Die Rolle der Frauen in der Frankfurter Kirche (2019)

Vortrag vor dem Evang.-luth. Predigerministerium Frankfurt a. M.

am 24. Oktober 2019

Die Rolle der Frau in der evangelischen Kirche wurde über Jahrhunderte vom biblischen Frauenbild und von den geltenden Rechtsordnungen bestimmt. Als meine Großeltern am 30. August 1903 heirateten, erhielten sie einen Trauschein, der neben den standesamtlichen Angaben fünf Bibelzitate nach der Lutherbibel der Preußischen Hauptbibelgesellschaft enthielt. Darunter waren: 1. Mose 1. 27. 28: „Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde; zum Bilde Gottes schuf Er ihn; und er schuf sie ein Männlein und ein Fräulein; und Gott segnete sie“. Und Epheser 5, 22-26: „Die Weiber seien unterthan ihren Männern, als dem Herrn. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie Christus das Haupt ist der Gemeine.“ Und rechtlich betrachtet erhielten die Frauen erst im Jahre 1969 die volle Geschäftsfähigkeit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Auch müssen wir, historisch betrachtet, mit dem Begriff „Kirche“ vorsichtig umgehen. Evangelische Kirche im heutigen Sinne begann sich erst im 19. Jahrhundert zu entwickeln. Bis dahin gab es in Frankfurt zwar für die beiden reformierten Gemeinden, nicht aber für die Lutheraner so etwas wie eine eigene Kirchenorganisation. „Evangelische Kirche“, das waren die im Eigentum der Stadt stehenden Kirchengebäude und die im Dienst der Stadt tätigen Geistlichen. Ein stärkeres Laienelement von Männern und Frauen begann sich erst im 19. Jahrhundert zu entwickeln. Und umso bemerkenswerter sind alle jene Frauen, die im Rahmen der Gegebenheiten oder aus ihnen ausbrechend eigene Wege gingen und auch Verantwortung für andere übernahmen.

Die erste evangelische Predigt fand in einem Frauenkloster statt.

Im März 1522 hielt Hartmann Ibach die ersten reformatorischen Predigten in Frankfurt.1 Ibach stammte aus Marburg und war Franziskaner. Etwa um 1521 verließ er den Orden und wirkte als Prediger in Nassau und Waldeck. 1522 kam er nach Frankfurt und fand bei Wilhelm Nesen Unterkunft. Wohl auf dessen Vermittlung setzte Hamman von Holzhausen im Rat die Genehmigung durch, dass Ibach drei Predigten in der St. Katharinenkirche halten durfte, die sich aber wohl nicht nur an die Klosterschwestern, sondern auch an eine interessiertes männliche Zuhörerschaft richteten. In den Predigten sprach er nicht so sehr theologische Themen an, sondern übte Kritik an der katholischen Kirche: am Zölibat, an den an die Kirche zu zahlenden „ewigen Zinsen“ und an der Verehrung der Heiligen, auch der Jungfrau Maria. Wenig später berief Holzhausen2 den bis dahin in Mainz tätigen Prädikanten Dietrich Sartorius an das St. Katharinenkloster, um dort das Evangelium und Gottes Wort getreulich zu verkündigen. Sartorius, ein maßvoller Mann, predigte dort nun nicht gegen die äußeren Missstände der katholischen Kirche sondern gegen die katholische Lehre. Das betraf besonders die Lehre von der Messe, vom Fegefeuer und von der Heiligen-verehrung. Auch für die Pfarrwahl durch die Gemeinde trat er ein. Dem begegnete der katholische Pleban Meyer mit scharfen Attacken. Daraufhin forderte der Rat, der keine Zwistigkeiten wollte, Sartorius zur Mäßigung auf. Trotzdem erfuhr der Rat im Juni 1524 scharfe Kritik aus Mainz wegen der Predigten von Sartorius. Der verteidigte sich damit, dass er nicht der göttlichen Schrift sowie päpstlichen und kaiserlichen Verboten zuwidergehandelt habe. Dabei hatte er die Insassinnen des Klosters hinter sich. Es kann also nicht wundern, dass 1526 10 Nonnen, darunter 8 Frankfurterinnen aus dem Kloster austraten. Damit war der Konvent praktisch aufgelöst. 1543 wurde das Kloster säkulari-siert. Die Wiege der Frankfurter Reformation stand also bei Frauen.

Evangelische Frauen als Stifterinnen in der Reformationszeit

Schon in der Reformationszeit taten sich Frauen auch als Stifterinnen hervor. Eine von ihnen war die Tochter Hammans von Holzhausen, Margarethe. Sie war die Ehefrau des Ratsherrn und Schöffen Philipp vom Rhein und ist durch das von ihr überlieferte Testament in Erinnerung geblieben.3 Hierin erwies sie sich als eine fromme und der neuen Lehre zugetane Christin. Denn ihre Verfügungen waren nicht um des Seelenheils willen gute Werke oder Seelenmessen. Vielmehr bedachte sie die Prädikanten, den Almosenkasten und den Rat der Stadt. Geltner sollte „ain stuck weins vnd zehen achtell korns“ erhalten, seine Tochter Anna 10 Gulden „zu Irer ehelichen veranderung.“ Matthias Ritter sollte sogar 100 Gulden erhalten. Melchior Ambach, Johann Lullius, Hartmann Beyer, Marcus Sebander und Christian Egenolph waren je ein halbes Fuder Wein zugedacht, „damit sy … desto williger vnd vleissiger seien, die armen krancken leute heim zusuchen vnd mit Gottes wortt zutrosten.“ (1 Fuder = 859 3/5 Liter). Der Gemeine Kasten sollte zwanzig Achtel Korn erhalten und Bürgermeister und Rat 500 Gulden, von deren Zinsen „zwo oder mehr fromme Gotsfürchtige personen so gottes wort gern hören vnd lieben, zubestellen“, um Kranke zu pflegen.

