Die Reformation in Frankfurt am Main

Die Reformation in Frankfurt am Main

Vortrag vor dem Evangelisch-lutherischen Predigerministerium Frankfurt am Main am 23. März 2017

1. Vorbemerkungen

Wenn wir uns mit der Reformation in Frankfurt befassen, müssen wir uns von einigen Assoziationen verabschieden, die wir mit „der“ Reformation verbinden. Die „Frankfurter Reformation“ war nicht das, was wir denken, sondern eine Kodifikation des Frankfurter Privatrechts im Jahre 1578. Auslöser für Luthers Thesen war das Ablasswesen. Aber für die Frankfurter war er kein Ärgernis. Sie waren ihn gewohnt und schließlich diente er auch dem Weißfrauenkloster und den Dominikanern. Einen Thesenanschlag hat es in Frankfurt nicht gegeben, den in Wittenberg ja vermutlich auch nicht. Die Reformation war auch nicht ein Ereignis sondern ein Prozess. Ich denke, dass man vom Abschluss der Reformation erst sprechen kann,1 wenn das vorhandene Kirchenwesen rechtlich einwandfrei und auf einer Beständigkeit garantierenden Rechtsgrundlage umgestaltet worden ist. Eine solche Rechtssicherheit gab es m. E. erst 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden, weil erst da die Existenz der lutherischen Konfession reichsrechtlich anerkannt war. Die Reformation war also ein langer Prozess, der auch für Frankfurt erst 1555 endete. Die Frankfurter waren auch zunächst keine Anhänger Luthers, sondern Zwinglis und Bucers. Auch waren sie keine Protestanten, weil sie die „protestatio“ auf dem Reichstag in Speyer 1529 nicht unterzeichnet hatten. Trotzdem oder gerade deswegen ist die Geschichte der Reformation in Frankfurt eine spannende Sache.

2. Voraussetzungen für die Reformation in Frankfurt

Die Rolle des Rates

Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im mittelalterlichen Frankfurt war kompliziert. Frankfurt war Reichsstadt und somit reichsunmittelbar. Kirchlich gehörte es aber zum Erzbistum Mainz und unterstand dem dortigen Erzbischof und Kurfürsten. Zudem führte die Kirche in gewisser Weise ein Eigenleben. Sie besaß zahlreiche Privilegien. Wer im geistlichen Stand lebte, unterstand nicht der weltlichen sondern der geistlichen Gerichtsbarkeit. Andererseits benötigte die Stadt die Kirche für ihr Wohlergehen genau so wie der Einzelne für sein Seelenheil. Um dies zu erlangen bedurfte es der Spenden für Kirche und Arme, konnte man Altäre stiften und Vikarien („Pfarrstellen“), damit dort die Messe für einen selbst oder die Verwandtschaft gelesen wurde. Auf dieser Basis sorgte die Kirche für Kranke und Bedürftige, unterhielt aber auch die Schulen. Man war auf einander angewiesen.

Die Stadtgemeinde als „sakrale Gemeinschaft“

Auch wenn der Stadtadel zunehmend an politischem Einfluss gewann, war die mittelalterliche Stadt grundsätzlich genossenschaftlich gedacht und organisiert. Allerdings handelte es sich dabei nicht nur um eine weltliche Zweckgemeinschaft. Die spätmittelalterliche Stadtgemeinde war auch „sakrale Gemeinschaft.“2 Die Stadt wurde als Teil der göttlichen Ordnung gesehen. Wer gegen die städtische Ordnung verstieß, versündigte sich an Gott. Das Wohlergehen der Stadtgemeinschaft und das ewige Heil gehörten zusammen. Entgegen dem heutigen Denken waren Bürgergemeinde und Christengemeinde eins, und die Stadtregierung in Form des Rates war für irdisches Wohl und ewiges Heil verantwortlich. Nicht nur, aber auch deshalb ist das Handeln des Frankfurter Rates im ausgehenden Mittelalter und in der Reformationszeit als Ausfluss seiner Verantwortung für das gemeinsame Heil der Bürgerschaft zu verstehen. Dabei ging es um vier Aktionsfelder: die Sorge des Rates um eine gute kirchliche Versorgung der Stadtgemeinde, durch Aufteilung der Stadtpfarrei und Mitspracherecht bei der Besetzung von Pfarr- und anderen Stellen; die Beseitigung der wirtschaftlichen Sonderrechte des Klerus; das Verhältnis von weltlichem und geistlichem Recht; die Sorge für die Klöster durch Klosterpflegschaften und die Kirchenfabrik.

Um die kirchliche Versorgung aller Stadtteile zu verbessern, unternahm der Rat verschiedene Versuche.3 Um 1338 war in Sachsenhausen die Dreikönigskirche gebaut worden, im Jahre 1419 in der Neustadt die Peterskapelle. Da sowohl die Neustädter als auch die Sachsenhäuser durch das nächtliche Schließen der Stadt- und Brückentore in gewisser Weise ein Eigenleben führen mussten, lag es nahe, auf den Gedanken zu kommen, beide Kirchen zu Pfarrkirchen zu erheben. Dies geschah im Jahre 1452. Es wundert auch nicht, dass der Rat der Stadt Frankfurt seit dem 15. Jahrhundert Patronate erwarb, dass er Zuschüsse für die Besoldung der Pfarrer von St. Peter und Dreikönig gab und dass sich die städtischen Kirchen- und Klosterpfleger um eine ordnungsgemäße Verwaltung kirchlichen Vermögens kümmerten. Hieraus ergab sich in der Reformationszeit geradezu selbstverständlich die Rolle des Rates, der zwischen Altem und Neuem zu vermitteln suchte und auch die außenpolitische Situation nicht aus dem Auge verlor. Es war nur noch ein kleiner Schritt, auch Prediger anzustellen, die die neue Lehre verkündigten. Unter Umgehung des Domkapitels konnte der Rat so durchaus rechtmäßig für die Durchsetzung der Reformation wirken.

Kritik an der Kirche

Ein großes Problem aller Städte war die Steuerfreiheit des Klerus. Im 3. Laterankonzil 1179 wurde jegliche Steuerbelastung der geistlicher Güter und Personen strikt untersagt. Damit trug ein erheblicher Teil der Bevölkerung mit einem erheblichen Vermögen nicht zu den Lasten der Bürgergemeinschaft bei. Das galt auch für Frankfurt. Wichtig war, die drei reichen Frankfurter Stifte zu besteuern, denn schon 1376 hatte der Frankfurter Klerus ein Drittel des Frankfurter Grunds und Bodens an sich gebracht.4 Schritt für Schritt gelang es dem Rat, auch diese zu den Steuern heranzuziehen. Unter dem Strich blieben die Belastungen des Klerus aber deutlich geringer als die der Bürger, was unter diesen zunehmend Unwillen hervorrief.

