Die Aufnahme vormals kurhessischer und nassauischer Gemeinden (2019)

Vortrag vor dem Evangelisch-lutherischen Predigerministerium am 11. April 2019

Vorwort

Ein Anrufer hat mich neulich am Telefon gefragt, warum wir uns denn heute mit der Aufnahme von Gemeinden in die Frankfurter Kirche in den zwanziger und dreißiger Jahren beschäftigen, wo doch die Kommunen schon viel früher nach Frankfurt eingemeindet wurden. Diese Frage ist ein Indiz dafür, dass unser heutiges Thema Fakten berührt, die die Geschichte Frankfurts und seiner evangelischen Kirche geprägt haben:

- Die Anfänge der Stadt als kaiserliche Pfalz, die zur Versorgung des Hofstaates mit Fleisch den Forst Dreieich und mit anderen Lebensmitteln Dörfer in der Wetterau benötigte. Das wiederum bedeutete königlichen Einfluss in der Frankfurter Umgebung, z. B. mit dem königlichen Amt Bornheimerberg.

- Die Tatsache, dass Frankfurt über viele Jahrhunderte nicht zu den großen Städten im Deutschen Reich gehörte, sondern von fremden Territorien, also dem Ausland, eng umschlossen war.

- Die Folgen der Tatsache, dass sich die evangelische Konfession wenigstens teilweise in Deutschland nur durchsetzen konnte, weil Landesherren sich dafür entschieden. Hier unterschied sich Frankfurt mit einer bürgerschaftlichen Verfassung von den Nachbarn.

- Schließlich, dass die Veränderung von Kirchengrenzen später häufig der Verände-rung von staatlichen Grenzen hinterher hinkte.

Ein Beispiel hierfür ist die Aufnahme des Kirchenkreises Bockenheim in die Frank-furter Kirche zum 1. Januar 1929.

Zur Geschichte des Kirchenkreises Bockenheim

Die „Herren von Hanau“, so seit 1191 nach der Burg Hanau an der Mündung der Kinzig in den Main genannt, erwarben nach und nach ein größeres Territorium, zu dem auch das Amt Bornheimerberg gehörte, ab 1320 als Pfand und ab 1434 endgültig. Dieses umfasste ursprünglich in einem Halbkreis westlich, nördlich und östlich um Frankfurt herum gelegene Ortschaften: Bergen, Berkersheim, Bischofsheim, Bockenheim, Bornheim, Eckenheim, Enkheim, Eschersheim, Fechenheim, Ginnheim, Griesheim, Gronau, Hausen, Massenheim, Nied, Oberrad, Praunheim, Preungesheim, Seckbach und Vilbel. 1458 kam es zur Teilung der Grafschaft in die Grafschaft Hanau-Münzenberg nördlich des Mains mit der Residenz Hanau und die Grafschaft Hanau-Lichtenberg südlich des Mainz mit den Residenzen Babenhausen und Lichtenberg im Elsass.

Die Hanau-Münzenberger förderten die Einführung der lutherischen Reformation in Hanau-Münzenberg zwischen 1530 und 1543. In Hanau-Lichtenberg zog sich die Einführung der lutherischen Reformation von 1542 bis in die 1560er Jahre hin. 1596 führte Hanau-Münzenberg im Gegensatz zu Hanau-Lichtenberg aber unter Philipp Ludwig II. das reformierte Bekenntnis ein. 1642 starb die Linie Hanau-Münzenberg aus. Aufgrund eines Erbvertrages übernahm Kasimir von Hanau-Lichtenberg die Regierung auch in Hanau-Münzenberg. Da hierbei Hessen-Kassel geholfen hatte regelte er durch Erbvertrag, dass im Falle des Aussterbens seiner Linie beide Grafschaften an das inzwischen reformierte Hessen-Kassel fallen sollten. 1670 führte Friedrich Kasimir auch in der Grafschaft Hanau-Münzenberg das lutherische Bekenntnis ein, ohne das reformierte abzuschaffen. Nach dem Tod des letzten Hanauer Grafen 1736 kam Hanau-Münzenberg an Hessen-Kassel. 1803 wurde aus der Landgrafschaft Hessen-Kassel das Kurfürstentum. 1866 wurden das Kurfürstentum Hessen-Kassel, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt von Preußen annektiert. Ab 22. Februar 1867 gehörten sie zu den preußischen Regierungsbezirken Kassel und Wiesbaden. Diese Regierungsbezirke wurden am 7. Dezember 1868 zur Preußischen Provinz Hessen-Nassau zusammengeschlossen.