Die evangelische Pfarrfrau

Bekanntermaßen hat das evangelische Pfarrhaus seit Luther und bis in die jüngere Vergangenheit in Kirche und Gesellschaft eine wichtige Rolle gespielt. Das lag ja nicht nur am verheirateten Pfarrer, sondern insbesondere an der Pfarrfrau, über Jahrhunderte die wichtigste, wenn auch nicht besoldete, Mitarbeiterin in der Gemeinde. Was wären ihre Männer ohne sie gewesen. Philipp Jakob Spener hat die Rolle seiner Frau in dem Lebenslauf, den er für seine eigene Leichenpredigt entworfen hatte, beschrieben: Vor solche Heurath habe Gottes Güte so viel hertzlichen Danck zu sagen/ als mir eine solche Ehegattin bescheret/ die mich treulich liebet/ mit Freundlichkeit begegnet/ und neben Christlichem Gemüth und andern Tugenden mit gnugsamen Verstand der Haußhaltung begabet/ auch dazu wohl angezogen gewesen. Also daß ich nicht nöthig hatte mich der Haußhaltungs-Sorgen im geringsten anzunehmen/ sondern durffte solche gesamt Last sambt Kinder-Zucht/ darin sie auch an Vorsichtigkeit und Ernst nichts mangeln ließ auff sie/ und in diesen letztern zugleich auff die Praeceptores ankommen lassen/ so mir wohl eine der vornehmsten Erleichterungen meines Lebens und Ambts/ dabey mir die sonst gewöhnliche Auffsicht der Haußhaltung eine allzuschwere Last würde gewesen seyn/ worden ist. So zierte sie auch mein Ambt mit einem solchen eingezogenen Wandel, daß dasselbe von ihr keinen Nachtheil hätte.“4

Theologisch unabhängige evangelische Frauen im 17. und 18. Jahrhundert

Johanna Eleonore von Merlau

Zu den Menschen in der nächsten Umgebung Speners, denen die Spenersche Kritik an der verkrusteten Kirche nicht ausreichte und die insbesondere eine noch mehr abgesonderte Lebensführung pflegen wollten, gehörte Eleonore von Merlau. Sie wurde 1644 in Frankfurt geboren und verbrachte ihre Jugend zeit-weise auf Gut Philipseck in Heddernheim. Da der Vater verarmte und die Mutter starb, wurde sie mit 12 Jahren Hofjungfer bei Gräfin Eleonore von Solms-Rödelheim in Rödelheim. 1675 kam sie nach Frankfurt und wohnte im Saalhof. Im Advent 1676 begann sie dort eigene fromme Zusammenkünfte. Sie heiratete 1680 den ihr seelenverwandten Gießener Theologen Johann Wilhelm Petersen, verließ Frankfurt und geriet so aus der Frankfurter Konfliktsituation heraus.

Dechent berichtete, dass sie mit ihren Zusammenkünften viel Aufsehen erregt habe. Ich vermute, es war ein Skandal. Hatte doch schon Spener heftige Kritik erfahren, dass an seinen Kollegien Frauen teilnehmen und später sogar das Wort ergreifen durften. Wie viel mehr musste eine solche Kritik eine Frau treffen, die sich erdreistete, selbst solche religiösen Versammlungen abzuhalten. Aber auch in ihren theologischen Vorstellungen wich die Merlau von der herrschenden Lehre ab. Unter Berufung auf einige Stellen in der Offenbarung vertrat sie die Lehre von dem tausendjährigen Reich Christi auf Erden und der entsprechenden Endzeiterwartung (Chiliasmus). Ihre bedeutendste Schrift war ein Kommentar zur Offenbarung des Johannes: „Anleitung zur gründlichen Verstandniß der heiligen Offenbarung Jesu Christi“ (1696).

Susanna Katharina von Klettenberg

Als Zweite sei Susanna Katharina von Klettenberg erwähnt.5 Sie stammte aus der angesehen Frankfurter Familie Seiffart von Klettenberg. Der Vater war Arzt und Mitglied des Rates. Unter dem Einfluss von Senior Johann Philipp Fresenius, einem Pietisten, fand sie Zugang zu dieser Form der Frömmigkeit, mit 24 Jahren wurde sie „erweckt“. Im Kontakt mit anderen Pietisten erwies sie sich als glaubensstarke junge Frau, an der man sich gerne orientierte. Sich selbst hat sie als christlichen Freigeist bezeichnet. Da die Familien Textor und Klettenberg verwandt waren, könnte Johann Wolfgang Goethe sie schon als Kind kennen gelernt haben. Von Bedeutung wurde sie für ihn jedoch, als er 1768 krank und in einem seelischen Tief aus Leipzig nach Frankfurt zurückkehrte. Hier gab sie ihm mit ihrer Glaubensgewissheit Halt. Für eine kurze Zeit befasste er sich intensiv mit der christlichen Religion in der Form des Pietismus und hatte sogar Kontakt zu den Herrnhutern. Dann aber trennten sich die Wege.6 Wie nachhaltig sie Goethe geprägt hat, geht aus einer Bemerkung Goethes in Dichtung und Wahrheit hervor, der zufolge das 6. Buch von Wilhelm Meisters Lehrjahre mit dem Titel „Bekenntnisse einer schönen Seele“ aus Unterhaltungen und Briefen von Susanna von Klettenberg entstanden ist.7

Evangelische Frauen und die neuen Vereine

Man hat das 19. Jahrhundert als das Jahrhundert der Emanzipation des Bürgertums und die Gründung bürgerlicher Vereine als ein Ausdruck dessen gesehen. Ebenso kann man die Gründungen kirchlicher Vereine als eine Form der Emanzipation der Laien von der Kirche sehen, auch wenn in diesen Vereinen nicht selten Pfarrer eine wichtige Rolle spielten. Bei den Mitgliedern nimmt man in der Regel Männer wahr. Darüber wird übersehen, dass die Vereinsform auch den Frauen einen Schritt zur Emanzipation ermöglichte. Das zeigt der 1813 von Frauen gegründete und von ihnen geleitete Frauenverein. Er war über Jahrzehnte das Betätigungsfeld für Frauen, die sich karitativ engagieren wollten. Beispiele sind auch der 1861 gegründete Diakonissenverein und der 1866 gegründete Marthahausverein.

Der Diakonissenverein

Am 5. Januar 1866 verlieh der Senat der Freien Stadt Frankfurt am Main dem im Februar 1861 gegründeten Frankfurter Diakonissenverein die Vereinsrechte.8 Gründungsmitglieder waren neben einigen Pfarrern und einem Juristen die Damen Amalie Louise Gontard geb. Gontard, Rosalie Gontard, Louise Lindheimer, Therese Lindheimer und Christina Bertha Metzler geb. Meyer. Diese Frauen waren gut situiert. Was sie aber darüber hinaus auszeichnete, war ihre Bereitschaft, auch Verantwortung zu übernehmen. Rosalie Antonie Gontard9 war von 1853 (möglicherweise schon ab 1850) bis 1865 Vorsteherin der Schule des Frauenvereins. Von 1861 bis 1880 war sie auch Mitglied des Vorstandes des Diakonissenvereins. Therese Lindheimer10 war Mitglied des Vorstands des Frauenvereins und von 1854 bis 1867 Vorsteherin der Schule. Von 1861 bis 1868 war sie auch im Vorstand des Diakonissenvereins. Louise Lindheimer11 war von 1837 bis 1847 Vorsteherin des Nähfachs im Frauenverein. Von 1861 bis 1881 gehörte sie auch dem Vorstand des Diakonissenvereins an. Christina Bertha Metzler geb. Meyer (1800-1861)12 war im Vorstand des Frauenvereins und nach einander Vorsteherin des Strickfachs, des Dörferfachs und des Krankenfachs.