Hinzu kamen die „ewigen Zinsen“. Wer Geld benötigte, lieh es sich, belastete sein Hausgrundstück und zahlte Zinsen. Der Kredit konnte für eine befristete Zeit oder unbefristet aufgenommen werden. Im ersten Fall tilgte man die Schuld. Im zweiten Fall verschuldete man sich und seine Erben, ohne dass überhaupt eine Tilgung ins Auge gefasst wurde. Das war bequem, weil man ja nur die Zinsen zu zahlen hatte. Es lud auch ein, neue Schulden aufzunehmen, bis man irgendwann nicht mehr zahlungsfähig war. Viele Kredite, die Bürger aufgenommen hatten, hatte die Kirche gewährt und als „ewige Zinsen“ auf Grundstücken abgesichert. Diese Häuser fanden keine Käufer mehr, die Eigentümer ließen sie verfallen.5 1463 gab es 403 solcher Häuser.6 In einigen Jahrhunderten sammelten sich die entsprechenden Forderungen bei wenigen Geldgebern, vor allem auch der Kirche, an. Gegen diese richtete sich dann der Zorn der Schuldner.

Seit dem 12. Jahrhundert mehrte sich in der Kirche die Kritik am Reichtum und an der weltlichen Macht der Kirche sowie daran, dass die Bibel nicht mehr die einzige Richtschnur ihres Handelns war. In Frankfurt gab es die Weltgeistlichen, die Mitglieder der Ordensklöster, die Mitglieder der Ritterorden in deren Niederlassungen und die Geistlichen in den Höfen auswärtiger Klöster und geistlicher Körperschaften. In den drei Stiften (St. Bartholomäus, Liebfrauen, St. Leonhard) waren 85 bis 100 Geistliche tätig. In den Männerklöstern waren ebenfalls etwa 80 bis110 Ordensbrüder tätig und in den Frauenklöstern etwa 50 Schwestern. Neben dem Reichtum der Kirche gab der lockere Lebenswandel der Kleriker zu harscher Kritik Anlass.7

Gottesdienstformen

Die Frankfurter Kirchenorganisation hatte in der Reformationszeit auch Konsequenzen für die Form des evangelischen Gottesdienstes. In der St. Bartholomäuskirche hielten sowohl der Pleban als auch das Kollegiatstift ihre Messen. Dabei hatten die Stiftsgottesdienste den Vorrang vor den Pfarrgottesdiensten.8 Das brachte Probleme, weil die Messen und der Chordienst an bestimmte Zeiten gebunden waren. Predigten in der Pfarrmesse konnten also den Zeitplan durcheinander bringen. So entwickelte sich der Predigtgottesdienst zu den Zeiten, in denen die Kirche nicht durch andere Gottesdienste belegt war. Da sich die katholische Kirche nicht reformbereit zeigte, waren die Predigtgottesdienste der Türöffner für evangelische Predigtgottesdienste. So wählte man in Frankfurt die Prädikatur und die liturgische Form des Predigtgottesdienstes als erste Form des evangelischen Gottesdienstes.9 Luthers Ordnung des Gottesdienstes (1523 und 1526) fußte stärker auf der Messe als auf dem Predigtgottesdienst. 

Humanismus in Frankfurt

Dass die Reformation Fuß fassen konnte, ist verschiedenen Faktoren zu verdanken. Aber besonders aufgeschlossen für die Lehren Luthers waren die sogenannten Humanisten. Sie gehörten zu einer breiten Bildungsbewegung, die auf antike Vorstellungen zurückgriff. Die Humanisten hatten sich schon ein Stück vom mittelalterlichen Denken entfernt und waren bereit, Neues aufzunehmen. Ihnen ging es um eine optimale Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit nach dem antiken römischen Konzept der humanitas, um das Menschsein nach idealistischen Vorstellungen. Erreicht werden sollte das durch Vermittlung von Wissen und Tugend. Damit stellten sie sich gegen das von der Kirche vermittelte mittelalterliche Menschenbild, das stark auf Gott und das Jenseits ausgerichtet war. In Frankfurt fand das humanistische Denken erst verhältnismäßig spät durch Patriziersöhne Eingang, die auswärts studiert hatten. Es waren diese, wenn nicht gelehrten so doch gebildeten, Patrizier, die für ihre Kinder eine andere Bildung suchten und dann die Reformation förderten. Bei ihnen handelte es sich um Männer, deren Namen heute nur noch als Straßennamen präsent sind: Hamman von Holzhausen10 1467-1536, wohlhabender Patrizier und Stadtpolitiker; sein Schwiegersohn Arnold von Glauburg11 1486- promovierter Jurist, Patrizier, Stadtpolitiker; Philipp Fürstenberger(1479-1540)12 , wohlhabender Patrizier, Stadtpolitiker; Claus Stalburg13 -1524, der reichste Frankfurter, Stadtpolitiker.

Die Politik des Frankfurter Rates

Aus heutiger Sicht könnte man sich wundern, wie wenig gradlinig der Kurs der Stadtregierung in dieser Zeit war und wie das Volk sie drängte und antrieb. Dabei muss man für den zögernden Frankfurter Rat Verständnis haben.14 Der innere Frieden der Stadt war eines der höchsten Güter. Den konnte man nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass auf einmal zwei sich befehdende Kirchen entstanden. Den Rat dominierten wohlhabende Patrizier und Kaufleute, die kaum zu revolutionären Schritten bereit waren, sondern am Überkommenen hingen. Auch hatte der Rat der Reichsstadt besondere Rücksicht auf den katholischen König und Kaiser zu nehmen, der erhebliche Einflussmöglichkeiten, insbesondere die Rücknahme von Privilegien (z. B. das Messeprivileg), hatte. Da Frankfurt in der Goldenen Bulle zur kaiserlichen Wahlstadt geworden war, durfte der Rat auch nicht so weit gehen, dass diese Wahlen nicht mehr möglich wären, etwa wenn St. Bartholomäus evangelisch würde. Das hätte man als Verfassungsbruch interpretieren und sogar die Reichsacht über Frankfurt verhängen können. Wirtschaftlich lebte Frankfurt von seinen ungestörten Handelsbeziehungen in die Nähe und die Ferne. Das machte vielerlei Rücksichtnahmen und ein vorsichtiges Agieren notwendig. Dazu kam, das der Rat bei der Reformation nicht auf die Kanoniker des Bartholomäusstifts zählen konnte, die die Fäden des katholischen Kirchenwesens in Frankfurt in den Händen hielten. Er hatte also keinen kirchlichen Unterbau, auf den er sich hätte stützen können.