Das kirchliche Leben

Die Tatsache, dass in Hanau das reformierte und das lutherische Bekenntnis nebeneinander galten, bedeutete in vielen Ortschaften auch das Nebeneinander von zwei Gemeinden. In seinen „Erinnerungen“ schilderte der Bockenheimer Pfarrer Friedrich Wilhelm Böhm die sich daraus ergebende Situation sehr plastisch. Fast in allen Orten … hatte jede Partei ihr eigenes Kirchen- und Schulwesen, ihren eigenen Pfarrer, Ältestenrat (Presbyterium) und Schullehrer, ihr eigenes Kirchen-, Pfarr- und Schulgebäude, ihren besonderen Gottesdienst und Katechismus, ihr besonderes Kirchenbuch und Gesangbuch, hie und da auch ihren besonderen Totenhof. Kirchengemeinden, denen die Mittel fehlten, waren als sogenannte Filiale (Tochterkirchen) oder Eingepfarrte und Vikariate einer benachbarten Pfarrei zugeteilt. Von da kam der Pfarrer so oft es not tat, verrichtete die Taufen, Trauungen und Leichenbestattungen seiner Partei, hielt ihr an bestimmten Sonn- und Festtagen Gottesdienste und das heilige Abendmahl, …Verlangte ein Kranker oder ein Sterbender ein Gebet, das heilige Abendmahl oder die geistliche Vorbereitung zum Tode, so mußte er warten und erst über Feld schicken, um den Pfarrer seiner Partei zu holen, mitunter weit her, bei Nacht oder im schlechtesten Wetter und auf beschwerlichen Wegen. Eben das mußten bekümmerte Eltern, wenn sie ihr erkranktes Kind wollten taufen lassen. Und doch wohnte im Ort selbst ein Pfarrer, der leicht und schnell zu haben gewesen wäre. Solcher Eingepfarrten, Vikariats- und Filialgemeinden gab es eine Menge im Fürstentum Hanau. An vielen, selbst an volkreicheren Orten, hatten beide Parteien zusammen nur eine Kirche, sogenannte Simultankirche, z. B. in Fechenheim. In dieser Kirche wurde der Gottesdienst für jede Partei beson-ders gehalten. War nun eine Partei Filialgemeinde und hatte der Ortspfarrer Filiale, so hielt dieser Gottesdienst in einem Filialorte, während der Gottesdienst für die Filialgemeinde in seinem Orte von einem benachbarten Pfarrer gehalten wurde, z. B. der reformierte Pfarrer von Eschersheim predigte zu Ginnheim, wenn der lutherische Pfarrer von Ginnheim zu Eschersheim predigte, weil da beide Parteien nur eine Kirche hatten. An anderen Orten besaß zwar jede Partei ihre eigene Kirche, beide Parteien waren aber Filialgemeinden. Da geschah es dann mitunter, daß der Gottesdienst für beide gleichzeitig in beiden Ortskirchen von benachbarten Pfarrern gehalten wurde. An den Wohnorten dieser Pfarrer mußte aber deshalb der Gottesdienst ausgesetzt oder von Schullehrern versehen werden. Diese und ähnliche Kirchenzustände erforderten natürlich mehr Kirchengebäude, Diener, Verwaltungen und Ausgaben, als wenn beide Parteien an einem Orte zu einer Kirche gehört hätten. Zum Beispiel der Ort Berkersheim mit 250 Einwohnern hatte zwei Kirchengebäude, zwei Schulhofreiten, zwei Schullehrer, zwei Kirchenkassen, zwei Kirchbaumeister, zwei Presbyterien und, als lutherische und reformierte Filialgemeinde, drei Pfarrer, den reformierten zu Preungesheim und die lutherischen zu Gronau und Seckbach. Doch wer mag alle diese Mißstände und Mißverhältnisse, alle die Weitläufigkeiten, Störungen, Hindernisse und Nachteile namhaft machen, welche die Kirchentrennung erzeugte. Genug, viele Glieder beider Parteien erkannten längst das Widrige, Grundlose und Unnütze dieser Trennung. Eine große, ehrwürdige Zahl der Guten und Stillen im Lande, der echten Anbeter Gottes und Nachfolger Christi hegten längst den Wunsch, daß doch evangelische Gemeinde, ein Herz und eine Seele, endlich einen Leib auch bilde und eine Kirche!“1

Die Hanauer Union

Wie viel anders war doch die Situation hier als in der Stadt Frankfurt, und wie anders war auch der Druck, sich zu vereinigen. So kam 1818 die Hanauer Union im Fürstentum Hanau und in den kurhessischen Anteilen am Fürstentum Isenburg und im Großherzogtum Fulda zustande. Im Gegensatz zu Kirchen, in denen die konfessionell unterschiedlichen Gemeinden nur gemeinsam verwaltet wurden, stellte die Hanauer Union eine sogenannte Bekenntnisunion dar. Alle Gemeinden nahmen ein gemeinsames Bekenntnis an und nannten sich evangelisch-uniert. Während in manchen Staaten die Union durch den Regenten verordnet wurde, beschloss für das Hanauer Gebiet eine Synode die Vereinigung. Als am 4. Juni 1843 der 25jährige Gedächtnistag begangen wurde, erläuterte das der schon zitierte Pfarrer Böhm in seiner Predigt ... Böhm war selbst Teilnehmer der Unionssynode gewesen und führte im Anschluss an 1. Kor. 3, 11, „Einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist , welcher ist Jesus Christus“, aus:

In diesen Apostelworten vernehmen wir die Sprache des Protestantismus. Protestantische Christen kennen und haben keinen anderen Glaubensgrund, als welcher einmal gelegt ist, Jesum Christum … Frei von Menschenlehr und Gebot wollen sie sein, frei im Glauben, frei im Gewissen, frei in der Übung der Gottseligkeit und Andacht – das ist Protestantismus! ... Das Evangelium von Christus ist unser Bekenntnis. Zudem ist die vereinte Kirche die reichste Erbin der Kirchenverbesserung und als solche Inhaberin der Bekenntnisschriften beider protestantischen Religionsteile, welche sich zu ihr vereinigen. Diese Bekenntnisschriften sind uns ehrwürdige Zeugnisse des Glaubens unserer Vorfahren. Wir schätzen sie sehr hoch und achten sie gewissenhafter Berücksichtigung' wert. Aber Glaubensformeln sind sie uns nicht. Glaubensnormen, bindende Vorschriften sollten sie nicht sein. Grundlagen unserer Vereinigung sollen sie nicht sein. Denn sie sind menschlich und haben nur menschliches Ansehen. Die Grundlage der vereinten Kirche ist Jesus Christus und sein Evangelium.“2 Hier scheint der Geist des Vormärz durch,und es klingt schon der Geist des freien Protestantimus an.

Die wichtigsten Artikel der Hauer Union lauteten:

1. Beide protestantische Religionsteile im Fürstentum Hanau … vereinigen sich fortan zu einer einzigen Kirche, unter dem Namen der evangelisch-christlichen.

2. Die Namen lutherisch und reformiert fallen daher künftig überall hinweg, und es werden zu Bezeichnung der Gebäude und Anstalten, welche seither einen dieser Namen führten, andere passende Namen gewählt.

3. Die Pfarreien und Schulen bleiben vorerst in ihrem bisherigen Bestand, und werden künftig da, wo den Umständen nach, und besonders in natürlicher Folge der vollzogenen Kirchen-Vereinigung, Veränderungen eintreten müssen, lediglich nach den Bedürfnissen der Seelsorge und der Bevölkerung, mit Rücksicht auf topographische Verhältnisse, begrenzt und eingerichtet.