Das Marthahaus

Wer den Anstoß zur Gründung des Martha-Vereins und zur Errichtung des Marthahauses gegeben hat, ist nicht klar.13 Hermann Dechent schrieb diese Rolle dem Pfar-rer an der Dreikönigskirche Johann Jakob Krebs zu.14 Pfarrer Conrad Kayser, ab 1890 Vorstandsmitglied des Marthahauses, formulierte aber in der kleinen Festschrift zum 50jährigen Bestehen im Kriegsjahr 1916: „Und nun sehen wir eine kleine Schar von Frauen und Männern, die mit warmem Herzen und weitem Blick schon zum voraus diesen Gefahren wehren.15“ Hier wurde nicht von Krebs und anderen, sondern von Frauen und Männern gesprochen. Auch wurden im Frankfurter Adressbuch von 1772, anders als bei anderen Vereinen, zunächst die Frauen genannt und dann erst die Männer, obwohl diese den Vorsitzenden, den Schriftführer und den Kassierer stellten. Das spricht für die wichtige Rolle, die Frauen hier spielten. So wissen wir aber auch, dass sich folgende Frauen in dem Verein engagierten: Frau von Lersner (Pröpstin des Cronstedt- und Hynspergischen Stifts), Laura Schmidtborn, Marie Schulz-Salzwedel und Gräfin Unruh. Und da sich die Frau von Krebs ganz besonders im Marthahaus engagierte, war sie ja vielleicht als ehemalige Diakonisse die treibende Kraft und nicht der vielbeschäftigte Herr Senior.

Stifterinnen des Diakonissenhauses

Schon bald nahm das Diakonissenhaus eine bemerkenswerte Entwicklung. 1870 konnte mit Hilfe von Spenden am Eschersheimer Weg Bauland erworben werden. 1874 konnten das Diakonissenmutterhaus und das Krankenhaus in der Eschersheimer Landstraße 122 bezogen werden. Und dann kamen dank großzügiger Stifterinnen weitere Liegenschaften hinzu. Wie groß deren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, war, zeigt sich auch an ihren Tätigkeiten im Frauenverein.

Laura Leydhecker, verwitwete Schmidborn16 stammte aus einer Fabrikantenfamilie am Rhein und heiratete 1865 den wohlhabenden Theologen und Frankfurter Privatgelehrten Georg Schmidtborn. Als ihr Mann bereits 1867 starb, erbte sie ein beträchtliches Vermögen. Im Jahre 1878 heiratete sie den Vorsteher des Diakonissenhauses Pfarrer Karl Leydhecker, dessen Frau 1874 an Typhus gestorben war. Da sie kinderlos war und blieb, ging sie mit ihrem Vermögen großzügig um und unterstützte diakonische Einrichtungen. Als Vorstandsmitglied des Frauenvereins war sie von 1880 bis 1899 zuständig für das Krankenfach Bornheim. Die Liegenschaft Holzhausenstraße 88 stiftete sie dem Diakonissenverein für die Aufnahme pflegebedürftiger Frauen und Jungfrauen. Im Diakonissenverein war sie Vorstandsmitglied. Die Villa der Leydheckers in Bensheim war bis 1971 den Frankfurter Schwestern Ferienhaus, von 1943 bis 1957 Feierabendhaus.

Emilie Rücker17 war die Witwe des 1874 verstorbenen Kaufmanns Friedrich Karl Rücker. Beide waren schon 1868 Mitglieder und Spender des Diakonissenvereins. Sie war von 1868 bis 1876 Vorsteherin der Schule des Frauenvereins und ab 1869 Vorstandsmitglied des Diakonissenvereins. Diesem ließ sie auf einem von ihrem Mann geschenkten Grundstück ein Pfarrhaus bauen. Außerdem stiftete sie ihm ein Siechenhaus in der Magdalenenstraße (Holzhausenstraße).

Marie Emilie Jäger-Graubner18 war mit dem Kaufmann Carl Friedrich Jäger verheiratet. 1872 wurde sie Vorstandsmitglied des Diakonissenvereins. Dieser erhielt von ihr das 1883 gegründete Kinder-Siechenhaus auf dem Grundstück Holzhausenstraße 94.

Anna Luise Friederike Koch geb. von St. George 19 stammte aus einer Familie, die aus Frankreich kam und deren Namen heute noch durch die katholische Theologische Hochschule St. Georgen bekannt ist. Liegt sie doch auf dem Anwesen, das früher Georg von Saint George gehört hatte. Sie war von 1862 bis 1891 Vorstandsmitglied des Frauenvereins und dort Vorsteherin des Dörferfachs. In Oberrad stiftet sie ein Haus für alte Frauen gestiftet, in dem auch die Gemeindepflegestation untergebracht war. Von 1879 bis zur Zerstörung 1943 waren hier Schwestern des Diakonissenhauses tätig. Neben verschiedenen einzelnen Zuwendungen finanzierte Frau Koch 1902 1902 den Erwerb eines Schwesternerholungshauses im Liliengrund bei Eisenach. Hier fanden nach der Beschädigung des Feierabendhauses in Frankfurt 1943 alte Schwestern eine Bleibe. Später wurde das Haus der Thüringer Diakonie übereignet.

Marie Georgine Arnoldine Meister20 war die Tochter von Jakob Becker, Professor an der Städelschen Akademie. Sie heiratete Carl Meister, den Mitgründer der chemischen Fabrik Meister, Lucius & Co, später Hoechst AG. Dem Diakonissenhaus errichtete sie das „Wilhelm-Marie-Meister-Stift“ in der Holzhausenstraße 86 für sieche und kränkliche Frauen und Jungfrauen.

An Rose Livingston21 erinnert heute noch das Altenheim Nellini-Stift des Frankfurter Dia-konissenhauses. Aber sie sollte auch als konvertierte, fromme, evangelische Christin und bedeutende Mäzenin der evangelischen Kirche in Erinnerung bleiben. Sie stammte aus der Familie Löwenstein. Roses Vater wurde u. a. mit Grundstückshandel in San Francisco reich und nannte sich dann Livingston. 1870 kehrte er nach Deutschland zurück und lebte bis zu seinem Tod in Frankfurt großbürgerlich von seinem Vermögen. Ihm gehörte die Villa Bokenheimer Chaussee (Landstraße) 33 mit dem noch existierenden Pferdestall in der Ulmenstraße.

