Wohnungsbau des Hilfswerkes in finanziellen Schwierigkeiten half, indem er Wohnblocks in Frankfurt übernahm, oder bei der Rettung des St. Markuskrankenhauses Ende der neunziger Jahre. Dies sind Beispiele dafür, wie Frankfurt auch gesamtkirchlich Verantwortung übernommen hat.

Die finanzielle Ausstattung Frankfurts

Doch kommen wir zu einem Vorgang, der das Verhältnis zwischen Frankfurt und der Gesamtkirche langfristig prägte. Im Rahmen des damaligen Bedarfsdeckungssystems hatte es einen längeren Schriftwechsel zwischen dem Finanzreferenten und dem Vor-sitzenden des Gemeindeverbandes um den Ausgleich der Haushalte 1971 und 1972 gegeben. Hauptpunkt war die von der Gesamtkirche nicht gebilligte Rücklagenzuführung; nicht einmal einer Rücklage für die Ablösung von Gebäuden im Falle der Rückgabe eines Grundstückes, das die amerikanische Besatzungsmacht für den Bau einer amerikanischen Schule beschlagnahmt hatte. Auch ging es um die Finanzierung von gesamtkirchlichen, gesamtstädtischen und diakonischen Frankfurter Aufgaben aus dem Ausgleichsstock I. Als die Synode die Rechtsgrundlagen für die Erhebung der Kirchensteuer veränderte, riefen einige Frankfurter Synodale das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht an. Dabei ging es den Frankfurtern nicht darum – wie ihnen vorgeworfen wurde – die in Frankfurt eingehenden Kirchensteuern zu behalten. Vielmehr wollte man angesichts der schwierigen Finanzsituation Frankfurts Status quo sichern und eine mittelfristige Finanzplanung ermöglicht haben. Offenbar war die Argumentation so beeindruckend, dass in Kirchleitung, Kirchenverwaltung und Finanzausschuss der Kirchensynode die Sorge aufbrach, Frankfurt könnte Erfolg haben, und der Kirchensteuererhebung könnte für einige Jahre die Rechtsgrundlage entzogen werden. Das wäre eine finanzielle Katastrophe gewesen. So ergab sich Vergleichsbereitschaft. Der am 7. Juli 1972 geschlossene gerichtliche Vergleich sah dann vor, dass mindestens 50% des Kirchensteueraufkommens in die Ausgleichsstöcke I bis III fließen sollten und dass aus den Ausgleichsstöcken I und III Frankfurt 30% erhielte, aus dem Ausgleichsstock II bis zu 18 Prozent.

Der Vergleich hatte bald Folgen, die wohl von beiden Parteien so nicht erwartet worden waren. Die Gesamtkirche war wahrscheinlich froh gewesen, dass Frankfurt nicht mehr verlangt hatte, als es schon bekommen hatte. Frankfurt freute sich über die Planungssicherheit. Die enorme Steigerung des Kirchensteueraufkommens in den Folgejahren führte dann aber zu absoluten Zuweisungen, die Frankfurt ein erstaunliches Wachstum bescherten und in der Gesamtkirche die Frage aufwarfen, ob Frankfurt nicht zu viel bekomme. In Frankfurt wurde das Geld vor allem für den Ausbau der gesamtstädtischen Arbeit und für die Vermögensbildung verwendet. Im Gegensatz zu vielen anderen kirchlichen Körperschaften wurden in Frankfurt zusätzliche Einnahmen nicht vollständig in laufende Ausgaben gesteckt. Allerdings wurde der Vergleich weder von der Kirchenverwaltung noch vom Verband statisch gesehen. Von nun an kam man alle fünf Jahre zusammen und verhandelte über die Anpassung der vertraglichen Konsequenzen an veränderte Gegebenheiten. Hierbei ging es einerseits darum, dass in Frankfurt die Gemeindegliederzahlen abnahmen, schneller als im übrigen Kirchengebiet. Der Argumentation, dass sich eine abnehmende Gemeindegliederzahl auch auf die Zuweisungen auswirken müsse, konnte sich auch Frankfurt nicht entziehen. Andererseits bedeutete aber die Abnahme der Gemeindegliederzahlen nicht gleichzeitig, dass sich gesamtstädtische oder gesellschaftliche Aufgaben reduzierten. Im Gegenteil, diese Aufgaben wuchsen. Da Frankfurt hier ganz anders gefordert war als das übrige Kirchengebiet, fiel es nicht immer leicht, Verständnis zu finden. Auch schlug einmal mehr das Bemühen um eine effektive und geordnete Verwaltung negativ zurück. Um 1970 lebte man in Frankfurt im Gefühl, für rund 400.000 Gemeindeglieder da zu sein. Die Umstellung des kirchlichen Meldewesens von der manuellen Bearbeitung auf Elektronische Datenverarbeitung erforderte jedoch zunächst eine Erfassung, mit der die Überprüfung der einzelnen Personen verbunden war. Nach Nichtberücksichtigung der „Karteileichen“ gab es in Frankfurt auf einmal nur noch 320.000 Gemeindeglieder. Das Ergebnis entsprach damals durchaus den Erwartungen von Experten, weil eben mit der Hand geführte Karteien eine hohe Fehlerquote hatten. Aber es führte in Frankfurt zu Entsetzen und verschlechterte natürlich die Position in künftigen Verhandlungen mit der Gesamtkirche; zumal eben diese Korrekturen im übrigen Kirchengebiet noch länger auf sich warten ließen. Insgesamt aber führten die sich verändernden Gegebenheiten dazu, dass im Fünfjahresrhythmus die Zuweisungen für Frankfurt Schritt für Schritt abgebaut wurden. Wie es aussieht, wird Frankfurt im kommenden Jahr seine Zuweisungen komplett nach den für alle geltenden Regeln berechnet bekommen.