4. Da, wo mehrere evangelische Kirchen an einem Orte sind, bleiben fürs erste die Mitglieder einer jeden, nach wie vor, bei ihrer Kirche.

5. Bei der Feier des heiligen Abendmahls wird künftig in der vereinten evangelischen Kirche gewöhnliches Waizenbrod, ohne Sauerteig, in der Form länglicher Vierecke, genommen, und dasselbe gebrochen. Bei Austheilung des Brodes werden die Worte gebraucht: Jesus sprach: nehmet hin und esset; das ist mein Leib der für euch dahin gegeben wird, solches thut zu meinem Gedächtniß'; und bei Darreichung des Kelchs: ,Jesus sprach: Das ist der Kelch des neuen Testaments in meinem Blut, das für euch vergossen wird, zur Vergebung der Sünden; solches thut zu meinem Gedächtniß.“

6. Bei dem Gebet des Herrn werden die in der Bibelübersetzung des Dr. Martin Luther, Matth. 6, v. 9 – 13 vorkommenden Worte gebraucht. Beim letzten Aussprechen des Gebetes wird geläutet.“3

In der kurhessischen Kirche waren die Gemeinden in Pfarreiklassen unter einem Metropolitan zusammengefasst. Ab 1834 gehörten Fechenheim und Seckbach zur Klasse II Bergen. Zur Klasse III Bockenheim gehörten ab dem gleichen Jahr Bockenheim, Eschersheim, Ginnheim, Massenheim, Praunheim und Preungesheim. Ab 1853 gehörten zur Klasse Bockenheim auch Berkersheim, Dornheim und Nauheim. 1929 gehörten zum Kirchenkreis Bockenheim Berkersheim, Bockenheim, Eckenheim, Eschersheim, Ginnheim, Praunheim, Preungesheim und Seckbach.

Der Pfarrdienst

Der Pfarrdienst umfasste natürlich Gottesdienst, Kasualien, Seelsorge und Unterricht. Weitere Aufgaben beschrieb Karl Henß für die Zeit vor dem 1. Weltkrieg folgendermaßen:

Wenn der Pfarrer an bestimmten Sonntagen des Jahres die obrigkeitlichen Erlasse und Verfügungen von der Kanzel herab verlas, so stand er vor der Gemeinde als Vertreter der Regierungsgewalt, die durch seinen Mund zum Volke sprach und nach Gelegenheit ihren Anordnungen in der Predigt eine besonders nachdrückliche Deutung geben ließ. Nicht zum wenigsten erschien er aber dem Volke als staatlicher Beamter in seiner Eigenschaft als Standesbeamter, der die Aufnahme über den Zivilstand seiner Gemeinde zu machen hatte … Im Laufe des Jahres lagen dem Pfarrer folgende Arbeiten ob, die heute an das Standesamt übergegangen oder ganz weggefallen sind: 1. die Aufstellung der Militärstammrolle; 2. die Impfliste; 3. die Liste der zum Huldigungseid pflichtigen jungen Leute unter 18 Jahren; 4. die Totenlisten an den Physikus; 5. die Benachrichtigung des Gerichtes von den durch Todesfall und uneheliche Geburt notwendig gewordenen Vormundschaften; die Benachrichtigung der Zivil- ,Witwen- und Waisengesellschaft über die Verehelichung von Zivildienern (Beamten); 7. die Benachrichtigung der Militärbehörden über Todesfälle von Beurlaubten oder im zweiten Aufgebot stehenden Soldaten, über den Tod von Militärpersonen oder deren Witwen; 8. die Benachrichtigung des Landratsamtes über die in der Gemeinde befindlichen Waisenkinder, deren Konfirmation oder Tod; 9. die Ausfertigung der Duplikate der Kirchenbücher.“4Der Pfarrer war also Vertrauens- und Auskunftsperson der Behörden sowie Vermittler der Anliegen der Untertanen nach oben. Dazu besaß das Pfarramt ein Vorladungsrecht, das mit Hilfe der Polizei durchgesetzt werden konnte.

Besondere Berührungsspunkte zwischen hanauisch-kurhessischen Gemeinden und der Frankfurter Kirche

Bockenheim

Das Zentrum des alten Bockenheim war der Kirchplatz. An ihm stand auch die St. Jakobskirche,5 im 12./13. Jahrhundert zunächst als gotische Kapelle errichtet und 1365 erstmals als „Kappellen St. Jakobi“ urkundlich erwähnt. 1638 und 17686 wurde die Kirche jeweils erweitert.

Bis zur Reformation gehörte Bockenheim kirchlich zum St. Bartholomäusstift in Frankfurt a. M. Als 1533 bis 1549 der katholische Gottesdienst im Frankfurter Dom untersagt war, kamen die Frankfurter Katholiken zur Messe nach Bockenheim, in dem noch bis 1543 katholische Gottesdienste stattfanden. Mit Unterbrechungen und endgültig von 1633 bis 1787 nutzten die deutsch-reformierten Frankfurter, denen eige-er Gottesdienst in der Stadt untersagt war, die St. Jakobskirche mit. Sie zahlten den Grafen von Hanau hierfür im Jahre 1638 2.000 Gulden. Als sie 1788 Bockenheim verließen, kam es zum Streit wegen der Orgel. Denn 1767 war ihnen die Genehmigung zur „vorhabenden Erweiterung der Bockenheimer Kirche und zum Einbau einer Orgel“ erteilt worden. Nun wollten sie die Orgel mitnehmen. Dagegen wandte sich der damals dort als Vikar tätige Pfarrer Friedrich Scherer aus Preungesheim zusammen mit dem Presbyterium in einem Schreiben an das reformierte Konsistorium in Hanau:

Es tut uns herzlich wehe, daß die Frankfurter, da sie von uns ziehen, uns als ein völlig verlassenes armes Volk und Gemeinde ansehen, die froh seyn müßte, ein Filial einer benachbarten Pfarrei werden zu können. Unser Geblüt muß sich bei dieser stolzen Verachtung billig empören: da wir doch Hanauer sind, unter einem großen Fürsten stehen, der Aufsicht eines hochweisen Consistorii übergeben sind und noch immer Muth genug haben, zur Ehre unserer Religion durch alle Hindernisse durchzudringen... (sie weisen darauf hin, daß wohl) Leute, bei denen Kutschen eingestellt worden, nebst Beckern und dem Wirth einigen Nutzen und Vortheil gehabt haben: aber das sind nur Vorteile Privatorum, und die Wirthschafft gehört gnädigster Herrschaft und nicht der Gemeinde. Gegentheilig … ist unsere Gemeinde und Schule stets benachläßiget, unsere jungen Leute zu städtisch Stolz verleitet und unser Dorfärarium durch die steten Vergrößerun-gen (1638 und 1768) der Kirche geschwächt worden, indem man bei jeder Vergrößerung immer neues Land dazukaufen und selbiges mit einer Mauer hat umziehen lassen. Und jetzt will man uns für alles dieses den Stolz unsrer Kirche, die Orgel, rauben, das ungeheuer große Gebäude der Kirche, das uns auf die Zukunft bange Sorge macht, uns geneigt überlassen und die Kirche durch Wegschaffung der Orgel zu einer halben Einöde machen. … Da die Frankfurter Gemeinde nun 150 Jahre mit aller Liebe und Willfährigkeit behandelt worden, hoffen wir eingedenk der langen genauen Vereynigung bey den Herren Frankfurtern in gutem freundlichen Andenken zu bleiben.“ Schließlich blieb die Orgel in Bockenheim.7

In Bockenheim gab es auch eine lutherische Gemeinde, die seit 1722 Filiale von Ginnheim war.8 1740 wurde der erste lutherische Gottesdienst in Bockenheim gehalten. 1789 übernahm die Gemeinde die 1768 von der französisch-reformierten Gemeinde Frankfurt errichtete Kirche und nutzte diese bis zur Union 1818/20.

Preungesheim

Die Kirche9 wurde um 1210 errichtet und im 14. Jahrhundert erweitert. Im Zuge von Renovierungsarbeiten ab 1997 wurden Ausgrabungen durchgeführt, bei denen man auf Gebäudeteile und Spuren von fünf Vorgängerbauten stieß, die sich bis in das 9. Jahrhundert zurückdatieren ließen. Auch wurde sichtbar, dass der östlichste Teil der Kirche auf einem früheren Kirchhof steht. In den Mauern fand man in der Ostwand ein zugemauertes dreiteiliges gotisches Fenster und in der Südwand ein weiteres gotisches Fenster. Auch öffnete man einen seither zugemauerten Torbogen, der nun den Zugang vom Kirchenraum zum romanischen Turm mit spätgotischen Maßwerkfenstern ermöglicht. An der Ostwand, beiderseits des Fensters, wurden Fresken aus dem 13. Jahrhundert wiederentdeckt, die bisher hinter der Orgel verborgen waren. Sie stellen die Jungfrau Maria und den Heiligen St. Georg dar, die beiden wichtigsten Patrone des Deutschen Ordens. Diesem Orden war um 1275 das Patronat der Kreuzkirche übertragen worden. Vermutlich stammen die Bilder aus der Zeit kurz danach. Die Bilder gelten als Kunstwerk von internationalem Rang, weil sie originale Farbpigmente aus der Herstellungszeit zu einem so hohen Prozentsatz enthalten, wie das selten ist. Auch in der Turmhalle wurden alte Fresken freigelegt. Aber auch die romanische Wand an der Westseite ist für Frankfurt einzigartig. Zwei kleine Fenster an der Westseite stammen von ca. 1100.10

Seckbach

Im 13. Jahrhundert ließen sich hier die Mönche von Haina nieder, nachdem sie Grundstücke eines Frankfurter Bürgerehepaars geerbt hatten. Die Seckbacher waren vor der Reformation nach Bergen eingepfarrt.11 Erste reformatorische Anregungen kamen wohl von Frankfurt. Denn am 5. Mai 1525 überreichten die Seckbacher 19 Artikel, die vermutlich von den 46 Frankfurter Artikeln inspiriert waren. Darin forderten sie das Recht, die Pfarrer selbst einzusetzen und zu entsetzen. Wie die gräfliche Kanzlei in Hanau das interpretierte, geht aus einer Bemerkung hervor, die sich auf dem Schriftstück befand: „Der Wolf im Bornheimer Berg.“12 Die Forderungen wurden zurückgewiesen. Der katholische Pfarrer verteidigte sich damit, dass seine Pfarrkinder durch die Frankfurter Prediger alle Freundschaft ihm gegenüber vergessen hätten. Sie hätten sogar seinen Kaplan aufgefordert, „auf Frankfurter Weise zu predigen.“ Manche hätten ihre Kinder in Frankfurt „deutsch taufen und sich zum ehelichen Stand bestattenlassen“13 (also nicht mit lateinischer Liturgie). Darauf erklärten die Gemeindeglieder, dass ihr Pfarrer nicht „anheimisch“ gewesen wäre, als sie in Nöten gewesen wären, ihre Kinder zu taufen. Aber es ist auch belegt, dass 1531 und 1532 viele aus den hanauischen Dörfern, so auch Seckbacher, nach Frankfurt zogen, um Dionysius Melander zu hören. 1541 kam die Reformation dann nach Bergen und Seckbach. Seckbach war überwiegend lutherisch. Die größere lutherische Gemeinde war bis 1673 Filiale von Fechenheim und wurde dann selbständige Pfarrei. 1708 bis 1710 erbauten die Lutheraner die barocke, später Marienkirche genannte, aber im 2. Weltkrieg zerstörte, Kirche.14

Eine kleine reformierte Gemeinde erhielt 1737 einen eigenen Pfarrer.15 Sie benutzte zunächst die aus dem Mittelalter stammende Bergkirche.16 Diese wurde 1737 baufällig und 1757 abgerissen. Nun baute die reformierte Gemeinde sich eine eigene Kirche, de ren Bau sich wegen des Siebenjährigen Krieges hinzog. Für den Kirchenbau verwendete man auch Steine der abgerissenen Bergkirche. Am 9. September 1764 konnte die neu errichtete Peterskirche eingeweiht werden. Die Peterskirche war in die Straßenfront der Wilhelmshöher Straße eingepasst und wurde 1834 zu einem Schulhaus umgebaut. 1868 wurde eine Kleinkinderschule eröffnet, die über Seckbach hinaus Beachtung fand. Organisierte sie doch jeweils am Sonntag Jubilate ein Kleinkinderschulfest, das ein Treffpunkt der Freunde der Inneren Mission auch aus Frankfurt wurde. 17