Rose erhielt eine sorgfältige Erziehung durch die Gouvernante Minna Noll, aus der eine lebenslange Freundschaft wurde. Nach ihr, die Nelli genannt wurde, benannte sie dann das Nellinistift. Besonders wichtig war aber der religiöse Einfluss Minnas. Die fromme Christin brachte Rose der evangelischen Kirche nahe, sodass diese sich 1891 von Pfarrer Philipp Jakob Collischonn taufen ließ. Außer den Malern Johann Friedrich Hoff und Heinrich Werner förderte sie besonders Wilhelm Steinhausen,dessen religiöse Malerei sie faszinierte Rose. So finanzierte sie die Ausmalung der Lukaskirche durch Steinhausen. Heraus kam die bemerkenswerte „Frankfurter Bilderkirche.“ Außerdem finanzierte das Nellinistift, ein Heim für „alleinstehende weibliche Angehörige gebildeter Stände, welche bei ihren Familienmitgliedern keine sachgemäße Unterkunft finden und im Hinblick auf ihre Gesundheits- oder Vermögensverhältnisse eine angemessene Lebensführung nicht oder nur mit Schwierigkeit führen können“.22

Die Diakonissen

Nachdem der Diakonissenverein zunächst Karlsruher Diakonissen beschäftigt hatte, stellte er sich 1870 personell auf die eigenen Füße. Am 8. Juli 1870 wurde die erste Oberin, Marie Breitling, eingeführt. Mit ihr entstand das Diakonissenhaus, dem vom Verein eine gewisse Selbständigkeit gegeben wurde. Die Oberin erhielt bemerkenswerte Kompetenzen, die so in der damaligen Gesellschaft kaum gegeben waren.

Zur Herstellung eines Diaconissen-Mutterhauses erscheint es uns vor allem nothwendig, daß der Schwerpunkt der Leitung des Hauses in das Haus selber verlegt wird und weder in dem Diaconissen-Verein noch in dessen abgesonderter Spezial-Inspektion beruhe. Hierzu gehört:

1. daß die Oberin eine solche Mutter sei, von der die Schwestern nicht nur in allen Obliegenheiten des Diaconissen-Berufes berathen und unterrichtet, sondern auch in eingehender Liebe und Treue erzogen und gebildet werden.

2. Die Oberin entscheidet daher selbständig auch über Aufnahme und Entlassung der Schwestern unter zu hörendem Beirath des Hausgeistlichen und einer etwaigen Conferenz älterer Schwestern.

3. Sie ist Mitglied des Diaconissen-Vereins mit beschließender Stimme.

4. Sie führt den gesamten Haushalt ohne Controlle.

5. Es bleibt ihr überlassen, im Laufe der Zeit kleine Veränderungen mehr nebensächlicher Art z. B. in Betreff der Kleidung oder der Gehaltszulage für die Schwestern mit Weisheit, Schonung und Allmählichkeit zu vollziehen.“23

Welche Bedeutung die Tätigkeit von Frauen in Gestalt der Diakonisse für die Frankfurter Kirche bekam, konnte man dem „Festbericht zum 25. Jahresfest 1895“ entnehmen. Das Diakonissenhaus zählte 32 Stationen mit 44 Arbeitsgebieten, darunter 24 Gemeindepflegen mit 42 Schwestern, 13 Kranken- und Siechenhäusern mit 36 Schwestern, zwei Mägdeanstalten mit 11 Schwestern, fünf Kleinkinderschulen mit acht Schwestern, eine Magdalenenpflege mit zwei Schwestern. Die Schwesternschaft umfasste 69 eingesegnete Diakonissen, 30 Novizen und 22 Probeschwestern.24 Schaut man sich die Einsatzorte der Schwestern an, dann wird deutlich, dass das Diakonissenhaus schon in seiner Frühzeit die Grenzen der kleinen Frankfurter Kirche überschritt und in Bockenheim oder Fechenheim kurhessisches Territorium betrat.

Die Ausbildung von Frauen für Kirche und Diakonie

Mit der Ausbildung von Diakonissen war in Deutschland einer der ersten Ausbildungsberufe für Frauen geschaffen worden. Ihre umfassende Ausbildung machte diese Frauen zudem vielseitig einsetzbar: als Schwestern, als Erzieherinnen, als Gemeindehelferinnen usw. Mit der Errichtung der ersten „Kleinkinderschule“ durch das Diakonissenhaus Frankfurt 1892 wurde aber auch der Bedarf an Ausbildungsplätzen für „Kinderschullehrerinnen“ deutlich.25 Deshalb errichtete das Diakonissenhaus zugleich ein „Kleinkinderlehrerinnenseminar“. Die Absolventinnen arbeiteten dann vor allem in Gemeinden, in denen auch Diakonissen tätig waren. 1929 wurde daraus das „Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnenseminar“, 1945 die „Fachschule für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen“, 1960 daneben die „Berufsfachschule für Kinderpflegerinnen“, und 1970 wurden beide zusammengefasst in der „Fachschule für Sozialpädagogik“. Aus Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen wurden Erzieherinnen und Erzieher.

Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte sich auch die Notwendigkeit, für die Jugendarbeit und die Gemeindearbeit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heranzuziehen. Ganz allgemein kann man hier eine Linie sehen, die von der Ausbildung von Kindergärtnerinnen ausgeht, diesen eine Zusatzausbildung zur Jugendleiterin ermöglicht, 1960 zur modernen Sozialarbeit führt und schließlich 1967 zur Ausbildung von Sozialpädagogen. Eine andere Linie begann in Frankfurt z. B. mit der eigenen Ausbildung von Leitungspersonal im Wartburg-Verein oder im Jungen- und Jungmänner-Werk sowie reichsweit mit dem Burckhardthaus. Dieses gründete 1926 eine Bibel- und Jugendführerschule, aus der 1929 ein Seminar für kirchlichen Frauendienst wurde, das schließlich für seine Gemeinde-helferinnenausbildung26 bekannt wurde, die bis 1971 praktiziert wurde. In Frankfurt haben eine ganze Reihe von selbst herangezogenen Jugendleitern und Burckhardthäuslerinnen über Jahrzehnte eine erfolgreiche Jugend- und Gemeindearbeit getan. Allerdings endete dieser Ausbildungsweg mit der Fachhochschulausbildung zum Gemeinde- und Religionspädagogen.