  1. Frankfurter Ereignisse

Die Junkerschule

Eine unmittelbare Auswirkung der Veröffentlichung von Luthers Thesen ist in Frankfurt nicht festzustellen. Erstes Anzeichen für den Einzug eines neuen Geistes war eine Schulgründung in humanistischem Geist.15 Dabei gab es in Frankfurt Schulen. Immerhin 319 Schülern besuchten die Schulen der drei Stifte Jahre 1482. Deren Ruf war nicht schlecht, aber sie wurden im mittelalterlichen Geist geführt. Doch humanistisch geprägte Patrizier strebten für ihre Kinder eine „humanistische“ Schulbildung an. So stellte z. B. Claus Stalburg 1517 als Lehrer seiner beiden Söhne Claus und Kraft einen Wilhelm Nesen16 ein. Der hatte bei Zwingli und Erasmus von Rotterdam studiert und fand nun in Frankfurt eine erste Anstellung. Mit seinen beiden Zöglingen ging er nach Paris und dann nach Löwen, um seinem Lehrer Erasmus näher zu sein. Bald galt er als dessen Musterschüler. Später beschäftigte er sich mehr mit Luthers Werken und begeisterte sich für diesen. Auf Betreiben Hamman von Holzhausens beschloss der Rat am 20. Dezember 1519 die Anstellung eines Lehrers, der die jungen Kinder in der Lehre anhalte, und demselben des Jahres soviel Besoldung als einem Söldner geben, doch dafür einen Söldner minder halten.“17 Das war die Geburtsstunde eines neuen Bildungswesens, aber auch des späteren Gymnasiums, aus dem das Goethe- und das Lessinggymnasium hervorgegangen sind. Für die Stelle gewann man Wilhelm Nesen. Der wohnte und unterrichtete im Haus Goldstein in der Buchgasse. Die Schule erhielt im Unterschied zu den vorhandenen Schulen den Namen „Junkerschule“, stand aber jedermann offen.

Erste reformatorischen Predigten 1522

1522 kam der ehemalige Marburger Dominikanermönch Hartmann Ibach nach Frankfurt und fand bei Nesen Unterkunft. Wohl auf dessen Vermittlung setzte Hamman von Holzhausen im Rat die Genehmigung durch, dass Ibach am Sonntag, den 9. März 1522 (Invocavit), sowie am folgenden Dienstag und Donnerstag drei Predigten in der St. Katharinenkirche halten durfte. Ibach sprach in den drei Predigten nicht so sehr Themen der reformatorischen Theologie an und übte vielmehr Kritik an der katholischen Kirche, am Zölibat, an den „ewigen Zinsen“ und an der Verehrung der Heiligen, auch der Jungfrau Maria. Aus einem Brief an Dionysius Melander von 1530 kennen wir seine innere Haltung: „Als Hauptinhalt und Grundlage der christlichen Lehre stelle ich stets, der Geringheit der mir verliehenen Gnade gemäß, aufs Fleißigste die Wahrheit hin: Wir werden allein gerecht durch den Glauben; in äußeren Dingen besteht nicht das Heil.“18

Erste Unruhen in Bornheim

Eine weitere Stufe erreichte die Unzufriedenheit zunächst in Bornheim.19 Bornheim wurde von Frankfurt aus kirchlich betreut. Am 5. Mai 1523 überreichten die Bornheimer dem Rat eine ausführliche Beschwerdeschrift. Darin beklagten sie sich über die ungenügende kirchliche Versorgung durch das St. Bartholomäusstift, obwohl sie den Zehnten zahlten. Sie beantragten einen eigenen Geistlichen. Der Rat unterstützte die Bitte, das Stiftskapitel lehnte aber ab. Mainz trat für das Kapitel ein. So schaukelte sich der Konflikt hoch. Die Kapitelherren mussten schließlich sogar den Rat um Schutz bitten, wenn sie nach Bornheim zur Messe gehen wollten. Anfang 1524 klagten die Bornheimer, nun aber schärfer, über schlechte kirchliche Versorgung zu Weihnachten. Man lasse sie „als die unvernünftigen Tiere“20 gehen und verlange von dem sauer Verdienten verschiedene Abgaben. Auch wollten sie einen ehrbaren, geschickten eigenen Pfarrer haben. Der sollte auch bekommen, was ihm gebühre. Auch jetzt gab es aber keine Änderung.

Der erste Prädikant am St. Katharinenkloster

Um dieselbe Zeit traf Hamman von Holzhausen eine weitere folgenreiche Entscheidung.21 Er berief 1523 den bis dahin in Mainz tätigen Prädikanten Dietrich Sartorius an das St. Katharinenkloster, um dort das Evangelium und Gotteswort getreulich zu verkündigen. Sartorius, ein maßvoller Mann, predigte nicht gegen die äußeren Missstände der katholischen Kirche (wie Ibach) sondern gegen die katholische Lehre. Das betraf besonders die Lehre von der Messe, vom Fegefeuer und von der Heiligenverehrung. Auch für die Pfarrwahl durch die Gemeinde trat er ein. Dem begegnete Stadtpfarrer Meyer mit scharfen Attacken. Daraufhin forderte der Rat, der keine Zwistigkeiten wollte, Sartorius zur Mäßigung auf. Das war dem Mainzer Erzbischof aber nicht genug. Von dort erfuhr der Rat im Juni 1524 scharfe Kritik wegen der Predigten von Sartorius. Sartorius ging nach Oberursel und wirkte dort lange erfolgreich.

Das Aufbegehren der Sachsenhäuser

Im Jahr 1524 waren auch die Sachsenhäuser unzufrieden. Am 21. Juli 1524 richteten sie ein Schreiben an den Rat mit der Bitte, ihnen beim St. Bartholomäusstift zu einem tüchtigen Pfarrer zu verhelfen. Der vom Stift in Aussicht genommene Pfarrer sei ihnen nicht genehm, weil er nicht aufgeschlossen für die Reformation sei. Die Bemühungen des Rates blieben ohne Erfolg. Der Kandidat konnte des Stifts konnte in Sachsenhausen nicht Fuß fassen und musste heimlich wieder fliehen. Darauf entsandte das Kapitel einen anderen Geistlichen. Am 3.10.1524 forderten die Sachsenhäuser das Recht auf Wahl des eigenen Pfarrers, „der den lutern und claren text des evangelions prediget und an tag brechtt22, mit der Begründung „denn wer nit gelibt, dem wird nicht geglaubt.“ Am 2. Januar 1525 kam es sogar zu einem Handgemenge zwischen Priestern und Bürgern. Eine weitere Eingabe der Sachsenhäuser vom 21. Februar 1525 enthielt den bemerkenswerten Satz: „In dem Fall (des Ablehnens ihres Schreibens, d. Verf.)) sind wir Gott mehr denn den Menschen gehorsam zu sein schuldig.“23 Pleban Meyer, der mit scharfen Reden immer wieder des Volkes Zorn auf sich zog, musste am 15. März sogar nach Mainz fliehen. Dann endlich lenkte das St. Bartholomäusstift ein. Die Sachsenhäuser wollten Sartorius, und wurden sogar beim Erzbischof in Mainz vorstellig. Dieser wies das Kapitel an, einen anderen Pfarrer nach Sachsenhausen zu schicken. Mit Friedrich Haurbach genannt Dillenberger, kam nach Sachsenhausen zwar auch kein Lutheraner, aber ein Mann, der es mit den Leuten konnte.