Die vormals Nassauer Gemeinden18

Allgemeines

Die heutigen westlichen Stadtteile Frankfurts waren durch die wechselnde politische Zugehörigkeit geprägt. Höchst, Nied, Griesheim, Schwanheim, Sindlingen und Sossenheim gehörten seit dem Mittelalter zur Amtsvogtei Höchst des Erzstifts Mainz im Kurfürstentum Mainz. Zur Amtsvogtei Hofheim gehörte Zeilsheim. Beide Amtsvogteien fielen 1803 an das Fürstentum Nassau-Usingen und dann an das Herzogtum Nassau.19 Unterliederbach gehörte zum Anteil der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt an der Herrschaft Eppstein, kam 1803 an Nassau-Usingen und dann an das Herzogtum Nassau.20 Für die Evangelischen war Nied über Jahrhunderte das Zentrum. Von Bedeutung ist die Nassauer Union von 1817. Während die Hanauer Union von der kirchlichen Basis herbeigeführt wurde, wurde die Nassauer Union den Protestanten quasi verordnet. Hier hatte Regierungspräsident Karl Friedrich von Ibell, dessen Grabstätte heute noch auf dem alten Unterliederbacher Friedhof zu sehen ist, die Union zielstrebig verfolgt. Zunächst hatte er Herzog Wilhelm I. von Nassau eine Konfessionsvereinigung vorgeschlagen und diesen überzeugt, dass es gut wäre, wenn der Vorschlag von der Kirche käme. Dann hatte er den lutherischen Generalsuperintendenten Georg Emanuell Müller und den reformierten Generalsuperintendenten Friedrich Giesse bewogen, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Diese beriefen daraufhin 21 lutherische und 17 reformierte Synodale, die am 5. August 1817 im Pädagogium zu Idstein zusammentraten. Ibell und die beiden Geistlichen trugen das Anliegen der Vereinigung vor. Eine Beratung hielt Ibell nicht für erforderlich, weil sich ohnehin jeder Anwesende eine Meinung gebildet habe. Deshalb wurde gleich in der Form abgestimmt, das sich die Synodalen erhoben, die für die Vereinigung waren. Es waren alle. Danach wurden bis zum 9. August die notwendigen Formulierungen erarbeitet, so dass der Herzog am 11. August 1817 das entsprechende Edikt unter-zeichnen konnte.

Nied

Nied gehörte bald nach 800 zum Fiscus Franconofurt, einem königlichen Verwaltungsbereich, und nach dessen Auflösung um 1200 zum königlichen Amt Bornheimerberg und damit zur Grafschaft Hanau. Nach der Teilung der Grafschaft Hanau 1458 gehörte Nied zu Hanau-Münzenberg. Allerdings begannen mit dieser Übernahme auch Dauerquerelen zwischen den Hanauern und dem Mariagredenstift in Mainz sowie dem Erzbischof von Mainz um die Dorfherrschaft.

Nach einer Urkunde aus dem Jahr 1160 gab es in Nied eine Pfarrei, in einer Urkunde wurde im Jahr 1218 eine Kirche genannt, vermutlich aus Holz.21 1489 verfügte der Graf von Hanau den Bau einer Kirche aus Stein. Die Auseinandersetzungen verschärften sich, als die Hanauer evangelisch wurden. Die Einführung der lutherischen Reformation in Hanau-Münzenberg zwischen 1530 und 1543 erfolgte „schleichend“. Es gab keinen offiziellen Akt der Einführung. Vielmehr ersetzte man ausscheidende katholische Pfarrer durch lutherische Prädikanten. Dies und die Spannungen mit Mainz dürften dazu geführt haben, dass in Nied erst 1554 erstmals evangelisch gepredigt wurde. Dort gab es nun katholische und evangelische Christen. Leidtragende waren beide, denn eine dauerhafte kirchliche Versorgung war weder für die einen noch für die anderen gewährleistet. Von 1562 bis 1584 war mit Hermann Carpentarius ein Pfarrer in Nied ansässig, der zunächst katholisch war und dann evangelisch wurde.

1596 führte Hanau-Münzenberg im Gegensatz zu Hanau-Lichtenberg aber unter Philipp Ludwig II. das reformierte Bekenntnis ein. Im gleichen Jahr sandte das Stift den katholischen Pfarrer Kaspar Follandus nach Nied. Hanau setzte ihn ab und beauftragte einen lutherischen Lehrer, Lesegottesdienste zu halten. Daraufhin nahmen die Höchster den Lehrer gefangen, und der Amtmann von Höchst verschloss die Kirche. Dabei blieb es, bis bei der Schlacht vor Höchst am 9. Juni 1622 zwischen katholischen Truppen unter General Tilly und protestantischen Truppen unter Christian von Braunschweig letztere Nied bis auf ein Haus zerstörten. Die Kirche wurde schwer beschädigt, nicht repariert und schließlich 1824 ganz abgetragen. Die kirchliche Betreuung der Evangelischen in Nied übernahm der reformierte Pfarrer von Bockenheim.22 1684 tauschte Hanau Nied und Griesheim gegen ihm näher liegende Dörfer mit dem katholischen Kurmainz. Im Vertrag wurde entsprechend dem Westfälischen Frieden festgehalten, dass den Niedern keine neue Religion aufgezwungen werden dürfe und dass für die kirchlichen Verhältnisse das Normaljahr 1624 maßgebend sein sollte. Nun zogen vermehrt Katholiken nach Nied. Offenbar wurde allerdings weiter von einer Gemeinde ausgegangen, denn 1707 gab es eine gemeinsame Kirchenrechnung23 für beide Konfessionen, die von den beiden „Baumeistern“, dem Katholiken Johannes Heeb und dem Protestanten Johannes Tempell, aufgestellt worden war. Das Kirchengebäude allerdings verfiel immer mehr. Um die gleiche Zeit gab es Aufbaupläne für die Kirche. Aber 1706 einigten sich Hanau und Mainz, die Kirche nicht wiederaufzubauen. Sossenheim blieb der katholische Pfarrsitz, Nied und Griesheim blieben dessen Filalen.24 Die Protestanten orientierten sich weiter nach Bockenheim.