Es lohnt jedoch ein Blick nach Darmstadt. Dort hatte der Hessische Diakonieverein 1909 ein Seminar für Gemeindepflegerinnen eröffnet. Daraus wurde 1927 (1929?) eine „Wohlfahrts- und Pfarrgehilfinnenschule“, die 1933 als „Frauenschule für Volkspflege“ gleichgeschaltet wurde. 1947 wurde sie als „Seminar für soziale Berufsarbeit“ wiedereröffnet und 1968 mit der „Höheren Fachschule für kirchliche und religionspädagogische Dienste“ des Elisabethenstifts zusammengefügt. Daraus wurde 1971 die „Evangelische Fachhochschule Darmstadt“. An ihr konnte man neben Sozialer Arbeit auch Gemeindepädagogik und Reli-gionspädagogik studieren.

Frauenorganisationen

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Spektrum der Frauenorganisationen bunter.27 Die herkömmlichen Organisationen betätigten sich aber weiter.

Der „Frauenverein“ war nicht konfessionsgebunden, unterstützte aber Arme, Alte und Kranke christlicher Konfession. In den Alt-Frankfurter Gemeinden übernahm er die ge-meindliche Krankenpflege. Verantwortlich waren hier für die St. Katharinen-, Matthäus-, Pauls-, St Peters- und Weißfrauengemeinde Frau Amtsgerichtsrat von Welling; für die Luther- und Nikolaigemeinde Freifrau Helene von Bethmann; für die Dreikönigs- und Lukasgemeinde Margarethe Krebs; für die Johannesgemeinde Frau Fikentscher. Die Fürsorge in den Landgemeinden lag in der Verantwortung von Frau Mathilde Schmidt-Metzler. Die Leitung der Frauenvereinsschule lag in den Händen von Frau Göschen und Frau G. A. von Neufville. Schatzmeister war Herr G. A. von Neufville, Konsulent Dr. Friedrich Schmidt-Scharff.

Der „Frauenverein der evangelischen Gustav Adolf-Stiftung“ (gegr. 1859) bezweckte die Aufbringung von Mitteln zur Ausstattung von Kirchen, Anstellung von Geistlichen und Lehrern in der Diaspora. Vorsteherin war Marie von Mumm. Drei Gustav- Adolf-Kränzchen wurden von Frau Jordan-Neuville, Frl. Roos und Frau Rosa Dechent geleitet.

Am 1. Januar 1899 wurde die „Evangelische Frauenhilfe in Deutschland“ unter der Schirmherrschaft von Kaiserin Auguste Viktoria als Verein gegründet. „Der Verein hat den Zweck, die Mithilfe der Frau in den Dienst der Gesamtkirche und der Einzelgemeinde zu stellen, nach evangelischen Grundsätzen diese Mitarbeit zu pflegen, die Frauenwelt dazu heranzuziehen und die evangelischen Frauen in ihrem christlichen Leben zu vertiefen.“28 1918 erhielt die Frauenhilfe ein Verwaltungsgebäude in Potsdam und 1926 mit Gertrud Stoltenhoff erstmals eine Frau als Vorsitzende. Die Frauenhilfe hatte bald in fast jeder evangelischen Kirchengemeinde in Deutschland eine Gruppe, die sich bei Bibelarbeit und Handarbeiten traf, aber durchaus auch sonst diakonisch tätig war. 1933 in Reichsfrauenhilfe umbenannt, schloss sie sich der Bekennenden Kirche. In Frankfurt gab es mehrere Frauenhilfegruppen, die aber in keinem eigenen Verband zusammengeschlossen waren.

Der „Deutsch-evangelische Frauenbund“ wurde am 7. Juni 1899 von Paula Müller-Otfried in Hannover gegründet. Er war ein Zusammenschluss von Frauen, „die den besonderen Auftrag ihres Herrn Christus erkennen und ihren Dienst durch gemeinsame Haltung und Tat in Kirche und Welt bezeugen möchten. … Der deutsch-evangelische Frauenbund sieht seinen Auftrag ferner darin, alle religiösen und Tagesfragen und -geschehnisse, soweit sie Angelegenheiten der Frau betreffen, aufmerksam zu verfolgen, mit zu durchdenken und unter Umständen seine Stimme zu erheben, wenn Gesetzesänderungen in Bezug auf die rechtliche Lage der Frau zur Debatte stehen...29 Der Frauenbund verstand sich als Teil der bürgerlichen Frauenbewegung und engagierte sich bereits 1903 für das Frauenwahlrecht in Kirche und Kommune, nicht aber für die Parlamente im Reich und in den Ländern. Damit schlossen sich erstmals in der evangelischen Kirche Frauen zusammen, um nicht nur Geselligkeit zu pflegen oder sich sozial zu betätigen, sondern um sich auch gesellschaftlich oder gar politisch zu engagieren. Allerdings bildeten sich bald zwei Fraktionen für und ge-gen das Frauenwahlrecht, so dass das Engagement in dieser Frage eingestellt wurde. Die Ortsgruppe Frankfurt wollte auch die Frauenbewegung im evangelischen Geist fördern und hatte Frau Prof. Marx zur Vorsitzenden.

Der „Evangelische Arbeiterinnenverein“ (gegr. 1904) wurde von Martha Ehlers geleitet. Im Jahresbericht wurde erwähnt, dass der Verein seine Räume im Wittenberger Hof aufgeben musste und stattdessen von der Stadt zwei Zimmer im Senckenberg-Stift zur Verfügung gestellt bekam. Im Übrigen wurde beklagt, dass es keinen Zuwachs an Mitgliedern gab.30

In den meisten Gemeinden gab es zudem Frauenvereinigungen wie Nähvereine, Flickstunden und dergleichen. Vereinzelt gab es auch Frauenvereine in den Ortschaften um Frankfurt herum, so in Heddernheim31 und Niederursel.

Die Frankfurter Frauenhilfe im Dritten Reich

Im Jahr 1933 wurde von Pfarrer Ernst Nell erstmals im Frankfurter Kirchenkalender über die evangelische Frauenhilfe in Frankfurt berichtet und ihre Notwendigkeit im Geist der Zeit begründet.32„Das neue Deutschland bedarf aller Kräfte, die willens sind, an der geistig-sittlichen Erneuerung unseres Volkes mitzuarbeiten. Auch an die evangelische Frau ergeht der Ruf: Dein Volk braucht dich und deine besonderen Gaben und Kräfte zum Neubau eines gesunden und starken Volkstums. Sollte sie diesen Ruf überhören dürfen, wo ihr in ganz besonderem Maße die Pflege der Keimzelle allen Volkstums, der Familie, anvertraut ist? Die evangelische Kirche deutscher Nation ist emsig an der Arbeit, sich neu zu gestalten, um die Kräfte des Evangeliums dienstbar zu machen dem Gesundungsprozeß unseres aus tausend Wunden blutenden Volkes. So wenig die Urchristenheit des Dienstes der Frau entraten konnte beim Aufbau eines christlichen Gemeindelebens, so wenig kann es die heutige Christenheit. Wenn die heutige Kirche der Frau ungleich größere Rechte zugebilligt hat als die alte Kirche, weil die Wertung der Frau eine ganz andere geworden ist, dann hat die Frau auch viel höhere Pflichten, in die Aufbauarbeit der Kirche einzutreten. Darf sie den Ruf, der an sie geht überhören?“