Der Aufstand der Zünfte 1525

Ende 1524 hielt sich in Sachsenhausen ein Dr. Gerhard Westerburg auf. Westerburg hatte in Wittenberg zu den Anhängern der Reformation gehört, sich aber dann den Radikalen angeschlossen. Kontakte mit mit Andreas Karlstadt und Thomas Münzer führten zu seiner Ausweisung aus Sachsen. Eine Bleibe fand er zunächst in Frankfurt und war wohl der intellektuelle Kopf der Aufrührer von 1525. Allerdings musste er auch Frankfurt bereits 1525 verlassen. Vermutlich am 13. April 1525 überreichten „Christliche Brüder“ dem Rat eine Beschwerdeschrift, in deren 11 Artikeln Forderungen zu Reformen formuliert waren. Das war eine Gruppe, die sich „Liebhaber des Wortes und christlicher Wahrheit“ nannten und schon am 24. November 1524 in einem Schreiben an den Rat darum gebeten hatten, Sartorius zu schützen. In den 11 Artikeln standen zunächst ganz klar religiöse Motive im Vordergrund, auch wenn die Forderungen an die städtische Verwaltung radikaler erscheinen als die späteren. Insofern sind diese ersten Forderungen von Bedeutung für die Einordnung und Bewertung der 46 Artikel. Die lange diskutierte Frage nach den wirklichen Motiven der reformatorischen Bewegung - soziale, politische oder religiöse - findet hier für Frankfurt eine klare Antwort. Am Anfang standen religiös-kirchliche Fragen. Die sozialen kamen dann hinzu, und die stadtpolitischen wurden abgemildert.24

Am 17. April 1925, dem 2. Ostertag, kamen die Neustädter (zwischen alter und neuer Stadtmauer lebend) und die Sachsenhäuser auf dem Peterskirchhof zusammen. Sie äußerten Kritik an den Zuständen, und die Bürgermeistern versuchten beschwichtigen. Doch die Stimmung blieb explosiv. Schließlich stürmte die aufgebrachte Menge die Weinkeller des Dominikanerklosters und des Fronhofes.25 Dechant Friedrich von Martorf und Johannes Cochläus flohen vor Angst aus der Stadt. Am nächsten Tage suchte die Menge das Karmeliterkloster auf und bedrängte Prälaten des St. Bartholomäusstifts. Ein Angriff auf die Judengasse wurde von bewaffneten Bürgern verhindert.26 Dies machte den Rat sehr besorgt. Am 20. April legten die Zünfte dann 42 Artikel vor, denen schließlich noch drei und ein Schluss hinzugefügt wurden. Die dann gezählten 46 Artikel wurden ein wichtiges Dokument der Frankfurter Stadtgeschichte.27 Sie entsprachen teilweise den zeitgleichen Forderungen der Bauern, die zu den Bauernkriegen führten. Insgesamt aber richteten sich die Frankfurter Artikel viel stärker gegen die Kirche. Nach Artikel 1 sollten Rat und Gemeinde künftig gemeinsam die Pfarrer bestellen, sie versetzen und absetzen dürfen. Außerdem sollten die Geistlichen sich an allen Lasten der Bürger wie Dienstleistungen, Wachen, Hüten und Steuern beteiligen, denn die Geistlichkeit war bisher hiervon befreit (Artikel 3). Sodann sollten die Mönche nicht mehr betteln, predigen und die Ohrenbeichte abnehmen dürfen (Artikel 4). Nach Artikel 5 sollte den Orden verboten werden, neue Mönche und Nonnen in die Klöster aufzunehmen. Die Klosterbewohner sollten das Recht erhalten, das Kloster zu verlassen. Artikel 6 forderte, dass alle Rechte, für die es nicht Brief und Siegel gibt, aufgehoben werden. Nach Artikel 11 sollten die „ewigen“, also unablösbaren, Zinsen, abgelöst werden dürfen.

Der Rat verhandelte zunächst mit dem Klerus, der unter dem Druck der öffentlichen Stimmung und ohne die geflohenen bisherigen Wortführer am 20. April die Annahme der Artikel akzeptierte. Er selbst gab zunächst an einigen Punkten nach, versuchte aber Zeit zu gewinnen. Der Rat musste nachgeben. Er versah die Artikel sogar mit dem Stadtsiegel, wogegen die Bürgerschaft am 22. April auf dem Römerberg den Bürgereid feierlich erneuerte. Man kann das als einen Vertrag zwischen Bürgerschaft und Stadtregierung sehen. Vorerst hatten die Aufständischen gewonnen. Doch der Bauernkrieg nahm 1525 eine Wende. Die Fürsten unterwarfen die Bauern. Auf Druck der drei Kurfürsten von der Pfalz, Mainz und Trier wies der Rat am 28. Juli 1525 die Forderungen der 46 Artikel zurück. Sozial und politisch hatte der Aufstand letztlich wenig bis nichts gebracht. Anders war es im kirchlichen Bereich. Die Bevölkerung war schon viel zu sehr auf Seiten der Reformation, als dass sich deren Durchsetzung noch hätte aufhalten lassen.28

Die Singebewegung

Ein Beispiel dafür sehen wir im Jahr 1526. Anfang des Jahres besetzte das Kapitel von St. Bartholomäus die Pfarrstelle des Plebans neu mit Dr. Friedrich Nausea. Schon Mitte Januar teilte dieser dem Rat mit, dass er die beiden Prädikanten nicht dulden wolle. Am 25. Februar 1526 wollte Nausea erstmals in St. Bartholomäus predigen. Wie der Kanonikus Königstein berichtete,29 .30 wurde er hieran durch Lachen, Husten und Singen gehindert. Daraufhin verließ Nausea die Kirche, und als der Kaplan für das Seelenheil beten wollte, fing die Gemeinde wieder an zu singen. Dienst hat dies Ereignis aber in einen größeren Zusammenhang gestellt. Aus Basel und Lübeck ist überliefert, dass das Kirchenvolk durch Singen reformatorischer Lieder eine Änderung des Ablaufs der Messe erreichen wollte. In beiden Fällen wurde der aus dem Herzen kommende Gesang als ein „übermenschliches, von Gott gelenktes Geschehen empfunden“.31 So könnte es sich in Frankfurt um einen ähnlichen Vorgang gehandelt haben.