Als 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss das Kurfürstentum Mainz aufgehoben wurde, kam Nied zum evangelischen Fürstentum Nassau-Usingen, ab 1806 Herzogtum Nassau. Hier galt die freie Religionsausübung, die den Protestanten am 4. Dezember 1805 auch gewährt wurde. Danach durften in Nied auch wieder evangelische Amtshandlungen vorgenommen werden. Doch gingen nun die Evangelischen aus Nied und Höchst nach Unterliederbach und die Griesheimer nach Niederrad. Jetzt und in den folgenden Jahren waren in Nied sowohl die Protestanten als auch die Katholiken zu schwach, sich eine eigene Kirche zu bauen. Deshalb durfte in den Jahren 1826 bis 1828 im kirchlich liberalen Nassau dann von beiden Konfessionen gemeinsam an der Stelle der alten Kirchenruine eine Kirche zur gemeinsamen Nutzung errichtet werden, eine sog. Simultankirche.25 Die Einweihung am 2. Mai 1830 wurde in zwei getrennten Gottesdiensten gefeiert. Die Reihenfolge war durch Los festgelegt worden. Als später die gemeinsame Orgel eingeweiht wurde, ging es „ökumenischer“ zu. Es gab einen Gottesdienst, in dem der katholische Pfarrer die Predigt hielt und der evangelische die Weihe-Ansprache.26 Den Chorraum trennte, entsprechend dem katholischen Verständnis, eine halbhohe, hölzerne Barriere, vom Kirchenschiff. Vor der Barriere stand spä-ter ein evangelischer Altartisch. In der katholischen Messe wurde der Tisch mit einem Tuch verdeckt, im evangelischen Gottesdienst wurden die Heiligenbilder und Figuren mit Tüchern verhängt. Die gemeinsame Nutzung verlief allerdings ohne größere Schwierigkeiten, auch wenn es manche Unbequemlichkeit gab.

Gegen Ende des Jahrhunderts waren jedoch beide Gemeinden so gewachsen, dass der Wunsch nach eigenen Kirchen erfüllt werden konnte. So zahlte die evangelische Gemeinde im Jahr 1907 mit 19.130 Mark die katholische aus und behielt die seitherige Simultankirche. Die alte Orgel bekam die katholische Gemeinde für 150 Mark und konnte auch das Kirchengestühl mitnehmen. Die Glocken behielten die Evangelischen. Die katholische Gemeinde baute die St. Markuskirche. In der FestZeitung zur Einweihung dieser Kirche am 2. Juni 1907 fanden sich bemerkenswerte Sätze zum Verhältnis der Katholiken zu den Protestanten in Nied:

Nicht vergessen dürfen wir in diesem Festblatte die evangelische Gemeinde in Nied. Bei all den schwierigen Verhandlungen hinsichtlich der Auseinandersetzung über die gemeinsame Kirche wurde von unsern evangelischen Mitbürgern, namentlich von dem Herrn Pfarrer Schmidtborn27, dem Kirchenvorstande und der Gemeindevertretung eine friedliche und gerechte Gesinnung an den Tag gelegt, die alle Anerkennung verdient und zu den besten Hoffnungen berechtigt, dass auch fernerhin, obwohl die beiden Kirchengemeinden in räumlich getrennten Gotteshäusern dem Schöpfer dienen, das ein-trächtige Verhältnis fortbestehen wird. Die Katholiken werden mit Interesse das Er-stehen einer erneuerten und vergrößerten evangelischen Kirche verfolgen und ihren evangelischen Brüdern Gottes Segen zu ihrem Werke wünschen. Schiedlich-friedlich wird fernerhin der Wahlspruch der beiden christlichen Gemeinden sein müssen.“

Aus der Simultankirche wurde eine evangelische Predigt- und Gemeindekirche nach dem Wiesbadener Programm.28 Ab 1916 wurde in Nied ein Ausbesserungswerk für Lokomotiven errichtet. Für dessen Mitarbeiter und ihre Familien entwickelte sich daneben eine schnell wachsende Kolonie, die auch bald eine eigene kirchliche Versorgung benötigte. So wurde eine schlichte Kirche errichtet und am 8. Oktober 1933 als „Apostelkirche“ eingeweiht.29 Die wirtschaftliche Situation der Zeit schlug sich darin nieder, dass den Baufirmen zur Auflage gemacht werden sollte, zu 80% erwerbslose Facharbeiter und Hilfsarbeiter zu beschäftigen.30

Höchst

An der Kreuzung uralter Verkehrswege und an der Mündung der Nidda in den Main gab es schon in der Jungsteinzeit eine Siedlung. Die Römer errichteten hier ein Kastell und Kurmainz eine Zollburg. Höchst blieb auch nach der Reformation katholisch. Hieran änderte sich erst im Dreißigjährigen Krieg kurzfristig etwas, als es von Gustav Adolf von Schweden am 27. November 1622 besetzt wurde. Er ließ den Katholiken die Justinuskirche und stellte den Lutheranern die Wolfgangkapelle im Schloss zur Verfügung. Hier fanden nun lutherische Gottesdienste statt, die u. a. von seinem Feldprediger Jakob Fabricius gehalten wurden. Doch entwickelte sich keine evangelische Gemeinde, da nach dem Abzug der Schweden wieder das katholische Mainz herrschte. Die wenigen Evangelischen wurden von Oberliederbach und dann von Nied aus betreut. 1803 kam Höchst zum Fürstentum Nassau, später Herzogtum Nassau. Erst 1819 fand eine erste evangelische Haustaufe statt, 1823 die erste evangelische Beerdigung. Im Zuge der Industriealisierung wuchs dann auch die Zahl der Evangelischen. 1882 erhielt die im Entstehen begriffene Gemeinde Höchst die in Mischformen des Historismus errichtete Stadtkirche.31 1883 wurde es eine selbständige Kirchengemeinde, zu der auch Sindlingen und Sossenheim gehörten.