Das Leitende Geistliche Amt der EKHN in Frankfurt

Für Frankfurt neu war auch die ständige Präsenz eines Mitglieds des Leitenden Geistlichen Amtes. In der Öffentlichkeit bedeutete dies eine Teilung der Wahrnehmung zwischen dem Vorsitzenden des Gemeindeverbandes und dem Propst, manchmal auch mit der Folge einer gewissen Konkurrenz. Zumindest in der Zeit, die der Verfasser überblickt, führte das aber nicht zu nachhaltigen Problemen. Andererseits wurde der Propst/die Pröpstin als Gast zu den Sitzungen des Vorstandes des Gemeindeverbandes eingeladen. Vor allem die Pröpste Karl Goebels und Dieter Trautwein nahmen so auch regelmäßig an diesen Sitzungen teil und brachten, wenn auch zurückhaltend, ihre Anliegen ein. Auch traf sich in der Propstei regelmäßig die Propstei-Arbeitsgemeinschaft, zu der der Propst einlud. Hier kamen mit dem Propst die Dekane, der Vorsitzende des Gemeindeverbandes, dessen Verwaltungsleiter und ausgewählte übergemeindliche Pfarrerinnen und Pfarrer zusammen. Der Informationsaustausch war ebenso wichtig wie etwa gemeinsame Studienreisen in die Partnerstädte Frankfurts oder zum Ökumenischen Rat der Kirchen. Den Pröpsten gaben diese Gelegenheiten auch die Möglichkeit, Frankfurter Probleme und Erfahrungen in die Beratungen des Leitenden Geistlichen Amtes einzubringen. Die Umgestaltung des Propsteibereiches Frankfurt zum Propsteibereich Rhein-Main bedeutete allerdings, dass die Pröpstinnen ihre Aufmerksamkeit nicht mehr so sehr Frankfurt zuwenden können. Im Sinne einer Theologie von der „Kirche in der Stadt“ erhoben vor allem Dieter Trautwein und Helga Trösken ihre Stimme auch immer wieder zu stadtpolitischen Fragen, und Trautwein mischte sich auch in Fragen der Stadtentwicklung ein. Dies geschah fast immer in Abstimmung mit der Spitze des Gemeindeverbandes und unter Beteiligung der verschiedenen gesamtstädtischen Einrichtungen. Neben öffentlichen Äußerungen gaben auch die regelmäßigen Gespräche mit den beiden großen Parteien CDU und SPD seit den siebziger Jahren und später auch mit den Grünen die Möglichkeit, gemeinsam kirchliche Positionen gegenüber der Politik zu vertreten.