Reformatorische Bräuche

Reformatorische Bräuche setzten sich nun immer mehr durch. So verbot der Rat am 4. Juni 1526 die Unzucht bei Geistlichen und Weltlichen. Den Klerikern empfahl er, lieber zu heiraten als unordentlich zu leben. Im September 1526 verließen zehn Nonnen das Katharinenkloster und leiteten die Säkularisierung des Klosters ein. Acht dieser Nonnen waren Frankfurter Bürgerstöchter. Auch die Schwestern der den Zisterziensern angeschlossenen Klause in Oberrad verließen den Orden. Noch verstörender war für die Anhänger der alten Kirche, dass Prozessionen zu Himmelfahrt, Fronleichnam und am St. Magdalenentag von den Protestanten massiv gestört wurden. Dem Rat war das nicht angenehm. Er versuchte weiter, Konflikte zu vermeiden oder nicht zu sehr anwachsen zu lassen. In diesem Zusammenhang hatten die Prädikanten darum gebeten, das Abendmahl in beiderlei Gestalt austeilen zu dürfen. Der Rat wollte sich jedoch nicht festlegen. So fand die erste evangelische Abendmahlsfeier erst am 18. März 1528 in der Barfüßerkirche statt.32 Am 30. Mai 1529 verbot der Rat Gotteslästerung, Zutrinken und Hurerei, aber auch, über andere zu spotten. Dass dieses Verbot auch an die Tür von St. Bartholomäus angeschlagen wurde, verärgerte die Geistlichkeit. Als diese sich an den Erzbischof wandte, bestand der darauf, dass ausschließlich er die Strafgewalt über die Geistlichen habe. Dabei war er wohl in einer Zwickmühle. Lebte er doch selbst mit einer Konkubine zusammen.33

Die Abendmahlsordnung von 1531

Ein theologisch bedeutsamer und für das Kirchenvolk sichtbarer Unterschied der neuen Lehre gegenüber der katholischen Kirche waren das Abendmahlsverständnis und die Form der Feier des Abendmahls. Anfang 1528 baten die beiden Prädikanten Dionysius Melander und Johann Algesheimer den Rat um Genehmigung, das Abendmahl in beiderlei Gestalt (Brot und Wein) spenden zu dürfen. Der Rat wich aus.34 Trotzdem fand am 18.März 1528 erstmals das neue Abendmahl in der Barfüßerkirche statt. 1529 regte dann der Rat an, dass sich die Prediger Gedanken über die Begehung des Abendmahls machen sollten. Unter der Schriftführung von Johannes Cellarius verfassten die inzwischen vier Prediger nun je einen Entwurf einer Ordnung für den Gottesdienst und einer für das Abendmahl und legten sie am 3. März 1530 vor. Der Rat stimmte zwar am 19. Mai 1530 zu, setzte sie aber wegen des Einspruchs des Mainzer Erzbischofs nicht in Kraft. Erst am 16.2.1531 beschloss der Rat, die evangelische Abendmahlsfeier einzuführen.35

Die Suspendierung der katholischen Messe

Von besonderer Bedeutung wurde der Konflikt um die Suspendierung der katholischen Messe. Die Konfrontation zwischen den Prädikanten und der evangelischen Bevölkerung auf der einen Seite und dem Rat auf der anderen Seite nahm zu. Dabei spielte auch das Verbot der katholischen Messe eine Rolle. So versuchte der Erzbischof schon am 3. März 1531, mit einem Schreiben an den Rat die Einführung der neuen Ordnung zu verhindern. Er wies auf die Bestimmungen des Augsburger Reichsabschieds, die solche Veränderungen untersagten und erinnerte daran, dass die Reichsstadt dem Kaiser gehorsam schulde.36 Trotzdem begannen die Prädikanten noch im Frühjahr, zum Teil auch mit groben Beschimpfungen, nun vom Rat die Einstellung der katholischen Messe zu fordern. Sie emotionalisierten damit die Bevölkerung so sehr, dass es zu Weihnachten 1531 zu Ausschreitungen kam.

Im Oktober 1532 verlegten sie die Prädikanten ihre Gottesdienste auf die Zeit, zu der in St. Bartholomäus die Messe gehalten wurde. Am 1. Weihnachtsfeiertag drangen nach den evangelischen Gottesdiensten etwa 200 Personen in den Chor der St. Bartholomäuskirche ein und verhinderten mit Lärmen die Messe. Am zweiten Feiertag wiederholte sich das. Aber es wurden auch Frauen auf den Hochaltar gesetzt, Ampeln zerbrochen, mit dem heiligen Öl die Schuhe geschmiert, Bücher, Kerzen und Bilder entwendet. Zaghafte Versuch des Rates, dem Einhalt zu gebieten, blieben erfolglos. Auf Vorschlag der Ratschlagung forderte der Rat die drei Stifte am 4. Januar 1533 auf, entweder die Messe bis zu einem Konzil zu suspendieren oder zu beweisen, dass sie schriftgemäß sei. Doch die katholischen Geistlichen ließen sich ebenso wenig beeindrucken wie die lutherischen Prädikanten. Zudem setzten sie die Kurmainzer Regierung in Kenntnis von den Ratsforderungen.37

Am 4. Januar 1533 erschien nun unter Leitung Tetlebens, der seit 1532 auch Mainzer Domherr war, eine Gesandtschaft Mainzer Räte in Frankfurt und forderte den Rat auf, die Messe nicht zu suspendieren. Hiergegen verteidigte sich der Rat mit einem Schreiben vom 22. Januar 1533 an Statthalter Johann Albrecht damit, dass wegen der „sorglichen leuffte … solch beschehen freuntlich bit ohn zerrüttung unser bürgerlichen einigkeit und mehrerm unrat, nochmals, so gern wir das theten,“38 nicht zurück genommen werden könne. Daraufhin drohte Mainz mit einer Klage vor dem Reichskammergericht. Immerhin hielten die Prädikanten währende der Frühjahrsmesse Ruhe. Diese war aber wegen der Unsicherheiten für die Kaufleute wenig erfolgreich. Die Zollerträgnisse aus dieser Messe waren deutlich niedriger als in den Vorjahren.39 Seit Februar 1533 sperrte außerdem Mainz die Zufuhr von Bau und Brennholz nach Frankfurt. Weder aus dem Spessart noch aus dem Schwarzwald erhielt Frankfurt nun das dringend benötigte Holz. Zur gleichen Zeit wandte sich Kurmainz erneut an das Kammergericht und verlangte mit der bekannten Begründung, Frankfurt die Einführung der Reformation zu verbieten. Für den Fall, dass Frankfurt dagegen verstoße, solle die Reichsacht verhängt werden. Das Kammergericht folgte am 3. April den Forderungen von Mainz, drohte aber nur eine Geldstrafe von zweihundert Mark in Gold an.40 Die in jeder Hinsicht schwankende Haltung des Rates erwies sich langsam als katastrophal. Vor der Alternative, sich dem Druck der Straße zu beugen oder gegenüber Mainz nachzugeben, entschied er sich für ersteres. Allerdings wollte er nicht die Verantwortung übernehmen und ließ die Bürgerschaft abstimmen. Die Abstimmung brachte eine überwältigende Mehrheit für die Abschaffung der Messe. Am 25. Mai 1533 wurde die Angelegenheit zunächst mit einer neuen Kirchen- und Predigtordnung41 abgeschlossen, die nun auch die alleinigen evangelischen Gottesdienste in St. Bartholomäus regelte.