Diakonissen „stehen ihren Mann“

Es war am 23. März 1944 abends 8 Uhr, als Voralarm gemeldet wurde. Fast alle Kranken waren noch auf den Abteilungen, als bereits ein Hagel von Brandbomben auf die Dächer niederprasselte und ein unheimliches Brummen von unzählbaren Flugzeugen die Luft erfüllte. Es brannte in kurzer Zeit die ganze Stadt, und auch unsere Häuser standen in kurzer Zeit in Flammen. Nur dem tapferen Zugreifen unserer 'Schwesternfeuerwehr' ist es zu danken, daß heute noch der größte Teil der Kolonie steht. Das eigentliche Krankenhaus, an das sich durch einen Gang die Kirche anschloß, brannte sofort lichterloh, und durch die ungünstige Windrichtung wurde noch ein mächtiger Funkenflug auf unser Kirchdach getrieben, das allerdings auch bereits durch Brandbomben geschädigt war. Überall waren Schwestern tätig mit Schläuchen, Eimern und Spritzen, um dem Brand zu wehren, und Eimerketten wurden gebildet und Wasser auf Wasser zur Orgel geschleppt – unsere Mühe war umsonst, wir mußten unsere liebe Kirche aufgeben, um nicht Menschen zu opfern. … Inzwischen hatte sich der Brand auf dem Krankenhaus so stark ausgedehnt, daß an ein Bleiben der in den Luftschutz-kellern untergebrachten Kranken nicht mehr gedacht werden konnte, sie mußten schnell in die Nebenhäuser verlegt werden, in denen der Brand in den Dachstühlen gelöscht war. Da war viel Jammer und Not bei den Kranken und helles Entsetzen malte sich in ihren Augen, als sie durch den von Flammen hell erleuchteten Garten getragen wurden. ...“

Schwester Minna Müller, der Luftschutzwart, erzählte:33Es war nach der schrecklichen grauenvollen Brandnacht im März des Jahres 1944. Unsere schöne Diakonissenkirche und auch der Dachstuhl des Krankenhauses waren abgebrannt, und es mußten Tag und Nacht Brandwachen eingesetzt werden, die alle zwei Stunden abgelöst wurden. In einem schwerbeschädigten Raum im oberen Mutterhausflügel, fast unter dem offenen Himmel, wurde für die Feuerwehrleute ein Notquartier hergerichtet. Die beschädigten Wände, Fenster und Türen wurden mit Decken zugehängt, und auf dem Fußboden lagen Strohsäcke, auf denen wir abwechselnd ruhten und schliefen. Schwester Martha Meißner und ich hatten in der ersten Nacht von 2 bis 4 Uhr Löschdienst. Da war plötzlich am äußersten gefährlichen Ende des Dachstuhls das Feuer erneut aufgeflammt, das wir nun zu löschen versuchten. Ich war angeseilt dabei, den phosphorgetränkten brennenden Balken herauszuhauen. ...

Die evangelische Frauenhilfe nach dem Krieg

Mit dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch begann für die Frauenhilfe eine Neubesinnung auf ihre Aufgaben. Weil der nationalsozialistische Staat zugunsten seines Monopols auf dem Gebiete der sozialen Arbeit alle kirchliche Liebestätigkeit unterbunden hatte, war auch die Frauenhilfe zuletzt allein auf die geistliche Versorgung ihrer Mitglieder beschränkt gewesen. Nun wurden die sozialen Nöte so erschreckend groß, daß dadurch die christliche Liebestätigkeit erneut auf den Plan gerufen wurde, die von staatlichen Einschränkungen befreit war. So begann der Stadtverband mit der Ausgabe von Babykörben und Ausstattungen für Jungmütter, er nahm sich der Alten in dem Mörfelder Bunker an und bereitete Flüchtlingsfamilien in dem Schwanheimer Lager und den heimatlosen Jungen in dem Jugendlager auf dem Heilsberg eine Weihnachtsfreude. … Mit besonderer Liebe beteiligt sich der Stadtverband an dem Deutschen Müttergenesungswerk, denn diese Mitarbeit bedeutet für die Frauenhilfe die Möglichkeit, in evangelischen Heimen bisher der Kirche entfremdete Frauen mit der Wortverkündigung zu erreichen. ….“34

Seit 1947 beteiligten sich auch Frankfurter Frauen am „Weltgebetstag der Frauen“, der größten ökumenischen Basisbewegung von Frauen. Der Gebetstag war 1897 mit einem ersten interkonfessionellen „Tag der Demütigung und des Gebetes“ in den USA entstanden. Am 4. März 1927 rief das Exekutivkomitee des Verbandes der Frauenwerke für Äußere Mission erstmals zum internationalen und interkonfessionellen „Weltgebetstag“ auf. Der sollte künftig immer am ersten Freitag der Passionszeit stattfinden. Die Gebete wurden dann wechselnd von Frauen aus je einem anderen Land formuliert. In Deutschland beteiligten sich Frauen ab 1947 an dieser weltweiten Veranstaltung.

Bemerkenswerte Frauen

Bertha Schepeler

Bertha Schepeler war die Tochter eines wohlhabenden und angesehenen Frankfurter Kaufmanns, der sozial engagiert war und seine Kinder zu einer sozialen Einstellung aufzog.35 Seine Tochter Bertha hatte ein angeborenes und nicht heilbares Hüftleiden, konnte sich nur an Stöcken und Krücken bewegen und hatte ständig Schmerzen. Trotzdem war sie eine starke und aktive Persönlichkeit. Wegen ihres Leidens konnte sie zunächst keine Ausbildung absolvieren, war dann aber als Gemeindehelferin und Fürsorgerin zu einer Zeit tätig, da die abgeschlossene Ausbildung hierfür noch nicht überall unbedingte Voraussetzung war. So arbeitete Bertha Schepeler zunächst in der St. Paulsgemeinde bei Pfarrer Karl Veidt. Da dieser häufig unterwegs war, vertrat sie ihn im Büro, bei Sprechstunden, im Konfirmandenunterricht und bei Verhandlungen mit Behörden. Als Veidt 1939 aus der St. Paulsgemeinde in die Matthäusgemeinde versetzt wurde, ging Bertha Schepeler zum Verein für Innere Mission. Dort hatte Pfarrer Arnold Schumacher im gleichen Jahr eine Außenstelle des „Büros Grüber“ zur Hilfe für „nichtarische Christen“ begründet. Bertha hatte selbst „nichtarische“ Freundinnen und Nachbarn, litt unter deren Verfolgung und pflegte den Kontakt mit ihnen weiter. Sie nahm Juden in ihr Haus auf und half ihnen, bei ihren unverheirateten Cousinen Hanna Schepeler und Lilli Schepeler in Falkenstein unterzutauchen. Bei sich selbst ging das nicht, weil hier zu viele Menschen ein- und ausgingen. Während des Krieges wurde ihr wichtigstes Arbeitsfeld die Weibliche Stadtmission. Deren Haus in der Seilerstraße wurde durch Bomben zerstört, wobei 33 Bewohnerinnen zu Tode kamen. Nach dem Krieg baute sie ein neues Gebäude am heutigen Alfred-Brehm-Platz auf. Nach dem Krieg war sie auch wieder im Kirchenvorstand der St. Paulsgemeinde tätig. Sie starb 1965 durch einen Verkehrsunfall.