Je nach eigenen Interessen, engagierten sich die Pröpste aber auch an anderen Stellen. Karl Goebelswar Vorsitzender der traditionsreichen Frankfurter Bibelgesell-schaft, er stand Mission und Ökumene nahe. Als Mitte der sechziger Jahre ein Großkirchensteuerzahler von der Gesamtkirche forderte, über die Verwendung seiner Steuern mit entscheiden zu können, gab die Gesamtkirche nach und Goebels erhielt eine hohe Summe, um sich einen Wunsch erfüllen zu können: den Bau des „Africanums“. Nach der Rückkehr von einer Reise nach Afrika, war er überzeugt, in Frankfurt etwas für afrikanische Studenten tun zu müssen. In einem Studentenheim sollten sie Wohnung und Begleitung finden. Mit Hilfe des Gemeindeverbandes entstand so in Praunheim das „Africanum“. Doch stand dies unter keinem guten Stern. Als es fertig gestellt war, stellte sich heraus, dass es an der Frankfurter Universität gar nicht genug afrikanische Studenten gab, wohl aber an der Fachhochschule und an verschiedenen Fachschulen. Mit einem kleinen Freundeskreis betreute Goebels nun, auch unter persönlichen Opfern der Beteiligten, lange Jahre diesen Personenkreis. Nach einigen Jahren gab es aber auch zunehmend Konflikte mit dem „Stifter“. Diese wurden schließlich gelöst, indem der Gemeindeverband die „Stiftung“ ablöste. In Folge dieser beiden Entwicklungen fand schließlich die „Ökumenische Werkstatt“ in der Praunheimer Landstraße 206 eine Unterkunft. Heute befindet sich hier das Zentrum für Ökumene. Dieter Trautweinhatte sich schon als Frankfurter Stadtjugendpfarrer einen Namen mit neuen Liedern und modern gestalteten Gottesdiensten gemacht. Dies setzte er als Propst fort. Seinem Einfluss war es zu verdanken, dass in Frankfurt die „Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen“ geschaffen wurde. Als gesamtkirchliche Einrichtung gedacht, kam sie aber nur in der Trägerschaft des Gemeindeverbandes zustande. Frankfurt wurde zu einem Zentrum des modernen Kirchenliedes und der modernen Gestaltung von Gottesdiensten. In der Nachfolge von Goebels wurde Dieter Trautwein Vorsitzender der Frankfurter Bibelgesellschaft. Vor allem seinem Engagement ist es zu verdanken, dass das Frankfurter „Bibelhaus-Erlebnismuseum“ entstand. Nicht zu vergessen ist das Engagement von Helga Tröskenfür die Aussöhnung mit Polen. Sie war – schon vor Ihrer Frankfurter Zeit - Mitgründerin des Frankfurter Vereins „Zeichen der Hoffnung-Znaki nadziei“, der sich bis heute um die Unterstützung ehemaliger Opfer der deutschen Gewaltherrschaft in Polen und für die Verständigung mit Polen einsetzt.

Folgen der demografischen Veränderungen für Frankfurt.