4. Die Außenpolitik des Rates

Die Reichstage von Worms 1521, Speyer von 1526 und 1529

Der Reichstag 1521 endete bekanntlich mit der Reichsacht für Luther und dem Wormser Edikt, das die Verbreitung von Luthers Schriften untersagte. Hier war Frankfurt durch Philipp Fürstenberger vertreten. Welche Rolle er dort gespielt hat, ist nicht bekannt.

Auf dem 1. Reichstag von 1526 in Speyer ging es vor allem um die Durchführung des Wormser Edikts mit dem Verbot lutherischer Schriften. Zum Reichstag bezog der Rat keinerlei Position. Er instruierte seine Vertreter nicht. Auch reagierte er nicht, als die Frankfurter Vertreter ihn um Weisungen baten. Andererseits verwandten sich die Frankfurter Vertreter zusammen mit denen anderer Reichsstädte entschieden für die evangelische Sache.42 Der Reichstag in Speyer endete mit dem Reichsabschied vom 27. August 1526. Er wich in § 4 von der kaiserlichen Vorlage mit der Klausel ab, dass es bis zu einem Konzil in Religionssachen jeder Reichsstand so halten könne, wie er es gegen Gott und Kaiser verantworten könne.43 Das wendete zunächst die Durchführung des Wormser Edikts ab.

Auf dem 2. Reichstag zu Speyer 1529 wurde Frankfurt wieder durch Philipp Fürstenberger vertreten.44 Er hatte hier wie 1526 die Spannung auszuhalten, dass Frankfurt einerseits kaisertreu und andererseits evangelisch sein wollte, und reiste dementsprechend ohne klare Vorgaben an. Dabei war Fürstenberger eindeutig ein Anhänger der Reformation. In Speyer wurde er mit dem Beschlussvorschlag des Erzherzogs Ferdinand, der als Bruder Kaiser Karl V. diesen im Reich vertrat, konfrontiert, der alle kirchlichen Neuerungen bis zum Konzil verbieten und die öffnende Religionsklausel des 1. Speyerer Reichstags unter Androhung der Reichsacht wieder aufheben wollte. Fürstenberger berichtete seine Sorgen nach Frankfurt und wies auf die besondere Gefahr für die Reichsstädte hin.45 Zu den Berichten Fürstenbergers äußerte sich der Rat nicht. Frankfurt wurde nun von den Reichsständen zu den evangelischen Städten gezählt wurde und zu den „ongehorsamlichen“, von denen Ferdinand die Unterzeichnung des Ausschussentwurfes verlangte. Als der Rat schließlich reagierte war es zu spät. Denn am 12. April hatte die Mehrheit der Kurfürsten und Fürsten den vorgelegten Religionsartikel beschlossen und nur eine Minderheit unter Hessen und Kursachsen schriftlich Einspruch erhoben. Fürstenberger hatte„ Francfurt zu denen stetten, die sich des artikels etwas beschweren, schreyben lassen.“ Als dann der Reichsabschied am 22.4.1529 verlesen wurde und unterzeichnet werden sollte, schloss er sich nicht der „Protestation“ an, sondern unterzeichnete. Frankfurt gehörte also nicht zu den „Protestanten“.46

Reichstag von Augsburg 1530 und Confessio Augustana

Der Reichstag von Augsburg 1530 war der Versuch Kaiser Karl V., einen Ausgleich zwischen den Religionsparteien herzustellen. Die Antwort auf die Protestantische Confessio Augustana (Bekenntnis) war die katholische Confutatio (Zurückweisung). Während langer Verhandlungen in Kleingruppen näherten sich die Standpunkte sogar an. Aber der Papst machte nicht mit. Der kaiserliche Entwurf zum Reichstagsabschied erklärte deshalb die Religionsverhandlungen für beendet und die Confessio Augustana für widerlegt. Der Abschied vertröstete auf ein Konzil und wurde nur von den katholischen Ständen beschlossen. In Frankfurt hatte man sich nicht auf den Reichstag vorbereitet und war überrascht worden von der Vorlage der Confessio Augustana. Auch wurden die Frankfurter Vertreter Philipp Fürstenberger und Bechtold vom Rhein nicht mit irgendwelchen Instruktionen versehen.

Erst mit Schreiben vom 30.Juni 1530 äußerte sich der Rat endlich klar, „daß wir entlich by Gottes wort plyben und halten wollen.“ Die Gesandten sollten keinen Reichsabschied unterzeichnen, der die Reformation unterdrückte.

Zunächst gab es in Augsburg noch Vergleichsverhandlungen, an denen aber Frankfurt nicht beteiligt wurde. Am 22./23. September wurde dann aber ein Reichsabschied verlesen, der für die Protestanten unannehmbar war. Darin hieß es zunächst, dass die Confessio durch die Confutatio widerlegt sei. Den protestantischen Ständen wurde sodann eine Frist bis zum 15. April 1531 eingeräumt, um sich mit der „christlichen Kirche“ zu einigen. Bis dahin sollte der Frieden gewahrt werden. Sachsen und seinen Anhängern wurden reformatorische Neuerungen verboten. Die Katholiken sollten in ihren Gebieten volle Religionsfreiheit haben. Spätestens in einem Jahr sollte auf einem Konzil über die Abstellung der Missbräuche beraten werden. Für den Fall, dass eine Einigung bis 15. April 1531 nicht zustande kommt, drohten die katholischen Stände mit einem Glaubenskrieg. Erst später erhielt die Confessio ihre Bedeutung als grundlegendes religiöses Bekenntnis. Die protestantischen Stände aber schlossen sich 1531 zum Schmalkaldischen Bund zusammen. Frankfurt war nicht beteiligt.