Griesheim

Griesheim gehörte kirchlich lange zu Nied. In Griesheim lebten 1648 nur wenige Protestanten, die nach Bockenheim, Ginnheim oder zum Gutleuthof in die Kirche gingen. Erst 1779 durfte erstmals der evangelische Pfarrer vom Gutleuthof Amtshandlungen in Griesheim vollziehen. Die Betreuung der Griesheimer vom Gutleuthof endete 1801 nach dem Brand des Gutleuthofes, der dessen Kapelle beschädigte. 1829/30 wurde in Nied eine Simultankirche errichtet, die beiden Konfessionen diente und die Griesheimer miteinschloss. Am 12. Januar 1861 genehmigte das Nassauische Staatsministerium die Errichtung einer evangelischen Kirchengemeinde in Griesheim, zu der auch Schwanheim und Goldstein gehörten. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Nied und Höchst 800 Evangelische. 1865 erhielt die Gemeinde eine im neoromanischen Stil errichtete eigene Kirche.321 1888 wurde Schwanheim mit Goldstein selbständig.

Sossenheim

Der einst kurmainzische und damit katholische Ort Sossenheim fiel 1803 an Nassau. Der erste evangelische Christ ließ sich hier 1848 nieder. Die evangelischen Sossenheimer wurden von Nied aus betreut. Im Jahr 1904 wurde Sossenheim eine selbständige Kirchengemeinde. Die Kirche wurde nach Plänen des Herborner Kirchenbaumeisters Ludwig Hoffmann erbaut und am 18. September 1898 eingeweiht.33

Sindlingen-Zeilsheim

Die Dörfer Sindlingen und Zeilsheim gehörten kirchlich und politisch zu Kurmainz und blieben deshalb nach der Reformation katholisch. Spätere evangelische Einwohner waren nach Oberliederbach eingepfarrt. 1875 wurden fünf steuerpflichtige evangelische Männer und einige Witwen aus Sindlingen nach Nied umgepfarrt und mit der Gründung der Gemeinde Höchst 1883 nach dort. 1902 wurde eine selbständige Kirchengemeinde Sindlingen-Zeilsheim gegründet, die 1905 auch einen eigenen Pfarrer erhielt. Dank der evangelischen Familie von Meister, die in Sindlingen wohnte, konnten dort bereits 1907 Kirche34 und Pfarrhaus gebaut werden, 1912 die Kirche in Zeilsheim.35

Heddernheim

Das lange Zeit überwiegend katholische Heddernheim gehörte ab 1132 zu Kurmainz. 1584 wurden die Evangelischen Praunheim zugeordnet. Als Heddernheim 1802/1815 zu Nassau kam, wurden die Heddernheimer Evangelischen Eschborn zugepfarrt. Wegen des weiten Weges dorthin durften sie sich 1821 eine kleine Kirche bauen. Die dafür aufgenommenen Kredite wurden bis in die Jahre 1864 bis 1866 abgezahlt. Ein erstes kleines Pfarrhaus wurde 1866 aus Holz errichtet, das die Frankfurter eigentlich zum Bau von Schanzen gegen die anrückenden Preußen hatten verwenden wollen. 1874 wurde Heddernheim kirchlich selbständig. 1893 musste die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen werden. 1898 konnte ein imposanter Neubau eingeweiht wer-den.36

Die Heddernheimer Gemeinde war sehr arm. Das führte dazu, dass der dortige Pfarrer Carl Hartmann 1869 einen Frauen- und Jungfrauenverein gründete, lange bevor 1882 im Marthahaus der erste Frankfurter Jungfrauenverein entstand.37 Im ersten Jahresbericht 1870 beschrieb Hartmann die Gründung so: „Es war das heilige Osterfest des Jahres 1869, als der evangelische Geistliche sich an die Frauen und Jungfrau-en in der Gemeinde mit der Bitte wandte, dieselben möchten sich zu einem Vereine zusammenschließen, welcher ihn in der Arbeit und im Streben, seiner armen evangel. Ge-meinde dienstlich zu sein, unterstütze und fördere, und er forderte diejenigen, welche dieser Bitte Folge zu leisten gedächten, auf, sich am folgenden Sonntage nach dem Nachmittags-Gottesdienste in der Kirche versammeln zu wollen. Die Bitte des evangel. Geistlichen wurde auf das Bereitwilligste aufgenommen, denn zur bestimmten Zeit fanden sich Frauen und Jungfrauen der Gemeinde in ansehnlicher Zahl am bezeichneten Orte ein, so daß schon an demselben Tage zur Gründung eines evangelischen Frauenvereins geschritten werden konnte. Die Vereinsstatuten wurden festgestellt und ein Vorstand aus zehn Mitgliedern erwählt, der sich den äußeren Obliegenheiten des Vereins unterziehen sollte.“38Der Vorstand bestand dann aus zehn unverheirateten Frauen, dem Pfarrer als Vorsitzendem und Lehrer Dombach als Kassierer.