Olga Sander-Jassoy

Eine der bemerkenswerten Frauen der Frankfurter Kirche war Olga Sander-Jassoy. Als sie 1965 starb konnte man in einem Nachruf lesen:36Aus einer alten Hugenottenfamilie stammend, erkannte sie früh die Verpflichtung, neben ihrer Familie ihre Kräfte für die Aufgaben in der Kirche einzusetzen: Zu Beginn des Kirchenkampfes in den 30er Jahren übernahm Frau Sander die verantwortliche Leitung des Stadtverbandes der evangelischen Frauenhilfe in Frankfurt a. M. Aus ihrer tiefen Frömmigkeit heraus führte sie ohne jedes Geltungsbedürfnis, in vorbildlicher Bescheidenheit über zwanzig Jahre hindurch dieses Amt. Nach dem Kriege baute sie, zusammen mit Theodora Reineck, die evangelische Frauenarbeit in Hessen und Nassau wieder auf. Ihr Weitblick hatte die Notwendigkeit des Zusammenschlusses aller evangelischen Verbände in unserem Kirchengebiet erkannt, und freudig setzte sie sich dafür ein.

Aber ihr reger Geist ging weiter neue Wege in der Frauenarbeit. So wurde sie die Gründerin der evangelischen Mütterschule in Frankfurt a. M. Als Frau Elly Heuss-Knapp das Müttergenesungswerk ins Leben rief, gehörte Frau Sander zu den Frauen, die sich mit allen Kräften für diese neue Aufgabe einsetzten. Durch ihre Initiative und Tatkraft konnte vor elf Jahren das Heim in Bad Salzhausen errichtet werden. Mit einem unwahrscheinlichen Impuls machte sie Menschen für dieses Vorhaben willig, so daß innerhalb von drei Jahren das schöne Heim für erholungsbedürftige Mütter in Bad Salzhausen erstehen konnte. Sie, die von fünf Söhnen drei verloren hatte, pflegte zu sagen: 'Das Heim in Salzhausen ist mein sechstes Kind'“. Ergänzend dazu soll noch erwähnt werden, dass sie die Verleihung des Mutterkreuzes mit der Begründung ablehnte, sie habe ihre Kinder nicht für den Führer geboren. Das brachte ihr Ärger mit der Gestapo ein.37

Elisabeth Schwarzhaupt

Als die in Frankfurt geborene Elisabeth Schwarzhaupt38 1961 Bundesministerin für Gesundheit wurde, war sie die erste Frau im Bundeskabinett. Was das bedeutete, wurde daran deutlich, dass sie selbst die Anrede „Frau Ministerin“ erkämpfen musste. Von Adenauer „Kirchenfräulein“ genannt, sollte sie akzeptieren, dass Adenauer weiter die Sitzungen mit „Morjen, meine Herren“ eröffnete. Auf ihren Protest hin soll er sie angeraunzt haben: „In diesem Kreis sind auch Sie ein Herr“. Immerhin war sie da auch 60 Jahre alt und hatte eine erfolgreiche berufliche Karriere hinter sich. Nach dem Abitur an der Schiller-schule hatte sie ein Lehrererinnenexamen abgelegt und dann Rechtswissenschaften studiert. Danach arbeitete sie in der städtischen Rechtsauskunftsstelle in Frankfurt, wurde Richterin und 1933 von den Nationalsozialisten des Amtes enthoben. Sie promovierte in Frankfurt, ging nach Berlin, war für den Deutschen Rentnerbund tätig und trat 1936 in den Dienst der Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche. Dort wurde sie die erste (weibliche) Konsistorialrätin. Nach dem Krieg arbeitete sie im Kirchlichen Außenamt in Frankfurt unter Martin Niemöller und erwarb sich internationales Ansehen. Sie war eine Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung und setzte sich für die gymnasiale Mädchenbildung, das Studium und die Berufstätigkeit von Frauen und die Gleichberechtigung im Ehe- und Familienrecht ein. 1947 war sie Vorstandsmitglied der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland.

Frauen in kirchlichen Ämtern

Ab den sechziger Jahren wurde es langsam selbstverständlich, dass Frauen alle Ämter in der Kirche ohne Einschränkungen offen standen.39 So wurde 1961 Waltraut Hübner40 die erste Gemeindepfarrerin in Frankfurt (Gemeinde Frankfurt a. M.-Zeilsheim-Taunusblick). 1968 wurde die gebürtige Frankfurterin Marianne Queckbörner als erste Pfarrerin in den Kirchensynodalvorstand gewählt. 1969 wurde Hannelore Ochs als erste Frau in den Vor-stand des Evangelischen Gemeindeverbandes gewählt. 1970 wurde Gerlind Schwöbel41 als erste verheiratete Theologin nachordiniert. 1980 wurde Waltraud Frodien42 als erste Deka-nin in der EKHN Dekanin des Dekanats Frankfurt a. M.-Dornbusch. 1987 wurde Helga Trösken43 als Pröpstin für den Propsteibereich Frankfurt a. M. die erste Pröpstin der EKHN. 1990 wurde Esther Gebhardt44 als erste Frau zur Vorstandsvorsitzenden des Evangelischen Regionalverbandes gewählt.

Im April 1991 gab es Kirchenvorstandswahlen in den Gemeinden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Die Frankfurter Wahlbeteiligung lag bei gut 13%. Sowohl bei den Kandidaturen als auch bei den Gewählten gab es eine bemerkenswerte Trendwende. Zum ersten Mal kandidierten mehr Frauen als Männer in Frankfurt, und in den neuen Kirchenvorständen waren auch die Frauen in der Mehrheit.