Ab Mitte der achtziger Jahre wurde in Frankfurt über die Konsequenzen aus dem Rückgang der Gemeindegliederzahlen diskutiert.22 Das führte zunächst zum Zusammenschluss von Kirchengemeinden und der Verringerung der Zahl der Dekanate von ursprünglich sieben auf fünf und dann vier. Seit Mitte der neunziger Jahre werden die Frankfurter „Doppelstrukturen“ für nicht mehr zeitgemäß gehalten, also das Nebeneinander von Dekanaten und Regionalverband. In veränderter Form wiederholte sich damit eine Diskussion von Anfang der siebziger Jahre. Damals hatten die Dekanate dem Gemeindeverband die Kompetenz für inhaltliche Aufgaben bestritten und ihn als reine Verwaltungsorganisation sehen wollen. Man hat dann das Problem gelöst, indem die Kirchengemeinden die Dekanate als Mitglieder aufnahmen und den Evangelischen Regionalverband geschaffen. Nun problematisierten die Dekanate diese Situation als „Doppelstruktur“. Da liegt die Frage nahe, ob es sich gar nicht um eine Strukturfrage sondern um eine Machtfrage handelt. In einem langen Beratungsprozess setzte sich inzwischen die Erkenntnis durch, dass für Frankfurt ein einziges Stadtdekanat zweckmäßig und daneben der Regionalverband unverzichtbar sei. Probleme der „Doppelstruktur“ sollen dadurch entschärft werden, dass Personengleichheit für die Besetzung der jeweiligen Gremien vorgesehen wird. Das trifft sich mit den Planungen der Gesamtkirche, die Zahl der Dekanate zu reduzieren. Allerdings scheint eine Realisierung des Frankfurter Vorhabens wegen vieler Detailfragen doch schwieriger als gedacht. So bleibt abzuwarten, ob die Frankfurter Pläne realisiert werden können und ob nicht noch eine Erweiterung des Frankfurter Dekanats, etwa um Offenbach, hinzukommt. Doch sollten auch so skeptische Fragen angebracht sein. Die Aufhebung der „Doppelstrukturen“ führt dazu, dass die Zahl der Gremien, in denen Laien vertreten sind, reduziert wird, nicht aber die Zahl der Dekane. Eine Spitze der Frankfurter Kirchenorganisation ist das Ziel. Es soll erreicht werden, indem ein Stadtdekan oder eine Stadtdekanin den Vorsitz in Verbandsvorstand und Dekanatssynodalvorstand inne hat, also ein Theologe oder eine Theologin. Es wird jedoch weiter eine Doppelstruktur bestehen bleiben, nämlich die von Stadtddekaneamt und Propstamt. Da der Dekan auch Beauftragter der Kirchenleitung ist, läuft dieses Modell zudem auf eine weitere Hierarchisierung der EKHN hinaus. Nachdem den Sparmaßnahmen schon seither eher Stellen für nichtheologische Mitarbeiter (z. B. Gemeindepädagogen in den Gemeinden) zum Opfer gefallen sind und nunmehr auch das Laienelement der ehren-amtlichen Mitarbeiter zurückgedrängt wird, müsste man die „Frankfurter Reform“ als einen weiteren Schritt der EKHN auf dem Weg zur Pfarrerkirche sehen. In der Stadt Philipp Jakob Speners, der doch dem Priestertum aller Gläubigen eine große Bedeutung zugemessen hatte, würde das traurig stimmen.

Betrachtet man diese Entwicklung in einem weiteren Zusammenhang, dann zeigt sich, dass in Frankfurt die Gemeindegliederzahlen und im Zusammenhang damit die finanzielle Ausstattung der Gemeinden stark abgenommen hat. Dies und die daraus folgende Zusammenlegung von Gemeinden haben die Kirche auf der Gemeindeebene sehr stark geschwächt. Dazu kommt, dass zwar beim Personal erhebliche Einsparungen vorgenommen wurden, der Gebäudebestand aber immer noch einen viel zu hohen Finanzierungsaufwand erforderlich macht. Die Bedeutung der verfassten evangelischen Kirche mit ihrer Basisarbeit in den Gemeinden trat dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung zurück.. Andererseits hat die Frankfurter Kirche in ihren Fachbereichen, die nur geringfügig über Kirchensteuermittel finanziert sind und hohe öffentlichen Zuwendungen erhalten, ein starkes Wachstum zu verzeichnen. Man könnte sagen, dass die Kirche in ihren Kernaufgaben enorm geschrumpft ist und als Träger gesellschaftlicher Aufgaben immer noch wächst. Die Jugendarbeit hat expandiert, allerdings als Jugend-Sozialarbeit. Und die gesamtstädtische Diakonie mit ihren vielfältigen Beratungsstellen und vor allem den Kindertagesstätten expandiert. Nimmt man dazu die evangelischen Krankenhäuser und einige andere Träger wie den Verein für Innere Mission, dann präsentiert sich in Frankfurt die evangelische Kirche in der Stadtgesellschaft vor allem als Träger sozial-diakonischer Aufgaben. Das stimmt nachdenklich. Nach ihrem Selbstverständnis war die christliche Kirche von ihren Anfängen an eine Glaubensgemeinschaft, in der sich der Glaube in der tätigen Nächsten-liebe zu bewähren hat. Als die evangelische Kirche dies im 19. Jahrhundert aus verschiedensten Gründen aus dem Blick verlor, gingen Kirche und Diakonie organisatorisch getrennte Wege. Verschiedene Versuche, Kirche und Diakonie wieder zusammenzuführen (etwa bei der Gründung der EKHN) blieben ohne Ergebnis. In Frankfurt wurde und wird diese Spaltung seit der Gründung des Evangelischen Volksdienstes im Jahre 1911 zumindest teilweise in einem Integrationsmodell aufgehoben. Ist das das Zukunftsbild einer Kirche, die in der Gesellschaft aufgeht und dort als Salz wirkt, oder welche Antworten hat unsere Kirche auf diese Situation hat?