Nach der Satzung war damit der „Heddernheimer Frauen- und Jungfrauen-Verein“ gegründet (§ 1 der Satzung). Der Verein stellte sich unter den besonderen Schutz des evangelischen Kirchenvorstandes (§ 2). Der vorläufige Zweck war: Unterstützung der evangelischen Gemeinde Heddernheim in ihrem Bestreben um ein selbständiges, wohlgeordnetes kirchliches Gemeinwesen und Sicherung ihres Fortbestandes, sowie Hülfeleistung zur Deckung ihrer Schuld, und wenn dieser Zweck erreicht ist, Unter stützung auswärtiger bedrängter Gemeinden (§ 3). Mitglied des Vereins war jede evangel. Frau oder Jungfrau, welche sich per Jahr zu einem wöchentlichen Beitrag von 1 Kreuzer und zur unentgeltlichen Anfertigung resp. Gabe irgend einer weibli chen Handarbeit, oder eines anderweitigen Gegenstandes, wenn auch von nicht hohem Werthe, verpflichtet (§4). Am Ende des Jahres hatte der Verein 94 Mitglieder, davon sieben aus Frankfurt und drei aus Eschersheim. Die Generalversammlung am Jahresende begegnete Schwierigkeiten. „Gar gerne hätten wir auf Weihnachten 1869 unsere Generalversammlung gehalten, die damit zu verbindende Verloosung der an gefertigten Arbeiten vorgenommen und das Jahresfest gefeiert, allein unser Todtenfest fiel auf den zweiten Weihnachtsfesttag, und wie immer, feierte diesen Tag die Gemeinde in stiller Andacht und durch einen feierlichen Abendgottesdienst zum Gedächtnisse ihrer in diesem Jahre heimgegangenen Lieben.“39Nun, die Jahresversammlung fand dann am 9. Januar 1870 statt. Nach dem Verkauf der Lose konnte der Kassierer eine Jahresrechnung aufmachen, die einen Überschuss von 315,53 Gulden erbrachte. Dem standen noch 2.460 Gulden Schulden für die Kirche und 9.939 Gulden Schulden für das Pfarrhäuschen gegenüber. Das war doch eine ganz beachtliche Bilanz.

Schlusswort

Ich komme damit zum Ende und hoffe, ein wenig gezeigt zu haben, welch reiches historisches, auch kirchengeschichtliches, Erbe Frankfurt durch die Eingemeindungen zugewachsen ist. Dass auch dies einen Teil der kulturellen Vielfalt Frankfurts in der Vergangenheit darstellte, scheint in unserer schnelllebigen Zeit und angesichts ganz anderer Dimensionen von kultureller Vielfalt in Vergessenheit zu geraten. Doch auch Lutheraner und Reformierte, Frankfurter und Kurmainzer oder Nassauer oder Hanauer waren sich einst sehr fremd.

1Henß, Hanauer Union, S. 234f., zitiert nach: Dienst, Karl: Zur Geschichte des ehemaligen Kirchenkreises Bockenheim,in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung, Band 42, Darmstadt 1992, S. 273 f.

2Henß, Hanauer Union, S. 229 f.

3Kübel, Johannes: Evangelisches Kirchenrecht für Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1932, S. 31 f.; nach Henß, Hanauer Union, S. 211.

4Henß, Hanauer Union, S. 421, nach Dienst, Kirchenkreis Bockenheim, S. 278 f.

5Zur Geschichte der Kirche: Proescholdt, Joachim/Telschow, Jürgen: Frankfurts evangelische Kirchen im Wandel der Zeit, Frankfurt a. M. 2011, S. 344 – 348.

6So Kahl, Die ev.-unierten Kirchengemeinden in Frankfurt (Main)-Bockenheim in alter und neuer Zeit,Frankfurt a. M. 1937, S. 14 f., anders Denkmaltopografie S. 431:1634 und 1767

7Dienst, Kirchenkreis Bockenheim, S. 280 f.

8Dienst, Kirchenkreis Bockenheim, S. 275.

9Proescholdt/Telschow, Frankfurts Kirchen, S. 202 – 204; Bill, Helga: Sakrale Monumentalmalerei der Spätromanik …, Frankfurt a. M. 2014.

10Ausführlich zu den Wandmalereien: Bill, Sakrale Monumentalmalerei.

11Dienst, Kirchenkreis Bockenheim, S. 282; zum Folgenden Dechent, Kirchengeschichte, Bd. II, S. 555 – 557.

12Dechent, Kirchengeschichte, Bd. II, S. 555.

13Dechent, Kirchengeschichte, Bd. II, S. 556.

14Zur Geschichte der Kirche: Proescholdt/Telschow, Frankfurts Kirchen, S. 245 – 248.

15Kübel, Kirchenrecht, S. 33., Dienst, Kirchenkreis Bockenheim, S. 282.

16Zur Geschichte der Kirche: Proescholdt/Telschow, Frankfurts Kirchen, S. 255 f.

17Dechent, Kirchengeschichte, Bd. II, S. 55 f.

18Deitenbeck,Hermann: Die Eingemeindung Nassauischer Kirchengemeinden in die Stadtgemeinde Frankfurt am Main, in: Frankfurter Kirchenkalender 1929, S. 56 f..

19Wagner, Walter: Das Rhein-Main-Gebiet 1787, Darmstadt 1938 (Nachdruck 1975), S. 29 f., nach Dienst, Bockenheim, S. 267.

20Wagner, Rhein-Main-Gebiet, S. 81, nach Dienst, Bockenheim, S. 267.

21Knohl, Gerhard: Geschichte, bilder und Symbole der evangelischen Christuskirche frankfurt-Nied, Frankfurt-Nied 1991, S. 7.

22Festzeitung, ohne Seitenangabe.

23Festzeitung, ohne Seitenangabe.

24Vollert, Nied am Main. Chronik eines Frankfurter Stadtteils, Frankfurt a. M. 1998,, S. 31.

25Knohl, Geschichte, S. 10 – 14; Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 310 – 314.

26Krämer, Heinz: Zur Geschichte der evangelischen Kirchen in Nied, Vortrag 2008,, S. 13 f.

27Otto Schmidtborn, 1856-1917, Pfarrer in Frankfurt und Nied.

28Knohl, Geschichte, S. 14 – 24.

29Zum Kirchengebäude: Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 307 f.

30 Protokollbuch des Kirchenvorstandes unter dem 12. Juli 1932.

31Zum Kirchengebäude: Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 339 – 343.

32Zum Kirchengebäude: Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 355 – 358.

33Zum Kirchengebäude: Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 263 f.

34Zum Kirchengebäude: Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 359 f.

35Weber, Johannes: Sindlingen-Zeilsheim, in: Frankfurterr Kirchenkalender 1936, S. 62 ff.; Zum Kirchengebäude: Proescholdt/Telschow, Frankfurts evangelische Kirchen, S. 370 f.

36Zur Geschichte der Kirchen Proescholdt/Telschow, Frankfurts Kirchen, S. 218 – 222.

37Hartmann, Erster Bericht.

38Hartmann, Erster Bericht, S. 1.

39Hartmann, Erster Bericht, S. 6.

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