Ohne Frankfurt: Der Nürnberger Anstand

Dass Frankfurt weder zu den Protestanten von Speyer noch zu den Unterzeichnern der Confessio Augustana noch zum Schmalkaldischen Bund gehörte, hatte bald fatale Folgen. Führten doch die Kurfürsten von Mainz und von der Pfalz vom April bis Juli 1532 in Schweinfurt und Nürnberg mit den Unterzeichnern der Confession Augustana Friedensverhandlungen, die mit einem Abschied, dem „Nürnberger Anstand“, am 23. Juli 1532 abgeschlossen wurden. Der Kaiser erklärte daraufhin am 3. August 1532 einen Landfrieden, demzufolge bis zu einem Konzil bzw. dem nächsten Reichstag „keiner den andern des glaubens und religion, noch sonst keiner andern ursach halben“47 angreifen sollte. Parallel sagte er in einer Nebenversicherung zum Nürnberger Abschied vom 2. August 1532 zu, „ alle rechtfertigung, in sachen den glauben belangende, so durch unsern fiscal und andere wider dem churfürsten zu Sachsen und seine zugewandte angefangen wären oder noch angefangen werden möchten“48, bis zum Konzil oder Reichstag zu suspendieren. Das galt aber nur für die Unterzeichner des Nürnberger Anstands. Dazu gehörte Frankfurt nicht.

Reformationsprozesse zwischen Mainz und Frankfurt

Nahezu jedes der genannten Ereignisse bedeutete einen Konflikt mit dem Erzbistum Mainz. Viele Proteste und Abmahnungen kamen von dort. Nebeneinigen Bedrohungen durch kriegerische Handlungen wurden aber die nach 1529 von Mainz beim Reichskammergericht angestrengten Prozesse zur größten Bedrohung. Standen doch immer die Reichsacht und der Verlust der Frankfurter Privilegien auf dem Spiel. In die Zeit nach dem 2. Reichstag von Speyer fallen die ersten Reformationsprozesse vor dem Reichskammergericht zwischen Kurmainz und Frankfurt. So wurde vor dem Reichskammergericht am 27. Oktober 1529 der Prozess „in causa mandati von der angehenckten Tafel“49 eröffnet. Am 30. Mai 1529 hatte der Rat ein Mandat verlesen und dann ein ähnliches auf Tafeln an den Türen der Stiftskirchen mit Ketten befestigen lassen. Danach wurde den weltlichen Einwohnern und allen Geistlichen Gotteslästerung, Völlerei und Zutrinken, Ehebruch und Hurerei verboten. Für Übertretungen wurde Strafe an Leib und Gut angedroht. Anlass war vor allem, dass einzelne katholische Geistliche trotz Abmahnungen ihre Dirnen behielten. Dieses Vorgehen provozierte den Konflikt mit dem Erzbischof, dem die Jurisdiktion über die Geistlichkeit zustand. Dagegen hatte der Rat keine juristischen Argumente. Deshalb verlegte sich sein Vertreter Procurator Dr. Helfmann darauf, die Beratungen der Streitsache durch ständige formale Argumente zu verzögern. Zwar erkannten weder Kurmainz noch das Kammergericht die Frankfurter Argumentation an, aber der Prozess verlief dann 1535 im Sande.

Frankfurter Bündnisverhandlungen

Der für sie katastrophal endende Augsburger Reichstag machte den protestierenden Ständen deutlich, dass sie sich zur Verteidigung ihrer Interessen enger zusammen-schließen müssen. So lud Kurfürst Johann von Sachsen alle protestierenden Stände für den 22. Dezember 1530 nach Schmalkalden ein. Auf Anregung Landgraf Philipps sollte auch Frankfurt eingeladen werden. Der Rat blieb jedoch bei seiner Politik, es nicht mit dem Kaiser zu verderben. Frankfurt beteiligte sich also an den Verhandlungen nicht und blieb weiter isoliert von den protestierenden Ständen, obwohl diese es in ihre Planungen einbeziehen wollten. So wurde der Schmalkaldische Bund ohne Frankfurter Beteiligung gegründet. Dabei blieb es, obwohl immer wieder Bundesgenossen versuchten, Frankfurt zur Mitwirkung zu bewegen. Erst als Frankfurt in dem zweiten, bereits erwähnten, Prozess vor dem Reichskammergericht immer mehr unter Druck geriet, reifte im Rat die Überzeugung, dass man allein mit seiner Schaukelpolitik in diesen schwierigen Zeiten nicht bestehen könnte. Parallel zu den Vergleichsverhandlung vor Gericht nahm man Kontakt mit den beiden Hauptmännern des Schmalkaldischen Bundes, dem Landgraf von Hessen und dem Kurfürst von Sachsen , auf und suchte um Aufnahme in den Bund nach. Die Aufnahme selbst erfolgte im Januar 1536 nicht ohne Bedingungen. Sie gab Frankfurt nun aber eine gewisse politische Sicherheit, auch gegenüber Angroffen des Erzbischofs von Mainz.

5. Der Beitritt zum Augsburger Bekenntnis

Der Anschluss Frankfurts an den Schmalkaldischen Bund war mit der Bedingung verbunden, dass Frankfurt sich an die Augsburger Konfession anschließt.50 In der Stadt, deren Theologen meist zu Zwingli gehalten hatten, bedeutete das viel. So kam es im Frühjahr 1536 zu einem Theologengespräch in Frankfurt, an dem auch Bucer teilnahm. Ihm war es dann auch zu verdanken, dass die Frankfurter sich auf eine vermittelnde Linie festlegten, die weitgehend die lutherische Lehre übernahm. Auch Algesheimer stimmte zu und fuhr mit nach Wittenberg, wo er im Mai 1536 Mitunterzeichner der Wittenberger Konkordie war. In der entscheidenden Abendmahlsfrage einigte man sich dort auf die Formulierung, „daß mit dem Brot und Wein wahrhaftig und wesentlich sei, gereichet und empfangen werde der Leib und das Blut Christi.“51 Es wurde nur ausgeschlossen, dass dies räumlich zu verstehen sei, wie die Ubiquitätslehre das tat. Nach den Erfahrungen mit den Wiedertäufern war Bucer dazu auf die Lutheraner zugegangen. Auf der Grundlage eines ausführlichen Berichts von Algesheimer an den Rat, richtete dieser ein Schreiben an Luther. Darin erklärte er, dass er sich die Beschlüsse von Wittenberg gefallen lasse und dass der Gottesdienst entsprechend der Augsburger Konfession und der Apologie geregelt werden solle. Damit war Frankfurt eine der ersten süddeutschen Städte, die die Wittenberger Konkordie annahmen. Es war wohl überhaupt das erste Mal, dass Frankfurt in der Reformationszeit vorne mit dabei war. Im Februar 1537 weilten Justinian von Holzhausen und Georg Weiß von Limburg zu einem Treffen des Schmalkaldischen Bundes in Schmalkalden. Hier wurden die von Luther formulierten Schmalkaldischen Artikel beschlossen und von Peter Geltner für Frankfurt unterzeichnet. Damit hatte sich die lutherische Linie in Frankfurt endgültig durchgesetzt. Die Zwingli-Anhänger Algesheimer und Chomberg verließen die Stadt.