1Hierzu und zum Folgenden: Dechent,Hermann: Kirchengeschichte von Frankfurt a. M., Bd. I, Leipzig/ Frankfurt 1913, S. 84-88; Schwarzlose, Karl: Hartmann Ibach und die Reformation in Frankfurt, in: Frankfurter Kirchenkalender 1922, S. 10 ff.

2Dechent, Kirchengeschichte I, S. 102-104.

3Zum Folgenden s. Junghähnel, Prediger, S. 1 f. unter Bezugnahme auf ISG Holzhausen Nr. 971 vom 22. Dezember 1558 und Nachträge Nr. 1.554 vom gleichen Tag (beglaubigte Abschriften, das Original ist nicht erhalten).

4Zitiert nach Junghähnel, André: Prediger der Reichsstadt Frankfurt a. M., Magisterarbeit Frankfurt 2010, S. 130.

5Kleinstück, Erwin: Geist und Kirche in Frankfurt, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung, Band 12, Darmstadt 1961 S. 44-46; Dechent, Hermann: Kirchengeschichte von Frankfurt am Main, Band II, Leopzig/Frankfurt 1921S. 187-191; Boehncke, Heiner/Sarcowicz, Hans: Was niemand hat, find ich bei Dir, eine Frankfurter Literaturgeschichte, Darmstadt/Mainz 2012, S. 108-113..

6Goethe: Autobiographische Schriften II, Goethes Werke, Band 10, Hamburger Ausgabe, München 1998, S. 41-45.

7Boehncke/Sarcowicz, Literaturgeschichte, S. 111.

8Frankfurter Diakonissenhaus, (Hrsg.): Getrost und freudig, Festschrift 125 Jahre Frankfurter Diakonissen-haus, Frankfurt 1995, , S. 14 f., Satzung ebd. S. 56.

9Frankfurter Diakonissenhaus, Getrost und freudig 125 Jahre, S. 18.

10Frankfurter Diakonissenhaus, Getrost und freudig 125 Jahre, S. 19.

11Frankfurter Diakonissenhaus, Getrost und freudig 125 Jahre, S. 19.

12Frankfurter Diakonissenhaus, Getrost und freudig 125 Jahre, S. 20.

13Zum Folgenden Telschow, Jürgen/Ulrich, Helmut: 150 Jahre Marthahaus und 20 Jahre Neubau, Festschrift, Frankfurt a. M. 2016.

14Dechent, Kirchengeschichte, Bd. II, S. 32.

15Kayser, Ich gedenke der vorigen Zeiten, in. Marthahaus, Zum 1. Mai 1916, S. 1.

16Frankfurter Diakonissenhaus ,Getrost und freudig 125 Jahre, S. 27 – 30.

17Frankfurter Diakonissenhaus ,Getrost und freudig 125 Jahre, S. 31 – 33.

18Frankfurter Diakonissenhaus ,Getrost und freudig 125 Jahre, S. 34 – 36.

19Frankfurter Diakonissenhaus ,Getrost und freudig 125 Jahre, S. 36 – 38.

20Frankfurter Diakonissenhaus ,Getrost und freudig 125 Jahre, S. 39 f.

21Die Darstellung folgt Lachenmann, Hanna: Rose Livingston – Gründerin des Nellini-Stifts, in: Schriftenreihe des Evang.-luth. Predigerministeriums Frankfurt a. M., Heft 3, Frankfurt a. M. 1995, S. 35-57.

22Lachenmann, Rose Livingston, S. 49 f.

23Frankfurter Diakonissenhaus, Getrost und freudig 125 Jahre, S. 24.

24Frankfurter Diakonissenhaus, Getrost und freudig 125 Jahre, S. 68.

25Hierzu und zum Folgenden Frankfurter Diakonissenhaus, Kommt, laßt uns unsern Kindern leben, Festschrift, Frankfurt a. M. 1992.

26Siehe auch die „Richtlinien zur Ordnung des Dienstes der Gemeindehelferin“ der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1954.

27FKK 1910, S. 63 – 65.

28§ 2 Gründungssatzung, zitiert nach Drewello-Merkel/Puchert, 100 Jahre … auf gutem Kurs, Darmstadt 2007, S. 23.

29 Kittel, Erna: Deutsch-Evangelischer Frauenbund, in: Frankfurter Kirchliches Jahrbuch 1975, S. 97.

30 Frankfurter Kirchenkalender 1910, S. 78.

31 Hartmann, Carl: Erster Bericht des evangelischen Frauen- und Jungfrauenvereins zu Heddernheim bei Frankfurt a. M. über das Jahr 1869, Frankfurt a. M. 1870.

32 Nell, Ernst: Die evangelische Frauenhilfe in Frankfurt a. M., in: Frankfurter Kirchenkalender 1934, S. 62-65.

33Getrost und freudig 125 Jahre, S. 111 f.

34Staritz, Katharina: Die Evangelische Frauenhilfe,in: Frankfurter Kirchliches Jahrbuch 1951, S. 94 f.

35Flesch-Thebesius, Marlies:Bertha Schepeler 1891-1965, in: Sterik, Eitha: 50 Jahre Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt 1997.

36Frankfurter Kirchliches Jahrbuch 1966, S.164.

37Kraemer, Mechthild: Olga Sander-Jassoy, in: Drewello-Merkel, Christiane/Puchert, Sylvia: 100 Jahre … auf gutem Kurs, Darmstadt 2007, S. 150.

38Zum Folgenden Salentin, Ursula: Elisabeth Schwarzhaupt – Erste Ministerin der Bundesrepublik, Freiburg i. Br. 1986.

39Zum Folgenden s. Drewello-Merkel / Puchert, 100 Jahre, S. 41

40Winkler, Claudia: Die ersten Gemeindepfarrerinnen Waltraud Hübner und Margrit Listmann, in: Engler-Heidle/Flesch-Thebesius, Marlies: Frauen im Talar, Frankfurt a. M. 1997, S. 111-120.

41Werth, Ute: Die erste verheiratete Theologin, nachordiniert,Gerlind Schwöbel, in: Engler-Heidle/Flesch-Thebesius: Frauen im Talar, S. 77-90.

42Werth, Ute: Erste dekanin, Waltraud Frodien, in:Engler-Heidle/Flesch-Thebesius: Frauen im Talar, S. 169-180.

43Schrupp, Antje: Erste Pröpstin, Helga Trösken, in: Engler-Heidle/Flesch-Thebesius: Frauen im Talar, S. 181-193

44Flesch-Thebesius: Erste Frau als Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Esther Gebhardt, in: Engler-Heidle/Flesch-Thebesius: Frauen im Talar, S. 195-206.

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