Als eine Teilantwort könnte man sehen, dass sich die Einstellung der Gesamtkirche zur Großstadt Frankfurt partiell verändert hat. Vielleicht hat die EKHN ja auch inzwischen die Großstadt entdeckt. Frankfurt als Sitz der Kirchenleitung hatte sich die Synode nicht vorstellen können. Aber letztlich wurde Frankfurt der Sitz der Kirchensynode. Sie fühlt sich im Dominikanerkloster zu Hause. Doch auch wichtige gesamt-kirchliche Einrichtungen haben ihren Sitz in Frankfurt gefunden: schon früh das Seminar für Seelsorge und inzwischen auch das Medienhaus, das Zentrum Verkündigung, das Zentrum Oekumene und die Evangelische Akademie. Und auch die Beteiligung der Gesamtkirche an der Jugendkulturkirche St. Peter ist zu erwähnen. Es zeigt sich also, dass Frankfurt in der EKHN, in durchaus gewandelter Form, immer noch eine wichtige Rolle spielt.

1Im Jahr 2014.

2 „Kirchentag der Evangelischen Landeskirche in Hessen, der Evangelischen Kirche in Nassau und der Evangelischen Kirche in Frankfurt a. M. und Verfassunggebende Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau am 30. September und 1. Oktober 1947 in Friedberg/Hessen (Burgkirche) sowie vom 22. November bis 24. November 1948 in Frankfurt a. M. - Niederrad, Teil I, Wiesbaden 1949, S. 45.

3Bekenntnissynode der Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen: Bericht über die VII Ordentliche Tagung 8. bis 10. April 1946, 7. bis 9. Mai 1946, 10. bis 12 Juli 1946. Frankfurt a. M. o. J.

4Ebd., S. 5.

5Ebd. S. 6, 27.

6Ebd. S. 8.

7Ebd. S. 9 – 17.

8Vgl. den Bericht des Verbindungsausschusses vor dem Kirchentag, in: „Kirchentag der Evangelischen Landeskirche in Hessen, der Evangelischen Kirche in Nassau und der Evangelischen Kirche in Frankfurt a. M. und Verfassunggebende Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau am 30. September und 1. Oktober 1947 in Friedberg/Hessen (Burgkirche) sowie vom 22. November bis 24. November 1948 in Frankfurt a. M.-Niederrad, Teil I, Wiesbaden 1949, S. 30-35.

9Kirchentag, S. 50 f.

10S. hierzu jedoch: Telschow, Jürgen: Ringen um den rechten Weg, Darmstadt 2013, S. 107-112.

11Schmidt-Knatz, Fritz: Die Rechtslage der Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen. Als Manuskript gedruckt, Frankfurt a. M. 1935.

12Kirchentag S. 59-62.

13Kirchentag S. 76.

14 Verfassunggebende Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Teil II, Dritte Tagung vom 14. bis 18. März und 9. bis 11. Mai 1949, Vierte Tagung vom 6. bis 7. Dezember 1949 in Frankfurt am Main, Wiesbaden 1950, S. 439 – 459.

15 Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Erste Kirchensynode, 1. außerordentliche Tagung am 28. und 29. November 1950 in Frankfurt a. M., Wiesbaden 1951, S. 16.19, 114-133, 238-247.

16 Archiv ERV, Bestand Dominikanerkloster.

17 Vorstandsprotokoll vom gleichen Tage, Archiv ERV.

18 Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Erste Kirchensynode, 1. ordentliche Tagung vom 11. bis 15. April 1950 in Mainz, Wiesbaden 1950, S. 283.

19 Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Erste Kirchensynode, 2. ordentliche Tagung vom 28. bis 31. Mai 1951 in Frankfurt a. M., Wiesbaden 1951, S. 66, 74, 75, 76, 80, 82-88, 182, 185- 204.

20 Ebd. S. 83.

21Frankfurter Kirchliches Jahrbuch 1955, S. 24 – 26.

22Telschow, Jürgen: Die evangelische Kirche in Frankfurt am Main im Jahr 2000, in: Frankfurter Kirchliches Jahrbuch 1988, S. 31-48.

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