6. Ausklang

Die Mitgliedschaft im Schmalkaldischen Bund hatte allerdings auch ihre Schattensei-ten. Bundesgenossen waren Fürsten und Reichsstädte. Die Fürsten brauchten die Reichsstädte, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Aber sie betrachteten die Städte als Bundesgenossen 2. Klasse. Zudem tendierten vor allem die Bundeshauptleute Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen dazu, Probleme militärisch zu lösen. Dagegen betrachteten die Reichsstädte den Bund als reines Verteidigung-bünd-nis. Das wurde gefährlich, als in den 1540er Jahren Kaiser Karl V. zur Überzeugung kam, dass der Religionskonflikt nur mit einem Religionskrieg zu beenden sei. Da spielte es ihm in die Karten, dass Philipp und Johann Friedrich einen Krieg gegen den einzigen in Norddeutschland verbliebenen katholischen Fürsten, den Herzog von Braunschweig und Wolfenbüttel, vom Zaun brachen, ihn besiegten und sein Land besetzten. Dieser Krieg war ohne die Zustimmung der Reichsstädte geführt worden. Er war ein klarer Bruch des Landfriedens. Vermittlungsversuche scheiterten, sodass Karl nun einen guten Vorwand hatte, gegen den Schmalkaldischen Bund zu Felde zu ziehen. Zugleich verhängte er über die beiden protestantischen Fürsten die Reichsacht. Der sogenannte Schmalkaldische Krieg dauerte von 1545-1547 und endete mit einer Niederlage des Bundes bei Mühlberg. Seine beiden Hauptleute kamen in jahrelange Haft. Johann Friedrich verlor die Kurwürde und einen Teil seines Territoriums. Frankfurt war vom kriegerischen Geschehen nicht betroffen und konnte sich aus der prekären Situation herauswinden, indem es sich dem Kaiser bedingungslos unterwarf und erhebliche Summen zahlte. Auf dem Reichstag in Augsburg 1548 wurde das sog. Interim verabschiedet, das den Protestanten zwar freie Religionsausübung zugestand, aber auch die katholische Kirche in viele alte Rechte wieder einsetzte. Das Blatt wendete sich, als Kurfürst Moritz von Sachsen, der zuvor zum Kaiser gehalten hatte, sich 1552 mit König Heinrich II. von Frankreich und einigen norddeutschen Fürsten verbündete und gegen den Kaiser zu Felde zog. Nun unterlag dieser. Der Passauer Vertrag bereitete den Augsburger Religionsfrieden von 1555 vor, der die Religionsfreiheit der Reichsstände festlegte. Später formulierte man das so: cuius regio, eius religio. Damit konnte Frankfurt nun eine lutherische Stadt sein.

 

1Diehl, Bewegung und Reformation, S. 3f.

2Moeller, Reichsstadt, S. 12.

3Heitzenröder, Reichsstädte, S. 31-36.

4Heitzenröder, Reichsstädte, S. 88.

5Meinert, Frankfurter Geschichte, S. 43; Dechent, Kirchengeschichte II, S.35-37.

6Kübel, Frankfurter Reformation, S.12.

7Dechent, Kirchengeschichte I, S. 39-42.

8Dienst, Geschichte des Gottesdienstes, Nachdruck, S. 25.

9Dienst, Frankfurter Liturgie, S. 196.

10Dechent, Kirchengeschichte I, S. 58-6; Matthäus, Hamman von Holzhausen, S. 65 f., 71 f., S. 78 f., 95-98.

11Dechent, Kirchengeschichte I, S. 61 f.

12Dechent, Kirchengeschichte I, S. 62.

13Dechent, Kirchengeschichte I, S. 62; Matthäus, Hamman von Holzhausen, S. 66-70, 72-75, 80, 95-98.

14Moeller, Reichsstadt, S. 23-31.

15Dechent, Kirchengeschichte I, S. 73-75; ausführlicher Beck, Rat und Kirche, S. 759 -802.

16Dechent, Kirchengeschichte I, S. 69-73

17Nach Dechent, Kirchengeschichte I, S. 74.

18Dechent, Kirchengeschichte I, S. 85 f.

19Dechent, Kirchengeschichte I, S.101 f.

20Dechent, Kirchengeschichte I, S.101.

21Dechent, Kirchengeschichte I, S. 102-104.

22Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 35.

23 Dechent, Kirchengeschichte I, S. 107.

24Dechent, Kirchengeschichte I, S.112.

25Kirchner, Geschichte, 2. Teil, S. 27 f.

26Jahns, Zeitalter der Reformation, S. 166.

27Dechent, Kirchengeschichte I, S. 110-112.

28Dechent, Kirchengeschichte I, S. 114-116.

29Das Tagebuch, S. 102 (nach Dienst).

30So der Titel des Beitrags von Karl Dienst, dem die folgende Darstellung folgt.

31Dienst, Singebewegung, S. 287.

32Die Daten bei Dienst, Frankfurter „Dom“, S. 26; Dechent, Kirchengeschichte I, S. 126.

33Preisendörfer, Reise in die Lutherzeit, S. 306.

34Ritter, Evangelisches Denckmahl, S. 117.

35Abendmahlsordnung vom 3.3.1530, Wortlaut bei Telschow, Rechtsquellen 5-9; s. auch Beck, Rat und Kirche, S. 493-502.

36Abdruck bei Steitz, Königstein, S. 212 f.

37Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 213 f.

38ISG, Acta Ecclesiastica II, f. 19-22, nach Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 216.

39Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 229.

40Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 230-232.

41Telschow, Rechtsquellen, S. 10-12; ausführlich Beck, Rat und Kirche, S. 503-543.

42Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 60-62.

43Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 66.

44Hierzu und zum Folgenden: Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 93-109.

45Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 96.

46Dechent, Kirchengeschichte I, S. 127.

47Walch, Johann Georg (Hrsg.): D. Martin Luthers sämtliche Schriften, 16. Theil, welcher die zur Reformationshistorie gehörige Documenten von 1525 bis 1537 enthält..., Halle 1745. Bd. 16, Sp. 2239-2241, nach Jahns, Schmalkaldischer Bund, S 198.

48Jahns, Schmalkaldischer Bund, S 198.

49Jahns, Schmalkaldischer Bund, S. 121.

50Hierzu und zum Folgenden: Dechent, Kirchengeschichte I, S. 147-150.

51Dechent, Kirchengeschichte I, S. 148.

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